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Instrumente zeigen! Humanis­ti­sche Union fordert Stopp der Online­über­wa­chung und Offenlegung aller Überwa­chungs­in­stru­mente

11. Oktober 2011

Martina Kant

Nachdem die Innenminister mehrerer Bundesländer zugegeben haben, dass bei ihnen die umstrittenen Staatstrojaner zur Überwachung Verdächtiger eingesetzt wurden, fordert die Humanistische Union die sofortige Einstellung aller Trojanereinsätze und ein völlig neues System der öffentlichen Kontrolle von Überwachungssoft- und -hardware.

Die Bürgerrechtsorganisation kommt nach einer Auswertung der vom Chaos Computer Club vorgelegten Informationen zu dem Schluss: Ein verfassungskonformer Einsatz dieser Programme, die in das Grundrecht auf Integrität und Vertraulichkeit von IT-Systemen eingreifen, ist mit dieser Technik unmöglich. Ihre Anwendung ist daher umgehend zu stoppen. Die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie Will, warnt die Sicherheitsbehörden: „Spätestens nach den jetzt bekannt gewordenen Details müssen Sie sich darüber im Klaren sein: Sie machen sich nach den §§ 202a bis 202c des Strafgesetzbuches strafbar, wenn Sie derartige Programme weiterhin anwenden!

Die Humanistische Union fordert die Innenministerien auf:

  • Sofortiger Stopp der Telekommunikationsüberwachungen per Trojaner („Quellen-TKÜ“) zur Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr. Weder die Befugnis für „normale“ Telekommunikationsüberwachung in § 100a und § 100b der Strafprozessordnung noch gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigungen der Polizei-, Zoll- und Geheimdienstgesetze zur TKÜ reichen als Rechtsgrundlagen aus. Auch die Regelungen zur Quellen-TKÜ im BKA-Gesetz und den Landespolizeigesetzen von Thüringen, Rheinland-Pfalz und Hessen verhindern einen verfassungswidrigen Einsatz nicht. Derzeit sind sämtliche Anordnungen und ihre Umsetzungen einer Quellen-TKÜ nach Ansicht der Humanistischen Union rechtswidrig und strafbar.
  • Sicherheitsbehörden dürfen nur noch solche Geräte und Programme zur Überwachung einsetzen, deren Hardware und Quelltext frei zugänglich ist. Nur so können Sicherheitsanalysen von unabhängiger Seite durchgeführt werden. „Security by obscurity“, also trügerische Sicherheit durch staatliche Heimlichtuerei oder gar Berufung auf „Geschäftsgeheimnisse“ unkontrollierbarer privater EDV-Dienstleister darf es in einem Rechtsstaat nicht geben. Für blindes Vertrauen in die Redlichkeit der Ermittlungsbehörden oder ihre Zulieferer besteht keinerlei Anlass mehr.

Für Rückfragen stehen Ihnen die Geschäftsführer Sven Lüders unter 0152 01 83 16 27 und Martina Kant unter (030) 204 502 56 oder info@humanistische-union.de zur Verfügung.

Hintergrund

Der vom Chaos Computer Club (CCC) veröffentlichte Trojaner ist in mehrfacher Hinsicht ein klarer Verstoß gegen die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung (Az. 1 BvR 370/07, 595/07) aufgezeigten Grenzen der Computer-Überwachung:

  • Die analysierte Behörden-Software ermöglicht die gezielte Manipulation des Zielrechners, sodass Ermittlungsbehörden nicht gehindert wären, Zielpersonen belastendes Material unterzuschieben. Dies ist in einem Rechtsstaat vollkommen undenkbar und daher vom Bundesverfassungsgericht ausnahmslos für verfassungswidrig erklärt worden. Keinerlei gesetzliche Ermächtigung könnte dies je rechtfertigen.
  • Die Software war sicherheitstechnisch so schlecht implementiert, sodass Dritte sich beliebig Zugriff auf den Rechner hätten verschaffen und die Zielperson ausspionieren können. Dies zeigt eine geradezu erschreckende Sorglosigkeit im Umgang mit der Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger.
  • Die Software erlaubt das beliebige Nachladen von neuen Funktionen – wobei diese Möglichkeit, wie der CCC eingehend dokumentierte, besonders verschleiert war.
  • Obwohl der Ermittlungsrichter den Einsatz der Software in einem bestimmten Fall nur für die Überwachung von Telekommunikation genehmigt hatte, setzte die Polizei das Instrument für eine – zu strafrechtlichen Zwecken mangels rechtlicher Grundlage stets unzulässige – Online-Durchsuchung ein.
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