Pressemeldungen

Hamburgs Innen­se­nator will Voodoo-­Kri­mi­nal­po­litik betreiben

25. Januar 2007

Kritik an den Vorschlägen zur „Eindämmung der Jugendgewalt“ des Hamburger Innensenators Udo Nagel

Was dabei herauskommt, wenn Innen­po­li­tiker sich um das Jugend­s­traf­recht kümmern

Zu den heute präsentierten Vorschlägen zur „Eindämmung der Jugendgewalt“ des Hamburger Innensenators Nagel erklärt Jochen Goerdeler, Mitglied im Bundesvorstand der Humanistischen Union:

„Der Ausflug von Hamburgs Innensenator Udo Nagel in das Jugendstrafrecht war wohl eher eine Bauchlandung. Wer den sog. Warnschuss als Maßnahme zur Reduzierung von Jugendgewalt vorschlägt, offenbart eher Unkenntnis als Expertentum. Die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe weist eine Rückfallquote von 60% auf. Der Arrest weist eine Rückfälligkeit von 70% auf. Wie durch zusätzlich Arrestverhängung die Bewährungsstrafe wirksamer gemacht werden soll, bleibt wohl ein Expertengeheimnis.“

Ähnlich merkwürdig sei der Vorschlag, Rückfallkriminalität durch die Einbeziehung der Heranwachsenden (18 bis 20-jährigen) in das Erwachsenenstrafrecht „einzudämmen“. Dazu Jochen Goerdeler: „Nagel stellt ein zentrales Gütemerkmal unseres Jugendstrafrechts in Frage: Wenn junge Erwachsene grundsätzlich nach allgemeinem Strafrecht behandelt werden, können nur noch Freiheitsstrafe und Geldstrafe verhängt werden – das differenzierte Instrumentarium des Jugendstrafrechts wäre dann nicht mehr anwendbar. Wem ist damit geholfen, wenn ich bspw. gegen die Teilnehmer einer Pausenhofschlägerei Geldstrafen verhänge (die meistens dann die Eltern bezahlen)? Ein Anti-Gewalt-Kurs oder ein sozialer Trainingskurs kann nach allgemeinem Strafrecht nicht verhängt werden.“

Das Jugendstrafrecht sei mitnichten das mildere Recht: Es ermögliche, differenzierter zu reagieren, verlange den Verurteilten aber tendenziell mehr ab, gerade auch an aktiver Auseinandersetzung mit ihrer Tat und dem Opfer. Goerdeler: „Es mögen einige gute Vorschläge bei der Konferenz entstanden sein. Nagel diskreditiert sie aber durch die populistischen und kriminalpolitisch kontraproduktiven ‚Gassenhauer‘, die er vorschlägt.“

Insgesamt sei erkennbar, dass der Innensenator mehr auf Ausgrenzung auffällig werdender junger Menschen setze, als ihre Integration zu fördern. Goerdeler: „In der Kriminologie ergibt sich das recht klare Bild, dass Delinquenz entsteht, wenn die Einbindung in die informelle Sozialkontrolle gestört ist. Soziales Kapital ist entscheidend für eine unauffällige Lebensführung. Erleichterte Inhaftierungen von Jugendlichen grenzen hingegen aus und zerstören die Einbindung.“ Der Häftlingsmord von Siegburg habe zudem gezeigt, dass man gegenwärtig nicht von resozialisierungsförderlichen Bedingungen in den Jugendstrafanstalten ausgehen könne.

Auch den Vorschlägen, leichtere Zwangsmaßnahmen im Familienrecht zu ermöglichen, steht Goerdeler skeptisch gegenüber: „Es sind in den letzten Wochen und Monaten schlimme Fälle von gravierenden Kindesmisshandlung und sogar Kindstötungen offenkundig geworden. Jugendhilfe funktioniert im allgemeinen aber auf der Grundlage von Vertrauen. Dieses Grundkapital darf man nicht zerstören, sonst wird die Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen noch schwieriger.“

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