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Das Arbeit­neh­mer­über­las­sungs­ge­setz – Durchbruch bei der Leiharbeit?

vorgänge Nr. 220 (Heft 4/2017), S. 114-116

In den letzten Jahren ist die Leiharbeit erheblich gestiegen. Dabei wird sie nicht nur zum Teil als moderne Sklaverei bezeichnet, sondern sie hat auch negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingen allgemein. Die Politik hat darauf reagiert und der Deutsche Bundestag hat ein Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verabschiedet, das der Autor kritisch untersucht.

In Deutschland gab es 2016 43,4 Millionen Erwerbstätige – eine Rekordzahl. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,9 % niedrig. Zwar zeigen die offiziellen Zahlen nicht das gesamte Ausmaß der Arbeitslosigkeit, dennoch ist sie im europäischen Vergleich relativ gering. Auf der anderen Seite nehmen die prekären Beschäftigungsverhältnisse zu („atypische Beschäftigung“). Diese zeichnen sich durch schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen und große soziale Unsicherheit aus. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung (Impuls 2/2017) arbeiten vier von zehn Erwerbstätigen atypisch. Dazu zählen Teilzeitjobs, geringfügig Beschäftigte, Leiharbeitnehmer befristete Jobs sowie Selbständige ohne Mitarbeiter mit meist fehlender sozialer Absicherung. Die Zahlen sind ansteigend. So wuchs die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, wobei es sich meist um erzwungene, und nicht freiwillige Teilzeitbeschäftigung handelt, im Zeitraum von 2003 bis 2015 von 21,4 % auf 25,5 %, die der Mini-oder auch Midijobber von 19% auf 22,8 %.

Stark angestiegen ist auch die Leiharbeit in diesem Zeitraum, nämlich von 1,1 % auf 3%Im Dezember 2016 gab es rund eine Million Leiharbeiter. Gegenüber 2003 hat sich diese Zahl fast verdreifacht. Die Zahlen mögen relativ niedrig erscheinen, besorgniserregend ist jedoch die starke Zunahme sowie ihr Einfluss auf die allgemeinen Arbeitsbedingungen. Deshalb spielt die Leiharbeit in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion eine große Rolle. Seit langem machen die Gewerkschaften und die politische Linke Front gegen ihre Ausweitung der. Kritisiert werden nicht nur deren schlechte Bedingungen – oft als moderne Sklavenarbeit bezeichnet -, sondern vor allem auch ihre negativen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen insgesamt. Inzwischen hat auch die Politik reagiert. Die Bundesregierung hat unter Federführung der Arbeitsministerin Andrea Nahles ein Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgelegt, das im April diesen Jahres in Kraft trat (BGBl I 2017, 258). Erklärtes Ziel ist eine Eindämmung der Leiharbeit sowie die Verbesserung der Bedingungen für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer. Und in der Tat enthält das Gesetz einige Verbesserungen. So wird die Leiharbeitsdauer auf 18 Monate begrenzt, Leiharbeit muss ausführlich dokumentiert werden, Werkverträge als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung werden ausgeschlossen, der Grundsatz gleicher Bezahlung („Equal Pay“) soll eingehalten werden und die Betriebsräte erhalten mehr Mitbestimmungsrechte bei der Leiharbeit.

Schaut man sich jedoch die Bestimmungen des Gesetzes näher an und vergleicht sie vor allem mit der Realität der Leiharbeit, muss man festzustellen, dass die Verbesserungen recht dürftig sind, von einer positiven Regelung der Leiharbeit wenig übrig bleibt und sogar eine Verschlechterung befürchtet wird. So gehen die Regelungen an der Praxis der Leiharbeit weitgehend vorbei. Denn die meisten Leiharbeitsverhältnisse sind sehr kurzfristig und dauern weniger als drei Monate, so dass die im Gesetz vorgesehenen Fristen ins Leere gehen. Hinzu kommt, dass nach den 18 Monaten wieder erneut Leiharbeiter eingestellt werden können, somit also die Leiharbeit fortgesetzt werden kann. Kritiker sprechen zurecht von einem „Drehtüreffekt“. Auch kann durch Tarifverträge von der Höchstdauer abgewichen werden. Damit kann der Grundsatz, dass Leiharbeit nur vorübergehende Tätigkeit sein soll, unterlaufen werden. Im Jahr 2016 verdienten Leiharbeitsbeschäftigte lediglich 58,6 % des Durchschnittslohns. Dies soll sich dadurch ändern, dass „Equal Pay“ als Grundsatz gesetzlich verankert wird. Allerdings soll die gleiche Bezahlung erst nach 9 Monaten gelten. Dies widerspricht nicht nur der Richtlinie der EU zur Leiharbeit, nach der dieser Grundsatz vom ersten Tag an gelten soll, sondern bedeutet in der Praxis nach wie vor eine ungleiche Bezahlung, zumal die tatsächliche Leiharbeitszeit ganz überwiegend kürzer als 9 Monate ist. Lediglich 22 % der Leiharbeitsverhältnisse dauern länger als 9 Monate. Inzwischen hat die IG Metall einen Tarifvertrag zur Leiharbeit abgeschlossen, der eine Verbesserung bei der Bezahlung in Form von Branchenzuschlägen vorsieht, allerdings auch keine gleiche Bezahlung vom ersten Tag an. Außerdem enthält der Tarifvertrag Verbesserungen im Hinblick auf die Übernahme. Insgesamt jedoch ist der Tarifvertrag enttäuschend, geht nur wenig über das Gesetz hinaus und stellt keine entscheidende Verbesserung der Bedingungen der Leiharbeit dar.

Mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wird zurecht ein wichtiges gesellschaftliches Problem aufgegriffen. Doch die Reform bleibt mutlos und bringt keine echten Verbesserungen. Das Gesetz bleibt weit hinter den notwendigen Regelungen zur Leiharbeit zurück. Es verhindert nicht, dass Leiharbeit weiterhin feste Arbeitsverhältnisse verdrängt, Lohndrückerei fördert und Druck auf die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten ausübt. Dem sozialen Problem der Leiharbeit kommt man damit nicht bei. Eine wirkliche Reform sieht anders aus. So hätte man von vornherein die Leiharbeit mit regulärer Arbeit gleichsetzen müssen. Dies gilt vor allem für die Bezahlung. Hier ist die betriebliche Praxis dank gewerkschaftlicher und betriebsrätlicher Aktivitäten oft weiter. Erwägenswert wäre die Einführung eines Flexibilitätsbonus gewesen, womit der vorübergehende Charakter der Leiharbeiter unterstrichen worden wäre und man den besonderen Belastungen der Leiharbeit Rechnung getragen hätte. Man hätte sich an Frankreich orientieren können, wo nicht nur vom ersten Tag an gleiche Bezahlung gilt, sondern die Entleihbetriebe 10 % Aufschlag zahlen müssen. Man wird von einer sozialdemokratischen Ministerin nicht unbedingt erwarten können, dass sie der Forderung der Linkspartei nach Verbot der Leiharbeit nachkommt, doch eine grundlegende Regelung der Leiharbeit kann man schon verlangen, womit die Leiharbeit tatsächlich begrenzt wird und auch nur bei Engpässen möglich ist. Gleiche Bezahlung von Anfang an sowie eine bessere Übernahmeperspektive wären eigentlich selbstverständliche Regelungen, so dass Leiharbeit nicht weiter als Druckmittel für Lohndumping und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eingesetzt werden kann.

HEINZ BIERBAUM   studierte Soziologie und Betriebswirtschaftslehre und ist promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Seit 1996 ist er Prof. für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Von 2009 bis 2013 war er Parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN im saarländischen Landtag.

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