Themen / Rechtspolitik

Der Streit um die Beschnei­dung Minder­jäh­riger braucht einen gesell­schaft­lich akzep­tierten Kompromiss!

12. Dezember 2012

Die Humanistische Union hat unmittelbar vor den parlamentarischen Entscheidungen eine Stellungnahme zum umstrittenen Beschneidungsgesetz vorgelegt. Darin fordert sie eine deutliche Nachbesserung des Regierungsentwurfs: Beschneidungen Minderjähriger sollten allein aus medizinischen oder religiösen Gründen zulässig sein; für deren Ausführung sind höchste medizinische Standards verbindlich festzulegen.

Zugleich sprach sich die Bürgerrechtsorganisation gegen strafrechtliche „Scheinlösungen“ aus: der gesellschaftliche Konflikt um die Reichweite des Elternrechts und der Religionsfreiheit könne nicht mit strafrechtlichen Sanktionen geklärt werden. Von einer gesetzlichen Lösung sei zu fordern, dass sie sich zum Schutz und der Akzeptanz religiöser Minderheiten bekenne – aber eben auch keinen Freifahrschein zur Beschneidung minderjähriger Jungen ausstelle. Die staatliche Schutzpflicht sieht die Humanistische Union im vorliegenden Regierungsentwurf zur Beschneidung jedoch grob vernachlässigt.

Wir dokumentierten hier die mehrheitliche Stellungnahme* des Bundesvorstandes der Humanistischen Union gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestags:

Auch in der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union wird seit dem Urteil des Kölner Landgerichtes vom 20. Mai 2012 darüber gestritten, was bürgerrechtlich im Fall der Beschneidung von Jungen richtig ist.

Dass eine religiöse Beschneidung in die körperliche Unversehrtheit des Kindes eingreift, kann von Niemandem ernsthaft bestritten werden. Gestritten wird in der Gesellschaft und so auch in der Humanistischen Union aber darüber, ob sich dieser Eingriff verfassungsrechtlich durch das Recht der Eltern, die diesen Eingriff unter Berufung auf ihr Elternrecht und ihre Religionsfreiheit vornehmen lassen, rechtfertigen lässt. Darüber gehen auch in der Humanistischen Union die Meinungen auseinander.

Soweit es um die eigenen Wertmaßstäbe der Erziehung und der Religionsausübung geht, folgt eine erkennbare Mehrheit unserer Mitglieder der Grundidee des alternativen Gesetzentwurfs (BT-Drs. 17/11430), der eine Beschneidung nur mit Zustimmung des betroffenen Jungen für gerechtfertigt hält, nachdem dieser „einwilligungsfähig“ geworden ist. Zugleich scheuen wir uns davor, als zwangsläufige Folge dieser Position eine strafrechtliche Verfolgung von Juden und Moslems in Gang zu setzen, die gemäß ihren religiösen Traditionen vorgehen. Wir sehen hier ein grundsätzliches Dilemma des Strafrechts: Als ultima ratio des Gesetzgebers ist es nicht geeignet, in einem gesellschaftlichen Konflikt einen Konsens herbeizuführen. Ohne gesellschaftlichen Konsens über die Reichweiten des Erziehungsrechts und der Religionsfreiheit aber kann das Strafrecht kein sinnvolles Mittel sein, um diesen Konflikt zu lösen. Eine Kriminalisierung religiös motivierter Beschneidungen führte allenfalls zur Abwanderung in den „Untergrund“.

Im Streit um die Beschneidung minderjähriger Jungen fürchten wir vor allem, dass mit einem bürgerrechtlichen Rigorismus religiöse Minderheiten in Deutschland ausgegrenzt würden. Diese Furcht bringt uns mehrheitlich zu der Überzeugung, dass hier besser auf strafrechtliche Sanktionen verzichtet werden sollte. Unsere Furcht wird nicht zuletzt von der Kenntnis dessen gespeist, was Deutsche den Juden angetan haben. Würden Beschneidungen vor der Einwilligungsfähigkeit der Jungen als Straftat klassifiziert, bekäme Deutschland im internationalen Vergleich ein zweifelhaftes Alleinstellungsmerkmal: es wäre das einzige Land auf der Welt, dass die Beschneidung von minderjährigen Jungen als Straftat ahndet. Mit diesem Dilemma setzt sich der Alternativentwurf leider nicht auseinander.

Was bleibt? Man sollte sich bis auf weiteres zur Vermeidung der strafrechtlichen Ahndung von Beschneidungen mit einer verfassungsrechtlich gerade noch vertretbaren Lösung abfinden: Das Elternrecht zur religiösen Erziehung der Kinder wird als Rechtfertigung bei der Beschneidung akzeptiert und gleichzeitig wird dabei der medizinisch bestmögliche Schutz der zu beschneidenden Knaben abgesichert. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des umstrittenen Eingriffs ist nur möglich, wenn man die Knabenbeschneidung als zwingendes religiöses Gebot, auf das sich die Eltern berufen, als Ausübung ihrer Religionsfreiheit akzeptiert. Der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht gegenüber dem Kind kann aber bei dieser Akzeptanz nur dann genügt werden, wenn alles getan wird, um höchste medizinische Standards bei den Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Kindes zu gewährleisten. Der Regierungsentwurf genügt diesen Anforderungen nicht. Er sichert nicht die Anwendung medizinischer Standards zur Vermeidung von Schmerzen und weitergehenden gesundheitlichen Risiken. Zudem enthält er keine Vorschläge, die zu einer Befriedung des gesellschaftlichen Konfliktes und zur Herausbildung eines gesellschaftlichen Konsenses führen können. Er verdeckt vielmehr die diesbezüglichen Probleme einseitig zu Gunsten der Religionsausübung und verletzt damit die vom Grundgesetz gebotene Schutzpflicht.

Die Humanistische Union fordert deshalb, den Regierungsentwurf des Beschneidungsgesetzes (BT-Drs. 17/11295) unter folgenden Gesichtspunkten zu überarbeiten:

  • Die Beschneidung minderjähriger Jungen wird als verfassungsrechtlich gerechtfertigter Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes nur dann gewertet, wenn die Eltern damit Belange des Kindeswohls verfolgen.
  • Eine kindeswohlorientierte Motivation der Eltern wird jenseits der medizinischen Indikation nur dann unterstellt und nicht weiter geprüft, wenn die Eltern dies dem Arzt mit der Befolgung eines religiösen Gebotes zur Erziehung ihres Kindes begründen.
  •  Formulierung verbindlicher gesetzlicher Anforderungen an die Ausführung der Beschneidung:
    * übereinstimmende schriftlich dokumentierte Entscheidung der Erziehungsberechtigten,
    * Dokumentations- und Archivierungspflicht bei der durchführenden Person
    * Fachgerechte Durchführung, d.h.
      – Ausschluss von Kontraindikationen durch einen Arzt
      – Beschneidung durch einen Arzt oder amtlich von der Ärztekammer geprüften Beschneider
      – Anwendung von Anästhesiemitteln nach ärztlichen Standards
      – Versicherungspflicht der Person, die die Beschneidung durchführt, um bei Schäden aufgrund von Kunstfehlern oder anderen Umständen den Schadenersatzanspruch des Geschädigten realisieren zu können
      – statistische Erfassung aller Beschneidungskomplikationen.
  • Überprüfung der Bewertung zur Schwere des Eingriffes in die körperliche Unversehrtheit der Beschnittenen durch den Gesetzgeber nach fünf Jahren, um ein empirisch abgesichertes gesellschaftliches Bewusstsein über die Risiken des Eingriffs zu erlangen.

* Diese Stellungnahme ist das Ergebnis einer intensiven Diskussion innerhalb der Humanistischen Union (HU). Sie gibt das Meinungsbild der verbandsinternen Diskussionen wieder. Der Vorstand hat sich mehrheitlich für eine Veröffentlichung dieser Positionen ausgesprochen.

Dateien

nach oben