Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 210/211: Suizidbeihilfe - bald nur noch beschränkt?

„Die Nazis sind nicht wie eine Heuschre­cken­plage gekommen.“

Lars Kraume über seinen Film zu Fritz Bauer, in: vorgänge 210/211 (2+3/2015), S. 236-239

Sie haben in der Vergangenheit Kinofilme und TV-Filme inszeniert. Warum haben Sie „Der Staat gegen Fritz Bauer“ jetzt als Kinofilm inszeniert?

Wir hatten das Gefühl, dass Fritz Bauer so groß, beeindruckend und inspirierend ist, dass man diese Geschichte im Kino zeigen sollte. Diese Erzählung füllt die Leinwand ebenso wie Burghart Klaußner, wenn er Fritz Bauer spielt. Die Suche nach Eichmann, dieser symbolträchtigen Figur des Holocaust, gab mir die Möglichkeit, einen Film über dieses dunkle Kapitel der europäischen Geschichte zu machen, ohne dass ich das Leid in Bildern ausbeuten musste. Es findet alles im Subtext der Ermittlung statt.

Wie sind Sie auf den Stoff gekommen? Nach Ilona Zioks Dokumentarfilm „Tod auf Raten“, dann „Im Labyrinth des Schweigen“ und der demnächst erscheinenden SWR-Produktion „Der General“: Was war da Ihre Motivation, jetzt noch einen Spielfilm zu machen und den auf die Adolf-Eichmann-Episode zu konzentrieren?

Der Ilona-Ziok-Film ist ja schon etwas älter. Den kennen, glaube ich, alle, die jetzt einen Fritz-Bauer-Film machen. Die anderen Filme sind ja alle parallel entstanden. Ich habe mit diesem Projekt vor vier Jahren angefangen, als mein Co-Autor Olivier Guez sein Buch „Die Heimkehr der Unerwünschten. Eine Geschichte der Juden in Deutschland nach 1945“ (Piper) auf Deutsch veröffentlichte. In dem Buch, in dem es darum geht, wie jüdisches Leben nach 1945 stattfand und sich jüdische Gemeinden wieder entwickelten, wird auch Fritz Bauer erwähnt. So bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Das war noch bevor ich Zioks Dokumentarfilm gesehen habe. Ich sprach mit Olivier über die Idee, über diese interessante Figur einen Film zu machen, weil er der einzige Ankläger in dieser sonst stummen Zeit war.

Warum jetzt plötzlich verschiedene Filmemacher dieses Thema zur gleichen Zeit ausgegraben haben, weiß ich nicht. Aber man sieht ja immer wieder, dass bestimmte Dinge in der Luft liegen. Es gab eine Weile jedes Jahr mehrere Filme, die sich mit der Baader-Meinhof-Bande und dem Deutschen Herbst beschäftigt haben. Und plötzlich sind eben diese stummen fünfziger Jahre für uns interessant. Vielleicht liegt es daran, dass wir merken, dass jetzt die letzten Zeitzeugen sterben und dass es Zeit ist, über die Gründungsjahre der Bundesrepublik Geschichten zu erzählen.

Bei den jüngeren Filmen fällt eine Verschiebung der Schuldfrage auf. Während früher die Nazi-Diktatur als Betriebsunfall und als Tat einiger Weniger geschildert wurde, betont man jetzt die Kontinuität und die Tatsache, dass alle Deutschen darin verwickelt waren. Kann diese Verschiebung auch an dem zunehmenden zeitlichen Abstand liegen?

Es ist jedenfalls interessant, dass die Regisseure im Neuen Deutschen Film das in den Siebzigern nicht thematisierten. Jedenfalls fällt mir kein Film ein, außer vielleicht „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ von Rainer Werner Fassbinder.

Mein Film sagt aber nicht, dass es keine Veränderung zwischen dem dritten Reich und der jungen Bundesrepublik gab. Die Deutschen gründeten eine neue Demokratie mit einer neuen Verfassung, in der aber alle alten Nazis weiter lebten und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft, auch in den Eliten. Gleich nach dem Krieg gab es diesen wahrscheinlich auch ganz menschlichen Reflex, über das unglaubliche Grauen, das im Dritten Reich passiert war, einfach nicht zu reden. Und dieses Schweigen war natürlich ein Problem für einen wirklichen Neuanfang.

Die Opfer wollten und konnten auch nicht über ihr Leid sprechen. Die Schizophrenie der fünfziger Jahre in der BRD, mit dem Wirtschaftswunder und der damit einhergehenden guten Laune einerseits, und den Gespenstern des Krieges und dem Schweigen über die vielen Verbrechen andererseits, sind natürlich interessant für ein Drama. Alles ist unausgesprochen, aber voller Bedeutung.
In diesem Schweigen ist Bauer eine Ausnahmeerscheinung, weil er voller Überzeugung gegen das gesellschaftliche Klima sagt: ‚Es muss über die Vergangenheit geredet werden, weil sonst dieses junge Land keine richtige Zukunft hat.‘

Welche Rolle spielte bei ihren Recherchen das Fritz-Bauer-Institut?

Eine große. Ich trat ganz früh mit Werner Renz, der das Archiv beim Fritz-Bauer-Institut leitet, und dem damaligen Leiter Raphael Gross, der jetzt in Leipzig eine Professur für Jüdische Geschichte und Kultur innehat, in Kontakt. Dort kannte man das Projekt von der ersten Stunde an und stand mir jederzeit bei meinen Recherchen zur Verfügung. Bei strittigen Punkten hatte Herr Renz auch immer beide Seiten im Blick und hat auf neue Publikationen zu aktuellen Debatten hingewiesen.
Die Mitarbeiter am Institut haben auch nie versucht, das Projekt zu vereinnahmen, sondern standen uns ganz professionell als Wissenschaftler und Historiker zur Seite, die sich ja nicht nur mit Fritz Bauer beschäftigen.

Haben Sie die aktuellen Diskussionen über Fritz Bauer verfolgt?

Sicher. Es gibt ja zwei Lager. Das eine sagt, dass Bauer nicht homosexuell war, und es sei auch falsch, ihn als Juden darzustellen. Er wurde ermordet und er habe sich den Nazis nie unterworfen. Das sind die Hauptaspekte, über die gestritten wird.

Der Aspekt der Unterwerfung ist schwierig zu beurteilen, weil in einem Zeitungsabdruck der „Unterwerfungserklärung“ ein möglicher Druckfehler aus „Fritz Bauer“ „Fritz Hauer“ macht. Andererseits findet sich im Lagebericht des württembergischen Reichsstatthalters Wilhelm Murr an die Reichskanzlei vom 5. November 1933 der korrekte Name im Zusammenhang mit der Unterwerfung.

Bauer war definitiv mit den anderen Personen, welche eine Unterwerfungserklärung unterschrieben haben, damals aus dem Ulmer Garnisonsarresthaus entlassen worden, wo er nach seiner Internierung im KZ Heuberg inhaftiert war. Wenn er die Erklärung nicht abgegeben hätte, wäre zu fragen, wieso er überhaupt entlassen wurde. Ich verstehe allerdings nicht, wieso ein Lippenbekenntnis in diesem Moment der größten Not das Ansehen dieses Mannes schmälern sollte.
Die Fraktion, die kritisierte, dass Ronen Steinke in seiner Biographie und das Fritz-Bauer-Institut in der Ausstellung die Frage der Homosexualität ansprechen, sagt, seine sexuelle Orientierung tue nichts zur Sache. Das stimmt insofern nicht ganz, weil man damals, wenn man seine Homosexualität auslebte, straffällig wurde und wenn man als Generalstaatsanwalt tätig sein und Nazis jagen wollte, dann musste man seine Sexualität negieren. Man musste sie ablegen. Das ist ein Opfer, das zu verlangen für jeden Menschen wahnsinnig groß ist. Heute glaubt jeder Erwachsene, das Recht auf seine sexuelle Freiheit zu haben. Aber Fritz Bauer hatte sie nicht. Er konnte sie – wenn er homosexuell war, was der Ausländerrapport der dänischen Polizei nahe legt – nicht ausleben.

Ich sehe nicht, wie das sein Ansehen schmälern sollte. Für mich steigert es das nur. Mir zeigt es, dass Bauer wahnsinnige Opfer gebracht hat, die kaum jemand, den ich kenne, für seinen Job und seine Ziele bringen würde.

Warum erwähnen Sie im Film Bauers Parteizugehörigkeit nur nebenbei, während Sie die Frage seiner Homosexualität sehr in den Mittelpunkt rücken?

Ich finde, wir betonen die Homosexualität nicht so sehr. Im Mittelpunkt steht ja die Jagd nach Eichmann und die damit verbundene Entscheidung Bauers, gegen seinen Diensteid zu verstoßen und Landesverrat zu begehen.

Aber wir haben den jungen Staatsanwalt Karl Angermann erfunden, der symbolisch für die Wirkung Fritz Bauers auf die junge Generation steht. Eine Generation, die Bauer mit seinen Schriften, seinen öffentlichen Auftritten und seiner Arbeit ansprach. Zu jung, um im Dritten Reich wirklich eine Funktion übernommen zu haben. Aber alt genug, um in der Bundesrepublik Verantwortung zu übernehmen. Fritz Bauer war sehr interessiert an diesen jungen Leuten. Er will, dass Leute wie Angermann aktiv sind, dass sie sich rühren und mühen.

Bauers Mitgliedschaft in der SPD kommt zudem in einigen Szenen zum Ausdruck. Er spricht darüber mit Georg August Zinn, dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten, den er aus dem Reichsbanner Schwarz Rot Gold kannte. Und er redet über seine Freundschaft zu Kurt Schumacher.

Warum genau hatten Sie an dieser Stelle das Gefühl von den Fakten abweichen zu müssen?

Wir haben Karl Angermann fiktionalisiert, weil uns eine weitere real existierende Person als Dramatiker wahnsinnig unter Zugzwang gesetzt hätte. Man hätte einer weiteren Figur gerecht werden müssen. Als Autor eines Spielfilms kann man sich dann zwischen all diesen Fakten aber kaum noch bewegen. Karl Angermann als Nebenfigur haben wir erfunden, weil er all diejenigen Männer symbolisiert, zu denen Bauer ein mentorenhaftes Verhältnis gepflegt hat.

Bauer wird im Film nicht als aktiver Homosexueller dargestellt, obwohl er wahrscheinlich entsprechende Erlebnisse hatte. Er ist ein Mann, der weiß, was ein Leben als Homosexueller zu dieser Zeit bedeutete. Angermann wiederum ist verkappt schwul. Er kann es nicht ausleben, weil es verboten ist.

Wir wollten zeigen, wie die junge BRD moralische Verschärfungen und Missstände der Nazis in den Fünfzigern einfach übernommen hat. Dass es Leute gab, die sich zwar Demokraten nannten, aber weiterhin mit Nazi-Gesetzen arbeiteten. Man hätte 1945 oder 1948 mit der Gründung der Bundesrepublik einen größeren Schritt machen können, indem man sich wieder an der Weimarer Verfassung oder an weiter entwickelten demokratischen Grundordnungen orientiert. Stattdessen blieb man indoktriniert von den Moral-Vorstellungen der Nazis.

All diese Aspekte wollten wir in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ thematisieren: Um zum Ausdruck zu bringen, dass Bauer so entschlossen war, Nazis ihrer gerechten Strafe zuzuführen, dass er sein privates Leben dafür geopfert hat. Sein Recht auf Äußerung der eigenen Sehnsüchte und Sexualität. Er saß abends allein in seiner Wohnung, litt unter den Morddrohungen und hatte auch keinen Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Frankfurt, weil er sich ständig dem Vorwurf des Rache-Juden ausgesetzt sah. Das hat ihn zu einem sehr einsamen Menschen gemacht. Aber er musste sich so verhalten, denn sonst hätte er diesen Job nicht machen können. Für mich macht ihn das zu einer interessanten, schillernden und noch beeindruckenderen Figur, als wenn ich ihn einfach nur als Nazi-Jäger und Humanisten porträtiert hätte.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Axel Bußmer.

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