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Entwürfe für nieder­säch­si­sche Islam-­Staats­ver­träge in der Kritik

18. April 2016

in: vorgänge Nr. 213 (Heft 1/2016), S. 165-167

Die niedersächsische Landesregierung hat Ende 2015 nach längeren Verhandlungen mit der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB, der SCHURA und den Alevitischen Gemeinden Niedersachsens Entwürfe für drei Staatsverträge veröffentlicht. Mit den Verträgen würden DITIB und SCHURA stellvertretend für die Muslime im Land besonders gewürdigt und ihnen zahlreiche Zugeständnisse (etwa Feiertagsregelungen), Mitbestimmungsrechte (z.B. Rundfunk- und Fernsehgremien) oder finanzielle Zuschüsse in Aussicht gestellt. Der Vertragsentwurf löste in Niedersachsen kontroverse Diskussionen darüber aus, welchen Einfluss die muslimischen Religionsgemeinschaften durch das Vertragswerk auf das öffentliche Leben gewinnen. [3] Weitaus weniger wurde der Entwurf im Verhältnis zu den bereits bestehenden Staatskirchenverträgen gesehen. [4] Eine Debatte über die grundsätzlichen Probleme solcher Verträge fand leider nicht statt.

Zu dem Vertragsentwurf hat die Humanistische Union (HU) Niedersachsen Stellung genommen. Das Gutachten wurde von Johann-Albrecht Haupt erstellt. Er kritisiert den Vertragsentwurf in grundsätzlicher Sicht als undemokratisch und verfassungswidrig, in vielen Punkten auch schlicht überflüssig. Einige Regelungen werden als besonders systemwidrig herausgestellt, etwa die geplanten finanziellen Zuwendungen an DITIB und SCHURA – in Aussicht gestellt sind jeweils bis zu 100.000 Euro jährlich für fünf Jahre -, die zur Finanzierung der Geschäftsstellen der beiden Verbände (!) sowie zur Finanzierung von Seelsorgern dienen. Eine derart selektive, einseitige Förderung der Infrastruktur einzelner Religionsgemeinschaften verstoße sowohl gegen die Haushaltsordnung des Landes wie gegen die von der Verfassung geforderte Trennung von Staat und Kirche bzw. die staatliche Neutralität in religiösen Fragen. Weder könne ein irgendwie geartetes öffentliches Interesse am Auf- bzw. Ausbau der Geschäftsstelle dieser Vereine geltend gemacht werden, noch sei es unzumutbar, von beitragserhebenden Vereinigungen zu erwarten, dass sie die Mittel für ihren Organisationsbetrieb selbst erwirtschaften. (S. 8f)

Zudem wird kritisiert, dass der Vertragsentwurf (wie viele andere Staatskirchenverträge auch) keine Kündigungsklausel enthalte. Das erschwere die spätere Änderung oder Aufkündigung der Vereinbarung: „Der Vertrag ist ein politischer Rechtsakt, der aus einer konkreten politischen Situation unter politischen Gesichtspunkten mit einem bestimmten politischen Inhalt geschlossen wird. Ändern sich die politischen Verhältnisse (z.B. Wechsel der Parlamentsmehrheiten), dann müssen früher getroffene politische Entscheidungen auch revidiert oder korrigiert werden können. Das ist als Wesensbestandteil des demokratischen Prozesses …“ (S. 10) Unter demokratischen Gesichtspunkten sollte besser auf eine gesetzliche Regelung anstelle eines Vertragsabschlusses zurückgegriffen werden. Da der Vertrag zwischen Regierung und den beiden Verbänden vertraulich ausgehandelt wurde, ist die Gestaltungshoheit des Parlaments stark eingeschränkt: die Landtagsabgeordneten können nur noch für oder gegen den Vertrag stimmen, aber nicht dessen Inhalte mitgestalten. Dies ist umso problematischer, da die interessierten Vertragsnehmer über die Verhandlungen direkten Einfluss auf dessen Gestaltung haben, die allgemeine Öffentlichkeit jedoch von diesem Verfahren ausgeschlossen bleibt. Damit findet auch kein Ausgleich zwischen allgemeinen und besonderen Interessen und Werten statt, weil „der nicht vertragsbeteiligte Teil der Bevölkerung [keine] Gelegenheit zur Mitsprache, Mitwirkung oder Einflussnahme hat.“ (S. 2) Eine derart demokratiefeindliche Aushandlung von Vereinbarungen sei nur vertretbar bei „echten Staatsverträgen, also solchen, die das Land oder der Bund mit anderen, nicht ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Staaten und Ländern schließen. … Religionsgemeinschaften in Deutschland und ihre Mitglieder unterliegen jedoch nicht anders als die sonstigen Verbände und Staatsbürger der staatlichen Souveränität des Bundes oder jeweiligen Landes. Konsequenterweise schließt denn auch der Staat keine Verträge mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen zur allgemeinen Regelung der Beziehungen ab.“ (S. 2)

Folglich schlägt das Gutachten vor, die Beziehungen des Landes zu den Religionsgemeinschaften allgemein bzw. den niedersächsischen Muslimen im Konkreten mit anderen Instrumenten zu regeln. Soweit es der Landesregierung um die staatliche Anerkennung des Wirkens der Religionsgemeinschaften gehe, könne dies auch durch gemeinsame Erklärungen, Veranstaltungen oder konkrete Kooperationen geschehen. Soweit es um konkrete Zugeständnisse oder eine staatliche Förderung einzelner Aktivitäten der Gemeinschaften gehe, sollten diese besser mit einem Integrations- oder Fördergesetz realisiert werden. Eine gesetzliche Regelung biete zudem den Vorteil, dass sie auch all jene hier lebenden Muslime anspreche, die nicht in den beiden vertraglich protegierten Verbänden engagiert sind – zumal deren Legitimation, für „den Islam“ bzw. „die Muslime“ in Niedersachsen zu sprechen, zweifelhaft sei. Die DITIB, deren Imame von der staatlichen, türkischen Religionsbehörde Diyanet bezahlt werden, sei zudem ein sehr fragwürdiger Vertragspartner.

Die Landesregierung hat ihren Willen bekundet, den Vertrag mit den muslimischen Verbänden bis zum Sommer 2016 abzuschließen.

Anmerkungen:

[3] Vgl. Kultusministerium Niedersachsen: Fragen und Antworten zu den Verträgen des Landes Niedersachsen mit DITIB, SCHURA und Alevitischer Gemeinde Deutschlands v. 15.12.2015

[4] Das sind folgende Vereinbarungen des Landes Niedersachsen: Vertrag mit den Evangelischen Landeskirchen Niedersachsen („Loccumer Vertrag“, 1955); Konkordat mit dem Heiligen Stuhle (1965); Vertrag mit der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen (1970); Vertrag mit der Evangelisch-methodistischen Kirche in Nordwestdeutschland (1978); Vertrag mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen (1983).

Johann-Albrecht Haupt: Stellungnahme zum Entwurf eines Vertrages zwischen dem Land Niedersachsen, der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB Niedersachsen und Bremen e.V. und SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime e.V. vom 23.2.2016, online abrufbar hier.

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