Themen / Innere Sicherheit

Hessen: Gutachten kritisiert Gesetz­ent­wurf über die Neuaus­rich­tung des Landes­ver­fas­sungs­schutzes

17. Mai 2018

in: vorgänge Nr. 221/222 (1-2/2018), S. 123-125

Die schwarz-grüne Koalition in Hessen hat den Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung des Landesverfassungsschutzes vorgelegt (Drs. 19/5412). Dem Verfassungsschutz werden darin neue Überwachungsbefugnisse (v.a. die Quellen-Telekommunikationsüberwachung sowie der verdeckte Zugriff auf IT-Systeme) eingeräumt, zudem wird der Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten (analog den 2015 für das Bundesamt erlassenen Regeln) gesetzlich geregelt. Die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes wird in ein separates Gesetz nach dem Vorbild des Bundesgesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium ausgelagert. Von der Reform verspricht sich die Koalition eine bessere Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit anderen Sicherheitsbehörden. Zudem sollen zahlreiche Anforderungen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aus den Entscheidungen zur Antiterrordatei (vom 24.4.2013) sowie zum BKA-Gesetz (vom 20.4.2016), umgesetzt werden.

Der Innenausschuss des Hessischen Landtags veranstaltete am 8. Februar 2018 eine Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzespaket. Daran nahm Dr. Till Müller-Heidelberg für die Humanistische Union teil. In seiner schriftlichen Stellungnahme konzentrierte er sich auf die Aufgabenbestimmung des Landesamtes und den Regelungsverzicht bei der Kernaufgabe des Amtes (a), auf die unzureichenden Vorgaben für den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten (b), die Datenspeicherung bei Unbeteiligten und Minderjährigen (c) sowie die geplante Wiedereinführung einer Regelanfrage zur „Verfassungstreue“ für alle Bewerber/innen des Öffentlichen Dienstes (d).

(a) Der Gesetzentwurf suggeriert, dass die Aufgabe des Verfassungsschutzes in der Abwehr terroristischer Gefahren sowie der Abwehr extremistischer Positionen bestünde – beides ist aber falsch. Weder ist der Verfassungsschutz eine Gefahrenabwehrbehörde, noch darf der Staat extremistische Positionen bekämpfen – was als extremistisch gilt, ist eine politische Beurteilung, die (solange die Positionen gewaltfrei vertreten werden) der Meinungsfreiheit unterliegen. Auch die Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ (OK) falle nicht in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes; bei der OK handle es sich schlicht um Straftatbestände, für die die Polizeibehörden zuständig sind. Eine Doppelzuständigkeit des Verfassungsschutzes wäre nicht nur verfassungswidrig (wie der Sächsische Verfassungsgerichtshof bereits 2005 entschieden hat), dem Land Hessen fehle auch die Gesetzgebungskompetenz für das Thema (Strafrecht und Strafverfolgungsrecht sind Angelegenheiten des Bundes).
Die zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes – das Sammeln und Auswerten von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen – bleibe im vorliegenden Entwurf (wie in den meisten VS-Gesetzen) dagegen äußerst unbestimmt. Weder wird geregelt, was solche Bestrebungen zum Beobachtungsobjekt der Behörde qualifiziere, noch gibt es Vorgaben für die Verdachtsgewinnung, die Beobachtungszeiträume etc. Die Stellungnahme verweist hier auf die Regelungen in den §§ 6 bis 8 des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes, in dem sich bundesweit erstmals gesetzliche Vorgaben zum „Kerngeschäft“ des Verfassungsschutzes finden (s.S. 3f.).

(b) Die gesetzlichen Vorgaben zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern und V-Leuten orientieren sich an den Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes und sind damit ähnlich wirkungslos wie jenes:[9] So wird den Ermittlern gestattet, selbst Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen, wenn dies für den Zugang zur überwachten Szene notwendig sei und die Behördenleitung dies für angemessen hält. Die Behörde schützt sie dabei auch vor Strafverfolgung. Die Vorschriften, wer als V-Person nicht angeworben werden darf (z.B. verurteilte Straftäter) und wie hoch die Bezahlung der V-Leute ausfallen darf, sind bei näherer Betrachtung ebenfalls wirkungslos. Ausgeschlossen wird lediglich, dass die Entlohnung der V-Leute deren „alleinige Lebensgrundlage“ bildet, und mit Zustimmung der Behördenleitung dürfen selbst Schwerverbrecher als V-Leute eingesetzt werden.

(c) Dass die Verfassungsschutzbehörden längst nicht nur vermeintliche Extremisten und Gefährder, sondern auch viele „unbescholtene“ Bürger_innen erfassen und überwachen, wurde schon mehrfach nachgewiesen.[10] Dabei handelt es sich nicht um versehentliche Fehler – die Erfassung „Unbeteiligter“ ist durchaus beabsichtigt, wie die Befugnis in § 4 Abs. 8 des Gesetzentwurfs zeigt. Dies kritisiert die Stellungnahme ebenso (s.S. 5) wie die geplante Speicherung der Daten Minderjähriger unter 14 Jahren.

(d) Schließlich sieht der Gesetzentwurf in § 21 Abs. 1 Ziff. 2c vor, dass die Behörde Informationen bzw. Bewertungen zur „Verfassungstreue von Personen, sie sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben“ an öffentliche Stellen abgeben darf. Damit wird eine in den 1970er Jahren praktizierte Form der Gesinnungsprüfung neu aufgelegt, auf der einst zahlreiche Berufsverbote beruhten. Besonders problematisch an diesen Verrufserklärungen des Verfassungsschutzes: die vorgebrachten Einwände beruhen oft auf ungesicherten Informationen (z.B. vom Hörensagen), ihre Quellen werden nicht offen gelegt und ihre tendenziösen Bewertungen entziehen sich oft einer gerichtlichen Überprüfung. Müller-Heidelberg verweist auf die bereits 1995 ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte[11], der diese Praxis als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention verwarf; die Regelung sei daher eindeutig verfassungswidrig.

Ob es im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch zu nennenswerten Änderungen am Gesetzentwurf kommt, ist derzeit offen. Nachdem der Entwurf bei der Anhörung des Landtags Kritik von mehreren Seiten erfuhr, kündigten Vertreter der grünen Landtagsfraktion Gesprächsbedarf mit ihrem Koalitionspartner an.

Till Müller-Heidelberg: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen vom 14.11.2017 (Drs. 19/5412) vom 16.1.2018, abrufbar unter https://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2018/Mueller-Heidelberg2018-01-16_VS-Hessen_korr.pdf

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