Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 229: Perspektiven der Suizidbeihilfe

Ist § 217 StGB verfas­sungs­ge­mäß?

in: vorgänge Nr. 229 (1/2020), S. 7-22

Das vom Deutschen Bundestag 2015 verabschiedete Verbot der Suizidbeihilfe nach § 217 StGB sollte nicht die Suizidhilfe per se kriminalisieren, sondern „nur“ deren wiederholte, geschäftsmäßige Ausführung. Was also genau verbietet § 217 StGB? Und ist dieses Verbot verfassungsrechtlich zulässig? Mit diesen Fragen befasste sich das erste Panel einer gemeinsamen Tagung von Humanistischer Union und Friedrich-Naumann-Stiftung, die am 9. Mai 2019 in Berlin stattfand. Wir dokumentieren im Folgenden diese Diskussion in leicht bearbeiteter Form.

Rosemarie Will: Es sollte das anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren der letzten Legislaturperiode werden. Herausgekommen ist ein strafrechtliches Verbot. § 217 StGB ist eine strafrechtliche Repression, die die Freiheit beim Sterben einengt. Das Gesetzgebungsverfahren wurde von tiefgehenden Auseinandersetzungen begleitet. Über 140 StrafrechtslehrerInnen haben gemeinsam erklärt: Die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid führe dazu, dass professionelle Hilfe, die gerade Ärzte und Ärztinnen leisten können, erschwert oder unmöglich wird. Der Gesetzgeber hat sich von den Einwendungen unbeirrt gezeigt.
Dem Gesetzgeber war klar, dass er Suizidhilfe nicht ausnahmslos kriminalisieren kann. Ein vollständiges strafrechtliches Verbot wäre unter dem Grundgesetz nicht möglich. In der Gesetzesbegründung zu § 217 hieß es, ein generelles strafrechtliches Verbot der Beihilfe zum Suizid wäre ein überscharfer Eingriff in die Selbstbestimmung von Sterbewilligen.
Was also wird verboten? Die geschäftsmäßige Suizidhilfe. Was heißt geschäftsmäßig? Geschäftsmäßig handelt – anders als der juristische Laie annimmt – nicht derjenige, der Geschäfte macht, sondern bereits alle, die die Wiederholung gleichartiger Tätigkeiten zum Gegenstand ihrer Beschäftigung machen. Im Unterschied zu Gewerbsmäßigkeit kommt es auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht nicht an. Unstrittig war, dass mit dem Gesetz auf die Sterbehilfeorganisationen und die professionellen Sterbehelfer gezielt wurde.
Ein solches Verbot widerspricht m. E. Rationalitätskriterien. Es tabuisiert den Suizid und verhindert eine wirksame Suizidprävention. Es kann nicht erklärt werden, warum von der geschäftsmäßigen Suizidhilfe eine abstrakte Gefährdung für das Leben und die Selbstbestimmung des Suizidenten ausgeht, im Nahbereich bei einmaliger Unterstützung es jedoch eine solche Gefährdung nicht geben soll.
Wir befinden uns derzeit zwischen der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts. Es sind viele Verfassungsbeschwerden anhängig, sechs davon wurden verhandelt: die Beschwerden der Sterbehilfevereinigungen „Sterbehilfe Deutschland“ und „Dignitas Deutschland“, die Beschwerden von Personen, die sich von diesen Vereinen Hilfe leisten lassen wollten sowie Beschwerden von Ärzten, die sowohl ambulant als auch stationär mit der Versorgung Sterbender beschäftigt sind.
Welche Rügen zur Verfassungsmäßigkeit wurden vorgetragen? Die Beschwerdeführer, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen wollten, sahen sich durch das strafrechtliche Verbot in ihrem Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit der Menschenwürde verletzt. Ihres Erachtens beinhalten es das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben.
Bei den Vereinen wurde Artikel 9 Absatz 1 GG gerügt und vorgetragen, dass auch ihre Handlungsfreiheit verletzt sei.
Bei den beschwerdeführenden Ärzten stand die Verletzung der Gewissens- und Berufsfreiheit im Vordergrund. Die Ärzte haben zudem die Bestimmtheit der angegriffenen Vorschriften beanstandet.
Nach der mündlichen Verhandlung ist vor der Urteilsverkündung. Die meisten Beobachter der mündlichen Verhandlung waren überrascht vom Verlauf der mündlichen Verhandlung. Überraschend war auch die Ankündigung, wann das Urteil gesprochen wird. Es hieß: Nach Beratung im Senat wird ein Termin bekanntgegeben. Über das Urteil muss also noch grundsätzlich beraten werden.

Friedhelm Hufen: Ein sehr ernstes Thema, das wir uns hier gewählt haben. Alle Menschen haben ein gemeinsames Schicksal: zu Sterben. Und fast alle Menschen haben den Wunsch, selbstbestimmt zu sterben, ohne Leiden zu sterben, zuhause zu sterben, in ihrer Umgebung zu sterben. Und wir wissen alle: Das ist den wenigsten Menschen vergönnt. Das Thema ist hoch tabuisiert, es ist sehr ideologisch befrachtet. Und deswegen ist es gut, dass das BVerfG in der Verhandlung klargestellt hat, dass es hier um nüchternes Verfassungsrecht geht.
Nüchternes Verfassungsrecht, das aber von der deutschen Geschichte überlagert ist. Auch in anderen Bereichen ist ja sehr schnell von Selektion, von Euthanasie usw. die Rede. Ich denke, auch das gehört zur Diskussion, dass wir uns von dieser Geschichte nicht befreien, aber wir sollten auch nicht das tun, was ein Schweizer Freund von mir immer gesagt hat: wo Ihr Deutschen hin grübelt, wächst kein Gras mehr. Wir sind in diesen ethischen Diskussionen sehr stark belastet. Und deswegen meine ich, ist es ganz wichtig, mit dem nüchternen Instrumentenkoffer des Verfassungsrechts an diese Fragen heranzugehen.
Dazu gehört zunächst: Welches Grundrecht ist betroffen? Dann: Worin liegt ein Eingriff? Und der dritte Schritt ist: Ist der Eingriff gerechtfertigt? Das ist die Methode, die auch das BVerfG hier angewendet hat.
Fast alle Kollegen – auch die konservativeren; auch die die Sterbehilfe skeptisch betrachtenden Kollegen – sind sich einig: Es gibt ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, dass grundrechtlich geschützt ist. Das kam auch in der mündlichen Verhandlung sehr deutlich heraus. Ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben; einige Kollegen siedeln das sogar bei der Menschenwürde an. Ein führendes Lehrbuch sieht das Recht auf Sterben als Kehrseite des Rechts auf Leben verankert in Artikel 2 Absatz 2 GG. Ich würde es wohl richtiger beim Selbstbestimmungsrecht, also bei der allgemeinen Handlungsfreiheit und beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ansiedeln.
Was die Ärzte angeht, steht natürlich Artikel 12 GG – Berufsfreiheit – im Mittelpunkt. Gewissensfreiheit? Weiß ich nicht. Genauso die Vereinigungsfreiheit: Normalerweise können sich die Vereine nur auf ihre Grundstruktur und ihre Tätigkeit beziehen, aber nicht auf die Art der Tätigkeit, der sie folgen. Sonst wäre praktisch jede Vereinstätigkeit in irgendeinem Grundrechtsbereich immer zugleich in Artikel 9 GG geschützt.
Das sind die Schutzbereiche, die m.E. hier betroffen sind. Es ist vollkommen klar, dass der § 217 StGB einen Eingriff in diese Schutzbereiche beinhaltet. Aus der Sicht des Patienten ist es ein so genannter indirekter Eingriff. Das Verbot richtet sich ja nicht gegen die Patienten selbst, es richtet sich gegen die Ärzte und gegen die Sterbehilfeorganisationen; also sind die Patienten mittelbar oder indirekt betroffen. Direkte Eingriffe sind natürlich die in die Rechte der Verbände und der Ärzte.
Spannend wie immer ist die Rechtfertigung des Eingriffs. Und hier ist zu vermerken, dass dieser unselige Begriff „geschäftsmäßig“ schon an Artikel 103 GG – dem Bestimmtheitsgrundsatz, der nun gerade im Strafrecht existentielle Bedeutung hat – scheitern muss. Dass der Gesetzgeber sich nicht nur über das Votum der 140 wohl berufensten Experten, nämlich der Strafrechtsprofessoren dieser Republik, hinweggesetzt hat, sondern – wie man hört – sogar gesagt hat: „Das ist eine Unverschämtheit, wie die sich in das Gesetzgebungsverfahren hier eingemischt haben“ – ist bezeichnend.
Man wollte die Sterbehilfeorganisationen – konkret eine Hamburger Sterbehilfeorganisation – treffen und hat Tabula rasa gemacht, indem man auch Ärzte, gemeinnützige Vereinigungen, humanistische Gemeinschaften usw. gleich mit abräumt. Der erste Vorwurf gegen das Gesetz ist der der Unverhältnismäßigkeit. Ich bin selbst immer ein Vertreter der Schutzpflicht aus Artikel 2 GG gewesen. Aber was total vergessen worden ist, ist, dass der Staat nicht nur eine Schutzpflicht für das Leben, sondern auch eine Schutzpflicht für die Selbstbestimmung hat. Diese Abwägung ist in diesem Gesetz schiefgegangen. Sie ist einem lähmenden Paternalismus zum Opfer gefallen – der Mensch wird für unmündig erklärt; er ist nicht in der Lage, selbst zu entscheiden. Wir haben ja auch in anderen Bereichen diese paternalistische Grundtendenz, vor allen Dingen am Anfang des Lebens, bei der Zeugung – Stichwort Präimplantationsdiagnostik (PID) usw. Die Selbstbestimmung wird zwar als Grundrecht anerkannt, aber sie ist im Grunde genommen ein Unwert; ein Unwert, der zu bekämpfen ist. Selbstbestimmtes Sterben fällt sozusagen unter die negativen Situationen – nicht nur dieses Gesetzgebungsverfahrens.
Wir werden im Einzelnen zu diskutieren haben, ob die Gründe für das Gesetz stichhaltig sind und ob sie auch empirisch abgesichert sind. Wir wissen alle nicht, wie wir dran sind, wenn wir uns in der Sterbesituation befinden. Die hilfesuchenden Selbstmörder werden hier mit den selbstbestimmt Sterbenden in einen Topf geworfen; es entsteht im Grunde genommen eine Pflicht zum Leben. Zahlen werden genannt, die erschrecken; hohe Zahlen von angeblich steigenden Selbstmordraten. Es wird nicht differenziert zwischen selbstbestimmtem Sterben und hilfesuchenden Suiziden. Es wird argumentiert, selbstbestimmtes Sterben sei gar nicht nötig, da wir heute viele Möglichkeiten der Palliativmedizin haben. Ich begrüße die Palliativmedizin; ich bin froh, dass es sie gibt. Aber Sie wissen alle, die Zahl der Palliativstationen und Hospize reicht bei weitem nicht aus. Nicht alle haben diese Chance. Ich habe in Mainz wahrscheinlich eine der besten Palliativstationen vor der Türe, aber ich möchte selbst entscheiden können, ob ich da hinwill oder nicht. Das gehört zu meinem Selbstbestimmungsrecht. Dieses Argument, dass selbstbestimmtes Sterben letztlich eine Pflicht zum Sterben für die Pflegebedürftigen bedeutet, ist in keiner Weise empirisch erwiesen. Es ist eine reine Spekulation, die dazu dient, ein Grundrecht einzuschränken.
Letzter Punkt: Was ist aus Karlsruhe zu lernen? Ja, ich bin sehr zufrieden. Das Verfahren ist eins der größten, das das BVerfG je geführt hat. Es sind zwar nur sechs Verfassungsbeschwerden, aber das Votum der zuständigen Richterin war 1600 Seiten dick, ohne Anlagen. Daran kann man schon sehen, wie ernsthaft darauf eingegangen wurde. Spannend war auch, dass ein eher konservativer Richter als befangen ausgeschieden ist und dafür ein eher liberaler Richter aus dem ersten Senat jetzt an dem Verfahren beteiligt ist und auch sehr kritische Fragen stellen konnte.
Es war klar, dass die empirischen Grundlagen der Argumente sehr direkt hinterfragt wurden. Alles das, was ich als „zu unbestimmt“ genannt hatte, wurde von den Verfassungsrichtern aufgegriffen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Gericht das ganze Gesetz für verfassungswidrig erklären wird. Aber ich hoffe sehr, dass das Gericht dazu beiträgt, jedenfalls die überschießenden Wirkungen und vor allen Dingen die Unbestimmtheit in diesem Bereich zu beseitigen. Vielen Dank.

Steffen Augsberg: In der Tat für mich eine interessante Gelegenheit, hier zu Ihnen zu sprechen. Ich bin ehrlicherweise noch nie bei einer Tagung gewesen, wo das Ergebnis vorher schon im Flyer stand. Insofern bin ich gewissermaßen in einer Feigenblattfunktion hier, weil ich Ihnen jetzt erkläre, wie doof ich bin und das der Gesetzgeber im Übrigen auch – so steht es in dem Flyer – das schäbigste Gesetz der bundesrepublikanischen Geschichte geschrieben hat. Es sieht gut aus um unser Land, wenn das das schäbigste Gesetz unserer Geschichte ist, das möchte ich vorweg schicken.
Ich halte das für eine der Thematik bzw. der Bedeutung der Sache eigentlich nicht angemessene Herangehensweise. Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass wir uns offen austauschen und dass wir auch bereit sind, die Argumente, die der/die jeweils andere vorträgt, ernst- und gegebenenfalls auch anzunehmen. Wenn wir das nicht machen, können wir weder wissenschaftlich noch demokratisch diskutieren; wenn wir das nicht machen, sind wir nicht liberal, sondern totalitär. Insofern herzlichen Dank an die Friedrich-Naumann-Stiftung: Jedenfalls hätte ich das nicht als Liberalität verstanden. Wir haben auch eine Moderation, die schon mal vorgibt, was eigentlich richtig ist und wohin die Reise gehen muss.
Ich habe in der Tat das Gesetzgebungsverfahren relativ frühzeitig begleitet. Ich hatte eine Anfrage der deutschen Stiftung Patientenschutz, ob ich einen Gesetzesentwurf mitverfassen würde und habe das dann auch gemacht. Der Gesetzesentwurf wurde dann im Bundestag aufgegriffen. Ich habe die interfraktionelle Gruppe, die letztlich den Antrag eingebracht hat, beraten und konnte eine Reihe dieser intensiven Diskussionsprozesse relativ nah erleben. Aus dem Gesichtspunkt heraus kann ich sagen, dass ganz Vieles von dem, was so kolportiert wird, schlicht nicht stimmt, und zwar im Sinne von: Entweder weiß man´s nicht, und behauptet es wider besseren Wissens, oder es wird schlichtweg gelogen. Es ist nicht richtig, dass das irgendwie ein Kirchenprojekt war, dass da eine abstrakte Schutzpflicht vorgeschoben und die individuelle Selbstbestimmung zur Seite geschoben, zum Unwert wird. Das Gegenteil ist richtig. Und das ergibt sich schon daraus, dass das eine Gruppe von Leuten war, die eben nicht durchgängig kirchlich gebunden sind. Ich persönlich, kann ich Ihnen am Rande sagen, auch nicht. Ich habe überhaupt keine theologische Perspektive auf das Thema. Meine Perspektive ist – und deshalb bin ich auch so leicht empört, wenn das immer so ins Gegenteil verkehrt wird – eine verfassungsrechtliche und bürgerrechtliche, wie die der Humanistischen Union. Ich versuche tatsächlich, ein Problem mit den Mitteln des Verfassungsrechts zu erfassen.
Dass es eine dilemmatische Situation ist, ist ja völlig selbstverständlich. Das ergibt sich natürlich daraus, dass wir der Auffassung sind, dass das Ende des eigenen Lebens auch etwas ist, was grundrechtlich geschützt ist. Aber Vieles, was grundrechtlich geschützt ist, ist deshalb nicht unbegrenzt erlaubt. Das ist eine Selbstverständlichkeit im Kontext unserer freiheitlichen Ordnung. Also müssen wir uns überlegen, ob Beschränkungen, die vorgenommen werden, gerechtfertigt werden können. Deshalb: Schutzbereich, Eingriff – alles geschenkt. Auch nur am Rande: das BVerfG hat sich in zwei Tagen intensiv damit befasst, was eigentlich mit § 217 ist, davon sind ungefähr 2,5 Stunden auf die rechtliche Erörterung gefallen. Dass die etwas zum Bestimmtheitsgrundsatz sagen, damit Schwierigkeiten haben, halte ich für ausgeschlossen. Tatsächlich werden wir uns über die Rechtfertigung unterhalten müssen.
Was das Gericht vor allen Dingen interessiert hat, sind die tatsächlichen Umstände, der Realbereich des Ganzen. Da kommt ins Spiel, dass es eben nicht richtig ist, einfach pauschal zu sagen, dass es hier um selbstbestimmtes Sterben und die Beeinträchtigung, das Verbot einer solchen Selbstbestimmung geht. Das ist mit Verlaub nach allem, was wir von der Psychiatrie und der Psychologie gerade wieder in der Verhandlung gehört haben, viel zu pauschal. Das sind hochproblematische, volatile Situationen, wo wir nicht davon ausgehen können, jedenfalls in einer großen Mehrzahl der Fälle, das ist tatsächlich eine feste Entscheidung. Weshalb der psychiatrische Sachverständige sagt, dass wir das über Wochen immer wieder hinterfragen müssten, um tatsächlich zu einer entsprechenden hinreichenden Klarheit über die Freiverantwortlichkeit zu kommen. Fragen Sie sich mal, wo eine solche intensive psychiatrische Untersuchung über Wochen hinweg passiert.
Der Gesetzgeber nimmt diese Situation zum Anlass, um zu sagen, dass wir eine Gefährdung von Selbstbestimmung haben. Wir haben eine Gefährdung von Selbstbestimmung dadurch, dass ein Dritter in einem enorm vulnerablen Moment oder in einem Moment, in dem sich eine Person in einem spezifischen vulnerablen Zustand befindet, hinzutritt und damit mindestens potentiell Einfluss auf die Willensbildung nimmt. Das ist ein Ex-negativo-Schutz. Da wird nicht pauschal gesagt, wir haben die Selbstbestimmung und wir können sie nach folgenden Kriterien prüfen, sondern es wird gesagt: Wenn ein Dritter hinzutritt, ist das immer gefährlich! Das ist exakt die Logik, die heute schon der Tötung auf Verlangen, dem § 216 zu Grunde liegt. Insofern ist es heuchlerisch, wenn gegen § 217 argumentiert wird, aber § 216 bestehen bleiben soll. Nochmal: Entscheidend ist dieser Gedanke, dass wir nicht einfach die Selbstbestimmung als gegeben voraussetzen können.
Und dann kommt ein weiterer Punkt: Wenn wir von Autonomie sprechen und davon ausgehen, dass es hier darum geht, eine spezifische selbstbestimmte Entscheidungsfindung zu schützen, dann sind wir uns im Ausgangspunkt vermutlich alle einig. Aber Sie müssen mir zumindest zugestehen oder es wird Ihnen einleuchten, dass es in gewisser Weise widersprüchlich ist zu sagen, die autonome Entscheidung äußert sich gerade darin, dass ich Hilfe durch Dritte bekomme. Das Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung gewährleistet wird oder jedenfalls durch Inanspruchnahme fremder Hilfe, ist doch zunächst einmal erklärungsbedürftig. Und das ist an dieser Stelle auch bei näherem Nachdenken nicht wirklich plausibel. Wir haben kein vollständiges Verbot der Selbsttötung, auch nicht der Beihilfe zum Suizid. Insofern glaube ich auch nicht, dass wir ein besonders historisch belastetes Verhältnis dazu haben, sondern wir haben eine gerade im Vergleich zu anderen Ländern vergleichsweise liberale Regelung. Der Physician-Assisted Suicide, den es in Oregon gibt, reagiert auf die prinzipielle Kriminalisierung der Beihilfe zum Suizid. Das haben wir gerade nicht! Also können wir doch nicht ernsthaft sagen, dass wir hier eine besonders restriktive Regelung haben.
Wir haben einen Teilbereich, der herausgenommen wird, durch die neue gesetzliche Regelung: der wird umschrieben mit „geschäftsmäßig“. Die Logik der Geschäftsmäßigkeit ist in der Tat die, dass jemand, der das wiederholt und immer wieder anbietet, ein eigenes Interesse daran hat, dass das auch zum Erfolg geführt wird. Das ist eine organisationssoziologische Selbstverständlichkeit, die ebenfalls von den Sachverständigen bestätigt wird, die ja im Übrigen auch von den Sterbehilfeorganisationen nicht in Frage gestellt wird. Das ist deren Geschäftsmodell; auch dort, wo sie keine entsprechenden finanziellen Gewinne erzielen wollen.
Die Überlegung des Gesetzgebers ist nicht die, dass die Kriminalisierung aus der Wiederholung kommt, sondern die Überlegung ist die, dass die Wiederholung ein spezifisches Eigeninteresse impliziert, und dass das Eigeninteresse die Gefährdung impliziert. Das ist nicht sonderlich schwierig nachzuvollziehen. Die Ansicht muss man nicht teilen; darüber kann man sicherlich streiten, aber das ist eine nicht per se vollkommen abwegige Vorstellung. Es ist eben nicht nur: Wenn du das zweimal machst, bist du dran. Sondern die Logik ist die: Wenn Du das zweimal machst, hast du ein Eigeninteresse. Das Eigeninteresse führt dazu, dass potentiell auf die selbstbestimmte Entscheidung der betroffenen besonders vulnerablen Person eingewirkt wird.
Letzter Punkt: Es geht hier nicht um einen abstrakten, objektiven Lebensschutz. Es geht auch nicht um eine moralische Bewertung derjenigen, die Suizid verüben wollen oder in einer spezifischen Situation sind, in der überhaupt der Gedanke kommt, sich selbst das Leben zu nehmen. Und das kann ich Ihnen auch aus der Begegnung mit den Abgeordneten berichten: es ist eine hochproblematische Situation. Die haben auch ihre persönlichen Erfahrungen, die haben im Übrigen genug Gespräche mit Betroffenen geführt, um zu wissen, welche Gefährdungen und welche Leidenssituationen da gegeben sind.
Aber es ist eben auch merkwürdig, wenn wir gegenüber den tatsächlichen Leidenssituationen jetzt mit einer Heroisierung von Suiziden und einer Fetischisierung von Autonomie kommen und gewissermaßen das als die angemessene Reaktion auf gesellschaftliches, leider immer noch vorhandenes Leid ansehen. Und das schon deshalb, weil darin impliziert wird, dass das Gegenteil unwürdig ist. Diese Vorstellung, zu sagen: „Dem unwürdigen Zustand muss man sich entziehen“, das wertet jene Personen ab, die diesen angeblich heroischen Akt nicht vollziehen.
Und ein letzter Punkt, den ich Ihnen noch mitgeben möchte, weil er aus der mündlichen Verhandlung für mich überraschend, aber ausgesprochen interessant kam: Wir haben nicht nur eine anderthalb Tage währende, konsequente Erarbeitung des Realbereichs gehört, die im Wesentlichen die Argumente des Gesetzgebers bestätigt hat, sondern wir haben auch Dinge gehört, die uns im Gesetzgebungsprozess nicht klar waren. Wir haben angenommen, und ich glaube zurecht, dass mit der Zulassung eines solchen Angebots von geschäftsmäßiger Suizidassistenz der gesellschaftliche Druck steigt, dieses Angebot wahrzunehmen. Dafür gibt es, laut Sachverständigen, auch empirische Belege. So wie es auch empirisches Material dafür gibt, dass der assistierte Suizid die sonstigen Suizidzahlen nicht reduziert. Assistierte Sterbehilfe wäre ja nachvollziehbar, wenn wir sagen würden, dass sich dann nicht mehr so viele Menschen vor den Zug schmeißen oder vom Hochhaus springen. Aber das Gegenteil ist richtig. Das sind, laut der empirischen Lage, die uns vorgeführt wurde, Add-ons, die dazukommen. Und das Interessante daran ist, dass dieses Add-on einen spezifischen Gender Bias aufweist. Wir haben normalerweise bei den Suiziden ein Verhältnis von ungefähr 70 zu 30, was Männer und Frauen angeht. Viel mehr Männer begehen Suizid als Frauen. Beim assistierten Suizid kehrt sich das Verhältnis um. Das zeigen sowohl die Zahlen von Sterbehilfe Deutschland wie von den Schweizer Sterbehilfeorganisationen, die sie selber vorgetragen haben. Dort sind es ungefähr 70 % Frauen und 30 % Männer. Und nun können Sie sagen, dass das gut ist, weil bedürftige Frauen sich nicht trauen vor den Zug zu springen. Sie können sich aber auch die Frage stellen, ob der prozentuale Unterschied nicht vielleicht mit einem anderen genderbasierten Unterschied zu tun hat: Dass immer noch eine stärkere Erwartungshaltung auf Frauen liegt – wie auch von psychiatrischen Seite erklärt – weshalb ein solcher pseudo-altruistischer assistierter Suizid dort eine stärkere Resonanz findet und entsprechend von mehr Frauen in Anspruch genommen wird. Das halte ich schon für sich gesehen für so problematisch, dass man darüber enorm lange nachdenken müsste. Ich danke sehr und freue mich auf die Diskussion.

Rosemarie Will: Die Freiverantwortlichkeit des Suizides ist, wenn es um die Rechtfertigung des Eingriffes geht, von Herrn Augsberg stark problematisiert worden. Herr Hufen, was sagen sie dazu?

Friedhelm Hufen: Das Argument kommt mir sehr bekannt vor. Dieses Volatile „der Mensch weiß am Ende seines Lebens prinzipiell nicht, was für ihn gut ist. Das wissen die Ärzte besser als er selbst.“ Das allein finde ich schon eine paternalistische Wendung, mit der ich überhaupt nicht einverstanden bin. Das geht so weit, dass ein Gießener Ordinarius aus einer anderen Fakultät einmal in einem Leserbrief geschrieben hat: „Der Wille zu sterben ist bei mir grundsätzlich Teil der zu therapierenden Krankheit.“
Welche unverschämte Bevormundung liegt in einem solchen Votum! Es gibt selbstverständlich Fälle, wo Leute am Ende des Lebens in schwierigen Situationen sind; wo sie sich mal so, mal so entscheiden und auch Krisenmomente vorkommen. Das alles ist selbstverständlich! Aber ein solches Argument anzuführen, um die Freiwilligkeit als solche in Frage zu stellen – das halte ich doch für sehr fraglich. Vor allen Dingen dann, wenn es dazu dient, zentrale Grundrechte zu beschränken. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt: selbstverständlich ist es so, dass ich nicht nur die in den Grundrechten festgehaltenen Freiheiten habe, sondern auch die Freiheit, diejenigen Mittel wahrzunehmen, und auch die Hilfe zu bekommen, die ich zur Ausübung meines Grundrechts brauche. Selbstbestimmtes Sterben ist nicht die Freiheit, sich vor den ICE zu werfen. Selbstbestimmtes Sterben ist selbstverständlich die Freiheit, auch Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diesen helfenden Menschen – egal ob Ärzte oder Organisationen – zu unterstellen, dass sie ein Eigeninteresse haben und dann Druck ausüben, der im Grunde genommen die Selbstbestimmung in Frage stellt, gleicht wirklich dem Sprichwort „den Bock zum Gärtner machen“. Dabei geht es nicht um den Schutz der Selbstbestimmung, es geht um Bevormundung; vor allen Dingen dort, wo der Wille wirklich klar ist.
Dieselbe Diskussion hatten wir auch bei der Patientenverfügung, ich habe es noch im Ohr: Die Patienten können ja gar nicht wissen, wenn sie mit klarem Kopf die Patientenverfügung niederlegen, in welcher Situation sie wirklich sind, wenn es ans Sterben geht. Das ist eine solche Absage an den vernünftigen, an den autonomen Menschen. Und letztes Wort: Autonomie ist kein Fetisch, Autonomie ist der Normalzustand dieser Gesellschaft.

Steffen Augsberg: Das wäre schön und ich würde das durchaus begrüßen. In gewisser Weise glaube ich aber, dass das nicht der Normalzustand ist, sondern eine idealisierte Situation, in die wir uns hinein phantasieren, weil wir in einer freien Gesellschaft damit leben müssen und wollen, dass wir auch ganz viele nicht-autonome Entscheidungen treffen und dass es problematisch wäre, das alles zu hinterfragen. Aber es geht ja nicht um irgendwelche Entscheidungen, es geht um Entscheidungen am Lebensende, die tatsächlich unwiderruflich sind. Es geht um Entscheidungen, die dazu führen, dass das Lebensrecht als Grund aller anderen grundrechtlichen Freiheitsausübung nicht mehr ist.
Und an der Stelle können wir uns schon die Frage stellen, welche Beeinflussung hier eigentlich zulässigerweise erlaubt ist. Mein Argument war nicht, dass die Hilfe/Inanspruchnahme Dritter nicht grundrechtlich geschützt ist. Selbstverständlich würde ich sagen, dass das Inanspruchnehmen der Unterstützung zunächst einmal vom Schutzbereich – ich würde sagen der allgemeinen Handlungsfreiheit – mit erfasst ist. Meine Frage ist eher, ob nicht die Tatsache, dass ich eine entsprechende dritte oder zweite Person mit ins Boot hole, ein Indiz dafür ist, dass es hier doch nicht eine selbstbestimmte Entscheidung ist, dass es nicht nur um technische Unterstützung geht. Da sagen uns die Sachverständigen aus der Psychologie und der Psychiatrie, dass es eine hoch ambivalente Situation ist. Es ist in den allerwenigsten Fällen so, dass wir tatsächlich diesen so genannten Bilanzsuizid haben. Die Leute sind sich nicht etwa ganz sicher und wissen dauerhaft, dass sie das machen wollen; sondern die meisten schwanken. Und zwar gerade die, die krank und leidend sind, die schwanken vielleicht dahingehend, dass sie nur mal eine Nacht durchschlafen wollen.
Auch die Palliativmedizin sagt, dass sie keine Leute kriegen, die nicht mehr leben wollen; sondern sie bekommen Leute die sagen, dass sie nicht mehr so leben wollen. Und deshalb brauchen wir ein Angebot, was nicht darauf hinausläuft: „Wir helfen Dir möglichst schnell zum Tode zu kommen“, sondern: „Wir helfen Dir auch für Dich persönlich erträglich zu leben“.
Und jetzt zur Drittbeteiligung: Wir haben Angst davor, dass es eine nur auf den ersten Blick hin selbstbestimmte Entscheidung ist; dass Personen, die alleine sind, die krank sind, die verzweifelt sind, und die jetzt ein Angebot bekommen (im Sinne von „Wir helfen Dir“) damit auf einen Pfad gesetzt werden, von dem sie nicht mehr runter kommen. Ich glaube, dass es eine Fetischisierung ist, wenn Sie an der Stelle einfach behaupten, dass es so etwas nicht gibt.

Rosemarie Will: In der mündlichen Verhandlung versuchten die Sachverständigen, den selbstbestimmten Suizid von einer psychisch-psychiatrischen Suizidgefährdung deutlich zu unterscheiden. Ich habe an Sie die Rückfrage nach der empirischen Belastbarkeit ihrer Annahme einer Gefährdungssituation durch professionelle Suizidhilfe. Der Gesetzgeber wollte die Sterbehilfevereine mit diesem Verbot treffen und hat sie getroffen, ebenso wie er die bekannten Einzelärzte treffen wollte, die Suizidbeihilfe leisten. Tatsache ist aber, dass auch ohne § 217 StGB Einwirkungen auf die Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung strafbar sind. Zudem haben wir in Deutschland Strafverfahren erlebt, wo von Staatsanwaltschaften versucht wurde, die Freiverantwortlichkeit des Suizids umzudeuten in eine strafbare Beeinflussung durch Ärzte. Das hat bekanntlich nicht mit Schuld-, sondern mit Freisprüchen geendet. Also wo ist das belastbare empirische Material, dass von professionellen Sterbehelfern, von Sterbehilfevereinen in einer Weise eingewirkt wird, die den § 217 erforderlich macht.

Steffen Augsberg: In verfassungsrechtlicher Hinsicht würden wir zunächst einmal darauf verweisen, dass es einen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers gibt, der es dem Gesetzgeber erlaubt, auch Dinge zu entscheiden, die er nicht in letzter Evidenzbasis nachweisen kann. Das wäre eine merkwürdige Vorstellung von Demokratie, wenn wir alles, was wir entsprechend legislativ vorher entscheiden, zunächst einmal in seinen Konsequenzen nachweisen müssen. Deshalb ist diese Frage nach der empirischen Basis von vornherein verfassungsfern, weil es eine Demokratievorstellung impliziert, in der eigentlich demokratisch nur das umgesetzt werden kann, von dem wir vorher schon wissen, wie es wirkt.
Allerdings ist es andererseits auch nicht so, dass der Gesetzgeber einen völligen Schuss ins Blaue gemacht hat, sondern es gab eine umfassende Auseinandersetzung mit der vorhandenen Literatur, was die Gefährdungssituation angeht.
Ich habe zuletzt die Sterbehelfer in ihrer gebündelten Selbstgewissheit erlebt und da wird mir angst und bange. Wenn ich mir vorstelle, dass solche Leute auf irgendeinen armen, einsamen, irgendwie verzweifelten Menschen zutreten und sagen: „Wir machen das für Dich.“. Das scheint mir eine ganz problematische Situation zu sein.
Der Gesetzgeber wollte übrigens auch nicht nur die Sterbehilfevereine treffen. Das ist eine völlig falsche Vorstellung. Die Formulierung „geschäftsmäßig“ wurde gewählt, damit man über Kusch und Konsorten hinaus auch Herrn Arnold und Herrn de Ridder und die ganzen Einzeltäter – Herrn Töns und so weiter – miterfasst. Auch das ist aus Sicht des Gesetzgebers gefährlich. Herr Töns – das ist ein sympathischer jüngerer Mann und gerade deshalb habe ich Angst vor ihm; nicht für mich, aber für jemanden, der sich an ihn wendet.
Die Psychiater unterstützen diese Aussagen. Es gibt diese Beeinflussbarkeit, besonders in dieser Situation. Es gibt auch tatsächlich sozialen Druck. Da geht es um die Situation, dass eine Normalisierung nicht ein gesellschaftliches Tabu bricht, sondern für den Einzelnen den Druck erhöht, weil wir als Gesellschaft sagen: „Das ist etwas, was man so macht!“. Das zeigen auch alle Zahlen aus den Nachbarländern, wo das erlaubt wird: Die Zahlen gehen konsequent hoch. Sie können auch nicht von der Hand weisen, dass es damit einen steigenden Druck auf die in einer solchen Situation befindlichen Patienten oder Menschen gibt, gegebenenfalls auch diesen Weg zu gehen; besonders, wenn das Ganze auch noch mit einer Idealisierung einhergeht. Sie erinnern sich an die Schweizer Kollegin, die zum Schluss sagte: „Da haben Sie eine wunderschöne Freitoderfahrung gemacht.“ Das ist doch keine wunderschöne Freitoderfahrung! Das sind Menschen in verzweifelten Situationen. Wenn wir so anfangen, über dieses Thema zu sprechen, dann drücken wir auch Menschen in die Nähe einer solchen Entscheidung, die das bisher nicht wollten. Das ist die empirische, wenn Sie so wollen nicht im medizinischen Sinne evidenzbasierte, aber eben doch nachweisbare Grundlage dieser gesetzlichen Entscheidung.

Rosemarie Will: Wenn dieses Argument so wie von ihnen eben vorgetragen wurde, hat das Verfassungsgericht ausdrücklich nach der dahinterstehenden Autonomievorstellung des Einzelnen gefragt und nach den Vorstellungen, die wir eigentlich der grundrechtlichen Selbstbestimmung zu Grunde legen. Ich gebe Ihnen Recht, dass Verfassungsgerichte unterschiedliche Begründungsanforderungen – mal weiter, mal enger – an Grundrechtseingriffe stellen. Aber beim Strafrecht sind wir an einem Punkt, wo es um die Aufhebung der selbstständigen Entscheidung geht, da wird m. E. eine große Einschätzungsprärogative nicht durchgehen. Herrn Hufen: Halten Sie das, was Herr Augsberg macht, für verfassungsrechtlich in Ordnung?

Friedhelm Hufen: Also Verfassungsrechtler werfen sich gegenseitig tunlichst nicht Verfassungswidrigkeit vor, das möchte ich doch hier sagen. Ich werfe Herrn Augsberg hier keine Verfassungswidrigkeit vor. Es ist selbstverständlich, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative hat. Aber gerade in dieser Frage wird deutlich, dass das auch eine sehr problematische Figur ist, weil sie nämlich Gefahr läuft die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterlaufen. Das kann man über verschiedene Rechtsgebiete nachweisen: Die Einschätzungsprärogative legitimiert den Gesetzgeber nicht, über das Ziel hinauszuschießen. Das eignet sich vielleicht gerade noch für die erste Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die Eignung. Bei den milderen Mitteln und bei der Erforderlichkeit sehe ich das schon ganz anders. Da müssen wirklich sehr handfeste Gründe und nicht nur Spekulationen dazukommen.
In diesem Zusammenhang, Herr Augsberg, gefällt mir Ihr Patientenbild überhaupt nicht. Dieser arme, passive Mensch, der da von gefährlichen Kräften, von außen, auf die Bahn der Selbsttötung gebracht wird. Ich habe mit sehr vielen Freunden gesprochen, die sind quicklebendig und die sagen: „Ich will selbstbestimmt sterben!“. In der Situation, in der Sie sie jetzt sehen, wollen die genauso selbstverständlich noch entscheiden können. Die meisten sagen überhaupt nicht wie bei der Patientenverfügung, dass das jetzt schon eine endgültige Entscheidung sei, aber sie sagen: „Ich will ein Mittel bei der Hand haben, ich will einen zuverlässigen Freund haben, der mir in der Situation, wenn es so weit ist, hilft! Ob ich es dann tue, ist Teil meiner eigenen Entscheidung.“
Diese Menschen sind nicht dieser hilflose Patient, der durch das böse Eigeninteresse der Organisationen dazu gebracht wird, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Umgekehrt! Es sind Menschen, die die Entscheidung getroffen haben, selbstbestimmt sterben zu wollen, und dann gehen sie auf die Suche – selbstbestimmt – nach Organisationen, nach Ärzten. Und die werden hier in diesem Gesetz kriminalisiert!
Natürlich, das ist richtig: es gibt bis jetzt kein abgeschlossenes Strafverfahren. Aber es gibt trotzdem einen unglaublichen Druck auf Ärzte! Sie finden keinen Arzt mehr, der keine Angst hat! Selbst in dem heute unbestrittenen Bereich der so genannten indirekten Sterbehilfe – Morphingabe, auch wenn es gefährlich für das Leben ist – selbst da habe ich heute wieder Angst von Ärzten gehört, die sagen: „Ja, also, wenn wir da nicht sehr vorsichtig sind, und dem Patienten mal zu viel Betäubungsmittel mit nach Hause geben, dann ist das womöglich Beihilfe im Sinne von § 217, was früher – und auch heute – als indirekte Sterbehilfe in keinster Weise strafbar ist.“
Es gibt also sehr viel Druck auf Ärzte. Das in Würzburg genannte krönende Beispiel war ein Hamburger Psychiater, der die Staatsanwaltschaft im Hause hatte, weil er medizinische Gutachten für die Schweiz gemacht hat. Auch in der Schweiz kriege ich die Sterbehilfe nicht so einfach, da brauche ich Gutachten! Und ein deutscher Arzt, der diese Gutachten erstellt hat, wurde von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Dass auf die gutmütigen, gutwilligen und vom Patienten selbst gewünschten Helfer kein Druck ausgeübt wird, stimmt also nicht. § 217 hat die ganze Landschaft verändert.

Steffen Augsberg: Die Fachgesellschaften, die sich damit beschäftigt haben, sagen unisono – und zwar von der Palliativmedizin bis zu den Pflege- und Hospizverbänden – dass das nicht ihre Erfahrung sei. Stattdessen sagen sie, dass sie nicht sehen, dass das ihre berufliche Praxis beeinträchtigt. In der Sache gibt es in der Rechtspraxis und auch in der medizinischen Praxis offensichtlich relativ wenige Probleme mit § 217; und das, obwohl es eine organisierte Desinformationskampagne gegen das Gesetz gegeben hat. Da sind Leute durch die Lande gezogen und haben wider besseren Wissens erklärt, was angeblich alles damit kriminalisiert werden soll. Auch die Stellungnahme der Strafrechtslehrer, fand ich, hat an der Stelle nicht gerade segenstiftend gewirkt. Solche Konstellationen führen dazu, dass eine Norm es schwerer hat!
Rosemarie Will: Wir sind vor dem Urteil und werden uns bald danach befinden. Stellen wir uns vor, das Verfassungsgericht hält den § 217 für verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. Es hat dann zwei Möglichkeiten: Es kann Maßgaben machen, mit denen eine verfassungskonforme Auslegung des § 217 erfolgt, die die Anwendenden zwingend beachten müssen. Die andere Variante wäre: Das Verfassungsgericht hebt § 217 als verfassungswidrig auf, gibt aber (wie es das gerne macht) dem Gesetzgeber Hinweise, was man dann an Standards für die Suizidhilfe regeln könnte oder vielleicht sogar sollte. Welche sollten das sein?

Steffen Augsberg: Eine interessante Kaffeesatzleserei. Ich sehe, glaube ich, auch die mündliche Verhandlung etwas anders, als sie bisher dargestellt wurde, aber klar, das ist natürlich irgendwie auch eine spezifische Ansichtssache.
Ich könnte mir, insbesondere was den viel gescholtenen Begriff der Geschäftsmäßigkeit angeht, eine verfassungskonforme Auslegung vorstellen, wie sie ja teilweise auch in der strafrechtlichen Literatur schon vorgeschlagen ist. Das ließe sich vor allem dadurch erreichen, dass man das, was der Gesetzgeber in der Begründung schon formuliert hat, noch expliziter macht.
Wir haben damals lange darüber nachgedacht, was denn eine vernünftige Alternative wäre; wie man den Entwurf hätte besser formulieren können. Und bislang habe ich, jedenfalls in der mir zugänglichen Literatur und Diskussion, keine Alternative gesehen, die man hätte nehmen sollen. Aber man könnte an dieser Stelle etwas machen.
Die andere Variante, das Gesetz aufzuheben und eine Alternative anzubieten, die ist deutlich schwieriger. Denn dann müssten Sie sich überlegen, was Autonomie an dieser Stelle eigentlich bedeutet. Und gerade die drei Verfassungsrichter, die scharf nachgefragt haben, die haben sehr stark darauf abgehoben, dass sie Autonomie gerade nicht mit Krankheit verbinden. Wenn Sie sagen, das ist prinzipiell auch umfasst und das ist grundrechtlich überzeugend; natürlich habe ich auch als Gesunder, und wenn Sie so wollen: erst recht als Gesunder, autonome Entscheidungen zu treffen, dann müssen Sie sich trotzdem überlegen, ob Sie das einfach so hinnehmen oder ob Sie doch spezifische Kriterien anlegen und überprüfen, ob das eine autonome Entscheidung ist. Und dann können Sie sagen: Naja, bei einem 89-Jährigen im – sagen wir mal – moribunden Stadium, da ist irgendwie die Plausibilität der Ernsthaftigkeit eines Sterbewunsches höher als bei einem 18-Jährigen, der Liebeskummer hat. Trotzdem dürfen beide im Prinzip erst einmal autonom entscheiden, grundrechtlich verstanden. Aber wie wollen Sie das jetzt überprüfen? Dafür müssten Sie dann eine entsprechende Kommission einrichten, dann müssten Sie sich überlegen, ob das ein Psychiater macht. Das kann mit Sicherheit nicht, wie das bei den Sterbehilfevereinen teilweise der Fall ist, der gleiche Arzt machen, der dann später auch das tödliche Medikament verschreibt; sondern dann müssten Sie schon mindestens ein Vier-, vielleicht ein Sechs-, vielleicht ein Acht-Augen-Prinzip haben. Und Sie müssten gleichzeitig staatlich festlegen, unter welchen Bedingungen oder nach welchen Kriterien die entscheiden sollen.
Dann sind Sie in der Situation, dass Sie als Staat erklären, unter welchen Bedingungen es akzeptabel ist, dass jemand sich sein Leben nimmt. Das ist genau die Problematik, die in dieser Vorstellung auch beim Bundesverwaltungsgericht auftaucht, zu sagen: „Naja, wir machen jetzt mal Kriterien, wann es denn irgendwie plausibel ist, wann wir das hinnehmen.“ Das kann ich mir verfassungskompatibel in einer normativen Regelung schlicht nicht vorstellen.

Friedhelm Hufen: Wenn ein Verfassungsrechtler eins gelernt hat im Laufe seiner Berufspraxis, dann ist es, Spekulationen über den Ausgang von Verfassungsgerichtsurteilen tunlichst zu vermeiden. Vor allen Dingen dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Termin der Verkündung nicht bei der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben wird, sondern erst nach nochmaliger Beratung. Das kann in der Tat dauern; und das zeigt ja das Dilemma, indem das Gericht gerade ist. Frau Will hat ja die beiden Alternativen aufgezeigt.
Ich glaube in der Tat nicht, da bin ich mit Herrn Augsberg – jedenfalls in der Erwartung – einig, dass das Gericht pauschal sagen wird, dass der § 217 nichtig ist, er muss geändert und durch eine neue Regelung ersetzt werden. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass der wirklich wunde Punkt – dieser Begriff „geschäftsmäßig“ und der damit verbundene Unbestimmtheitstatbestand – doch beseitigt wird. Die Fragestellung ist schwierig, wie macht das Gericht das? Entweder man sagt: das „geschäftsmäßig“ ist verfassungswidrig – dann ist die Norm weg. Oder man sagt, die Norm ist insofern verfassungswidrig, als „geschäftsmäßig“ zu unbestimmt ist; das könnte ich mir vorstellen. Das ist ja ein sehr unglückseliger Begriff, wirklich schon weil er dem Sprachgebrauch widerspricht. „Geschäftsmäßig“ war bis zu dem Moment, in dem ich mich mit diesem Paragrafen beschäftigte, für mich kommerziell. Das war für mich gleichbedeutend. Dass „geschäftsmäßig“ im Strafrecht schon „wiederholtes Mal“ bedeuten kann, habe ich auch erst hier gelernt. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass das Gericht dem Gesetzgeber auferlegt, diesen Begriff wenigstens so weit zu konkretisieren, dass hilfespendende Ärzte und auch altruistische Selbsthilfeorganisationen nicht erfasst werden. Das wäre jedenfalls die Hoffnung, die ich habe.

Rosemarie Will: Auch wenn Sie sich nicht an der Spekulation beteiligen wollen: Wenn der § 217 weg ist, wird der Streit ja nicht ruhen. Was wären denn verfassungsgemäße Regelungsansätze?

Friedhelm Hufen: Als der § 217 noch nicht da war, war ja auch nicht Wüste! Da gab es den § 216 und es war völlig unbestritten, dass die Beihilfe zu einer nicht strafbaren Tat nicht strafbar war. Ich habe nicht in Erinnerung, dass vor 2017 ein wilder Kommerz hier in diesem Staat gegolten hätte. Es war in der Tat das Auftreten einer oder zweier Organisationen, die den Gesetzgeber hierzu gebracht haben.
Man müsste dann neu nachdenken und eine Lösung finden, die wirklich die berechtigten Belange – unwürdiger Druck auf Sterbende usw. – erfasst, aber die doch die Schutzpflicht für die Selbstbestimmung besser fasst. Es gilt eben nicht der Grundsatz „In dubio pro vita“, sondern mindestens gleichbedeutend ist der Grundsatz „In dubio pro dignitate“ – und das muss beim Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielen!

Steffen Augsberg: Darf ich kurz etwas dazu ergänzen? Ich finde das einen interessanten Aspekt mit dem „Es ging doch vorher auch ohne!“. Das stimmt natürlich. Das lässt sich aber auch umkehren dahingehend, dass man sagt: es ging aber offensichtlich auch viele Jahre und Jahrzehnte ohne die Sterbehilfeorganisationen!
Wenn jetzt so getan wird, als sei es der Kern des Selbstbestimmungsrechts, dass man auf eine entsprechende Drittunterstützung angewiesen ist, dann muss man zumindest anerkennen, dass das ebenfalls ein relativ neues Phänomen ist. Und auf dieses Phänomen reagierte der Gesetzgeber. Innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens war ich zunächst völlig dagegen, das strafrechtlich zu regeln, weil ich gedacht habe, dass es irgendwie ein Overkill ist, dass man immer mit einer Strafgesetznorm kommt.
Das Problem, was ich dann gesehen habe, ist erstens: die anderen Mechanismen waren ziemlich stumpfe Schwerter. Da gab es keine sinnvollen regulatorischen Eingriffe. Und zweitens war es auch so, dass erst durch diese Debatte vielfach in das Bewusstsein getragen wurde, dass es eine solche Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid gibt. Das wurde von den Sterbehilfeorganisationen geradezu hocherfreut bekannt gegeben. Viele in der Bevölkerung wussten das vorher gar nicht. Die Diskussion über die Sterbehilfeorganisationen macht deutlich, dass da bislang eine liberalere Regelung existierte, als es viele gedacht haben. Auch darauf reagiert so eine Norm. Deshalb können wir nicht einfach zu dem Status quo ante zurückkehren und sagen, wir sind dann wieder dort, wo wir 2013 oder 2012 waren. Die Diskussion hat die Gesellschaft verändert. Auch die Diskussionen, die wir hier führen, sind ja Ausdruck dessen.

Rosemarie Will: Darauf bezogen hätte ich noch eine Frage. Wenn Sie der Meinung sind, dass wir nicht zu dem Zustand zuvor zurückgehen können, wie würden Sie dann den Gesetzgeber beraten?

Steffen Augsberg: Unter der Bedingung, dass § 217 für nichtig erklärt wird?

Rosemarie Will: Ja, genau. Sie sagen ja, dass wir dann eine andere Situation als vorher haben und nicht einfach zurück zu einer Zeit ohne § 217 können.

Friedhelm Hufen: Ich wollte lediglich die Grenzen klarer fassen. Ich habe den Zustand vorher nicht als schlimm empfunden, aber ich glaube einfach nicht, dass es realistisch ist, dass das gemacht wird. Wir waren auf dem Wege der Anpassung an andere westliche, traditionelle Demokratien wie die Schweiz, Belgien, die Niederlande, um der Selbstbestimmung größeres Gewicht beizumessen, als das zuvor der Fall war. Dieser Weg ist abgeblockt worden. Und wenn wir dieses Gesetz jetzt beiseite schieben, dann ist der Status quo ante juristisch wieder da, aber gesellschaftlich ganz bestimmt nicht.
Ein Problem hätte ich mit Erscheinungen kommerzialisierter, womöglich mit Werbung und Gebührensätzen usw. organisierten Sterbehilfeorganisationen. Darüber müsste man sich nochmal Gedanken machen. Wir müssten eine Situation schaffen, wo erstens die Ärzte, die aus nicht kommerziellen Zwecken helfen wollen (auch wenn sie ein Honorar dafür kriegen) und zweitens die echten Selbsthilfeorganisationen, denen Leute mit ganz klarem Kopf beitreten (um im Falle ihrer Deprivation eben Hilfe zu bekommen) aus der Strafbarkeit herausgenommen werden.

Steffen Augsberg: Wenn ich da nochmal einhaken kann, ich verstehe diese Differenzierung nicht. Ich verstehe nicht, warum man mit absoluter Sicherheit sagt: „Die kommerziellen Organisationen, die würde ich herausnehmen.“ Ob die Geld damit verdienen, kann uns doch eigentlich egal sein. EXIT hat zum Beispiel 29 Millionen Vermögen mittlerweile. Die haben offensichtlich ordentlich damit verdient. Es ist ein Schweizer Beispiel. Sie haben eben gesagt, dass sie sich an diesen wunderbaren europäischen Nachbarn orientieren wollen.
Wo ist das Problem an der kommerziellen Orientierung? „Damit soll man kein Geld verdienen!“ Das ist doch eine reine moralische Bewertung: Dann haben Sie gesagt: „Die sollen damit keine Werbung machen!“ Da würde ich sagen: Ja, das ist genau die Argumentation des Gesetzgebers, das „Druck machen“, „eine Erwartungshaltung erzeugen“. Die Argumentation des Gesetzgebers ist, glaube ich, ganz nah an Ihrer. Nur, dass wir gesagt hätten, es liegt nicht daran, dass wir damit Geld verdienen, sondern es liegt daran, dass wir das fortführen wollen! Das meint geschäftsmäßig. Wir haben ein Eigeninteresse, das fortzuführen, und zwar, weil wir das zu unserem Geschäftsmodell in einem nicht-finanziellen Sinne erhoben haben. Und das heißt, wir können unser Geschäft nur fortführen, wenn wir ab und zu mal tatsächlich jemanden über den Jordan befördern; sonst können wir den Verein dicht machen oder sind einfach ein Suizid-Präventionsverein. Das wäre ja wunderbar; die gibt es aber nicht. Jedenfalls nicht in dieser Konstellation.
Und deshalb ist diese Abgrenzung, zu sagen das Kommerzielle ist böse und das bloß Geschäftsmäßige, Altruistische ist etwas Gutes, komplett unplausibel – und zwar in beide Richtungen: Weil Sie die Gefährdungen bei den Altruistischen zu gering hängen; und die kommerzielle Orientierung zu sehr dämonisieren.

Friedhelm Hufen: Es tut mir Leid, aber das ist wirklich Henne und Ei. Am Anfang ist der Selbstbestimmungswille der Patienten. Und Sie unterstellen, dass der erst hervorgerufen wird, wenn es diese Organisationen gibt. Ich würde meinen, die Selbsthilfeorganisationen würden wieder entstehen, weil es diesen selbstbestimmten Willen gibt. Für meine Begriffe besteht da keine Kausalität.

Steffen Augsberg: In dem Fall kann mir doch die kommerzielle Orientierung egal sein. Wenn es sich um eine selbstbestimmte Entscheidung handelt, können damit doch Millionengewinne gemacht werden, ist alles egal.

Friedhelm Hufen: Es geht hier nicht um Millionengewinne. EXIT ist wirklich ein schlechtes Beispiel. Es gibt aber auch in der Schweiz andere Organisationen, die wirklich nur auf uneigennütziger, altruistischer Basis arbeiten. Wenn die Kostenersatz fordern, dann ist das Ausgleich für das, was sie eben tun. Und diese Abgrenzung hätte man auch hier ohne weiteres Platz greifen lassen können.

Rosemarie Will: Ob man Geld damit verdient oder nicht – die Frage ist doch, ob auch bei der Sterbehilfe professionell gehandelt werden muss. Es braucht Erfahrungswissen, Fachwissen, das ist nicht einfach vom Tisch zu wischen. Das Beispiel Schwangerschaftsabbruch ist ja immer wieder gekommen und wurde auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Wenn wir mit dieser existentiellen Frage unprofessionell umgehen, einfach durch Bedingungen, in denen wir untersagen, dass es wiederholt wird, das bestimmte Konditionen nicht eingehalten werden – was bedeutet das denn für die Selbstbestimmung oder für die Humanität, mit der wir diese existentiellen Fragen behandeln?

Steffen Augsberg: Ja, das hatten Sie in Ihrem Eingangsstatement ja schon gesagt, dass Erfahrungswissen damit verboten worden ist. Das fand ich auch eine interessante Bewertung der Lage. Was heißt Erfahrungswissen in dem Falle? Erfahrungswissen heißt: Menschenexperimente; heißt wir probieren mal aus, was wirkt, wie hoch die Dosis sein sollte, was am besten klappt. Das scheint mir auch als medizinischer Laie erst einmal erstaunlich. Ich hätte auch da gewisse Bedenken, ob das so „Lege artis“ auch in medizinischer Hinsicht ist. Aber unterstellen wir einmal, dass es da eine medizinische Kunst gibt, die weiterentwickelt werden kann. Dann wäre es notwendig zu sagen, dass wir da eine besondere medizinische Ausbildung, Weiterbildungsangebote und ähnliches brauchen. Das wäre die Konsequenz dieser Herangehensweise.
Das ist eine ausgesprochen merkwürdige Vorstellung an der Stelle. Deshalb nochmal, Herr Hufen, wir sind uns völlig einig, dass man eigentlich nicht so spekulieren sollte.

 

Prof. Dr. Rosemarie Will war bis 2013 Professorin für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und war früher Richterin am Verfassungsgericht Brandenburg. Sie ist Mitglied der SPD und dort als beratendes Mitglied der SPD-Grundwertekommission aktiv. Sie gehört dem Bundesvorstand der Humanistischen Union an, wo sie vor allem bioethische Themen und den Grundrechte-Report betreut.

Prof. Dr. Friedhelm Hufen war bis zu seiner Emeritierung (2011) Professor für Öffentliches Recht – Staats- und Verwaltungsrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und war Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz. Er gehört der Bioethikkommission des Landes Rheinland-Pfalz an und war bis 2018 Mitglied in der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Zudem ist er stellv. Vorsitzender der PID-Ethikkommission der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Thüringen und Sachsen.

Prof. Dr. Steffen Augsberg ist Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er gehört zu den Verfassern eines 2014 vorgestellten Gesetzentwurfs zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (mit der Deutschen Stiftung Patientenschutz) und war Verfahrensbevollmächtigter des Deutschen Bundestages im Rahmen der Verfassungsbeschwerden gegen § 217.

nach oben