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Meinungs­frei­heit für Soldaten?

vorgänge Nr. 220 (Heft 4/2017), S. 127/128

Erhard Crome (Hrsg.), Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die „Causa Rose“, Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2016, 2 Bde., 646 S.,
ISBN 978-3-943931-00-6, 30,- Euro

Bei dieser umfangreichen Veröffentlichung handelt es sich um die minutiöse Dokumentation einer geradezu exemplarischen Auseinandersetzung um die konkrete Reichweite der Meinungsfreiheit, wenn diese von Soldat_innen zur Kritik ihrer vorgesetzten Dienststellen in Anspruch genommen wird. Der Schlagabtausch in der „Causa Rose“ begann im Oktober 2005, als der Oberstleutnant Jürgen Rose eine Kopie des „Pfaff-Urteils“ des Bundesverwaltungsgerichts an den Chef seines Stabes übersandte. Für die Grundrechte im Soldatenverhältnis, insbesondere die Gewissensfreiheit, kommt dieser höchstrichterlichen Entscheidung tatsächlich geradezu epochale Bedeutung zu. Im Anschreiben äußerte Rose seine Bereitschaft, bei der Behandlung dieses Urteils im Rahmen einer Veranstaltung zur politischen Bildung der Soldaten mitzuwirken. Der angeschriebene Stabschef reagierte darauf mit einer Ablehnung. Ein Artikel von Rose, so die Begründung, habe den Eindruck bestätigt, „dass es Ihnen sehr schwer fällt, angemessen, unvoreingenommen, redlich und auch im Ton sachlich sich mit dem Problem einer möglichen Gewissensentscheidung von Soldaten und Soldatinnen im Falle der Beteiligung an Einsätzen der Bundeswehr auseinander zu setzen.“ (S. 48).

Damit war bereits der Ton für die folgenden Auseinandersetzungen zwischen Rose und den Führungsstellen der Bundeswehr vorgegeben. Ein halbes Jahr später publizierte Rose im „Ossietzky“ einen Beitrag, der die „Beihilfe“ der Bundeswehr an dem von den USA und der „Koalition der Willigen“ geführten Krieg gegen den Irak unter Bezugnahme auf das erwähnte „Pfaff-Urteil“ als Völkerrechts- und Verfassungsbruch geißelte. „Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten – ganz so wie dies, leider als einziger in der gesamten Armee, der Bundeswehrmajor Florian Pfaff vorbildhaft demonstriert hat.“ (S. 159).

Die Antwort auf diesen zweifelsohne groben Klotz ließ denn auch nicht lange auf sich warten: Wegen des Artikels wurde gegen Rose eine Disziplinarbuße verhängt. Die Beschwerde des Soldaten dagegen wurde vom Truppendienstgericht mit Beschluss vom 12. Dezember 2006 zurückgewiesen. Die Äußerungen des Soldaten, so die Begründung, sei nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Vielmehr handele sich um Schmähkritik, bei der das sachliche Anliegen gegenüber der persönlichen Kränkung völlig in den Hintergrund trete. (S. 408). Rose wandte sich daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht, die jedoch nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Gleichwohl sah sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 28. April 2007 veranlasst, hierfür eine relativ ausführliche Begründung zu liefern: Zwar handele es sich bei den Äußerungen des Beschwerdeführers nicht um Schmähkritik, denn diese könnten auch so gedeutet werden, dass es dem Soldaten nicht um eine persönliche Ehrverletzung der Mitglieder der Generalität ginge, sondern um eine Kritik in der Sache am fehlenden Wertebewusstsein im Umgang mit dem Irak-Krieg. Es sei aber „nicht zu verkennen, dass die gewählte Form der Meinungsäußerung, insbesondere mit ihren persönlichen Angriffen, geeignet war, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr empfindlich zu stören.“ (S. 455).

Nun blieb Rose nur noch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Aber auch hier blieb ihm der Erfolg versagt. Der EGMR sah in seiner Entscheidung vom 14. September 2010 zwar das in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Grundrecht der Meinungsfreiheit als betroffen an. Es billigte jedoch die Einschränkung in diesem Fall im Hinblick auf die notwendigen Reglementierungen für Angehörige der Streitkräfte. „The proper functioning of an army is hardly imaginable without legal rules designed to prevent servicemen from undermining military discipline, for example by writings.“ (S. 518) Wiederum wurde eine abstrakte „Funktionsfähigkeit“ der Streitkräfte den Grundrechten der Soldaten übergeordnet, ohne zu fragen, zu welchem Zweck das Militär eigentlich funktionieren soll. Genießt das reibungslose Funktionieren des militärischen Gewaltapparates auch dann rechtlichen Schutz, wenn dieser ohne Rücksicht auf seine völker- und verfassungsrechtlichen Bindungen, also etwa in einem Angriffskrieg, eingesetzt wird? Wer diese Frage bejaht, spricht damit letztlich auch dem Widerstand gegen die Verbrechen der NS-Regimes und seiner „Wehrmacht“ die Legitimität ab – schließlich war dieser gerade darauf angelegt, die „Funktionsfähigkeit“ der Kriegsmaschine des Nazistaates zu beeinträchtigen (was im Hinblick auf die Bundeswehr bei dem strittigen Artikel Roses in einer linken Gazette mit sehr begrenzter Reichweite schwerlich angenommen werden kann).

Dass die abstrakte Funktionsfähigkeit der Streitkräfte in einem Verfassungsstaat nicht als ungeschriebene Schranke gegen die Grundrechte der Soldaten ins Feld geführt werden darf, wurde auch in dem bereits erwähnten „Pfaff-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts von 2005 überzeugend herausgearbeitet: Der Begriff der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr dürfe „insbesondere nur unter Beachtung und Wahrung der grundrechtlichen Regelungsgehalte, also ‚grundrechtskonform’ ausgelegt und angewendet werden.“ Der Abdruck von Auszügen aus diesem elementaren Urteil hätte gut in die hier besprochene Dokumentation gepasst, während die Wiedergabe z. B. von Kostenrechnungen der Prozessvertreter und anderer wenig erhellender Schriftstücke durchaus entbehrlich gewesen wäre. Insgesamt betrachtet, macht der Sammelband jedoch deutlich, dass sowohl das deutsche Bundesverfassungsgericht als auch der EGMR in bestimmten Fällen immer noch der vorkonstitutionellen Tradition verhaftet sind, Aspekte der Staatsräson den Grundrechten überzuordnen.

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