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Nachruf auf Dr. Tatjana Ansbach

in: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 155-156

Am 23. Mai 2018 verstarb Tatjana Ansbach im Alter von 70 Jahren. Als kluge Beraterin in Fragen des Ausländer- und Asylrechts hat sie der Humanistischen Union unschätzbare Dienste geleistet – nicht zuletzt auch durch ihre Veröffentlichungen in den vorgängen (vgl. z. B. „Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen!“ in Heft 214, S. 93 ff.)

Tatjana Ansbach wurde am 1. April 1948 in Berlin (DDR) geboren. Nachdem sie einige frustrierende Erfahrungen im Studium der Chemie gesammelt hatte, entschied sie sich für das Jurastudium. Dieses erschien ihr vergleichsweise leicht, weil, wie sie in ihrer noch selbst verfassten Abschiedsrede bekundete, das Recht der DDR  eben nicht so kompliziert war wie das Recht der Bundesrepublik. Ihr Interesse galt früh dem Völkerrecht. 1973 wurde sie wissenschaftliche Assistentin am Institut für internationale Studien in Leipzig, 1982 erhielt sie eine Stelle beim DDR-Komitee für Menschenrechte, das freilich keine NGO war, sondern die Politik der DDR im Ausland propagieren sollte. Gleichwohl versuchten die Mitarbeiter_innen des Instituts, „ihre Freiräume so gut wie möglich zu nutzen“, wie sie rückblickend schrieb. Als wichtig erschien ihr insbesondere das Prinzip der Einheit von politischen Freiheiten und sozialen Rechten. „Um glücklich zu sein, benötigt der Mensch Brot und Rosen. Von Brot allein wird man nicht satt, aber was hat man von Rosen, wenn es kein Brot dazu gibt?“

Ab 1987 lehrte sie Völkerrecht an der Humboldt-Universität und wirkte dann 1989 als Beraterin des „Runden Tisches“ für eine neue Verfassung der DDR. 1990 erhielt sie den Status einer Dozentin, bekam aber nur einen Zeitvertrag bis 1996. Sie wäre danach gerne weiter als Wissenschaftlerin tätig gewesen, wurde aber schließlich Opfer des Misstrauens, dass mehr oder minder allen Sozial- und Rechtswissenschaftler_innen mit DDR-Sozialisation seitens der Machteliten aus dem Westen entgegen gebracht wurde: Obwohl sie die Erstplatzierte auf der Berufungsliste für eine Staatsrechtsstelle an einer Berliner Fachhochschule war, ließ die (damals noch zuständige) Senatsverwaltung für Inneres die Liste so lange „schmoren“, bis schließlich die Planstelle gestrichen wurde.

So blieb Tatjana Ansbach schließlich nichts anderes übrig, als – wider Willen – Rechtsanwältin zu werden. „Ich fühlte mich in diesem Beruf erst besser, als es mir gelang, mich zunehmend und später fast ausschließlich auf das Gebiet des Ausländer- und Asylrechts zu beschränken“. Dabei setzte sie sich insbesondere für Geflüchtete aus den südlichen Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion ein und wurde dabei mit deren häufig schlimmen Schicksalen konfrontiert. „Meine Kraft für diese Arbeit bezog ich aus der Dankbarkeit derer, denen ich tatsächlich habe helfen können. Hier ging es nicht um Streitigkeiten über den Gartenzaun, hier ging es um Sein oder Nichtsein.“ Ihre tiefe Empathie für das Schicksal ihrer Mandant_innen fand dann schließlich seinen Ausdruck in ihrem Buch „Fremd“ (Storkow 2015, rezensiert in vorgänge Nr. 212, S. 132) – die darin beschriebenen Episoden haben denn auch nur zum Teil fiktionalen Charakter.

Wir haben mit Tatjana Ansbach eine kluge und engagierte Mitstreiterin für menschlichere Verhältnisse in einer von scharfen Gegensätzen und zunehmender Ungleichheit geprägten Gesellschaft verloren.

Martin Kutscha

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