Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 210/211: Suizidbeihilfe - bald nur noch beschränkt?

Plädoyer für die Selbst­be­stim­mung am Lebensende

in: vorgänge 210/211 (2+3/2015), S. 227-229

Arnold, Uwe-Christian: Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben. Unter Mitarbeit von Michael Schmidt-Salomon. Reinbek: Rowohlt, 2014, 240 S.

Das Buch, das der Arzt Uwe-Christian Arnold zusammen mit Michael Schmidt-Salomon vorgelegt hat, ist ein Beitrag zur Diskussion über die ärztlich assistierte Selbsttötung, der sich durch eine klare und gut begründete und belegte Argumentation auszeichnet. Arnold hat als Arzt mehrfach Personen, die ihrem Leben ein Ende zu setzen wünschten, geholfen, diesen Wunsch zu erfüllen. Im ersten Teil seines Buches „Aus der Praxis eines Sterbehelfers“ schildert er einige dieser Fälle und auch die Auseinandersetzung mit der Berliner Ärztekammer, die sich daraus  ergab und die übrigens mit einer gerichtlichen Entscheidung zu seinen Gunsten endete.

Es ist wichtig, zu betonen, dass Arnold sich bei seiner Hilfe stets an die geltende Rechtslage gehalten hat, die eine Tötung auf Verlangen ausschließt (§ 216 StGB), auch wenn die sog. Garantenstellung ihn als Arzt dazu zwang, dem eigentlichen Sterbevorgang seiner Patienten fernzubleiben. Die einfühlsam und eindrucksvoll geschilderten Fälle, den einer Krebspatientin im finalen Stadium und den eines ALS-Patienten, mit denen das Buch beginnt, sprechen im übrigen für sich. Arnold betont zu Recht, dass die Gesetzeslage den ärztlich assistierten Freitod in keiner Weise unter Strafe stellt, auch wenn gerade bei Medizinern oft über die rechtlichen Fragen in diesem Bereich eine bemerkenswerte Unkenntnis herrscht.

Hilfreich ist auch sein Vorschlag, entgegen der immer noch gebräuchlichen und missverständlichen Rede von ‚aktiver‘, ‚passiver‘ und ‚indirekter‘ Sterbehilfe (so auch noch in einer Broschüre zur Suizidprävention des Familienministeriums) zwischen der Sterbebegleitung, nämlich der normalen palliativmedizinischen Versorgung am Lebensende, dem Behandlungsabbruch, etwa durch Unterbrechung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, der Beihilfe zum Suizid, und schließlich der Tötung auf Verlangen zu unterscheiden. Von diesen Handlungsoptionen ist nur die letzte (noch) strafbedroht (80). Die drei ersten sind es nicht, sofern sie jeweils dem Wunsch des Patienten entsprechen.

Im Teil 2 „Das selbstbestimmte Sterben und seine Gegner“ behandelt Arnold dann die rechtlichen und rechtsphilosophischen Fragen zum Thema des selbstbestimmten Sterbens. Er beginnt mit dem Eid des Hippokrates, auf den sich die Gegner gerade des ärztlich assistierten Suizids gerne berufen. Wie diese Gegner versteht aber auch Arnold die entsprechende Textstelle so, dass dort „Bezug auf den ärztlich assistierten Suizid“ (80) genommen wird, ein Verständnis, das auch durch die gewählte Übersetzung (einer Ärztekammer) befördert wird: „Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen.“ Mit dem ersten „auch“, das im griechischen Text gar nicht steht, wird in der Tat die Auffassung nahegelegt, dass es sich um eine Bitte des Patienten handelt, dass also „eine Bitte“ hier soviel heiße wie „seine Bitte“. Was der Text tatsächlich sagt ist: „Ich werde, wenn ich darum gebeten/dazu aufgefordert werde, niemandem ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen.“ Die damals bekannten tödlichen Gifte, Arsenik oder Schierling, führten alle zu einem sehr qualvollen Sterben. Das allein schon macht die Bitte eines Patienten um ein solches Gift ziemlich unwahrscheinlich, zumal da sich eine Selbsttötung auf schonendere Weise durch das Öffnen der Pulsadern im warmem Bad erreichen ließ. Mit dem angeführten Satz dürfte sich der Arzt vielmehr dagegen schützen wollen, zum Mordgehilfen gemacht zu werden. Dafür spricht auch der Kontext: im unmittelbar vorhergehenden Satz versichert der Arzt, dass er sein Wissen nur zum Nutzen der Patienten, aber nie zu Unrecht und zu jemandes Schaden anwenden wird.

Der Antike war die moralische Stigmatisierung der Selbsttötung ohnehin fremd; sie kam erst mit dem Christentum auf, genauer gesagt mit der Theologie des Augustinus, wie im letzten Kapitel dieses Teils dargelegt wird. Weder im Alten noch im Neuen Testament gibt es eine Verdammung der Selbsttötung. Erst die Aufklärung hat hier wieder eine Anknüpfung an die Tradition der Antike möglich gemacht.

Ein Standardargument der Gegner ist die Behauptung, mit der Zulassung der Freitodbegleitung oder gar der Tötung auf Verlangen würde ein Dammbruch begangen: Es sei dann kein Halten mehr auf dem Weg zur „Tötung ohne Verlangen“, vor dem etwa der katholische Münchener Philosoph Spaemann glaubt warnen zu müssen. Es ist eines der Verdienste dieses Buches, im Kapitel 5 auf die empirischen Fakten aus den USA und aus den Beneluxländern aufmerksam zu machen, die das genaue Gegenteil belegen. Durch die Zulassung des ärztlich assistierten Suizids in diesen Ländern ist die Gefahr, durch ärztliche Maßnahmen in der rechtlichen Grauzone fremdbestimmt zu sterben, weitaus geringer als dort, wo diese Hilfe tabuisiert ist (131f.). Insbesondere aber gehen die Versuche, sich aus Verzweiflung umzubringen, die ja oft genug nicht mit dem Tode, sondern mit einem elenden Weiterleben enden, dort zurück, wo die Möglichkeit einer ärztlichen Freitodbegleitung besteht (133). Auch das Argument, mit der Zulassung der ärztlichen Freitodbegleitung würden die Möglichkeiten der palliativen Versorgung nicht weiter ausgebaut, wird durch empirische Fakten nicht belegt. In Oregon, dem Staat der USA, in dem aufgrund des Death With Dignity Act seit 1997 die ärztliche Freitodbegleitung legalisiert wurde, ist die Palliativversorgung weiter ausgebaut worden, so dass Oregon jetzt als der Staat der USA mit der besten Palliativversorgung gilt (128). Allerdings weist Arnold auch darauf hin, dass die Palliativmedizin keineswegs alle Schmerzen unterdrücken kann.

Im dritten und letzten Teil „Plädoyer für ein Sterben in Würde“ kommen zunächst wieder Patienten zu Wort, denen allein die Möglichkeit, durch sicher wirkende Medikamente aus dem Leben scheiden zu können, den Abschied aus ihrem Leben sehr erleichtert hat, oft auch ohne dass sie von diesen Mitteln Gebrauch machen mussten. Erschütternder ist allerdings die Schilderung vergeblicher Versuche, sich das Leben zu nehmen (etwa 173-176), und der inhumanen Praxis der Pflegeheime, die oft die Erfüllung eines Sterbewunsches aktiv zu verhindern suchen. Dabei sollte die gesellschaftliche Problematik der Selbsttötung schon aufgrund des schieren Umfangs dieser Todesfälle und Freitodversuche als sozialpolitisches Problem ersten Ranges behandelt werden: 13.000 Suizidtote und 200.000 Suizidverletzte sprechen eine deutliche Sprache, durch Selbsttötung sterben in Deutschland dreimal mehr Menschen als durch Verkehrsunfälle! Die Antwort der Politik darauf bestand bisher in einem „Nationalen Suizidpräventionsprogramm“, dessen Unzulänglichkeit und falsche Zielrichtung die Autoren überzeugend kritisieren. Der Respekt vor dem Recht auf Selbstbestimmung des Menschen auch am Ende des Lebens dürfte vermutlich das wirksamste Mittel sein, jene große Zahl an Suiziden zu vermindern, die aus Angst vor einem inhumanen Sterben vorgenommen werden. Gerade weil das Buch mit seinen Argumenten in die laufende Debatte zur Sterbehilfe eingreifen will, ist es schade, dass es keine Register und auch kein Literaturverzeichnis enthält. Beides hätte seinen Gebrauchswert für die politische Auseinandersetzung erhöht.

Es ist ein bleibendes Verdienst der beiden Autoren, das Recht auf einen selbstbestimmten Tod gegen eine unheilige Allianz aus Vertretern der Kirchen und der Pharma- und Pflegeindustrie überzeugend verteidigt zu haben. Man kann nur hoffen, dass ihre Argumente in der öffentlichen Diskussion über die Versuche, den ärztlich assistierten Freitod gesetzlich einzuschränken, insbesondere aber auch in der anstehenden parlamentarischen Beratung die Beachtung finden, die sie verdienen.

Theodor Ebert, Erlangen

Dateien

nach oben