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Schwerer Abschied von Volkmar Deile

in: vorgänge Nr. 230 (2/2020), S. 135-136

Wir trauern um Volkmar Deile. Geboren 1943 in Lübeck, ist er am 2. April 2020 in Berlin im Alter von 77 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Er war ein leidenschaftlicher, zielstrebiger Arbeiter für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte. Die Friedensdienste, die Friedensbewegung, die Kirchen in Deutschland, die Ökumene, die Menschenrechtsorganisationen sowie die Zivilgesellschaft haben ihm zukunftsweisende Initiativen zu verdanken. Er hat allen mit Nachdenklichkeit und großer brüderlicher Liebe zu einem Profil verholfen, das von dem Wunsch nach „Umkehr“ aus festem christlichem Glauben geleitet war.

Als Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) (1975 – 1984) war Pfarrer Volkmar Deile einer der wesentlichen Köpfe der Friedensbewegung. Er war ein Vordenker gegen den NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979. Der Aufruf zur Demonstration und Kundgebung in Bonn am 10. Oktober 1981 unter dem Motto „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen“, veranstaltet von der ASF und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), argumentierte gradualistisch: „Wir fordern die Regierungen der Mitgliedsländer der NATO auf, ihre Zustimmung zum Beschluss über die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen zurückzuziehen. Damit soll der Weg für die Verringerung der Atomwaffen in West- und Osteuropa geöffnet werden mit dem Ziel, einen wechselseitigen umfassenden Abrüstungsprozess in Gang zu setzen.“ In ganz Bonn protestierten fröhlich und gewaltfrei 300.000 Menschen aus über 770 Friedensinitiativen in der gemeinsamen Sorge vor der wachsenden Gefahr eines Nuklearkrieges. Bonner Geschäftsleute vernagelten aus Angst ihre Schaufenster mit Brettern. Ein Demonstrant malte enttäuscht auf eines der verrammelten Schaufenster: „Nun komme ich extra aus Moskau, um hier einzukaufen.“ Die Demonstrierenden lehnten die „Nachrüstung“ mit 572 amerikanischen nuklearen Gefechtsköpfen vom Typ Cruise Missile und Pershing II-Raketen ab. Der „Koordinationsausschusses der Friedensbewegung“, der aus 30 kontrovers ausgerichteten Organisationen bestand, führte die Friedensbewegung weiter. Andreas Zumach und Volkmar Deile spielten eine führende Rolle.

Im Rahmen des Interkerkelijk Vredesberaad (IKV) in den Niederlanden verband Volkmar die Friedensbewegung in der Bundesrepublik u.a. mit der in Großbritannien, Niederlanden, Belgien, Italien und den Niederlanden. Der ökumenisch aufgestellte IKV erleichterte es, mit den für Frieden Verantwortlichen beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Aktion Sühnezeichen in der DDR einen fruchtbaren Austausch zu pflegen. Volkmar Deile verschaffte den Westdeutschen Zugang zu dem „unbekannten Wesen DDR“ in Gestalt der sich dort entwickelnden Friedensbewegung.

Ein großes Anliegen für Volkmar Deile war die Verbreitung des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, ausgerufen vom Ökumenischen Rat der Kirchen 1983. Die christliche Friedensbewegung brachte das ökumenische Anliegen in die Kirchen ein. Damit wurden die zivilgesellschaftlichen Friedensinitiativen zu einer der Sozialgestalten von Kirche. Volkmar half, die Erste Europäische Ökumenische Versammlung für „Frieden in Gerechtigkeit“ 1989 in Basel im Auftrag der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und Großveranstaltungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages zu organisieren. Er machte zusammen mit anderen den Kirchentag in Hannover 1983 mit der Kampagne „Umkehr zum Leben – Nein ohne jedes Ja zu den Massenvernichtungswaffen“ violett.

Als Generalsekretär der Deutschen Sektion von Amnesty International (1990 – 1999) hat Volkmar Deile die Menschenrechte in einer turbulenten Zeit gestützt und gefördert. Zu erinnern ist an die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, den 1. Golfkrieg, Völkermord in Ruanda, Massaker in Srebrenica im Kosovokrieg, die rassistischen Anschläge von Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen, den Kampf um die Erhaltung des Rechts auf Asyl und die Menschenrechtskonferenz der UNO 1993 in Wien.

Volkmar Deile ist Dank zu sagen für sein Nachdenken über eine Theologie nach Auschwitz und das christlich-jüdische Gespräch, seine Arbeit gegen Antisemitismus und gegen Menschenfeindlichkeit, für Abrüstung und Frieden unter dem Leitstern der Gewaltfreiheit.
Der Mensch Volkmar Deile war, um einige Eigenschaften zu nennen: uneitel, unprätentiös, klug und ohne dogmatische Positionen, nicht „pastoral“, loyal, nicht an Ideologien orientiert und offen für theologische und politische Inhalte.

Volkmar war mit vielen, mit denen er zusammenarbeitete, auf eine sehr empathische und hilfreiche Freundschaft verbunden, so auch mit mir bei der AGDF. Wenn er sich verabschiedete, sagte er manchmal „Halte dich wacker“. Mit kritischen Gedanken im Blick auf die Multikrisen unserer Tage schließe ich mit einem „Haltet Euch wacker!“.

Ulrich Frey, Geschäftsführer der AGDF 1972 bis 2000, mitverantwortlich für die
Organisation der Demonstration und Kundgebung am 10.10.1981

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