Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 224: Der Osten als Vorreiter? Rechtspopulismus im Gefolge wirtschaftlicher und politischer Umbrüche

Zwei Analysen zur religiösen Rechten in Deutschland

In: vorgänge Nr. 224 (4/2018), S. 100-102

Alexander Kühn: Christlicher Extremismus in Deutschland. Das Verhältnis der Partei Bibeltreuer Christen, Christliche Mitte, Priesterbruderschaft St. Pius und Zeugen Jehovas zum demokratischen Verfassungsstaat. Leipzig Universitätsverlag 2016. 338 S. (= Diss. TU Chemnitz) 39€

Lucius Teidelbaum: Die christliche Rechte in Deutschland. Strukturen, Feindbilder, Allianzen. Münster Unrast 2018. 95 S. (=unrast transparent rechter rand, 18) 7,80€

Die Dissertation von Alexander Kühn untersucht das Verhältnis sehr unterschiedlicher Organisationen – ausgewählt wurden zwei politische Parteien, ein religiöser Orden und eine ganze Religionsgemeinschaft – zur Verfassung. Ausgehend von einer (letztlich willkürlich gesetzten) Erweiterung des Konstrukts eines „verfassungspolitischen Extremismus“ durch die Schaffung der Kategorien eines „weichen“ bzw. „harten“ Extremismus (nach Eckhard Jesse) fragt die Arbeit zentral: „Welchen Grad der Extremismusintensität weisen die untersuchten Gruppierungen auf?“ (13) Ziel der Studie ist „die Einordnung in eine von drei Kategorien: ‚extremistisch‘, ‚semi-extremistisch‘ oder ‚nicht-extremistisch‘ …“ (ebd.) Abgeklopft werden jeweils die Felder Ideologie, Strategie (mit Unterpunkten ‚Gewalt‘ und ‚Zusammenarbeit‘) und Organisation. Dadurch kommt der Verfasser zu seltsamen Ergebnissen, da die jeweiligen Befunde quasi miteinander verrechnet werden. Um ein Beispiel anzuführen: Der Partei (inzwischen Verein) „Christliche Mitte“, die von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen als fundamentalistisch eingestuft wurde, ist laut Kühn „ein ‚semi-extremistisches‘ Wesen zu attestieren, mit Tendenz zu ‚nicht extremistisch‘“ (152). Zwar strebe „die Partei einen Gottesstaat an“ und verstoße „in mehreren Punkten gegen das Grundgesetz“, womit ihre Ideologie „allerdings als ‚extremistisch‘ zu bewerten ist“ (152). Gleichwohl könne aber die Partei nicht als extremistisch bezeichnet werden, da sie Gewalt ablehne (Strategie) und auch nicht mit extremistischen Gruppierungen zusammenarbeite (da sie mit niemand kooperiert). Ähnlich auch die Einschätzung zur Pius-Bruderschaft, die trotz extremistischer Ideologie und Organisationsstruktur wegen ihrer nicht-extremistischen Strategie als „‘semi-extremistische‘ Gruppierung zu begreifen [ist], die eine Tendenz zu ‚extremistisch‘ aufweist“ (209).

Der Rezensent mag nicht erkennen, welchen großartigen Erkenntnisgewinn wir aus der Zuordnung der Organisationen in dieses Raster ziehen können. Letztlich verdeckt die zentrale Frage der Arbeit die vielen interessanten Ergebnisse dieser Dissertation. Denn Alexander Kühn arbeitet die politisch-ideologischen Grundpositionen der einzelnen Gruppierungen gut heraus und führt diese Ergebnisse auch in seinem Vergleichskapitel zusammen. So heißt es bspw. zu den „Überschneidungen“ in der Ideologie: „Hierzu zählen die Schriftgläubigkeit; der Hang zu Verschwörungstheorien; das christliche Ehe- und Familienbild, das misogyne Rollendenken; die Vorschriften zur sexuellen Orientierung, Pornografie und Prostitution; die Ablehnung des Gender-Mainstreaming; die Verurteilung der Legalität von Abtreibungen; das theokratische Prinzip; das dichotomische Weltbild; die Annahme einer Apokalypse, nach der das Paradies eintrete; […]“ Alle Organisationen sehen ihre Positionen „in ihrem dogmatischen Absolutheits- und exklusiven Erkenntnisanspruch begründet.“ (309)

Als Einstieg in das Thema „christliche Rechte“ empfiehlt sich das schmale Bändchen, das Lucius Teidelbaum unlängst im Münsteraner unrast Verlag vorgelegt hat. Er benutzt „Christliche Rechte“ als Ersatzbegriff für „Fundamentalismus“ und als eine Art Überbegriff. „Trotz diverser inhaltlicher und personeller Überschneidungen“ könne die christliche Rechte nicht einfach „der konservativen oder extremen Rechten zugeordnet werden“. Als interessantes Alleinstellungsmerkmal führt Teidelbaum an, dass für die christliche Rechte bestimmte Positionen (z.B. Ablehnung jeglicher Schwangerschaftsabbrüche) nicht verhandelbar sind, ihr also jene „Flexibilität“ fehle, die etwa der Rechtspopulismus aufweise (14).

In seinem Hauptteil präsentiert der Verfasser die zentralen Themen und Überzeugungen dieses politischen Lagers, widmet sich den Feindbildern, der Gewaltfrage, den Strukturen und aktuellen Entwicklungen. Zwar bleibe der „aktuelle Einfluss der christlichen Rechten“ gering, gleichwohl könne – auf noch niedrigem Niveau – „in der Bundesrepublik in den letzten Jahren eine zunehmende politische Mobilisierung der christlichen Rechten beobachtet werden.“ (92) Abschließend plädiert der Verfasser für eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der christlichen Rechten. Dies schließe ausdrücklich die Unterstützung fortschrittlicher Christinnen und Christen ein, die in den Amtskirchen gegen einen wachsenden Einfluss nicht liberaler Strömungen ringen.

Dr. Christoph Kopke ist Politologe und lehrt seit 2015 als Professor für Politikwissenschaft und Zeitgeschichte an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR).

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