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Das späte Erinnern an die Rolle des Sports in der NS-Diktatur

in: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 115-129

Der Breitensport ebenso wie die sportlichen Großereignisse wurden im Nationalsozialismus vielfach für faschistische Zwecke in Anspruch genommen. Wie vielen anderen Institutionen fiel es den Sportverbänden in der Nachkriegsära schwer, sich mit diesem Erbe kritisch auseinander zu setzen. Hans Joachim Teichler skizziert die verschiedenen Phasen der Erinnerung und des Aufarbeitens der NS-Bezüge im deutschen Sport.

Im „kollektiven Gedächtnis“ der deutschen Mehrheitsbevölkerung gehört der Sport zu den positiv besetzten Erinnerungen an die NS-Zeit. Das hat Alexander von Plato, der sich in seinem Hagener Institut für Geschichte und Biographie intensiv damit beschäftigt, wie historische Erfahrungen verarbeitet werden, erst vor kurzem bestätigt.[1] „Man“ erinnert sich an die Erfolge der Silberpfeile, die Kämpfe von Max Schmeling, an die Erfolge bei den Olympischen Spielen, an die Siegesserie von Schalke 04 und die eigene Punktzahl im Führerzehnkampf der HJ. Weithin vergessen ist die Zerschlagung des Arbeitersports und das Verbot der konfessionellen Sportorganisationen. Insofern existierte auch kaum ein öffentlicher Druck, sich mit der Geschichte des Sports im Nationalsozialismus zu befassen. Dass die Attraktivität des Sports in HJ und BdM höhere Bindungskräfte als die NS-Ideologie bei den Jugendlichen erzielte, erkannten schon die Gewährsleute der geheimen Berichte aus dem Reich für die Exil-SPD (Teichler 1997). Dass es sich aber bei der Erhöhung der Sportstundenzahl an den Schulen auf fünf Stunden wöchentlich sowie bei der Attraktivität und Faszination der technischen Sportarten in den Eliteschulen um eine hochgradig instrumentalisierte Moderne handelte, haben nur wenige erkannt.

Die verbale und praktische Radikalisierung des Sportwesens, die sukzessive Aushöhlung des Verbands- und Vereinswesens, um dessen Erbe sich noch im Krieg KdF und SA stritten (Luh 2005), blieb den praktizierenden Sportlern oftmals verborgen. Bezüglich ihrer jüdischen Sportkameraden verhielten sich die Sportler nicht anders als das Gros der Bevölkerung. Manche begrüßten ihren Ausschluss, die Mehrheit schaute weg und nur wenige versuchten zu helfen.

Beginn der wissen­schaft­li­chen Aufar­b­ei­tung

Die entsprechenden wissenschaftlichen Ergebnisse, die, beginnend mit Hajo Bernetts Arbeiten 1966 und 1971, eine große Affinität des bürgerlichen Sports zur NS-Diktatur belegten und die Mär der Gleichschaltung widerlegten, wurden vom organisierten Sport nicht oder nur zögernd zur Kenntnis genommen. Heute weiß man, dass 1933 ein unwürdiger Wettlauf zwischen Turnen und Sport um die Gunst der neuen Machthaber einsetzte und dass der fast überall erfolgte Ausschluss der jüdischen Sportler und Sportlerinnen aus den bürgerlichen Sportvereinen im Jahr 1933 ohne gesetzliche Vorgaben erfolgte.[2]

In den Akten der Berliner Turnerschaft Korporation, die d. Verf. Mitte der 1970er Jahre im Bundesarchiv Koblenz als Erster auswertete, kann man die damit verbundene Tragödie für die ausgeschlossenen jüdischen Vereinsmitglieder, zu denen auch der Olympiasieger von 1896 und Turnfestsieger Alfred Flatow (vgl. Bernett 1987) gehörte, nachlesen und nachempfinden. Zahlreiche prominente jüdische Sportler, wie z.B. der Davis-Cup-Spieler Daniel Prenn, emigrierten. Andere, wie der Turnolympiasieger Alfred Flatow oder die Leichtathletik-Weltrekordlerin Lilli Henoch, blieben und wurden Opfer des Holocaust. Als in Berlin unter hohen bürokratischen Hürden der Alliierten 1947 wieder Anträge für die „Zulassung für nichtpolitische Organisationen“ gestellt werden konnten, stand der letzte NS-Vereinsführer der Berliner Turnerschaft Korporation, um bei unserem Vereinsbeispiel zu bleiben, nicht auf der Liste, man hielt ihn für zu belastet. Das hinderte ihn 1950 nicht (als die alliierten Kontrollen weggefallen waren), erfolgreich für die Präsidentschaft im Landesverband zu kandidieren.

Wie ging der deutsche Sport, dessen Funktionäre die Umwandlung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) im Jahr 1938 unisono als politische Aufwertung begrüßt hatten, nach 1945 mit seinem braunen Erbe um?

Phasen des Erinne­rungs­ver­hal­tens

Die verschiedenen Phasen des Erinnerungsverhaltens (von Erinnerungs-Kultur kann hier nicht die Rede sein) beginnen mit einer kollektiven Verdrängung und Erinnerungsverweigerung.

Carl Diem, Organisator der Olympischen Spiele 1936 und altgedienter Sportfunktionär seit der Kaiserzeit, hatte noch im März 1945 die Jugend zur soldatischen Pflichterfüllung aufgerufen[3] und in den ersten Kriegsjahren dem Reichssportführer als kommissarischer Leiter der Auslandsabteilung gedient. Diem nahm nach dem 8. Mai 1945 seine internationalen Kontakte wieder auf und stellte sich dem Hauptsportamt Berlin als einziges Nicht-Parteimitglied der Sportführung zum Wiederaufbau der Sportlehrerausbildung zur Verfügung. Er wurde wenig später Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln und nebenberuflicher Sportreferent der Bundesregierung. Er und später zunächst auch seine Nachlassverwalter sahen seine Rolle im Nationalsozialismus ausschließlich auf olympische Ämter begrenzt.

Hermann Altrock, seit 1925 der erste deutsche Sportprofessor, legte in Leipzig am 1. Juni 1945 eine Denkschrift vor, in der er den Sport als Mittel zur Steigerung der Volksgesundheit und Leistungsbereitschaft sowie als „Sicherheitsventil zur Ableitung überschüssiger Kräfte zur Verhütung von politischen Infektionen“ anpries. Nur zwei Jahre zuvor hatte er noch die „Ausbildung der hohen Rasse nordischer Prägung“ als Ziel der „Erziehung vom Leibe her“ propagiert (Teichler 2005b). Trotz NSDAP- und SA-Mitgliedschaft sah er sich als Opfer des Regimes und begann einen regen Briefwechsel mit Diem, der ihm später einen erfolgreichen Persilschein ausstellte.

Geprägt waren die ersten Nachkriegsjahre jedoch durch die überall feststellbaren Bemühungen, den praktischen Sportbetrieb wiederaufzunehmen. Obwohl das NSDAP-Verbot auch alle im NSRL organisierten Sportvereine einschloss, entwickelte sich in den Westzonen – meist unter dem Deckmantel des kommunalen Sports – recht schnell wieder ein Sportbetrieb, der sich auf den Kern der alten Vereine und Verbände stützte, wenngleich diese offiziell noch nicht wieder zugelassen worden waren.

1946 gründeten sich, wie in Bayern und Hessen, die ersten Landessportbünde, meist mit ehemaligen unbelasteten Arbeitersportlern an der Spitze, die glaubten, dass die Führung der neuen demokratischen Sportbewegung nach der engen Liaison des bürgerlichen Sports mit der NS-Bewegung ihnen automatisch zufallen würde. Dies erwies sich aber schnell als Irrglaube: In den Verbänden – vor allem im Fußball – dominierten mit Ausnahme weniger besonders belasteter Funktionäre die alten Verbandsvertreter, die ihre Aktivitäten im Dritten Reich nunmehr als unpolitisch und rein sportfachlich darstellten. Während die ehemaligen Arbeitersportler eine überfachliche, regionale Organisationsform des Sports anstrebten, beharrten die bürgerlichen Funktionäre auf dem Fachverbandsprinzip. Von 1946 bis 1950 dauerte der Streit zwischen dem regionalen und dem verbandsfachlichen Sportorganisationsprinzip an, bis ein Kompromiss für die Gründung des Deutschen Sport Bundes gefunden wurde. Bei den Wahlen für die Führung des DSB im Dezember 1950 dominierten die bürgerlichen Vertreter der Fachverbände, so dass es erst des Verzichts des Leichtathletikpräsidenten Max Danz bedurfte, um mit Oskar Drees auch einen Vertreter des Arbeitersports in die Führung zu wählen (vgl. Nitsch 1990). Das Nationale Olympische Komitee (NOK)  hatte sich unter der Federführung Diems und des Herzogs von Mecklenburg schon 1949 wiedergegründet (vgl. Lämmer 1999). Diem gründete 1947 die Sporthochschule in Köln, Altrock wurde 1948 an das Institut für Leibesübungen der Universität Frankfurt berufen und zum Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Institutsdirektoren gewählt, die mit Ausnahme von Diem alle NSDAP-Mitglieder gewesen waren (Teichler 2005a). Die mahnenden Stimmen von Emigranten, wie dem Sportreferenten der SPD, Heinrich Sorg, oder des jüdischen Sportjournalisten Willy Meisl, die sich gegen diese personelle Kontinuität aussprachen, wurden als politische Einmischungen in den „unpolitischen Sport“ zurückgewiesen.

Die langen 1950er Jahre

Die personelle Kontinuität zwischen dem bundesdeutschen Sport der 1950er Jahre und dem NS-Regime war keine Erfindung der DDR, die sich diese propagandistische Chance zur Verunglimpfung des gesamten bundesdeutschen Sports natürlich nicht entgehen ließ: Die prominentesten Beispiele sind Karl Ritter von Halt, der als SA-Oberführer, Mitglied des Freundeskreises Reichsführer SS und als letzter kommissarischer Reichssportführer zum Chef des westdeutschen NOK gewählt wurde und die deutsche Mannschaft als Chef de Mission 1952 nach Helsinki führte.[4] Selbst enge Mitstreiter, wie Ritter von Lex, in der NS-Zeit Sportreferent im Innenministerium und in den 1950er Jahren dort Staatssekretär, bescheinigten ihm eine im Laufe der 12 Jahre sich verstärkende braune Gesinnung. Dann muss natürlich Guido von Mengden genannt werden, der als höchster Hauptamtlicher des NS-Sports unter Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten ein glühender NS-Propagandist war, nach dem Krieg in der Baufirma des DFB-Präsidenten Peco Bauwens untertauchte, kurzfristig unter dem Pseudonym „Till van Rhyn“ publizierte und in den 1950er Jahren wieder höchster Hauptamtlicher im bundesdeutschen Sport wurde (Bernett 1976). Auf Carl Diem wurde schon hingewiesen. Hermann Altrock wurde – wie bereits erwähnt – 1948 zum Chef der Arbeitsgemeinschaft der Institutsdirektoren gewählt, das war die erste sportwissenschaftliche Vereinigung der Bundesrepublik.

Während die DDR das Sportsystem des Nationalsozialismus kopierte (Betriebssportgemeinschaften nach dem Muster der NS-Organisation Kraft durch Freude, Kinder- und Jugendsport zunächst im Rahmen von Jungen Pionieren und FDJ wie bei HJ und BdM und eine von der Partei geführte Sportorganisation; s. Teichler 2006), hatte der Westen das Personal übernommen.

Die neugewonnene ökonomische Prosperität und politische Stabilität stärkte im Westen gerade die Kräfte, die am wenigsten an einer Beleuchtung ihrer NS-Vergangenheit interessiert waren. Neben dem politischen Establishment war auch ein Großteil der Bevölkerung an einer konsequenten Aufarbeitung der NS-Zeit wenig interessiert. Die materiellen Entbehrungen und psychologischen Überforderungen durch die Kriegs- und Nachkriegszeit hatten bei vielen zu dem alleinigen Wunsch nach „Ruhe, Ordnung und Wohlstand“ geführt. Die NS-Zeit war also ein ungeliebtes Thema und wurde bewusst oder unbewusst tabuisiert und verdrängt. Im Bereich der bundesdeutschen Sportwissenschaft sorgte schon die persönliche Verstrickung für Verschweigen und Verniedlichung.

Nach Moshe Zimmermann[5] gibt es in der Aufarbeitung der beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts einen wesentlichen Unterschied. Während bei der Erinnerung an die NS-Zeit zu Anfang die Erinnerungen der Opfer den Erinnerungsdiskurs prägten und die Täter zunächst schwiegen, scheint aus seiner Sicht nach der Friedlichen Revolution und dem Ende der DDR die umgekehrte Tendenz vorzuherrschen. Zumindest der erste Teil der Aussage trifft für den Sport nicht zu. Die ersten schriftlichen Aussagen zum Sport im Nationalsozialismus stammen von Carl Diem und Guido von Mengden (letzterer sogar im Jahrbuch des DSB von 1955). Erst Geschichte machen, dann beschönigen oder verfälschen – mehr kann man zu diesen apologetischen Arbeiten aus historischer Sicht nicht sagen.

Die „Mauer des Schweigens“ – so eine zeitgenössische Rezension – wurde erst mit der Pionierarbeit von Hajo Bernett aus dem Jahr 1966 „NS-Leibeserziehung – eine Dokumentation ihrer Theorie und Organisation“ durchbrochen.[6] Bernetts Arbeitsergebnisse wurden zwar in der sich gerade konstituierenden Sportwissenschaft zur Kenntnis genommen – von der jüngeren Generation, indem sie sich Dissertationsthemen zum Sport im Nationalsozialismus suchte und von der älteren Generation, indem sie ihre zeitgenössischen NS-Dissertationen heimlich aus den Institutsbibliotheken zu entfernen suchte – nicht aber im organisierten Sport. Der konzentrierte sich auf seine Gegenwartsaufgaben, auf die bevorstehenden Olympischen Spiele 1972 und die Fußballweltmeisterschaft 1974. Wieder erleichterten die über das Ziel hinausschießenden polemischen Attacken der DDR im Vorfeld der Olympischen Spiele in München die Abwehr der nun auch von der jüngeren Generation geforderten Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Der „gesinnungsethische Rigorismus“, mit dem die damalige studentische Generation ihre Forderungen vortrug, provozierte bei der älteren Generation allerdings eher Abwehrreaktionen als Einsicht oder Einlenken. Immerhin nahm das Organisationskomitee der Olympischen Spiele 1972 Abstand vom ursprünglichen Vorhaben, eine Straße im Olympischen Dorf nach Carl Diem zu benennen. Dagegen benannte man eine Straße nach Helene Mayer, der jüdischen Olympiasiegerin von 1928 und Silbermedaillengewinnerin von 1936. Die in den USA lebende Florettfechterin war vom deutschen und amerikanischen NOK bedrängt worden, 1936 an den Spielen in Berlin teilzunehmen (Braun 2009). Die Anhänger der Protestbewegung in den USA (Juden, Gewerkschaftler, Kirchen und Demokraten) erwarteten von ihr das Gegenteil. Letztlich siegten ihr sportlicher Ehrgeiz und das Heimweh nach Deutschland. Die Tochter eines jüdischen Offenbacher Arztes und einer nichtjüdischen Mutter spielte 1936 eine unglückliche Rolle als „Alibijüdin“, obgleich sie nach jüdischen Religions-Gesetzen nicht als Jüdin galt. Mit ihrer Teilnahme konnte die Reichssportführung den jüdischen Protesten gegen die Olympischen Spiele in den USA entgegentreten (vgl. Teichler 1989). Auf den naheliegenden Gedanken, auch eine Straße nach der unter fadenscheinigen Gründen ausgebooteten deutschen Hochsprungrekordlerin Gretel Bergmann zu benennen, die im Gegensatz zu Helene Mayer „Volljüdin“ war und für den Sportbund „Schild“ des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten antrat, kam man 1972 nicht, obwohl die Sportgeschichtsschreibung den beschämenden Vorgang ihrer Nichtnominierung bereits publiziert hatte. Es sollte bis 1995 dauern, bis man in Berlin eine Halle nach ihr benannte. 1996 akzeptierte Gretel Bergmann (heute Margaret Lambert) die Einladung des deutschen NOK als Ehrengast nach Atlanta. Inzwischen hat sie ihre Erinnerungen in einer beeindruckenden Autobiographie (Bergmann 2003) beschrieben. Und seit 2014 liegt die ehemalige Villa des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten im ehemaligen Reichssportfeld (heute Olympiapark) am „Gretel-Bergmann-Weg“. Die Führung des Deutschen Leichtathletikverbandes gratulierte ihr persönlich in New York zum 100. Geburtstag.

Wie lange es dauert, bis sich sportgeschichtliche Erkenntnis in verbandspolitischem Handeln niederschlägt, zeigte sich auch bei dem bereits erwähnten Alfred Flatow, der 1933 aus seinem Verein und dann als Jude sukzessiv aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen wurde und 1942 im KZ Theresienstadt umkam (Bernett 1987). Meine Archivrecherche von 1976 wurde 1978 von Hajo Bernett in seinem Buch „Der jüdische Sport im nationalsozialistischen Deutschland“ publiziert, aber weder Verein noch Verband reagierten. Es bedurfte massiver Interventionen seitens der Sportgeschichte – u.a. mit Hilfe der damaligen Bundestagspräsidentin Annemarie Renger, die als Tochter des führenden Arbeitersportfunktionärs Fritz Wildung eine besondere Beziehung zur Sportvergangenheit hatte – bis der Deutsche Turnerbund (DTB) zur Erkenntnis kam, dass man sich auch diesem Teil der deutschen und eigenen Geschichte stellen sollte. Inzwischen hatte Richard von Weizsäcker 1985 seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes gehalten und der 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 stand bevor. In diesem erinnerungsträchtigen Umfeld beschloss der DTB 1987 zur Erinnerung an die Cousins Stephan und Alfred Flatow – auch Ersterer war Olympiasieger von 1896 und KZ-Opfer – eine Flatow-Medaille für den besten Mehrkampfturner zu verleihen. Eine vorbildliche Broschüre des DTB erläutert inzwischen die Hinter- und Beweggründe dieser seit 1988 verliehenen Ehrung (Pfister & Steins 2005). Als 1973 in Stuttgart – 40 Jahre nach Hitlers Auftritt beim Stuttgarter Turnfest 1933 – wieder ein Turnfest stattfand, hatte man sich noch jeglicher Rückbesinnung verweigert.

Die große Distanz als Gemein­sam­keit

Das Erinnerungsverhalten des organisierten Sports auf Verbandsebene kann daher in der Rückschau kaum als „Erinnerungskultur“ beschrieben werden. Erst mit großem zeitlichen Abstand zu den Erkenntnissen der Sportgeschichte und in der Regel erst nach dem Ausscheiden bzw. dem Tod der beteiligten Akteure oder Zeitzeugen stellte man sich der Vergangenheit. Und dass auch erst unter Druck der Stimmen einer kritischen Öffentlichkeit. Manche Verbände erwiesen sich auch als taub. So muss es Walter Jens nach seinem Referat vor dem DFB-Bundestag im Jahr 1975 vorgekommen sein. Noch 1999 meinte er, er könne das Referat, in dem er die fehlende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des DFB angeprangert hatte, unverändert noch einmal halten. Während der Deutsche Ruderverband 1986 und der Deutsche Leichtathletikverband 1998 ihre Festschriften von renommierten Sporthistorikern schreiben ließen (Ueberhorst und Bernett), setzte der Deutsche Fußballbund 2000 auf Fachjournalisten, welche dann auch prompt im Kapitel über die NS-Zeit die sportliche Entwicklung des Fußballs beschrieben, die politische Dimension der Verstrickung in das NS-System aber nur vage andeuteten. Auf die nun verstärkt einsetzende Kritik reagierte der DFB, indem er ein Forschungsprojekt zum DFB in der Zeit des Nationalsozialismus finanzierte, wobei er die Vergabe und Auswahl des Historikers dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands überließ. Die Wahl fiel auf Nils Havemann, der seine Studie im Stile einer Unternehmensgeschichte verbandsgeschichtlich und biografieorientiert anlegte und dabei ideologische Schnittmengen vernachlässigte oder sogar abstritt. Havemann (2005) konzentrierte sich auf das Verbandsinteresse, lästige Konkurrenz anderer Sportverbände zu beseitigen, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen und sah eher fußballerischen Pragmatismus als Motiv für das schnelle Arrangement des DFB und seiner Vereine mit den neuen Machthabern. Dies stieß auf heftige Kritik einer Reihe von Sporthistorikern (Peiffer, Schulze-Marmeling, Dwertmann) bzw. Politologen (Heinrich), welche auf die ideologische Nähe und Täterverstrickung einzelner Akteure hinwiesen und eine Art „Anti-Havemann“[7] vorlegten (Schulze-Marmeling & Peiffer 2008). Nach ihrer Lesart habe sich der ideologisch vorgeprägte Fußball selbst radikalisiert.

Die inzwischen zahlreich vorliegenden Vereinsstudien (BVB Dortmund, 1. FC Kaiserlautern, Hertha Berlin, Schalke 04, St. Pauli, Bayern München, Eintracht Frankfurt) haben zwar unterschiedliche wissenschaftliche Qualität, zeigen aber ein differenzierteres Bild. Unterhalb der politisch-propagandistischen Vorgaben der Reichssportführung und des Fachamtes, meist mit prominenten NS-Gefolgsleuten in der Vereinsspitze, versuchten die Vereine an ihren Traditionen festzuhalten und ihre fußballerischen Alltagsroutinen fortzusetzen. Hier ist wohl eher der Linie von Marschik und Herzog (Herzog & Bode 2008) zu folgen, die darauf hinweisen, dass sich die Sportler und Vereine in vorauseilendem Gehorsam mit dem Regime arrangierten, „um ihr sportliches Refugium nicht zu gefährden“, oder um ihrem Verein Vorteile zu verschaffen. Marschik sieht im Fußball einen Nischenbereich, „der politisch neutrale Ablenkung, eskapistische Zerstreuung und narkotisches Abschalten ermöglicht“ (Marschik 1998: 314). Es waren vor allem die oberen Sportfunktionäre, die im Kampf um Ressourcen, Gratifikationen und gesellschaftliche Reputation bemüht waren, Sporterfolge dem politischen System zuzuschreiben. Dies galt nicht nur für den Fußball, sondern für den Sport in der Zeit des Nationalsozialismus insgesamt. Den Sportlern und dem Sportpublikum dieser Jahre ging es daher eher um Momente des Vergessens, der Alltagsentrücktheit, der Entspannung und Spannung. Gerade diese Flucht ins Private, in die Nische des Sports, erleichterte dessen politische Instrumentalisierung, die im Krieg ihren Höhepunkt fand (Teichler 1991: 372). Diese Theorie eines sportlichen Kerns unterhalb einer braunen ideologischen Hülle, sollte aber nicht dazu genutzt werden, die ideologische Anschlussbereitschaft und antidemokratische Vorprägung der Mehrheit der DFB-Führung vor und nach 1933 auszublenden.

Inzwischen gehört es fast zum guten Ton, dass große Traditionsvereine des Fußballs ihre Zeit im Nationalsozialismus begutachten lassen. Der DFB entschloss sich nach der Publikation der Havemann-Studie in die Offensive zu gehen und stiftete 2005 den Julius-Hirsch-Preis zur Erinnerung an den in Auschwitz ermordeten jüdischen Nationalspieler und im Gedenken an die zahlreichen jüdischen DFB-Mitglieder, die nach 1933 diskriminiert wurden. So unterstützte die DFB-Kulturstiftung nicht nur den Band „Fußball in der Zeit des Nationalsozialismus“ (Herzog & Bode 2008), sondern auch die Skulpturenausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung“ (Felsberg 2015) vor dem Berliner Hauptbahnhof mit jüdischen Spitzensportlern anlässlich der „European Maccabi Games 2015“.[8] Auffallend ist wieder die große zeitliche Diskrepanz zu 1945. Nach 60 Jahren war man sich offenkundig sicher, keinen der in der NS-Zeit aktiven Funktionäre mehr zu desavouieren. Diese Vermutung gründet sich auch auf die Tatsache, dass der DFB-Präsident Theo Zwanziger im Jahr 2008 die Finanzierung eines Forschungsprojekts des Arbeitsbereiches Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam über den DDR-Fußball, welches bereits mit dem Nordostdeutschen Fußballverband und der Kulturstiftung des DFB abgesprochen war, mit der Begründung stoppte, wenn man den DDR-Fußball mit dem biographischen Ansatz Havemanns aufarbeiten würde, müsse man die politische Verstrickung zahlreicher noch aktiver DFB-Funktionäre im Osten mit dem SED-System offenlegen. Angesichts ihrer guten Arbeit und ihrer Leistung bei der Vereinigung der Fußballverbände könne man diese Leistungsträger aber nicht desavouieren. Selbst der Versuch, das Forschungsprojekt zunächst auf die Phase von 1945-1966 zu begrenzen, scheiterte an dem Unwillen Zwanzigers, sich der politischen und sportlichen Geschichte des Fußballs in der zweiten deutschen Diktatur des 20. Jahrhunderts zeitnah zu nähern.[9]

Das Gemeinsame an der sportlichen Erinnerungskultur ist – wie bereits mehrfach erwähnt – der große zeitliche Abstand des Erinnerns zur NS-Zeit. So reagierte der Deutsche Alpenverein, dessen Vorgängerorganisation – der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DuOeAV) – schon in den 1920er Jahren völkisch-antisemitisch geprägt war, erst nach der fundierten Dissertation Amstädters aus dem Jahr 1996 (Amstädter 1996), welche die enge Verbindung von Alpinismus und Nationalsozialismus offenlegte. Im Jahr 1999 beschloss der DAV an den Hütten der ehemaligen jüdischen Alpenvereine (2003) und im Alpinen Museum (2001) eine Plakette „Gegen Intoleranz und Hass“ anzubringen. Inzwischen haben die drei Nachfolgevereine des DuOeAV, der Deutsche Alpenverein, der Österreichische Alpenverein und der Alpenverein Südtirol gemeinsam eine eigenfinanzierte Untersuchung über die Zeit von 1918 bis 1945 herausgebracht, welche neben den sportlichen und touristischen Leistungen auch detailliert die deutschnationale, völkische und antisemitische Ausrichtung des DuOeAV bis in die einzelnen Sektionen hinein thematisiert.[10] Grundlage dieser vorzüglichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte waren die inzwischen geordneten und öffentlich zugänglichen alpinen Bibliotheken und Archive in Innsbruck und München. Ähnliches hat die Dachorganisation des deutschen Sports, der Deutsche Olympische Sportbund, nicht vorzuweisen. Nur das Nationale Olympische Komitee (NOK) hat aus Anlass seines hundertjährigen Bestehens 1999 eine chronologisch geordnete Aufsatzsammlung vorgelegt, die auch ein NS-Kapitel enthält (Bernett & Teichler 1999). Der DOSB dagegen hat sich seiner historischen Wurzeln entledigt, indem er im Jahr 2007 die drei Namensplaketten bzw. Preise, die nach Diem, Wildung und Wolker benannt waren, sponsorengerecht umgetauft hat. Dabei stand Diem sowohl für die bürgerliche Sportbewegung, deren Generalsekretär er in der Weimarer Republik war, als auch für die Sportwissenschaft, die er als Leiter der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin und als Rektor der Deutschen Sporthochschule in Köln maßgeblich beeinflusst hatte. Wildung, der ehemalige Generalsekretär der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege, repräsentierte den Arbeitersport, Wolker, Führungskraft in der katholischen Sportorganisation und Mitbegründer des DSB, den konfessionell gebundenen Sport.[11]

Vor dem Hintergrund der immer wieder aufflackernden Diskussion um Carl Diem, dem seine militaristischen Schriften und Reden aus der NS-Zeit vorgehalten wurden, verzichtete der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) 2007 damit stillschweigend und ohne öffentliche Debatte auf drei seiner personengebundenen Preise bzw. Plaketten, obwohl eine von ihm in Auftrag gegebene Diem-Biographie noch nicht fertig gestellt war.[12] Deren Ergebnis führte dann dazu, dass in mehreren Städten Carl Diem-Straßen umbenannt wurden und eine erneute Debatte um Carl Diem aufflammte.[13] Inzwischen wird Carl Diem aufgrund antijüdischer Äußerungen in privaten Korrespondenzen vor 1933 sogar zum Antisemiten stilisiert (Schäfer 2009). Dass er an seinen jüdischen Freunden und Kollegen in der NS-Zeit festhielt und sich nie, auch in der NS-Zeit, wo es ihm zugute gekommen wäre, öffentlich antisemitisch geäußert hat, wird dabei übersehen (Krüger, 2012b). Als einzige namensgebundene Auszeichnung des DOSB, die Führungspersonal vor 1945 tangiert, existiert noch das Hermann-Altrock-Stipendium, in Erinnerung an den ersten deutschen Sportprofessor (Leipzig 1925). Dass dieser im Gegensatz zum Nicht-Parteimitglied Diem Mitglied der NSDAP (1933) und der SA (1937) war, scheint niemanden zu stören. Die Reizfigur bleibt Carl Diem.

Sport- und Kriegs­helden

Dabei gäbe es weitere Gründe, die Erinnerungskultur im deutschen Sport zu hinterfragen. Der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) z.B. erinnert mit dem Hanns-Braun-Preis für verdiente Ehrenamtliche und mit dem Rudolf-Harbig-Preis für verdiente Aktive an zwei Weltklasse-Mittelstreckler aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der erste war als Fliegerheld im Ersten, der zweite als Infanterist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Das Modell „männlicher Sportler-Soldat-Held“ war zumindest bei Hanns Braun ausschlaggebend, als 1934 mitten im Aufbau der neuen Luftwaffe das Gedenken einsetzte. Der Konstellation „weiblich-jüdisch-Opfer des NS-Regimes“ – zu gedenken, z.B. an Lilli Henoch, 10fache deutsche Leichtathletik-Meisterin, vierfache Weltrekordlerin der 1920er Jahre (Berliner SC), 1942 ermordet in Riga – geschieht hingegen seitens des DLV nur zögerlich (Ehlert 2009). Henochs Aufnahme in die fiktive, virtuelle „Hall of Fame“ der deutschen Leichtathletik erscheint nur als eine schwache Geste. Dass der BSC seit 2004 sein jährliches Frauensportfest nach Lilli Henoch benannt hat, ist eine rühmliche Ausnahme in der deutschen Vereinslandschaft. In der „Hall of Fame“ der Stiftung deutsche Sporthilfe, die vom DOSB und dem Verband deutscher Sportjournalisten unterstützt wird, und somit einen offiziösen Anstrich bekommt, ist Lilli Henoch (noch) nicht vertreten. An der ohne erkennbare fachwissenschaftliche Begleitung zusammengestellten Liste toter und lebender Sporthelden ist mit guten Gründen scharfe Kritik geäußert worden.[14]

Wie kommt der deutsche Sport aus diesem Erinne­rungs­di­lemma heraus?

Nur, indem er die NS-Vergangenheit schonungslos und offensiv angeht, wie es die deutschen Banken und Automobilkonzerne mit ihren Forschungsaufträgen in den 1980er Jahren – spät, aber nicht zu spät – vorgemacht haben. So hat der FC Bayern im Jahr 2017 beim Institut für Zeitgeschichte München einen Forschungsauftrag über den FC Bayern in der NS-Zeit in Auftrag gegeben. Ausgelöst haben dies neuere Forschungen zum FC Bayern, dem Herzog (ders. 2016) anhand der Vereinsregisterakten drei (!) Arierparagraphen 1935 und 1940 nachweist und somit die bislang kolportierte Darstellung des FC Bayern als „Heldengeschichte“ und „Hort der Widerständigkeit“ widerlegte.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die aus Anlass der Fußball-WM 2006 erfolgte historische Kommentierung des Olympiastadions in Berlin, des Reichssportfeldes und die Dauerausstellung unter der Langemarckhalle in Berlin, zu der Bund und Stadt Berlin Mittel freigemacht haben, und die unter fachwissenschaftlicher Begleitung vom Deutschen Historischen Museum erarbeitet wurde (Rother 2006). Hier wurden allerdings staatliche Mittel und keine des Sports eingesetzt.

Erfreulich ist die Entwicklung bei den meisten Vereinsfestschriften, besonders dort, wo es eine Beratungsleistung durch die Landessportbünde gibt, wie es in Baden-Württemberg und seit langem in Niedersachsen der Fall ist. Diese Art von sportgeschichtlicher Beratungsleistung sollte überall eingeführt werden.

Die spezifischen zwischenmenschlichen Bindungskräfte im Sport, die ihn für viele so liebenswert und attraktiv machen, sind für eine kritisch-historische Aufarbeitung seiner Geschichte nicht immer günstig. Eine falsch verstandene Solidarität mit früheren Funktionsträgern oder Sportlern, die sich zum Aushängeschild einer Diktatur haben machen lassen, verstärkt die Tendenz des Ausblendens, Wegsehens, des Unter-den-Teppich-Kehrens. Dies gilt auch für die Aufarbeitung des Sports in der ehemaligen DDR. Die Verweigerung der „Gauck-Anfrage“ durch ganze Verbände bzw. Disziplingruppen nach 1990 spricht ihrerseits Bände. Wie insgesamt der ostdeutsche Sport sich nur ungern der Vergangenheitsaufarbeitung stellt: sportliche Nostalgieshows und Traditionsmannschaften sind gern gesehen, kritisch nachfragende Wissenschaftler eher nicht. Lieber vergibt man – wie z.B. in Frankfurt/Oder – ABM-Mittel zur Aufarbeitung des lokalen DDR-Sports an ehemalige DDR-Journalisten, als dass man den im eigenen Land angesiedelten Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports einschaltet oder beteiligt.

Der Versuch des inzwischen abgewickelten Potsdamer Arbeitsbereichs für Zeitgeschichte des Sports aus Anlass des 15. Jubiläums der deutschen Sporteinheit Erinnerungskonferenzen einzuberufen, weil die damals 60- bis 70jährigen Zeitzeugen, die diese nicht immer konfliktfreie Vereinigung gestaltet haben, wegzusterben drohen, stieß im Sport – insbesondere bei den ostdeutschen Landessportbünden – auf relativ wenig Gegenliebe.[15] Nur die beiden Dachverbände (DSB und NOK) steuerten für eine von der Bundeszentrale für politische Bildung finanzierte Veranstaltung einen kleinen Obolus bei. Der Berliner Landessportbund wollte erst den 25. Jahrestag festlich begehen. Dann „stören“ die Zeitzeugen nicht mehr, weil sie dann in der Regel aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Ausblick

Moshe Zimmermann hat, wie oben schon einmal erwähnt, auf die unterschiedlichen Aufarbeitungsphasen der beiden deutschen Diktaturen hingewiesen. Während bei der Erinnerung an die NS-Diktatur die Täter zunächst schwiegen und die Opfer den Erinnerungsdiskurs bestimmten, erschien ihm nach dem Fall der DDR die umgekehrte Tendenz zu überwiegen. Das fleißige Publizieren der Akteure und Aktivisten aus führenden Kreisen des Deutschen Turn- und Sportbundes und der früheren DDR-Sportwissenschaft mit ihrer ostalgischen Tendenz[16] und strukturellen Fehlinformationen[17] ist solange kein Problem, solange eine kritische Sportgeschichtsschreibung vorhanden ist, die auch die strukturellen Schattenseiten und persönlichen Opferperspektiven des DDR-Sports mit berücksichtigt und entgegenhalten kann. Da aber auch die Potsdamer Professur für Zeitgeschichte des Sports seit dem Ausscheiden ihres Stelleninhabers am 31. September 2011 nicht wiederbesetzt wurde, gibt es an keinem der ostdeutschen Institute der universitären Sportlehrerausbildung mehr eine mit Forschungskapazitäten ausgestattete professorale Sportgeschichtsstelle. Die Folgen für die „Erinnerungskultur des Sports“ sowie für die Aufarbeitung des Sports in der zweiten deutschen Diktatur kann sich jeder ausmalen.

PROF. DR. HANS JOACHIM TEICHLER   studierte Sport- und Sozialwissenschaften an der Universität Bonn. Er promovierte 1990 an der Universität Bochum mit einer Arbeit zur Internationalen Sportpolitik im Dritten Reich; anschließend war er bis 1993 Sportreferent der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1994 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 war er Professor für Zeitgeschichte des Sports im Institut für Sportwissenschaft der Universität Potsdam. Arbeitsschwerpunkte: Arbeitersport, die Sportpolitik im Dritten Reich und in der DDR sowie die Erinnerungskultur im deutschen Sport.

Literatur (Auswahl)

Amstädter, R. (1996). Der Alpinismus. Kultur – Organisation – Politik. Wien: WUV-Univ.-Verl.

Aus einem Referat von Reinhard Apel vom 28. April 1984 in der Führungs- und Verwaltungsakademie in Berlin. (1987). Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 1(1), S. 105.

Bahro, B. (2009a). „Den Verbandsvereinen wird ferner empfohlen, ihren jüdischen Mitgliedern das Ausscheiden nahe zu legen“ – der Umgang Berliner Sportvereine mit jüdischen Mitgliedern im Jahr 1933. In B. Bahro, J. Braun & H.J. Teichler (Hrsg.), Vergessene Rekorde – Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933. Berlin: vbb, S. 100-108.

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Anmerkungen:

1. Referat im Juli 2005 auf einer Tagung des Forschungsprojektes „Leben und Werk Carl Diems“ in Münster. Die meisten Referate dieser Tagung sind veröffentlicht in BIOS, Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 18 (2005), 2.

2. Vgl. Bernett (1978) als auch Bahro (2009a) und (Bahro (2009b).

3. Vgl. das Sonderheft „Mythos Carl Diem“ („Aus einem Referat von Reinhard Apel vom 28. April 1984 in der Führungs- und Verwaltungsakademie in Berlin“, 1987). Stellvertretend für die Diem- Debatte s. (Teichler (1996) und (Dwertmann (1997); zum Gutachten H. J. Teichlers und zur Stellungnahme der Expertenkommission s. ebd.

4. Einen ersten biographischen Versuch mit immer noch leicht apologetischer Tendenz legte Heimerzheim (1999) vor.

5. Vgl. auch Jarausch & Sabrow (2002).

6. Bernett war bei Kriegsende 24 Jahre alt und empfand ein hohes Maß persönlicher Betroffenheit – war aber noch zu jung gewesen, um persönliche Verantwortung für die damaligen Zustände tragen bzw. abarbeiten zu müssen. Gleichzeitig hatte er sich schon vor 1966 eine hohe wissenschaftliche Reputation erarbeitet, vgl. Buss (1986).

7. Diese Bezeichnung stammt von Herzog, der 2008 eine pointierte Skizze dieses „Fußballhistorikerstreits“ verfasste (Herzog 2009); vgl. auch (Herzog & Bode (2008).

8. Diese Ausstellung wurde gemeinsam vom Zentrum deutsche Sportgeschichte e.V., der Universität Hannover und der Universität Potsdam erarbeitet.

9. Das Forschungsprojekt zum DDR-Fußball hatte es bereits bis zur Präsidiumsvorlage im DFB gebracht. Die Ablehnungsbegründung erfolgte mündlich (Gespräch zwischen Dr. Theo Zwanziger und Prof. Dr. Hans Joachim Teichler in Leipzig im September 2008).

10. Deutscher Alpenverein, Österreichischer Alpenverein & Alpenverein Südtirol, 2011.

11. Vgl. dazu die genauen Angaben bei Steins (2009), S. 59: „Anlässlich des 70. Geburtstages von Carl Diem stiftete der DSB bereits am 24.6.1952 in Form der Carl-Diem-Plakette eine personenbezogene Auszeichnung, die seit 1953 für hervorragende sportwissenschaftliche sowie sportmedizinische Arbeiten verliehen wurde. Diesem Wissenschaftspreis stellte der DSB 1980 die Ludwig-Wolker-Plakette und die Fritz-Wildung-Plakette an die Seite, so dass nunmehr der DSB drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten für ihr außergewöhnliches und vorbildhaftes Wirken während der DSB-Gründung öffentlich sichtbar und wiederholend würdigte. Mit der Ludwig-Wolker-Plakette wurden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich in hervorragender Weise für das Ethos und die Menschenwürde im Sport eingesetzt haben. Zugleich erinnerte man damit an einen bedeutenden Repräsentanten der konfessionellen Sportbewegung. Mit der Fritz-Wildung-Plakette erinnerte der DSB an die Arbeiter-Sportbewegung als eine der Wurzeln, aus der er 1950 entstanden ist. Mit der Plakette wurden Vereine oder Verbände ausgezeichnet, die ein vorbildliches Modell der sozialen Hilfe im oder durch den Sport aufgebaut haben.“

12. Becker (2009-2011); Auftraggeber der Studie waren die Deutsche Sporthochschule Köln und der DOSB, finanziert wurde sie von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.

13. Vgl. dazu auch Krüger (2012b); eine konträre Auffassung vertritt Benz (2011).

14. Deutliche Kritik übt Krüger (2012a).

15. Nur der LSB Brandenburg veranstaltete eine Erinnerungskonferenz, allerdings ohne aktive Beteiligung von Fachhistorikern.

16. Das trifft besonders auf die vom ehemaligen Sportchef des „Neuen Deutschland“ herausgegebenen „Beiträge zur Sportgeschichte“ (Spotless-Verlag Berlin) zu und abgestuft auch auf die von Karsten Schumann und Ronny Garcia seit 2002 hrsg. Schriftenreihe „Sport, Leistung, Persönlichkeit“ (GNN-Verlag Schkeuditz).

17. So nennt der DTSB-Vizepräsident z.B. für 1988 die Zahl von insgesamt 4.661 Trainern für den DTSB (vgl. Thomas Köhler (2010), Zwei Seiten einer Medaille. Thomas Köhler erinnert sich. Berlin: Neues Leben, S. 185). Er unterschlägt dabei aber die ca. 3.000 Trainer, die in der SV Dynamo oder in der SV Vorwärts arbeiteten und auf der Gehaltsliste des MfS oder der Armee standen. Außerdem waren 1989 allein im „zivilen“ DTSB schon 4.808 Trainertätig (vgl. Teichler 1999, S. 468).

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