Beitragsbild Die Ökonomisierung des Sports am Beispiel des deutschen Fußballs
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 223: Sport und Politik

Die Ökono­mi­sie­rung des Sports am Beispiel des deutschen Fußballs

in: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 15-25

Dass es beim Fußball längst nicht mehr nur um sportliche Vergleiche geht, ist ein Gemeinplatz. Wie tief die unternehmerische Logik bereits in diese Sportart eingedrungen ist und das Denken und Handeln von Sportlern, Trainern, Funktionären und Vereinen bestimmt, schildert Christopher Stark im folgenden Essay. Dass der Leistungssport damit die soziale Spaltung der Gesellschaft vorantreibt, ist nur eine der Folgen dieser Entwicklung.

Fußball als Unternehmen

Der Spitzensport und insbesondere der Fußball sind in den letzten Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit kommerzialisiert worden. Dies kann man etwa an den Auseinandersetzungen um milliardenschwere Ausstrahlungsrechte im Fernsehen ablesen, an der Umwandlung vieler Fußballmannschaften in Aktiengesellschaften seit den 1990er Jahren oder am „Handel“ mit Spitzensportler_innen, die für Millionen Euro hin und her gekauft werden.

Die Durchökonomisierung manifestiert sich an allen Ecken und Enden des deutschen Fußballs. Der Erfolg von Vereinen im sportlichen Wettbewerb ist zu einem großen Teil dem Erfolg von konkurrierenden Privatunternehmen gewichen. Wer viel in fußballerisches „Humankapital“ investieren kann, hat die besten Chancen auf lukrative Siege im Wettbewerb.

Bereits bei einem Klick auf die Internetseite des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) springen einem 13 Logos von Konzernen ins Gesicht, darunter das Logo des Hauptsponsors (Mercedes-Benz) auf der Höhe und in derselben Größe des DFB-Logos (s. Abbildung 1, folgende Seite).

Zehn der zwanzig größten Fußballstadien in Deutschland tragen die Namen von Privatunternehmen, welche als Sponsoren fungieren oder direkt finanziell an den Vereinen beteiligt sind. (Wikipedia 2018: Fußballstadien in Deutschland). Die Frauen-Bundesliga trägt sogar den Namen eines privaten Versicherungskonzerns (Allianz).

Abbildung 1: Internetseite des DFB

Eine große Welle der Kommerzialisierung rollte im Fußball hierzulande bereits 1999 los mit dem ersten Börsengang des Fußballvereins Borussia Dortmund. Heute sind eine Reihe von Vereinen Aktiengesellschaften, lassen also andere mit ihrem Erfolg oder Misserfolg spekulieren. International ist der Trend zur Ökonomisierung des Fußballs zum Teil noch stärker ausgeprägt. Erster börsennotierter Fußballverein in Europa war 1983 der Londoner Club Tottenham Hotspur – passend zum neoliberalen Umbau des Königreichs durch Margaret Thatcher seit 1979. Seither sind Worte wie Cash-Flow, Kennzahlen, Börsenwert, Rendite oder wachstumsbeschleunigende Investitionen zunehmend in den Vordergrund getreten und heute Normalität im Fußball.

Der Wettbewerbscharakter des Fußballs bezog sich einst auf die unterschiedliche regionale Herkunft von Vereinen. Heute ist dies zwar oberflächlich betrachtet noch immer so, tatsächlich befinden sich aber nicht Regionen im sportlichen Wettbewerb, sondern Marken bzw. Fußball-Wirtschaftsunternehmen: Spieler_innen bzw. Produktionsmittel werden zum Marktwert eingekauft und eingesetzt. Durch die erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben werden Finanzmittel erwirtschaftet, welche dann wiederum in neue Spieler_innen investiert werden. Die Vereine, die über die größten Geldressourcen verfügen, sind in der Regel auch die erfolgreichsten.

Durch eine Regelung über das Stimmrecht soll in Deutschland mit der sogenannten 50+1-Regel immerhin die Entscheidungshoheit in der Hand der Fußballvereine selber verbleiben. Es gibt aber Ausnahmeregelungen für Vereine, die von Wirtschaftsunternehmen seit über 20 Jahren gefördert werden. An solche Unternehmen kann eine Mehrheit der Stimmrechte übertragen werden. Eine solche Sonderregelung besteht für Betriebsvereine wie Bayer 04 Leverkusen, auch wenn sie de facto gar keine Betriebsvereine mehr sind. Überhaupt lässt die 50+1-Regel die Ökonomisierung des Fußballs eher unberührt.

Insgesamt findet sich bei fast allen Erstliga-Vereinen ein Gewirr an Beteiligungen und Sponsoren sowie Abhängigkeiten von Konzernen. Auch sind die meisten Vereine in Deutschland zumindest in Teilen privatwirtschaftlich organisiert. Vereine in Vereinsform sind eher selten; aber auch sie sind durchgehend von Sponsoren abhängig. Auf Unternehmenslogos auf Trikots verzichtet keiner von ihnen, auch wenn die Einnahmen durch Kartenverkäufe und Übertragungsrechte sicherlich ausreichend für die Bezahlung der Fußballer_innen wären.

Fußball und Privat­un­ter­nehmen

Eine weitere Stufe der Ökonomisierung des Fußballs in Deutschland stellte 2009 die Gründung des Vereins RB Leipzig dar, der seither schnell durch die Ligen aufstieg. Der scheinheilige Name des Vereins „Rasen Ballsport (RB)“ versucht nur halbherzig zu verschleiern, dass der Verein vom Limonaden-Imperium Red Bull gepusht, gesponsert und finanziert wird, der Name ist kein Zufall. Der Gesellschafter ist natürlich auch die Red Bull GmbH, die Heimarena heißt Red Bull Arena. Das Logo des Hauptsponsors prangt auf allen Trikots und Fanartikeln. Es handelt sich bei RB Leipzig quasi um einen inoffiziellen Unternehmensverein unter den Fittichen eines Weltkonzerns, der überhaupt nicht aus der Region Leipzig stammt.

Das Unternehmen Red Bull passt zur Ökonomisierungsideologie, stellt es doch körperliche Höchstleistung in seiner PR- und Werbestrategie stets in den Vordergrund. Der große, weltweite Erfolg des übersüßten Kunstgetränks lässt sich aber sicherlich auch erklären mit dem Erfolg einer Marketingstrategie, die sich kongenial in die neoliberale Leistungsgesellschaft einzubetten vermag. In Werbeanzeigen für das Getränk heißt es etwa: „Konzentriert bei Prüfungen“ oder „Die spezielle Formel und die einzigartige Kombination von Inhaltsstoffen wurde speziell für Zeiten erhöhter geistiger und körperlicher Anstrengung entwickelt“[1]. Die Werbung passt gut in ein Umfeld von Überforderung, Überstunden und dem Tanz auf dem schmalen Grat am Abgrund zum Burnout.

Neben Red Bull sind auch andere Sponsoren aus der Lebensmittel- und Lifestyle-Industrie – wie Coca-Cola, Ferrero oder McDonald’s – höchst zweifelhaft in ihrem gesellschaftlichen und vor allem gesundheitlichen Nutzen. Im Zuge der Fußball-Europameisterschaft (EM) 2016 wurde die Nationalmannschaft für eine Werbeaktion gemeinsam mit Sponsoren kritisiert, bei der sie für ungesunde Lebensmittel warb; und das mit einer zum Teil minderjährigen Zielgruppe. Damit wirkte die Mannschaft ihrem Vorbildcharakter entgegen, denn schließlich soll Sport ja ein gesundes Leben verkörpern und vermitteln. Die NGO Foodwatch warf der Fußballmannschaft vor, ihrer Vorbildrolle nicht gerecht zu werden. Die Diabetes Gesellschaft (DDG) rief die Mannschaft dazu auf, ihre Werbeverträge mit Coca-Cola zu kündigen. Die Forderungen prallten am Deutschen Fußballbund (DFB) ab; man benötige eben die „wirtschaftliche Unterstützung“ der „Sponsoren und Partner“ (Rötzer/Telepolis 2016). Laut Aussage des Kochs der Nationalmannschaft wird pikanterweise für die Fußballer selber „überwiegend stilles Wasser und Tee“ zubereitet.

Nicht nur Unternehmen, auch einzelne Personen der ökonomischen Elite mischen im Fußball mit, so etwa osteuropäische Oligarchen, die ganze Clubs kaufen. Dies ist international betrachtet eine weitere Dimension der Transformation des Fußballs nach den Prinzipien des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Wirtschaft­s­ideo­logie im Fußball

Von einigen Spitzenpersonen des deutschen Fußballs wird die „Selbstregulierung der Märkte“ anstelle von Sportgeist und Menschlichkeit gepredigt. Dies zeigt sich etwa bei Aussagen Oliver Bierhoffs in einem Interview mit dem Handelsblatt Mitte 2016 (Fröhlich/Handelsblatt 2016). Aus den Worten des Fußballfunktionärs lässt sich ablesen, wie tief die neoliberale Ideologie in den deutschen Spitzensport eingedrungen ist;[2] etwa wenn er sagt, dass er aus der Nationalmannschaft eine „Marke“ machen wolle. Bierhoff bezeichnet sich selber im Interview als „Produktmanager“ für das „Produkt“ Fußball:

„Wenn man es so nüchtern sehen will, ist die Nationalmannschaft eine Marke, ein Produkt, das sich stetig verändert. […] Bei unseren letzten Heimspielen waren die Stadien nicht immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Das heißt, dass die Menschen mit dem Produkt nicht wirklich zufrieden waren, dass es nicht gehalten hat, was es versprochen hat.“

Dass die Betrachtungsweise Bierhoffs keine Frage der Nüchternheit, sondern der politischen Ideologie ist, liegt auf der Hand. Er suggeriert mit seinen Aussagen, diese Sichtweise („Nüchternheit“) sei die einzig mögliche. Es handelt sich um ein rein ökonomisches Weltbild. Auf die folgende Frage des Handelsblatts, was ihm wichtiger sei, „die Liebe der Fans zu erhalten? Oder das Erwerbsstreben?“, lautet seine Antwort, er „glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Noch ist der Bedarf da“. Wichtig sei, „die Umsätze zu steigern“.

Auf die Frage, wofür die Mannschaft stehe, antwortet er: „Für Offenheit, Vielfalt, Toleranz. Aber auch für Leistungsbereitschaft, Siegeswillen, Erfolg.“ Zudem habe die Nationalmannschaft Empathie bewiesen, als sie die unterlegenen Brasilianer 2014 „in den Arm genommen“ habe. Die Aufzählung Bierhoffs, was die „Marke“ Nationalmannschaft ausmache, liest sich wie ein BWL-Lehrbuch. „Offenheit“ und „Vielfalt“ werden als Marketingspritzen für eine steile Wirtschaftsentwicklung gesehen. Die angebliche Empathie der deutschen Fußballnationalmannschaft wird für das Selbstmarketing verwertet; ganz so, als wäre es Mitleid, was die unterlegene Mannschaft aus der Dritten Welt gebrauchen könnte. Man habe sich sein „heutiges Image“ der Toleranz aufgebaut, schiebt der Fußballprofi hinterher. Kein Wort natürlich vom rassistischen Ausfall im Jahr 2014 nach dem Sieg über die argentinische Nationalmannschaft, als die deutsche Nationalelf eine inakzeptable Herrenmenschen-Polemik zur Schau stellte: „So gehen die Gauchos [gehen gebückt], So gehen die Deutschen [gehen aufrecht]“.[3]

Die von Bierhoff unterstellte Toleranz ist offensichtlich nur reines Kalkül und wird nicht aus Humanismus und Menschenfreundlichkeit heraus gelebt. Sie hat den Zweck, den „Wert der eigenen Marke“ zu erhöhen. Um die Menschen geht es ihm offenbar nicht. Wenn dann noch „Leistungsbereitschaft“, „Siegeswillen“ und „Erfolg“ dazukommen, dann könnte man ebenso von einem „Exportweltmeister Deutschland“ oder einer transnationalen Aktiengesellschaft anstelle einer Sportmannschaft sprechen.

Auf den Vorwurf, die Nationalmannschaft sei abgehoben und elitär, erwidert Bierhoff:

„Wir sind ein Premiumprodukt, ein Unternehmen, das für das Gesamtwohl des deutschen Fußballs auch kommerzielle Interessen verfolgt. In erster Linie haben wir ein schönes Ziel: Wir wollen Menschen glücklich machen. […] Der Profisport ist längst ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor.“

Es ist doch sehr zweifelhaft, wie die Nationalmannschaft dem Gesamtwohl des deutschen Fußballs dadurch „dienen“ soll, dass sie unternehmerisch handelt. Schließlich hat die Ökonomisierung dazu geführt, dass die Kosten für die Fußballübertragungen explodieren und folglich immer weniger Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen werden. Auch wird das eingenommene Geld nicht gerecht verteilt. Die weiblichen Profi-Fußballerinnen etwa bekommen nur einen verschwindend geringen Bruchteil dessen gezahlt, was den Fußball-Männern zufällt. Die Millionengehälter der Top-Spieler der 1. Männer-Bundesliga sind gesellschaftlich kaum zu rechtfertigen.

Auch die Aussage, man wolle mit Fußball die Menschen glücklicher machen, ist doch etwas zweifelhaft. Wenn Menschen ihr individuelles Glück nicht in selbst gewählten Tätigkeiten und der Entfaltung ihrer eigenen Kreativität oder Persönlichkeit suchen, sondern ihren Alltagsfrust und ihre Unbedeutsamkeit in der gesellschaftlichen Hierarchie dadurch kompensieren, indem sie prominenten Fußballmannschaften zujubeln oder sogar zu Hooligans mutieren, dann kann man wohl nicht wirklich von Glück im besten Sinne des Wortes sprechen. Auch wird niemand glücklich vom nationalistischen Taumel, der regelmäßig in die Unterscheidung von „wir Deutschen“ und „die anderen“ mündet. Wenn man im bierhoffschen Sinne die volkswirtschaftlichen Kosten des Nationalismus und des zum Teil mit ihm einhergehenden Chauvinismus gegen den „Glücksgewinn“ durch Fußball gegenrechnen würde, wäre die ökonomische Bilanz möglicherweise gar nicht so positiv.

Bierhoff war im Übrigen schon vor einigen Jahren mit der Zurschaustellung seines Weltbilds aufgefallen, als er sich mit der Aussage zitieren ließ: „Eliten sind keine besseren Menschen, sie sind aber auch nicht moralisch verwerflich, nur weil sie größere Fähigkeiten besitzen, als die Mehrheit der Bevölkerung.“

Nicht nur Bierhoff, auch der Fußballer Christoph Metzelder ist in der Vergangenheit durch neoliberale Ideologie in der Öffentlichkeit aufgefallen. Er engagierte sich für die Aktion „Einstig in Arbeit“ der wirtschaftsnahen Lobby-Organisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Seinerzeit hob er die für ihn hohe Bedeutung privater Stiftungen oder Kampagnen der INSM hervor. Die Verflechtungen Metzelders mit der Wirtschaftslobby wurden im Jahr 2008 in einem offenen Brief auf dem INSM-Watchblog kritisiert, schließlich setzt sich die Organisation massiv für die Demontage des Sozialstaats und für die Privatisierung und Ökonomisierung verschiedener Gesellschaftsbereiche ein (INSM Watchblog 2008).

Die beiden genannten Fußballer stellen sicherlich ideologische Extrembeispiele dar, viele andere stehen der Umwandlung des Fußballs in ein Unternehmen eher unpolitisch oder sogar kritisch gegenüber. Dennoch zeigen die hier zitierten Aussagen, wie die ökonomische Denkweise im Sport funktioniert.

Sehr viel Geld, noch mehr Geld

Die Deutsche Fußball-Liga DFL kassiert für Medienrechte inzwischen pro Jahr knapp 1,2 Mrd. Milliarden Euro. Allein für die ARD-Sportschau am Samstag und Sonntag gehen 134 Mio. Euro an die DFL (Manager Magazin, 2016).

Durch die öffentlich-rechtliche Gebührenzahlung wird das System überhöhter Kosten weiter gestützt, auch wenn in den letzten Jahren zunehmend viele Fußballrechte auf Privat- und Pay-TV-Sender übertragen wurden. Letzteres ist eine bedenkliche Entwicklung, denn wenn die Gesellschaft Fußball als gemeinschaftliches Event annehmen möchte, dann ist diese Form der Privatisierung natürlich sozial ungerecht; nicht jeder kann sich einen Pay-TV-Vertrag leisten. Es entstehen Gated Communities der Sportübertragung – eventuell auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Einige werden sich fragen, weshalb die Politik die Kosten der Fußballrechte nicht einfach deckelt. Dies liegt wohl am Glauben an den „überlegenen freien Markt“ und an der irrationalen Angst vor Eingriffen in denselben.

Inzwischen werden auch die Gehälter der öffentlich-rechtlichen Top-Moderatoren kritisiert. Neben Grundgehältern von einer Viertelmillion Euro kamen demnach hohe fünfstellige Boni für die Auftritte zweier Sportmoderatoren in Sportsendungen (Manager Magazin, 2016b). Viel bedenklicher sind aber, wie schon erwähnt, die Millionenbeträge, die jährlich an Fußballer ausgezahlt werden und die von der gesamten Gesellschaft finanziert werden. Es handelt sich also um eine Umverteilung von unten nach oben, was nicht neu ist. Die Eliten haben schon immer ihre Löhne selber festgelegt. Angespornt sieht man sich wohl auch von der Selbstbedienungsmentalität der Wirtschaftsmanager. Dazu passt der Ausspruch des ehemaligen SAP-Chefs Hasso Plattner, der sich darüber beschwerte, dass Eishockey-Spieler mehr Geld als er selber als SAP-Vorstandschef verdiene: „Wenn ein guter amerikanischer Eishockeyspieler mehr Geld verdient als der SAP-Vorstandschef, dann ist das ein Hinweis darauf, dass unsere Nation auf dem falschen Gleis ist“. Natürlich kein Wort davon, dass er selber immer noch das 120fache eines Ladenverkäufers verdient und dies natürlich ebenso ein Skandal ist. Man könnte auch sagen, die Gesellschaft ist auf dem falschen Gleis, wenn überhaupt irgend jemand, egal ob in Wirtschaft, Sport oder sonst wo, mehr als das 5-fache des Ärmsten verdient.

Auch andere verwenden Sport-Vergleiche, um die Leistungsgesellschaft zu propagieren. So etwa rechtfertigte der populäre Comedian Dieter Nuhr in seiner Show „Nuhr die Ruhe“ von 2012 [4] Elitismus und versuchte, die Ungleichheit von Menschen zu begründen, weil schließlich nicht alle Menschen die „100-Meter-Sprintmedaille“ bekommen könnten.

Sport und Körper in der Leistungs­ge­sell­schaft

Nicht nur auf der nationalen und internationalen Ebene findet sich die Verquickung von Elitedenken und Sport. In einer Studierendenzeitschrift zu einem Amateur-Wettbewerb namens „Elite Cup“ hieß es beispielsweise:

„Frisch poliert […] stand er auf dem Organisationstisch ganz oben auf der Tribüne: der Pokal, um den sich alles drehte – der Elite-Cup. […] Die Honors-Studenten schafften mit einem 2:0 Sieg gegen den Elitestudiengang Osteuropastudien den vorletzten Schritt hin zu ihrem klar formulierten Ziel […] Ein großer Dank geht abschließend an die Sponsoren – Wacker Chemie (Polo-Shirts) und die Techniker Krankenkasse (Platzmiete, Preise für die ersten drei Mannschaften).“

Aufstieg, Elite und Wettbewerb sind die maßgeblichen Vokabeln solcher PR-Texte. Sport wird schon auf der untersten Ebene des Amateursports ökonomisch und eliteorientiert vermittelt. Worte wie Spielspaß oder Fairplay kommen weniger vor. Auch wird die Verquickung von Wirtschaft und Sport als normal dargestellt (Elitenetzwerk Bayern 2008).

Nach der großen Banken- und Wirtschaftskrise sind die Vokabeln in solchen Artikeln sicherlich etwas milder geworden. Elitäres Denken ist aber auch in den Gesellschaftsschichten jenseits der Eliten weiterhin stark verankert. Viele Eltern bemühen sich darum, ihre Sprösslinge günstig im „Wettbewerb“ zu positionieren. Auf einem lokalen Werbeplakat für eine Kinder-Fußballmannschaft heißt es dann etwa: „Auf dem Weg zur Spitze“ oder „leistungsorientiertes Training“ für Kinder. Überhaupt werden Kinder schon früh auf die körperliche Leistungserbringung und den Vergleich mit anderen konditioniert; ob nun über Sportvereine, benoteten Sportunterricht in der Schule oder Zwangswettbewerbe wie die Bundesjugendspiele.

Auch Arbeitnehmer gehören zur Zielgruppe von Werbekampagnen, die auf den Körper in der Leistungsgesellschaft abzielen. Das Unternehmen FitnessFirst etwa warb mit:

„Wusstest du, dass bereits wenige Stunden Sport in der Woche zu Stressabbau führen und dein Wohlbefinden und deine Leistungsfähigkeit im Arbeitsalltag steigern?“

Beim Rückentrainings-Dienstleister KIESER TRAINING hieß es:

„Ein starker Körper leistet mehr“ und „steigert die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit […] gibt Energie für Studium, Beruf und Sport“.

Über Sportdienstleistungen wird die Freizeitgestaltung der Menschen zum Zweck höherer Leistungserbringung im Job instrumentalisiert. Zugleich soll Sport dazu beitragen, die Symptome der Überforderung zu überspielen, die das häufig sinnlose, qualvolle Arbeitsleben im kapitalistischen Normalsystem mit sich bringt.

Auch ganz unerwartete Entwicklungen sind Teil der beschriebenen Gesamtproblematik. So werben etwa Pharmakonzerne bei jungen Frauen dafür, dass sie ihre Regelblutungen dauerhaft unterbinden. Sie sollen mit Chemikalien bzw. künstlich hergestellten Hormonen die Funktion des Körpers „optimieren“. Es greift an dieser Stelle eine ökonomische Betrachtungsweise, die besagt, man müsse seinem angeblich unzureichend optimierten Körper auf die Sprünge helfen. Beim Magazin SPIEGEL huldigte man in einer Titelgeschichte dieser Mainstream-Ideologie, indem man den „Sieg über die Gene“ proklamierte (SPIEGEL 2010). Dazu passen Menschen, die Selftracking und Lifelogging betreiben. Im spielerisch dargestellten Wettbewerb mit Fitnessarmbändern und bonbonbunten Auswertungsgrafiken, welche durch die zugehörige Software generiert werden, geht es nicht nur darum, selber fitter, sondern auch fitter als die anderen zu werden, was durchaus übliche Motivationsstrategie in Wettbewerbssystemen ist.

Hohe Leistungsanforderungen und Überforderung in Beruf, Bildung und Freizeit führen nachweislich zu Krankheiten. Hierzu zählen auf der rein körperlichen Seite etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder langfristig Krebs. Auf der psychischen Seite sind es vor allem das Burnout-Syndrom, aber auch zahlreiche andere Erkrankungen wie vor allem Depressionen.

Anstatt Entschleunigung zu fördern, wird die Geschwindigkeit in unserer Gesellschaft immer weiter erhöht. Zeitgleich werden künstliche Stimulanzien und eine allgemeine Fortschrittsgläubigkeit über Anzeigen beworben. Im Sog der universellen Wachstumsideologie verschwimmen die Grenzen zwischen materiellen Produktionsfaktoren und lebendigen Menschen zunehmend. Die Steuerung wirtschaftlicher Prozesse wird auf den Sport und das „Managen“ des Menschen übertragen.

Dazu kommt, dass sich alle möglichen Arten von Doping im Sport neuerdings auch zunehmend in der Gesellschaft insgesamt ausbreiten. Darauf hat etwa Wolfgang Götz hingewiesen (Deckers/FAZ 2015). Der Drogenexperte fasste in einem Interview prägnant zusammen, wie die neoliberale Ideologie zum Konsum leistungssteigernder Drogen beiträgt:

„Früher waren Rauschgifte gefragt, um der Realität zu entfliehen. Mit dem Aufschwung des Neoliberalismus wurden stimulierende Drogen wie Kokain und Amphetamine attraktiv. […] Gut möglich, dass in einer kompetitiven Gesellschaft, in der Doping nicht mehr auf den Sport beschränkt bleibt […] Die legale Seite dieses Trends heißt Energydrinks und andere Fitmacher.“

Abschlie­ßende Bemerkungen

An der Kommerzialisierung des Fußballs sind einige gesellschaftliche Trends exemplarisch ablesbar. Unverkennbar ist, wie sehr der Fußball ganz im Sinne des alten Roms Teil einer Brot-und-Spiele-Maschinerie ist, welche die negativen Seiten des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems überdecken hilft: die Konzentration von Reichtum aufseiten der schmalen Oberschicht und der Sporteliten sowie die anwachsende soziale Ungerechtigkeit. Zugleich hilft der Fußball, das Bruttoinlandsprodukt zu erhöhen, indem alle ökonomischen Verwertungspotentiale ausgeschöpft werden; ganz gleich, ob das nun im Sinne der Menschen ist, oder nicht.

Immer da, wo Macht und große Mengen Geld in Kombination auftreten, kommt es auch zur Korruption, wie am Weltverband des Fußballs FIFA bestens ablesbar ist. Die FIFA selber ist zudem einer der großen Vorreiter, wenn es um die Ökonomisierung des Fußballs geht, etwa in Bezug auf die vielfach kritisierten restriktiven Markenrechte am Namen „FIFA Fußball-Weltmeisterschaft™“[5]. Die Korrumpiertheit passt zum moralischen Anspruch einer gesellschaftlichen Elite, die nur einen Wert anerkennt – nämlich den Wert des Geldes. Und so darf sich niemand wundern über ein elitäres System des Fußballs, das finanziert wird von Sponsoren, die Produkte bewerben, welche der Umwelt (Mercedes-Benz) oder der Gesundheit schaden (McDonald’s, Coca-Cola), aber auch die Spielsucht fördern (ODDSET Sportwetten).

Unterhalb der Eliten macht sich zeitgleich ein Wettbewerb zwischen Menschen breit, der die gesellschaftliche Atmosphäre vergiftet. Die Vereinzelung und Auflösung gesellschaftlicher Solidarität wird durch die zunehmend neoliberale „Sozialpolitik“ weiter verstärkt, die zum Trend der elitären Umgestaltung der Gesellschaft passt – mit exorbitant hohen Gehältern für die Spitzensportler_innen, für deren dekadenten Reichtum die Gesellschaft zahlt. Als Überdruckventil für die generelle Unzufriedenheit in den unteren Schichten dienen Gewaltexzesse und Nationalismus, die rund um den Fußball zur beunruhigenden Normalität werden. Der Autor Arno Kleinebeckel nennt dies passend „Eine toxische Gärung, die sich ‚Fußballfieber‘ nennt.“ (Kleinebeckel/Telepolis 2016).

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Prinzipien der Wirtschaft fast vollständig auf einen weiteren Gesellschaftsbereich übertragen worden sind. Das kapitalistisch-neoliberale System macht keinen Halt vor Sport bzw. Fußball. Widerstand gegen den gesellschaftlichen Trend ist kaum erkennbar. Und so muss befürchtet werden, dass der Fußball dem Zugriff der Zivilgesellschaft zugunsten der Gesetze des Marktes bereits weitgehend entzogen wurde. An die Stelle eines sportlichen Wettbewerbs von Regionen, Städten oder Ländern ist der Wettbewerb einer globalisierten Weltwirtschaft getreten. Damit ist der Fußball nur eine weitere Branche im Wettlauf um Wirtschaftswachstum und ökonomische Dominanz.

CHRISTOPHER STARK   Jahrgang 1982, promoviert zur Zeit an der Universität Hamburg im Bereich der Geographie (Diplom 2011). Freier Autor und politisch aktiv in außerparlamentarischen Netzwerken; Engagement für mehr Basisdemokratie und gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Sein erstes Buch „Neoliberalyse – über die Ökonomisierung unseres Alltags“ erschien 2014 im Wiener Mandelbaum Verlag. Sein aktuelles Buch zu Diskurs und Nebenwirkungen rund um hormonelle Verhütungsmittel erscheint 2018 im Orlanda Verlag, Berlin.

Literatur / Quellen

Deutscher Fußball-Bund e.V. 2018: Startseite des Internetauftritts. Abrufbar unter www.dfb.de, Zugriff: 3.3.2018.

Deckers, D.: Interview mit Wolfgang Götz, FAZ vom 23.10.2015.

Elitenetzwerk Bayern 2008: [Inhalt nicht mehr abrufbar]. Ehemals abrufbar unter www.elitenetzwerk.bayern.de/475.0.html (Zugriff: 18.07.2008)

Fröhlich, D.: „OLIVER BIERHOFF – ‚Wir sind ein Premiumprodukt’“, Handelsblatt vom 13.06.2016.

INSM Watchblog 10.08.2008: Einstieg in Arbeit: Offener Brief an Fußball-Nationalspieler Christoph Metzelder und die Christoph Metzelder Stiftung. Abrufbar unter: https://insmwatchblog.wordpress.com/tag/christoph-metzelder.

Kleinebeckel, A.: Brot und Spiele in Zeiten des Terrors. Telepolis.de vom 17.06.2016, abrufbar unter: https://www.heise.de/tp/features/Brot-und-Spiele-in-Zeiten-des-Terrors-3380165.html.

Manager Magazin 09.06.2016: DFL kassiert erstmals mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr. Abrufbar unter: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-1096717.html.

Manager Magazin 29.06.2016: Wirbel um Honorare von Fußball-Experten – „Bild“ veröffentlicht Gehaltsliste. Abrufbar unter: http://www.manager-magazin.de/koepfe/tv-experten-mehmet-scholl-und-oliver-kahn-sollen-millionen-kassieren-a-1100200.html.

Rötzer, F.: Werbekampagne für „Ungesundes“: Foodwatch wirft DFB und Nationalspieler Doppelmoral vor. Telepolis.de 14.06.2016, abrufbar unter: https://www.heise.de/tp/features/Werbekampagne-fuer-Ungesundes-Foodwatch-wirft-DFB-und-Nationalspieler-Doppelmoral-vor-3380077.html.

Wikipedia: Fußballstadien in Deutschland. Abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_gr%C3%B6%C3%9Ften_Fu%C3%9Fballstadien_in_Deutschland, Stand/Zugriff: 03.03.2018.

Anmerkungen:

1. S. auch: https://neoliberalyse.de/index.php/60-medienanalysen/192-harte-drogen-fuer-die-leistungsgesellschaft

2. Eine ausführlichere Analyse des Interviews findet sich unter: https://neoliberalyse.de/index.php/medialyse-2/journalistisches-2/212-fussball-kommerzialisierung-im-kopf

3. S. Video: https://youtu.be/BLpFpzzRYtY?t=28s

4. S. auch https://neoliberalyse.de/index.php/textelyse-2/neoliberale-texte/155-dieter-macht-doch-nuhr-spass

5. S. auch: http://de.fifa.com/about-fifa/marketing/brand-protection/intellectual-property.html

Dateien

nach oben