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Die Treuhand­an­stalt – ein deutsch-­deut­sches Trauma

in: vorgänge Nr. 230 (2/2020), S. 19-27

Die Geschichte der Treuhand ist spannend – nicht nur weil es einen Kriminalroman gibt, der sie zum Gegenstand hat („Die blaue Liste“), sondern weil sich daran die Zweiteilung der 89/90er Revolution zeigt: die Entwicklung bis zur Wahl am 18.3.1990 gestaltet von der Modrow Regierung, getrieben vom Runden Tisch und der Bevölkerung der DDR; und der Zeit nach dem 18.3.1990, die Übernahme der DDR durch die BRD. Der Autor zeigt auf, dass das ursprüngliche Konzept der Treuhandarbeit nach dem 18. März 1990 in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR und ihrer Eingliederung in die BRD sorgt das Wirken der Treuhandanstalt für heftige Diskussionen. So sind selbst in den letzten Jahren eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich mit der Treuhand befassen. Hervorzuheben ist insbesondere die sehr ausführliche zeithistorische Studie von Marcus Böick, die 2018 erschien, und auf die auch hier öfter Bezug genommen wird.[1] Die Rosa Luxemburg Stiftung hat letztes Jahr anlässlich des dreißigjährigen Jahrestages der politischen Wende in der DDR eine Ausstellung mit dem Titel „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“ organisiert.[2] Wie der Titel bereits ausdrückt, werden damit persönliche Schicksale von Menschen dargestellt, die unmittelbar mit der Treuhand zu tun hatten. Es handelt sich um Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen und Qualifikationen, quer über nahezu alle wirtschaftlichen Sektoren. Die Bilanz ist bedrückend. Berichtet wird u.a. von einer Ingenieurin, deren Qualifikation plötzlich wertlos war; vom Schlosser auf einer Werft, der zum Wanderarbeiter wurde; von einem, der als „Held der Arbeit“ arbeitslos wurde; von einem, der aufgrund seiner Arbeitslosigkeit zum Obdachlosen wurde, um nur einige Beispiele zu nennen. Nahezu alle erlebten nicht nur einen beruflichen Abstieg, sondern auch persönliche Demütigungen. Viele fühlten sich um ihre Lebensleistung betrogen. Einige kamen gar nicht mehr auf die Beine. Freilich gibt es auch Beispiele von Widerstand, wobei besonders der Kampf um das Kaliwerk Bischofferode herausragt. Und manche schafften es tatsächlich, wieder in leitende Stellungen zu gelangen – sei es als eigenständige Unternehmerin/Unternehmer oder als Betriebsleiter. Doch das waren nur wenige.

Kein Wunder, dass der Begleittext sehr kritisch mit der Treuhandanstalt umgeht – nicht nur weil es sich dabei um Autoren handelt, die in der DDR leitende politische Funktionen hatten und sich für einen Reformsozialismus einsetzten, sondern weil eben die Bilanz der Treuhand in der Tat sehr negativ ist. Zahlreiche Betriebe wurden vernichtet, Millionen von Arbeitsplätzen blieben auf der Strecke und ihre eigene Bilanz endete mit einem milliardenschweren Verlust. Stellvertretend das Urteil von Christa Luft, die 1989/1990 Wirtschaftsministerin in der Regierung Modrow war: „Mit wachsendem Zeitabstand verblasst das Wissen darum, dass es die ‚Treuhand‘ 1990 in zwei grundverschiedenen Ausrichtungen gab: zum einen die am 1. März auf Beschluss der Modrow-Regierung gegründete, mit dem Auftrag, das Volkseigentum der DDR im Interesse ihrer Bürger zu bewahren; zum anderen die von der Regierung de Maizière zu verantwortende und von der frei gewählten Volkskammer als Gesetz beschlossene. In dieser ab 1. Juli 1990 wirksamen Treuhandanstalt führten bereits Westdeutsche das Zepter. Sie war das Pendant zur Währungsunion und zielte auf die rasche Privatisierung des Volksvermögens. Für mich steht diese zweite Treuhand für die größte Vernichtung von Produktivvermögen in Friedenszeiten.“[3] Ob das tatsächlich zutreffend ist, wird kaum zu beantworten sein, weil es keine wirklich seriöse Einschätzung des Werts des Produktivvermögens der DDR gibt. Denn dies hängt wesentlich vom wirtschaftlichen Gesamtkontext ab. Die DDR-Wirtschaft war völlig anders strukturiert und unterlag einer völlig anderen volkswirtschaftlichen Rechnung und kann nicht mit einer marktwirtschaftlichen, oder besser gesagt mit einer kapitalistischen Wirtschaft wie der BRD verglichen werden. Hinzu kommt die Wechselkursproblematik. „Als die DDR-Bürger am 1. Juli 1990 die heiß begehrte D-Mark erhielten, hatte das ‚Volkseigentum‘ wegen des unrealistischen Umtauschkurses über Nacht seinen Wert verloren. Aus Vermögen wurden Lasten … Letztlich haben die DDR-Bürger die D-Mark mit ihrem ‚Volkseigentum‘ bezahlt“.[4] Während die einen die Wirtschaft der DDR als nahezu wertlos einschätzten, weisen andere darauf hin, dass im internationalen Vergleich die DDR sich unter den 10 bis 20 größten Industrienationen befand. Derartige Vergleiche hinken freilich.

Entwicklung der Treuhand

Zurecht weist Christa Luft darauf hin, dass die Ausrichtung der Treuhand sehr unterschiedlich war und sich schon bald erheblich veränderte. Am 1.3.1990 beschloss der Ministerrat der DDR die Gründung der „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ (THA). Nach dem Willen der Regierung Modrow sollte die THA das Volkseigentum wahren und im Interesse der Allgemeinheit verwalten. Sie sollte selbst keine wirtschaftlichen Leitungsfunktionen ausüben, sondern war hauptsächlich auf die Entflechtung der Kombinate und der Umwandlung in Kapitalgesellschaften ausgerichtet. Doch das Wirken dieser ersten Treuhandanstalt war nur von kurzer Dauer. Mit der Regierung de Maizière, die der Regierung Modrow nachfolgte, veränderte sich das Wirken der Treuhand grundlegend. Im Treuhandgesetz vom 17.6.1990 heißt es in § 1 kurz und bündig: „Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren.“ Und in § 2: „Die Treuhandanstalt ist eine Anstalt öffentlichen Rechts. Sie dient der Privatisierung und Verwertung volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft.“ Ziel war es, eine Anpassung an die Strukturen der Marktwirtschaft durch Herausbildung wettbewerbsfähiger Unternehmen vorzunehmen. Unternehmen, die sich nicht als sanierungsfähig erwiesen, sollten stillgelegt und ihr Vermögen verwertet oder liquidiert werden. Nicht mehr Sicherung des Volksvermögens stand im Zentrum, sondern die Einpassung der Wirtschaft der DDR in die Marktwirtschaft. Leitlinie war die vom damaligen Präsidenten der Treuhand Detlev Rohwedder geprägte Formel: „Schnelle Privatisierung, entschlossene Sanierung, behutsame Stilllegung“. Es ist klar, dass die Praxis der Treuhand nach Ablösung der Regierung Modrow und dem von der Volkskammer angenommen Gesetz zur Treuhand kaum noch etwas mit den Absichten zu tu hatte, die dem ersten Treuhandansatz zu Grunde lagen. Es ging nur noch um Privatisierung. Allerdings waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen äußerst schwierig. Denn durch die Währungsunion und auch durch das Wegbrechen von Exportmärkten wie der Sowjetunion und anderen RGW-Staaten waren die DDR-Wirtschaft und ihre Betriebe erheblich angeschlagen. Ihre Tätigkeit war vor allem auf Privatisierung gerichtet in dem (Irr)Glauben, dadurch die nötigen Mittel für die Restrukturierung der Betriebe zu erwirtschaften. „Bereits zehn Tage nach der Währungsunion fielen rund 5.000 der etwa 8.000 Treuhandbetriebe in der DDR in die Zahlungsunfähigkeit.“[5] Diese Strategie der Sanierung der Wirtschaft durch Privatisierung war ein Grundfehler. Die Art und Weise, wie diese durchgeführt wurde, machte die Sache allerdings noch schlimmer.

 

Der erste Präsident der Treuhand war Reiner Maria Gohlke, vormaliger Präsident der Deutschen Bundesbahn und ehemaliger IBM-Manager. Er plante die Einführung von vier Treuhand-Aktiengesellschaften im Bereich der Schwerindustrie, der Investitionsgüter, Konsumgüter und Dienstleistungen. Er war nur kurz im Amt und wurde von Detlev Rohwedder, dem ehemaligen Manager des Stahlkonzerns Hoesch, abgelöst. Dieser hielt von der Planung Gohlkes nichts. „Er hoffte, gutgehende DDR-Unternehmen schnell an den Mann zu bringen, und mit dem eingenommenen Geld den Rest zumindest so weit zu sanieren, dass sie verkaufsfähig würden. In der Treuhand unter seiner Leitung herrschte die Auffassung, ein Drittel der Betriebe wäre überlebensfähig, ein weiteres Drittel müsse vor dem Verkauf saniert werden, und das letzte Drittel würde untergehen. Der Plan ging nicht auf.“[6] Während Rohwedder immerhin noch die Sanierung für wesentlich hielt, was allerdings kaum gelang und zumeist in Zerschlagung endete, konzentrierte sich seine Nachfolgerin Birgit Breuel vollständig auf die Privatisierung, die sie entsprechend ihrem ultraneoliberalen Credo für die beste Form der Sanierung hielt. Dieser Auffassung war allerdings auch schon ihr Vorgänger Rohwedder, wenn er auch etwa weniger strikt war als Breuel.

Praxis­bei­spiele und Ergebnisse

Die Privatisierungsstrategie war alles andere als erfolgreich. Dies zeigt der Fall Pentacon gleich zu Beginn der Einheit. Deren Spiegelreflexkamera Practica hatte einen Weltmarktanteil von 10 Prozent. Doch stellte sich bald heraus, dass unter den neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Herstellung viel zu teuer war. Deshalb legte die damalige Unternehmensleitung ein Sanierungskonzept vor. Dies wurde von der Treuhand jedoch nicht akzeptiert. Das Unternehmen mit 5.700 Beschäftigten wurde liquidiert. Als ein Fehlschlag erwies sich auch die zunächst vielversprechende Privatisierung der Hotelkette Interhotel, bei der ein Zusammenschluss mit der Steigenberger Gruppe vorgesehen war. Die Treuhand wollte die zwischen den beiden Gruppen abgeschlossenen Verträge rückgängig machen, weil sie der Treuhand zu wenig Geld einbrachten. Die Verträge wurden letztlich gerichtlich für ungültig erklärt und die Interhotels an die Klingbeil-Gruppe verkauft. Diese hatte sich jedoch damit übernommen, so dass Gläubigerbanken die Mehrheit der Hotelgruppe übernahmen und diese dann Stück für Stück verkauften.[7]

Auch weitere Übernahmen waren letztlich keine Erfolgsgeschichte. Dies gilt insbesondere für die Werften in Rostock, Stralsund und Wismar, die von der Bremer Vulkan übernommen wurden. Doch die Vulkan ging in Konkurs. Die Treuhand-Nachfolgerin BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) versuchte die Ostwerften aus der Vulkan-Konkursmasse durch erneute Privatisierung zu retten. Es fanden mehrere Verkäufe statt, die mit einem drastischen Arbeitsplatzabbau einher gingen. Obwohl als wichtiger industrieller Kern eingeschätzt, wurde die einst große und bedeutende Werftindustrie der DDR so abgewickelt, dass von ihr nur wenig übrig bleib und zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet wurden. Dies hatte erhebliche negative Auswirkungen auf die regionale Entwicklung. Ein anderes Beispiel für einen zerschlagenen „industriellen Kern“ ist das Magdeburger Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“ (SKET), dessen Privatisierung und Sanierung scheiterten. Von den ehemals 30.000 Beschäftigten blieben zum Schluss ein paar Hundert übrig.

Westdeutsche Konzerne spielten bei der Privatisierung und der Übernahme von ehemaligen DDR-Unternehmen eine zum Teil recht unrühmliche Rolle. Dies gilt auch für die Bremer Vulkan, die nach dem Urteil des Pressechefs der Meeres-Technik-Werft Wismar „uns gnadenlos abgezockt (hat)“[8]. Auch wollte man unliebsame Konkurrenz ausschalten. Ein krasses Beispiel dafür ist das Kühlschrankwerk VEB dkk Scharfenstein im Erzgebirge. In diesem Werk wurde der erste FCKW-freie Kühlschrank hergestellt. Diese neue Technik wurde auch von den großen westdeutschen Haushaltsgeräteherstellern wie Bosch, Siemens oder Liebherr übernommen. Gegen Foron, wie die Nachfolgefirma des VEB dkk hieß, wurde eine Kampagne mit nicht haltbaren Vorwürfen gestartet und da sie sich ihre Erfindung nicht patentieren ließ, ging sie 1996 pleite.

Doch es gab auch Widerstand gegen die Politik der Treuhand. Ein herausragendes Beispiel stellt der Kampf um das Kaliwerk in Bischofferode in Thüringen dar. Die Thüringer Kaligruben wurden an die zur BASF gehörenden Kali und Salz AG verkauft, wobei Anfangsverluste zum ganz überwiegenden Teil von der Treuhand getragen werden sollten. Das Unternehmen galt als ertragreich, hatte aber im Vergleich zu westdeutschen Gruben eine viel zu große Belegschaft. So kam es zu Entlassungen. In Bischofferode wurde die Belegschaft von 1.990 auf 750 reduziert. Als die Schließung beschlossen wurde, regte sich heftiger Widerstand bis hin zum Hungerstreik. Geschlossen wurde die Grube dennoch. Doch der Kampf der Kali-Kumpel wurde zum Symbol für den Kahlschlag der Wirtschaft in Ostdeutschland.

Im Zuge dieser Privatisierungswelle tummelten sich auch zahlreiche Spekulanten, deren Bonität durch die Treuhand nicht immer überprüft wurde. Es gab auch richtige Ganovenstücke. So bei der Niederlassung der Treuhand in Halle. „Ans Tageslicht gelangte ein in der weitgehend regellosen Treuhand-Frühzeit gewachsenes Korruptionsgeflecht rund um die bereits Ende September 1992 geschlossene Niederlassung, in der führende Manager, schwäbische Investoren und ostdeutsche Gewährsmänner den Privatisierungsprozess Dutzender Unternehmen massiv manipuliert hatten … Der Skandal um die Hallenser Niederlassung erwies sich … auch deshalb als gravierend, weil es sich eben nicht um einen Einzelfall handelte, der sich mit individuellem Fehlverhalten erklären ließ.“[9]

Natürlich gab es auch einige Erfolge. Dazu zählt etwa die Übernahme des VEB Synthesewerk Schwarzheide durch die BASF mit umfangreichen Investitionen zur Sicherung von 4.900 Arbeitsplätzen. Im Chemie-Schwerpunkt Leuna engagierte sich der französische Konzern Elf Aquitaine, der allerdings später wegen internationaler Schmiergeldaffären in die Schlagzeilen kam. Als Erfolg gilt die Ansiedlung von VW in Zwickau und Daimler-Benz in Ludwigsfelde, die allerdings keine Privatisierungen, sondern Neuansiedlungen waren. Einen besonderen Schwerpunkt stellte auch Carl Zeiss in Jena dar, wobei es allerdings erhebliche Probleme im Verhältnis zwischen Zeiss-Ost und Zeiss-West gab, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Oberkochen gegründet worden war, und damit zwischen Thüringen und Baden-Württemberg. Zwar gab es auch in Jena einen massiven Arbeitsplatzabbau, doch blieben letztlich Jenoptik und Carl Zeiss Jena mit Geldern des Landes und vor allem der Treuhand in Thüringen erhalten.

Trotz einiger durchaus positiver Beispiele fällt die Bilanz verheerend aus

So wird in einer Sendung des MDR festgestellt: „Unter teils dubiosen Umständen verscherbelt die Treuhand rund 50.000 Immobilien, knapp 10.000 Firmen und mehr als 25.000 Kleinbetriebe. Dass sie in zahllosen Fällen weder die Bonität der Käufer prüfte noch die Einhaltung der Verträge überwachte, ist aktenkundig … 1994 wird die Treuhand geschlossen. Ihre Bilanz: mehr als drei Millionen vernichtete Arbeitsplätze und ein Schuldenberg von sage und schreibe 264 Milliarden D-Mark.“[10] Und in der gleichen Sendung wird zudem festgestellt: „Die Geschichte der Treuhand ist aber vor allem eine Geschichte einer gigantischen Umverteilung: Das einstige Volkseigentum ist zu 85 Prozent an Westdeutsche, zu 10 Prozent an internationale Investoren und nur zu knapp 5 Prozent an Ostdeutsche übertragen worden. Eine Umverteilung, wie man sie noch kaum jemals in der Weltgeschichte gesehen hat. Ein Witz im Osten ging damals so: ‚Die Ereignisse von 1989 sind tatsächlich eine Revolution gewesen! – Warum? – Na ja, Karl Marx hat doch geschrieben, dass eine Revolution zur völligen Umwälzung der Besitzverhältnisse führt.“[11] Sicherlich sind die Urteile über die Treuhand umstritten und von Manchen wird das Wirken der Treuhand als erfolgreich oder zumindest alternativlos bezeichnet. Wie man auch immer die Politik der Treuhand bewerten mag, eine Erfolgsgeschichte ist sie nicht. Und es kann nicht bestritten werden, dass es in der ehemaligen DDR, wesentlich mit verursacht durch die Treuhandanstalt, zu einer umfassenden Deindustrialisierung kam, was auch zur Folge hatte, dass zahlreiche Menschen, insbesondere Junge und Qualifizierte, ihre Heimat verließen und in den Westen abwanderten. Tatsache ist auch, dass die heutige Wirtschaft in Ostdeutschland wesentlich durch westdeutsche Konzerne bestimmt wird, und dass das Management überwiegend aus dem Westen kommt. Dies, verbunden mit erheblichem Einfluss Westdeutschlands auch auf die Kultur, führt mit dazu, dass sich viele in Ostdeutschland als Menschen zweiter Klasse fühlen.

Gab es Alter­na­ti­ven?

Angesichts der negativen Bilanz der Treuhand fragt sich, ob es Alternativen zu ihrem Wirken gegeben hätte. Es wurde schon zu Beginn darauf hingewiesen, dass sich der Auftrag der Treuhand nach ihrer Gründung bald radikal änderte. Nicht mehr der Erhalt des Volkseigentums stand im Vordergrund, sondern die Privatisierung. Damit einher gingen auch unterschiedliche wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzepte. Die Zielsetzung und Konstruktion der Treuhandanstalt unter der Regierung Modrows war mit einer reformsozialistischen Diskussion verbunden. Der Markt wurde als wesentlich für eine effiziente wirtschaftliche Entwicklung anerkannt, doch war damit nicht zugleich auch die Anerkennung des Kapitalismus verbunden. Markt und Wettbewerb sollten auch in einer ansonsten sozialistischen Gesellschaftsordnung ihren Platz haben. Die eingesetzte Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform legt im Februar 1990 ein Konzept vor, wo sie als Ziel den Übergang von der zentralen Kommandowirtschaft hin zu einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft angab. „Herzstück des Reformkonzepts war ein wirtschaftspolitischer Katalog von ‚unmittelbaren Maßnahmen der Wirtschaftsreform im Jahre 1990‘, der sechs Schritte umfasste: Neben der ‚Entfaltung verschiedener Eigentumsformen‘ waren dies die weitgehende ‚Selbständigkeit‘ der Betriebe, die Reduktion staatlicher Planmaßnahmen, die Freigabe der Preise und des Finanzsystems, der Aufbau eines neuen Lohn- und Einkommenssystems sowie einer staatlichen Arbeitsvermittlung.“[12] Zudem gab es Überlegungen, durch Ausgabe von Anteilsscheinen das Volkseigentum wirklich dem Volk zurückzugeben. Diese Vorschläge wurden auch am „Runden Tisch“ diskutiert und großenteils positiv aufgenommen. Doch die Diskussion um eine andere als eine kapitalistische Ausrichtung und damit um einen dritten Weg zwischen dem planwirtschaftlichen Sozialismus und einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung wie der der BRD fand durch die Einführung der Währungsunion rasch ein Ende. „Die überraschende Offerte der Bundesregierung zu einer ‚Währungsunion mit Wirtschaftsreform‘ sollte die bislang noch intensiv diskutierte ‚Systemfrage‘ nach dem Ziel des Wirtschaftsumbaus endgültig beantworten.“[13] Insbesondere die Währungsunion bedeutete letztlich, dass mögliche Alternativen, wie sie unter den Reformsozialisten und auch anderen Linken diskutiert wurden, keine Chancen auf Realisierung hatten.

Der mit der Währungsunion verbundene Wechselkurs von 1:1 beeinflusste die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Er erwies sich für die DDR-Wirtschaft als äußerst verhängnisvoll. Dies wurde in jener Zeit auch von Teilen der oppositionellen Sozialdemokratie so gesehen. Es war vor allem Oskar Lafontaine, der vor einer zu schnellen Einführung der D-Mark warnte. Dabei verwies er auf die Erfahrungen mit der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik, wo eine schrittweise Umstellung der Währung die wirtschaftliche Integration begünstigte. Doch die Bedenken griffen nicht. Die Entscheidung für die sofortige Einführung war sowohl von der Politik als auch von der Bevölkerung gewollt. Politisch erschien dies alternativlos. Und dies um so mehr, als die Währungsunion zugleich mit der Vorstellung eines dann stattfindenden Wirtschaftswunders verbunden war. Rekurriert wurde dabei auf die Erfolgsgeschichte des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in der BRD, verbunden mit Ludwig Erhard und der Währungsreform von 1948 mit den anschließenden wirtschaftlichen Weichenstellungen. Die Bonner Ministerialbürokratie hatte gesiegt. „Letztlich waren die Bonner Ministerialbeamten der Marschroute gefolgt, die sie im Januar und Februar aus Ludwigs Erhards Essay herausgefiltert und in die politische Gegenwart appliziert hatten. Man setzte auf eine schnelle Währungsunion, das freie Spiel der Kräfte, Privateigentum sowie Preisbildung und suchte dabei weitgehend staatliche Planungen und zentrale Regulierungen zu vermeiden.“[14] Man wähnte, 1990 in der gleichen Situation wie zu Beginn der BRD zu sein. Das war ein schwerwiegender Irrtum. Doch die Weichen waren gestellt. Die Wirtschaftsordnung der BRD wurde vollständig auf die DDR und ihre Betriebe übertragen. Besiegelt wurde dies mit dem Staatsvertrag vom 18. Mai 1990. Die „Soziale Marktwirtschaft“ wurde als verbindliche Wirtschaftsordnung festgeschrieben und somit jede Systemalternative wie ein „Dritter Weg“ oder auch Konzeptionen eines graduellen wirtschaftlichen Übergangs ausgeschlossen.

 

Der Kardinalfehler in der Politik der Treuhand bestand darin, dass sie ausschließlich auf Privatisierung und Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit setzte. Angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit der für die Unternehmen verhängnisvollen Währungsunion war eine Sanierung aus den bestehenden Unternehmen heraus kaum möglich. Darauf wurde auch zu wenig Wert gelegt. Man handelte nach dem Motto: Hauptsache Privatisierung – dann wird es schon gelingen. Dies wurde in gewisser Weise auch durch eine Mentalität bei Beschäftigten begünstigt, die in neuen Investoren oft die Rettung sahen und dann erleben mussten, dass es diesen zum allergrößten Teil nur um den Profit ging. Mit den Widersprüchen einer kapitalistischen Unternehmensführung hatten sie keinerlei Erfahrung. Entscheidend war allerdings, dass es an einer Einbettung der Unternehmen und ihrer Sanierung in übergreifende regionale Strukturpolitik fehlte. Es gab überhaupt kein industriepolitisches Konzept. Schon früh hatten z.B. die linken Wirtschaftswissenschaftler Jan Priewe und Rudolf Hickel auf Industriepolitik als Alternative zur reinen Privatisierung aufmerksam gemacht. „Um den Niedergang der ostdeutschen Industrie aufzuhalten, boten sich grundsätzlich zwei mögliche Ansätze an: Die Schaffung neuer, moderner Unternehmen in zukunftsträchtigen Branchen mit den damit verbundenen rentablen und dauerhaften Arbeitsplätzen oder die Erhaltung der bestehenden industriellen Strukturen durch eine industriepolitische Strategie.“[15]

Der zunehmenden industriepolitischen Diskussion konnte sich auch die Treuhand nicht verschließen. „Anfang November 1991, als die von Gewerkschaftlern, Sozialdemokraten und linken Ökonomen vorangetriebene Debatte um den Aufbau staatlicher Industrieholdings oder entsprechender Ministerien Fahrt aufnahm und sich auch ostdeutsche Unionsabgeordnete mit vernehmlicher Kritik öffentlich zu Wort gemeldet hatten, hatte Breuel den Begriff der ‚industriellen Kerne‘ in Abgrenzung zu industriepolitischen Modellen gebraucht.“[16] Als industrielle Kerne wurden bedeutende Industriestandorte bzw. -unternehmen bezeichnet. Dazu zählten die Werften, die Großchemie, die Braunkohleförderung, EKO Stahl in Eisenhüttenstadt, die SKET Maschinen- und Anlagenbau AG in Magdeburg oder auch Carl Zeiss in Jena. Darauf sollten sich die Mittel konzentrieren, was aber den Niedergang beispielsweise von SKET oder der Werftindustrie nicht verhinderte. Die Treuhand unter der Leitung Breuels verstand dies jedoch nicht als Industriepolitik, sondern hielt getreu ihrer strikt neoliberalen Haltung an der Ausrichtung auf die Unternehmen und der Ablehnung strukturpolitischer Einbettung fest. Die ideologische Fixierung auf die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes verhinderte eine Politik, die eine Restrukturierung der Unternehmen im Rahmen einer regionalen Strukturpolitik angegangen wäre. Stattdessen wurden die Unternehmen mit oft erheblicher finanzieller Unterstützung der Treuhand privatisiert und einem Wettbewerb ausgesetzt, den sie angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht bestehen konnten. Verschlimmert wurde die Lage dadurch, dass die Prüfung durch die Treuhand zum Teil nachlässig war und man so ein Feld für Spekulanten und Glücksritter eröffnete. Aber selbst unter den restriktiven Rahmenbedingungen der politisch gewollten sofortigen Währungsunion, die ökonomisch zweifellos kontraproduktiv war, hätte sich durch die Verbindung von betrieblichen Restrukturierungsmaßnahmen und Industriepolitik bzw. regionaler Strukturpolitik ein anderer Entwicklungspfad ergeben können, der nicht eine derartig desaströse Deindustrialisierung zur Folge gehabt hätte.

Mit den ABS-Gesellschaften, die auf eine Verbindung von Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ABS) zielten, gab es durchaus Versuche, eine solche Verbindung herzustellen. Diese Gesellschaften wurden gegründet, um Lösungen für die von den der Privatisierung und der damit verbundenen Restrukturierungsmaßnahmen betroffenen Belegschaften zu finden. Referenzpunkt waren die westdeutschen Beschäftigungsgesellschaften, wie sie als Konzeption vor allem in der Stahlkrise in den 1980er Jahren seitens der IG Metall entwickelt worden waren. Es handelte sich dabei um Auffanggesellschaften, die Arbeitsmarktförderung mit regionalen strukturpolitischen Maßnahmen verbinden sollten. Ein solches Programm stellte z.B. die „Zukunftsinitiative Montanindustrie“ (ZIM) in NRW dar. Damit sollten neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die von der Restrukturierung betroffenen Belegschaften geschaffen werden. In der Realität konzentrierten sich die ABS-Gesellschaften jedoch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und konnten kaum strukturpolitische Wirkung entfalten. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. „Die ABS konnten nach bisherigen Befunden die Erwartungen an eine Verbindung von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik zugunsten einer standortwirksamen Infrastruktur weitgehend nicht erfüllen. Dies gilt ebenso für die Anbahnung von Existenz- und Ausgründungen. Die tatsächlich realisierten Existenzgru?ndungen blieben weit unter dem ursprünglich geschätzten Potential. Die begrenzte Wirksamkeit der ABS-Gesellschaften als bescha?ftigungspolitische Brücke, Agenturen des Strukturwandels und Existenzgru?nder hat ihre Wurzeln in unu?berwundenen Interessengegensätzen der Politikakteure (Sozialparteien, Landesregierungen, Treuhand), die in widersprüchlichen Formelkompromissen endeten … Für eine Verbindung von Arbeitsfo?rderung, Bescha?ftigung und Strukturentwicklung waren weder materiell noch instrumentell die Voraussetzungen gegeben.“[17]

Auch wenn die Ziele der ABS-Gesellschaften im Hinblick auf strukturelle Impulse kaum erreicht wurden, ist es schon etwas befremdlich, dass sie in der neueren Diskussion zur Treuhand praktisch nicht vorkommen. Denn die dahinter liegende Konzeption, Arbeitsmarktpolitik mit Strukturpolitik zu verbinden, verdiente mehr Aufmerksamkeit. Eben nicht alles dem Markt zu überlassen, sondern öffentlich mit einer aktiven Wirtschafts- und Industriepolitik einzugreifen, ist gerade für Krisen- und Umbruchsituationen eine adäquate Politik.

Aus dem letztlich fatalen Wirken der Treuhand sollte gelernt werden, dass es in einer Situation wie heute, in der wir nicht nur mit den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie, sondern mit tiefgreifenden ökologischen und sozialen Herausforderungen konfrontiert sind, es einer Politik bedarf, die nicht blind auf die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes vertraut, sondern im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung gestaltend eingreift.

HEINZ BIERBAUM studierte Soziologie und Betriebswirtschaftslehre und ist promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Seit 1996 ist er Prof. für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Von 2009 bis 2017 war er Abgeordneter des Saarländischen Landtags und Parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN-Fraktion im Landtag. Er gehörte von 2010 bis 2018 dem Parteivorstand der LINKEN an und ist derzeit Vorsitzender der Internationalen Kommission der Partei.

Anmerkungen:

[1] Böick, M., Die Treuhand. Idee – Praxis – Erfahrung. 1990 -1994, Göttingen 2018.

[2] Rosa Luxemburg Stiftung, Schicksal Treuhand – Treuhand Schicksale, Berlin 2019.

[3] 3Ebd., S. 17.

[4] Behling, K., Die Treuhand. Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte, Berlin 2019, S. 67/68.

[5] Behling 2019, S. 76.

[6] Behling 2019, S. 91.

[7] S. dazu Graupner, M, Die Spuren der Treuhand, in Jacobs, O. (Hrsg.), Die Treuhand. Ein deutsches Drama, Halle 2020.

[8] Behling 2019, S. 297.

[9] Böick 2018, S. 458.

[10] „Wie die Treuhand den Osten verkaufte“, eine Sendung des MDR vom 24.2.2020.

[11] Ebd.

[12] Böick 2018, S. 142f.

[13] Ebd., S. 149.

[14] Ebd., S. 211.

[15] Priewe, J./Hickel, R., Der Preis der Einheit, 1991.

[16] 16Böick 2018, S. 494.

[17] Hild, P., ABS-Gesellschaften – eine problemorientierte Analyse bisheriger Befunde, in: MittAB 4/95, S. 503.

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