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Eigentor für Grundrechte

Ein Rückblick auf die Fußball-WM 2006

Grundrechte-Report 2007, Seiten 39 – 42

Die Fußball-WM 2006 war kaum vorüber, da stand für die Sicherheitspolitiker der großen Parteien fest: Deutschland war nicht nur »Weltmeister der Herzen« – sondern auch in der Gefahrenabwehr. Und in der Tat: Keines der zuvor entworfenen Schreckensszenarien von Hooligan-Attacken bis zu terroristischen Anschlägen hatte sich realisiert. Ob dies allerdings als Verdienst des »Nationalen Sicherheitskonzepts« von Veranstaltern und Behörden gelten kann oder doch eher – wie nicht nur Kenner der Fanszene im nachhinein analysierten – im wesentlichen der guten Laune der Fans, den großzügigen »Public Viewing«-Angeboten für alle, die keine Stadionplätze bekamen, sowie der Einbindung von Fanprojekten zu verdanken ist, flankiert von einem noch relativ zurückhaltenden Auftreten des Großaufgebots an Polizisten, kann an dieser Stelle offen bleiben.

Aus bürgerrechtlicher Sicht jedenfalls besteht im Rückblick auf das Fußball-Großereignis nicht eben Anlass zum Jubel. Die Weltmeisterschaft wurde für einen der umfangreichsten Eingriffe in Grundrechte durch eine einzelne Veranstaltung instrumentalisiert. Schon Monate vor dem ersten Anstoß überboten Innenpolitiker verschiedener Couleur einander darin, Großschadensereignisse an die Wand zu malen – soweit ersichtlich im wesentlichen mit dem Ziel, noch mehr, noch schärfere Überwachungsmaßnahmen zu legitimieren. Allen voran Bundesinnenminister Schäuble, der nicht müde wurde, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu propagieren.

Die Antwort auf sorgsam geschürte Ängste sollte das »Nationale Sicherheitskonzept zur Fußball-WM 2006« bieten. Ein bunter Strauß an Maßnahmen – von der Vernetzung der Sicherheitsbehörden über gerichtliche Schnellverfahren bis zu ausgedehnten Aufenthaltsverboten für vermeintlich gewaltgeneigte Schlachtenbummler.

Freiheits­be­schrän­kungen als Gefah­re­n­ab­wehr

Ein friedlich-feierndes Bild sollte Fußballdeutschland auf den Mattscheiben der Welt bieten. So waren die Sicherheitsbehörden schon weit im Vorfeld bemüht, jeden, der den sonnigen Eindruck nach ihrer Meinung hätte trüben können, von der Teilnahme an der Veranstaltung auszuschließen. Die zentrale Datei »Gewalttäter Sport« wuchs schon in den zwei Jahren vor dem Sportfest massiv. Eine vierstellige Zahl neuer Einträge fand nach Schätzung der »Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze« (ZIS) im unmittelbaren Zusammenhang mit der WM ihren Weg in die Datenspeicher. Anders als der Name vermuten lässt, sind hier nicht nur Personen erfasst, die gravierende Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungsdelikte begangen haben. Für einen Eintrag reicht vielmehr schon die Aufnahme der Personalien in räumlicher oder zeitlicher Nähe zu einem straf- oder gefahrenabwehrrechtlich relevanten Geschehen. So kann ein Fußballfan in der Datei auftauchen, weil er sich in einem Bahnwaggon befand, in dem ein anderer die Notbremse zog. Will derselbe Fan später zu einem Länderspiel ins Ausland reisen, kann dies aufgrund des Voreintrags zu einem weiteren Eintrag führen. So entstehen Biographien angeblicher »Gewalttäter«.

Den so erfassten Personen signalisierten die Ordnungsbehörden bereits im Vorfeld, dass man ein Auge auf sie habe. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen kam es zu über 3100 sogenannten »Gefährderansprachen«, für die die Betroffenen zu Hause oder öffentlichkeitswirksam an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht wurden. Zudem wurden in NRW 383 Meldeauflagen und 1070 Aufenthaltsverbote ausgesprochen.

Auch während der WM zeigte die eingesetzte Polizei mit Vorliebe präventive Härte. Während die befürchteten Auseinandersetzungen rivalisierender Fans fast vollständig ausblieben, kam es am Rande des Turniers zu rund 9000 vorübergehenden Festnahmen, über die Hälfte davon auf gefahrenabwehrrechtlicher Grundlage. Die erforderliche gerichtliche Überprüfung der Notwendigkeit der Maßnahme fand in den seltensten Fällen statt (siehe auch die Berichte auf www.grundrechtekomitee.de).

Massenhafte Daten­samm­lung

Zu den Eingriffen in die persönliche Freiheit kamen erhebliche Einschnitte in den Datenschutz. Beispiel Akkreditierung: Knapp eine Viertelmillion Menschen musste vor dem Turnier eine Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen. Es handelte sich um Journalisten, Gastronomiepersonal, Sicherheitskräfte, Putzleute und andere Personen, die beruflich in den Stadien zu tun hatten. Auf Grundlage einer online gegenüber dem Organisationskomitee (OK) erklärten Einwilligung — für Arbeitnehmer war diese gegenüber dem Arbeitgeber zu erklären, der sie dann weiterleitete — wurden ihre Daten an die Länderpolizeien, das Bundeskriminalamt (BKA) und die Verfassungsschutzbehörden weitergeleitet. Lagen dort nachteilige Informationen vor, so sollte ein ablehnendes Votum über das BKA an das OK zurückgeleitet werden, das dann die Akkreditierung ohne Angabe von Gründen verweigern sollte.

Schon die zahlenmäßige Dimension stellt dieses aufwendige Verfahren in Frage. Bei ähnlichen Verfahren im Rahmen des Confederation Cup 2005 oder der Endrundenauslosung 2005 wurden jeweils nicht mehr als ein bis zwei Prozent der Antragsteller zurückgewiesen. Schwerer wiegen die rechtlichen Bedenken: Es fehlte für die »Akkreditierung

Beispiel RFID-Tickets: Zahlenmäßig noch weit umfangreicher war der Eingriff in die Rechte von 3,2 Millionen Fußballfans, die im Rahmen der Ticketbestellung persönliche Daten preisgeben mussten. Erstmals waren die Eintrittskarten einer solchen Großveranstaltung umfassend mit Computerchips bestückt, die bei der Einlasskontrolle berührungslos ausgelesen werden konnten. Anhand einer im Chip gespeicherten Kennnummer war es möglich, online den Abgleich mit persönlichen Daten vorzunehmen, die bei der Bestellung eingegeben werden mussten.

Diese Personalisierung der Tickets sollte nach Angaben der Veranstalter »größtmögliche Sicherheit in den Stadien« gewährleisten sowie Schwarzhandel verhindern. Beide Ziele wurden grandios verfehlt: Personenkontrollen beim Stadioneinlass waren von vornherein nicht möglich – damit war der Weg frei, mit einem von Dritten gekauften Ticket Zugang zu erhalten. Obendrein gab der Deutsche Fußball-Bund selbst 300000 nicht personalisierte Tickets aus. Das RFID-Ticketing stellt sich vor diesem Hintergrund als Werbekampagne für einen WM-Sponsor dar, obendrein unter Verletzung des Grundsatzes der Datensparsamkeit. Zumindest theoretisch ermöglicht die so eingesetzte RFID-Technik zudem die Erstellung lückenloser Bewegungsprofile einzelner Fans.

Angesichts der öffentlich zur Schau gestellten Zufriedenheit von Organisatoren und Innenministern ist entgegen aller Kritik zu erwarten, dass die einmal eingeführten Maßnahmen auch in Zukunft zur Anwendung kommen werden. Schon haben die Ausrichter der Europameisterschaft 2008 angekündigt, das WM-Sicherheitskonzept übernehmen zu wollen. Und Datenschützer warnen bereits davor, die einmal mit dem Hinweis auf die Einzigartigkeit des Sportereignisses eingeführten Datenerfassungen könnten schon bald zum Standardrepertoire bei jeder größeren Veranstaltung werden. Die Spätfolgen der Fußball-WM für den Schutz bürgerlicher Freiheiten vor staatlicher und privater Ausforschung könnten dann verheerend werden.

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