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Emanzi­pa­tion mit sozialer Schieflage

Wie das Elterngeld nur bestimmte Familien und Frauen fördert

Grundrechte-Report 2007, Seiten 137 – 141

Im Herbst 2006 haben Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes beschlossen. Es ersetzt das bisherige Erziehungsgeld und gilt für Eltern, deren Kinder ab dem 1. Januar 2007 geboren sind. Die neue Regelung ist über alle politischen Lager hinweg nahezu einhellig als frauen- und familienpolitischer Erfolg gewertet worden. In der Tat ist zu erwarten, dass die neue Elterngeldregelung für eine ganze Reihe Frauen positive Wirkungen mit sich bringen und ihnen insbesondere einen schnelleren Wiedereinstieg in den Beruf sowie eine größere finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen wird. Die allseitige Freude wird aber erheblich getrübt, wenn man sich vor Augen führt, dass die neue Elterngeldregelung eine deutliche soziale Schieflage enthält: Für Eltern mit niedrigem Haushaltseinkommen, Erwerbslose, Studierende und Alleinerziehende wird das Elterngeld die bestehenden geschlechtsspezifischen Rollen und die soziale Lage keineswegs verbessern, sondern verschlechtern.

Neuaus­rich­tung – Vom Erzie­hungs­geld zum Elterngeld

Die alte Erziehungsgeldregelung verfolgte das Ziel, Einkommensschwache und Bedürftige zu unterstützen und dem mit der Geburt von Kindern entstehenden erhöhten Armutsrisiko entgegenzuwirken. Entsprechend enthielt sie Einkommenshöchstgrenzen für den Bezug des Erziehungsgelds (Paare 30000 Euro, Alleinerziehende 23000 Euro Jahreseinkommen; ab dem 7. Lebensmonat des Kindes sanken die Einkommensgrenzen noch einmal deutlich). Anspruchsberechtigte konnten Erziehungsgeld von monatlich 300 Euro für bis zu zwei Jahre beziehen. Eltern mit niedrigem Jahreseinkommen hatten zudem alternativ die Option, den Bezugszeitraum auf zwölf Monate zu verkürzen und monatlich bis zu 450 Euro zu erhalten. Mit der neuen Elterngeldregelung tritt der Aspekt der Unterstützung ökonomisch schwacher Eltern nun zurück. In den Vordergrund rückt demgegenüber das Anliegen, nicht bedürftige erwerbstätige Paare zu motivieren, sich für Kinder zu entscheiden, indem der Einkommensausfall im ersten Lebensjahr des Kindes verringert wird. Nach der neuen Elterngeldregelung kann der die Betreuung übernehmende Elternteil 67 Prozent des bisherigen Nettoverdienstes – bis zum Höchstbetrag von 1800 Euro – für zwölf Monate beziehen. Anders als bisher gibt es somit keine Einkommenshöchstgrenze, ab der ein Anspruch entfällt. Der Mindestbetrag des Elterngeldes liegt bei 300 Euro, den auch zuvor nicht erwerbstätige betreuende Eltern erhalten. Zudem gibt es eine Aufstockungsregel, nach der sich bei Geringverdienern der Prozentsatz von 67 Prozent erhöhen kann.

Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Betreuenden noch immer zumeist um Frauen handelt, sind die Bonusmonate und die jetzige Kopplung des Elterngeldes an das Entgelt zu begrüßen. Denn während das alte Erziehungsgeld stärker die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung forcierte und ein Verzicht auf das in der Regel deutlich höhere Einkommen des Mannes oft weder ökonomisch möglich noch individuell sinnvoll schien, ermöglicht das Elterngeld es vielen Betreuenden, ihren Lebensstandard weitgehend zu halten und von ihrem Partner finanziell unabhängig zu bleiben. Darüber hinaus enthält das neue Gesetz mit seiner »Bonusmonate«-Regelung zumindest erste Anreize für eine Teilung der Betreuungsarbeit: Beteiligen sich beide Eltern an der Elternzeit, wird der Bezugszeitraum uni zwei Monate verlängert.

Exklusive Emanzi­pa­tion

Das neue Elterngeld wird sich jedoch nicht für alle positiv auswirken. Verlierer sind zum einen Geringverdiener. Sie erfahren trotz der im Zuge der letzten Verhandlungsrunden eingefügten Aufstockungsregel einen faktischen finanziellen Verlust im Vergleich zum Erziehungsgeld durch die Kürzung der Bezugszeit auf höchstens zwölf bis vierzehn Monate. Zudem erhalten Geringverdienende mit einem Einkommen bis zu 500 Euro in den ersten zwölf Monaten weniger als den bisher möglichen Satz von 450 Euro.

Noch stärkere Einschnitte müssen ALG-II-Empfänger hinnehmen. Haben diese bisher bis zu vierundzwanzig Monate ein Erziehungsgeld in Höhe von 300 Euro beziehen können, erhalten sie nach der Elterngeldregelung nur noch zwölf bzw. vierzehn Monate lang den Elterngeldmindestsatz von 300 Euro. Für ALG-II-Empfänger ergeben sich damit finanzielle Kürzungen von bis zu 50 Prozent. Dabei betont die schwarzrote Koalition, dass diese Kürzung durchaus politisch gewollt sei. Sie ziele darauf, für ALG-II-Empfänger zusätzliche Anreize für die schnelle Aufnahme einer Tätigkeit schaffen. Eine solche Argumentation ist ebenso autoritär-repressiv wie zynisch. Denn der Grund für die hohe Erwerbslosigkeit liegt eben nicht in der mangelnden Motivation der betroffenen Erwerbslosen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sondern ist schlicht dem strukturellen Mangel an Erwerbsarbeitsplätzen hierzulande geschuldet. Der vermeintliche ökonomische Anreiz zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt entpuppt sich somit als reine Verschleierung einer Kürzung einer familienpolitischen Leistung für Erwerbslose.

Die Anzahl der Haushalte, die insgesamt mit finanziellen Einbußen rechnen müssen, ist selbst nach den Angaben des Bundesfamilienministeriums erheblich. Nach den wahrscheinlich eher vorsichtigen Schätzungen des Ministeriums wird die Anzahl der Verlierer-Haushalte bei 249000 liegen. Profiteure der neuen Elterngeld-Regelung sind demgegenüber Haushalte mit mittleren bis hohen Einkommen. Diese haben aufgrund der Orientierung des Erziehungsgeldes an der Bedürftigkeit bisher kaum oder keine finanzielle Unterstützung erfahren und erhalten mit dem Elterngeld nun erstmalig bzw. in erhöhtem Maße finanzielle Leistungen.

Insgesamt erweist sich der Wechsel vom Erziehungs- zum Elterngeld in seiner konkreten Form damit als eine Umverteilung von unten nach oben: Während Familien mit mittleren bis sehr guten Einkommen profitieren – und insbesondere Gut-bis Besserverdienenden dartiber hinaus aus der 2006 ehenfalls eingeführten Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten noch zusätzliche Vorteile erwachsen -, verschärft die Elterngeldregelung die finanzielle Lage von Geringverdienern und Erwerbslosen. Für sie gilt weiterhin und sogar verstärkt die Feststellung des Armutsberichts: Wer Kinder hat, läuft stärker Gefahr, arm zu werden und dauerhaft zu bleiben, als diejenigen ohne Kinder.

Diese Umverteilung ist aber keinesfalls zwingend, sie liegt vielmehr in der jetzigen konkreten Ausgestaltung des Elterngeldes begründet. Natürlich wäre es beispielsweise möglich, den Elterngeldmindestsatz auf ein Niveau zu setzen, durch welches Einbußen für Einkommensschwache und Erwerbslose vermieden werden. Das ist eine Frage der politischen Entscheidung.

Frauen­po­li­ti­sches Unbehagen

Auch wenn erfreulich ist, dass die Kopplung des Elterngeldes an das Einkommen vielen durchschnittlich bis gut verdienenden Frauen mehr Unabhängigkeit von ihren Partnern verschafft, ist festzustellen, dass dieser Fortschritt mit dem Elterngeld in der jetzigen Form auf Kosten der sozial Schwächeren erfolgt. Zudem bleiben eine Reihe weiterer Problemlagen bestehen, die die Hoffnungen auf die wohlbringenden Wirkungen des Elterngeldes deutlich relativieren. Hierzu gehört insbesondere der weiterhin bestehende Mangel an qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung. Angesichts der Tatsache, dass Frauen im Durchschnitt nach wie vor über ein weitaus geringeres Einkommen verfügen als Männer, werden es weiterhin überwiegend Frauen sein, die nach einem Jahr entweder zu Hause bleiben oder einer Teilzeittätigkeit nachgehen und die Erziehungsarbeit übernehmen. Daran wird auch das neue Elterngeld nichts ändern.

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