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Ich glaub's nicht

Kirchenaustritt und Religionsfreiheit im Sozialrecht

Grundrechte-Report 2007, Seiten 80 – 82

Die Religionsfreiheit umfasst das Recht, an eine Heilslehre zu glauben oder auch nicht. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist nicht weniger geschützt als das Fernbleiben, der Kircheneintritt nicht weniger als der Kirchenaustritt. Das ist im Grundsatz unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat in Konfliktfällen mit kirchlichen Arbeitgebern die Religionsfreiheit der Arbeitnehmer nicht unerwähnt gelassen und seine Abwägung mit der Position der Kirche verlangt (BVerfGE 70, 138, 169 ff.). In der Sache hat es dazu aber bisher keinen nennenswerten Beitrag geleistet.

Die Arbeitsgerichte sehen den Kirchenaustritt von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen als eine so schwerwiegende Verletzung der Loyalitätsobliegenheiten an, dass eine fristlose oder personenbedingte Kündigung regelmäßig gerechtfertigt ist. Diese arbeitsgerichtliche Praxis ist verfassungsrechtlich angreifbar. Bei der im Kündigungsschutzprozess vorzunehmenden Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen ist nicht das kirchenrechtliche Vergehen als solches, sondern sind nur seine Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Religionsgemeinschaft als Trägerin der Einrichtung und auf die Glaubwürdigkeit der Einrichtung zu würdigen. In welchem Umfang die Glaubwürdigkeit betroffen ist, hängt einmal von der Öffentlichkeitswirksamkeit des Verstoßes ab. Zu berücksichtigen ist auch, in welchem Umfang die Einrichtung selbst in ihrem öffentlichen Erscheinungsbild und bei ihrer Tätigkeit als religiös geprägt erscheint. Auf der anderen Seite schlägt das Gewicht der Grundrechte des Arbeitnehmers zu Buche. Dabei geht es in allen Fällen um deren freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Absatz 1 GG), so etwa bei homosexuellen Verbindungen, sowie um die Berufsfreiheit in der Form der freien Wahl des Arbeitsplatzes (Artikel 12 Absatz 1 GG), die bei arbeitsrechtlichen Maßregelungen betroffen ist. Bei kritischen öffentlichen Äußerungen ist die Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG) zu berücksichtigen, bei Kirchenaustritten die (negative) Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG).

Kündigung wegen Kirche­n­aus­tritt?

Zu welchen Ergebnissen diese Abwägung im Einzelfall führt, ist prinzipiell offen. Eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen eines Kirchenaustritts, der nur durch die Lohnsteuerkarte erkennbar wird, dürfte jedoch in keinem Fall gerechtfertigt sein. Der Arbeitsvertrag darf nicht als Druckmittel zur Eintreibung von Kirchensteuern missbraucht werden. Es wird Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht damit erneut befasst wird. Die Arbeitnehmer sollten sich durch die ständige Praxis der Arbeitsgerichte nicht vom Gang nach Karlsruhe abhalten lassen.

Eine weitere Missachtung erfährt die Religionsfreiheit der Arbeitnehmer jetzt durch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 30. März 2006 (L 1 AL 162/05). Eine Arbeitnehmerin hatte ihre Stellung als Hausangestellte im St. Joseph-Krankenhaus in Zell verloren, weil sie aus der Kirche ausgetreten war. In einem vor dem ArbG Koblenz abgeschlossenen Vergleich war vereinbart worden, dass das zunächst fristlos gekündigte Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung unter Wahrung der Kündigungsfrist beendet wurde. Das Arbeitsamt verhängte gegen sie eine 12-wöchige Sperrfrist, weil sie durch den Kirchenaustritt gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und dadurch ihre Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe. Das Sozialgericht Koblenz hatte die Sperrfrist aufgehoben. Das Landessozialgericht Mainz bestätigte sie.

Nach § 144 Absatz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch III (SGB III)
tritt eine Sperrfrist von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose u.a. durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Einen wichtigen Grund verneint das Landessozialgericht mit der Begründung, bei der vorzunehmenden Güterabwägung wiege das Gemeinschaftsinteresse der Versichertengemeinschaft schwerer als das Interesse der Klägerin an einer folgenlosen Verwirklichung ihrer negativen Religions- und Bekenntnisfreiheit. Die Berufung auf Artikel 4 Absatz 1 GG gebe dem Arbeitnehmer im Allgemeinen keinen wichtigen Grund, seinen Arbeitsplatz ohne weiteres aufzugeben und deshalb folgenlos Mittel der Versichertengemeinschaft zu erhalten. Ein anderes Verhalten unter wenigstens zeitweiser Zurückstellung seiner Interessen sei im Interesse der Versichertengemeinschaft zumutbar. Er müsse zunächst im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eine Lösung der Konfliktlage anstreben und unter Aufrechterhaltung des Ar-
beitsverhältnisses einen anderen Arbeitsplatz suchen. Anders könne es liegen, wenn er etwa verpflichtet sei, die Glaubenslehre im Arbeitsverhältnis aktiv zu vertreten oder an kirchlichen Ritualen teilzunehmen.

Verstoß gegen Religi­ons­frei­heit

Von der Religions- und Gewissensfreiheit der Arbeitnehmerin bleibt bei dieser Betrachtungsweise nicht viel übrig. Die anstandslose Kennzeichnung des Kirchenaustritts als Vertragsverletzung ist indiskutabel. Kann eine katholische Einrichtung von ihren Arbeitnehmern verlangen, der Kirche weiter anzugehören, ohne an deren Botschaft zu glauben? Gibt es ein sachliches Interesse der Arbeitgeberin an der geheuchelten Glaubenstreue einer Wirtschafterin, die hei ihrer Arbeit nach den Feststellungen des Landessozialgerichts »keine Berührungspunkte mit der katholischen Glaubenslehre« hatte und die ihre Abkehr vom Glauben nicht öffentlich bekundete? Kann etwa die Aufrechterhaltung der Kirchensteuerpflicht der Mitarbeiterin als ein legitimes Arbeitgeberinteresse angesehen werden?

Über die Bedeutung der Religionsfreiheit verliert das Landessozialgericht kein Wort. Stattdessen bürdet es der Arbeitnehmerin die Pflicht auf, mit der Arbeitgeberin »eine Lösung der Konfliktlage zu suchen«, ihre Religionsfreiheit eine Zeitlang nicht auszuüben und sich um einen anderen Arbeitsplatz zu bemühen. Wie eine Lösung der Konfliktlage aussehen könnte, deutet das Landessozialgericht nicht einmal an. Dazu fällt mir auch nichts ein. Wo Arbeitnehmer bei Kirchenaustritt ohne Federlesens fristlos entlassen werden, bleibt für Kompromisse kein Raum. Die Zumutung, sich beizeiten einen anderen Arbeitsplatz zu suchen, läuft auf eine Vorwegnahme der fristlosen Entlassung durch den Arbeitnehmer hinaus. Soll der Arbeitnehmer tatsächlich gehalten sein, sich mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes abzufinden, obwohl er ihn gern behalten möchte und auf den Schutz seiner Religionsfreiheit vertraut? Und: ist es ihm wirklich zuzumuten, »unter wenigstens zeitweiser Zurückstellung seiner eigenen Interessen« Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu bleiben, deren Glauben er nicht (mehr) teilt?

Das Bundessozialgericht hat die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts zugelassen. Man darf gespannt sein, wie sein Urteil ausfällt.

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