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Kampf den christ­li­chen Funda­men­ta­listen

Das Kopftuch und kein Ende

Grundrechte-Report 2007, Seiten 80 – 82

»Das Kopftuch und kein Ende« war der Beitrag des Verfassers im Grundrechte-Report 2004 überschrieben, in dem über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch der Lehrerin Fereshta Ludin vom 24. September 2003 berichtet wurde. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der seinerzeitigen Entscheidung das Verbot eines islamischen Kopftuchs für Lehrkräfte mangels einer gesetzlichen Grundlage untersagt, gleichzeitig aber generelle gesetzliche Regelungen für zulässig erklärt hatte, die sich gegen religiöse Bekleidungen von Lehrkräften in staatlichen Schulen richten, hatten sofort mehrere Ministerpräsidenten angekündigt, sie würden Landesgesetze mit einem Kopftuchverbot für Lehrerinnen initiieren. Sie hatten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zu Ende gelesen. Denn das Gericht hatte ausdrücklich erklärt, dass wir nicht in einem christlichen Staat leben. Wegen der Neutralitätspflicht des Staates müssten sich Bekleidungsvorschriften für Lehrkräfte diskriminierungsfrei auf alle Religionen beziehen. Das wollten die christlichen Ministerpräsidenten natürlich nicht, und im Grundrechte-Report 2004 hatte ich geschrieben: ”Hier werden sich die Ministerpräsidenten und Landtage noch die Zähne ausbeißen.«

Das Land Baden-Württemberg war eines der ersten, welches
unverzüglich sein Schulgesetz änderte und bereits am 1. April 2004 u.a. religiöse äußere Bekundungen von Lehrkräften (womit im wesentlichen das islamische Kopftuch gemeint war) verbot. Als die damalige Landes- und heutige Bundeskultusministerin Annette Schavan in der Landtagsberatung darauf hingewiesen wurde, dass auch Nonnen im Nonnenhabit an staatlichen Schulen unterrichten, erklärte sie ausdrücklich, dass diese das »selbstverständlich« weiterhin dürften und die Landesregierung keine Veranlassung sehe, dies zu unterbinden. Die in der Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachdrücklich betonte Pflicht des Staates, alle Religionen und Weltanschauungen gleich zu behandeln, interessierte die Ministerin nicht.

Vielmehr ließ sie einer deutschstämmigen islamischen Lehrerin an einer Grund- und Hauptschule in Stuttgart unverzüglich nach Erlass des neuen Landesgesetzes das Tragen des Kopftuchs verbieten. Die Lehrerin trug seit 1995 unbeanstandet von Schülern, Eltern und Lehrkräften dies Kopftuch in modischer Form und half in vielen Konfliktfällen an der Schule, an der auch zahlreiche muslimische Kinder unterrichtet werden. Konkrete Probleme, die es nicht gab, interessieren jedoch die christlichen Fundamentalisten in deutschen Regierungen und Landtagen nicht. Ihnen geht es um das ideologische Prinzip: Das Kopftuch ist nicht abendländisch, ist nicht christlich, entspricht nicht ihrem Weltbild. Daher muss es verboten werden.

Keine Diskri­mi­nie­rung, keine Privi­le­gie­rung.

Dem setzte das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 7. Juli 2006 ein Ende. Die Vorschrift in der Landesverfassung und im Schulgesetz, dass christliche und abendländische Bildungs- und Kulturwerte im Unterricht dargestellt werden dürfen, enthalte »keine Ermächtigung zur Privilegierung christlicher Glaubensbekundungen.« Dies habe der Landesgesetzgeber zwar offensichtlich gewollt, wie sich aus der Landtagsdebatte ergebe, es sei aber verfassungsrechtlich unzulässig. Den Versuch nicht nur der baden-württembergischen Landesregierung (der Landtag Nordrhein-Westfalen hat im Juni 2006 ein ähnliches Gesetz beschlossen), das verfassungsrechtliche Gebot der gleichen Neutralität des Staates gegenüber allen Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften zu unterlaufen, indem man zwar ein scheinbar neutrales Gesetz verabschiedet, es in der Praxis aber ausschließlich gegen das islamische Kopftuch anwendet und christliche Kleidungsstücke weiterhin duldet, wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart unterbunden. Und es setzte zu Recht noch eins drauf: Die Berufung wurde nicht zugelassen, »da in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesverwaltungsgerichtes das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen in der praktischen Durchsetzung gesetzgeberischer Eingriffe in die religiöse Bekenntnisfreiheit anerkannt ist.« Konnten das Regierung und Ministerialbeamte vorher nicht wissen? Doch. Aber sie setzen sich zunehmend über gerichtliche Entscheidungen, die ihnen nicht passen, hinweg.

Literatur

Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. 7. 2006, Az. 18 K 3562/05

Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 24. 9. 2003, Neue Juristische Wochenschrift 2003, S. 3111

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