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Lebenslange Feind­schaft?

Der Fall Gössner geht weiter

Grundrechte-Report 2007, Seiten 35 – 38

Der Mensch erkennt seine treuen Freunde daran, dass sie ihn nicht vergessen. Auch wenn man sich zuweilen aus den Augen verliert, bleiben sich gute Freunde jahrzehntelang verbunden, und trifft man sich wieder, ist es so, als hätte man sich gestern erst zuletzt gesehen. Nicht nur treue Freundschaft kann den Menschen ein Leben lang begleiten, sondern auch der Argwohn der Sicherheitsbehörden. Diese Anhänglichkeit ist für die Betroffenen freilich kein Kompliment, sondern eine Zumutung. Manche begreifen sie als Herausforderung. So kämpfte die Journalistin Gaby W. mehr als 20 Jahre durch alle Instanzen darum, von Sicherheitsbehörden vollständige Auskunft über gespeicherte Daten zu erhalten. Nach diesen langen, mit unbefriedigendem Ergebnis verlaufenen Prozessjahren teilte ihr das Bundesamt für Verfassungsschutz schließlich mit, dass man nunmehr auf die zu ihrer Person gespeicherten Daten verzichten könne und sie gelöscht habe.

Seit 30 Jahren erfasst und gespeichert …

Regelmäßige Leser des Grundrechte-Reports wissen bereits um den Fall des Bremer Publizisten und Rechtsanwalts Dr. Rolf Gössner, Mitherausgeber des Grundrechte-Reports und seit 2003 Präsident der deutschen Sektion der Internationalen Liga für Menschenrechte, der in den Jahren 1996 bis 2000 gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz um Auskunft über die Daten kämpfte, die während 30 (!) Jahren vom Amt über ihn gesammelt wurden (vgl. Till Müller-Heidelberg im Grundrechte-Report 2000, S. 172ff.). Trotz breiter und prominenter öffentlicher Unterstützung erhielt Gössner seinerzeit nur offensichtlich unvollständige Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten.

Datensammlung und Datenspeicherung durch Geheimdienste sind keine Belanglosigkeit, sondern dringen tief in die berufliche und die Privatsphäre der Betroffenen ein. Nicht nur die Ressourcen der Dienste sind erheblich, auch ihr Instrumentarium ist mächtig: Neben der Auswertung von Zeitschriften und Rundfunk können ihnen auch Lauschangriffe, Spitzel, Telefon- und Internetüberwachung zur Verfügung stehen. Rolf Gössner wandte sich daher sechs Jahre später erneut an das Bundesamt für Verfassungsschutz und verlangte wieder umfassende Auskunft und Akteneinsicht. Die Antwort fiel erneut so unbefriedigend wie aufschlussreich aus: Über den langjährigen Geheimdienstkritiker wird, so gab ihm das Amt jetzt bekannt, eine Personenakte geführt, obwohl ihm weder persönlich extremistische Bestrebungen zur Last gelegt werden, noch gar geheimdienstliche »Quellen« – etwa Spitzel – direkt auf ihn angesetzt sein sollen. Auf den ersten Blick erscheint das in den Jahren 2000 bis 2006 über Gössner in den Datensammlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz hinzugekommene Material als Fortschreibung früherer Erkenntnisse. Im wesentlichen werden veröffentlichte Zeitungsartikel und Interviews erfasst, teils aber auch Seminarunterlagen geschlossener Bildungsveranstaltungen und die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen und öffentlichen Aufrufen. Dabei werden Beiträge f-r und in etablierten Medien wie der Frankfurter Rundschau und des Bremer Weser Kuriers ebenso erfasst wie etwa Beiträge für die geheimdienst-kritische Publikation Geheim oder der DKP Zeitung Unsere Zeit, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft und beobachtet wird. Auch diese neuen Auskünfte sind, wie das Amt selbst eingesteht, lückenhaft. Gegenüber den Auskünften der 1990er Jahre wird der Ton im Detail aber nun schärfer: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ziert sich schon deswegen, Auskünfte zu erteilen, weil die Gefahr einer Ausforschung der Methoden und Beobachtungsgegenstände des Amtes »abstrakt bei jedem Auskunftsersuchen gegeben« sei. In einzigartiger Klarheit stellt das Amt damit fest, dass es jeden erfassten Bürger und jede erfasste Bürgerin als Gegner betrachtet, deren Ausforschungsversuchen es möglichst frühzeitig zu begegnen gilt.

Erstmals begründet das Bundesamt ausführlich die personenbezogene Erfassung von Daten zu Rolf Gössner: »Insbesondere Ihre regelmäßigen Veröffentlichungen in Presseerzeugnissen linksextremistischer bzw. linksextremistisch beeinflusster Publikationsorgane sowie Ihre über Jahrzehnte hinweg bestehenden regelmäßigen und intensiven Kontakte zur DKP und ihren Vorfeldorganisationen … bieten tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Sie mit den entsprechenden Personenzusammenschlüssen in einer Weise zusammenarbeiten, dass diese hierdurch in den von ihnen ausgehenden linksextremistischen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt werden.« Diese – und nicht sein berufliches oder ehrenamtliches Engagement – sei Ziel von Datenerhebungen. Mehr wird wegen der Ausforschungsgefahr nicht verraten.

Auch das neuerliche öffentliche Unverständnis über das nachrichtendienstliche Interesse an Rolf Gössner hat das Bundesamt für Verfassungsschutz ebenso wenig zur Umkehr bewogen wie die öffentliche Sympathie, die Rolf Gössner von Bürgerrechts-und Fachverbänden entgegen gebracht wurde. Der Publizist hat im Frühjahr 2006 Klage mit dem Ziel einer vollständigen Auskunft über die zu ihm gespeicherten Daten erhoben. Der Fall Gössner, der mit der erstmaligen Speicherung im Jahre 1970 beginnt, hat bei der üblichen Bearbeitungsdauer in der Justiz gute Aussichten, in ein fünftes Jahrzehnt einzutreten. Trotz allem bleibt es dabei: Die Erfassung des Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner geht schon an dem gesetzlichen Auftrag des Bundesamtes vorbei und ist auch in ihrer Breite und Tiefe unerträglich. Bereits die Annahme, dass, wer politisch orientierten Zeitschriften Interviews gibt, deren verfassungsfeindliche Bestrebungen nachdrücklich unterstütze, vergeht sich an der Meinungsfreiheit. Da auch das Bundesamt nie behauptet hat, dass der Betroffene selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge, ist die Erfassung Gössners auch sinnlos. Ebenso wenig geht die verfassungsrechtliche Milchmädchenrechnung auf, dass die bloße Erfassung Gössners seine publizistische und sonstige berufliche Tätigkeit nicht berühren könne.

… und keine Besserung in Sicht

Für die Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, allen voran für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz, aber auch für die Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet dies, dass keine Besserung des Morbus Verfassungsschutz in Sicht ist. Konnte Till Müller-Heidelberg im Grundrechte-Report 2000 noch feststellen, dass allein der Kontakt zu Organisationen, die der Verfassungsschutz für extremistisch hält, quasi qua »Kontaktschuld«, eine Speicherung legitimieren solle, ist daraus nunmehr die nachdrückliche Förderung extremistischer Bestrebungen und Rolf Gössner von der Kontaktperson zum Verfassungsfeind geworden. Also aufgepasst! Wer der falschen Zeitschrift mehr als ein Interview gibt, handelt sich ungefragt eine lebenslange Anhänglichkeit ein. Auf Auskunft darf freilich weiterhin lange gewartet werden.

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