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Profes­si­o­na­li­sierte Gewalt

Rechte Hooligans zwischen Fanszenen und Kampfsport. In: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 105-114

Der Hooliganismus hat sich in seinen Gewaltformen in den letzten Jahrzehnten stark verändert: statt unübersichtlicher Straßenrandale prägen heute verschiedene Formen organisierter Einzel- und Gruppenkämpfe die Szene, die sich über professionelle Kampfsportevents sowie Kleidungslabels finanziert und international vernetzt. Robert Claus beschreibt in diesem Beitrag neuere Entwicklungen im Kampfsport und eine zunehmende Nähe eines relevanten Teils der deutschen Szene zu rechtsextremen Bestrebungen. Dabei bezieht er auch internationale Entwicklungen und Einflüsse ein. Er gibt einen Überblick über die Organisation von Gewalt in der Szene, beschreibt das Leipziger Imperium Fighting Championship zwischen Hooliganismus und Politik, erörtert die Landschaft der Mixed-Martial-Arts in Deutschland und geht auf die Verbindungen des russischen Neonazilabels „White Rex“ zu Kölner Hooligans ein. Sein Fazit: Ohne einen Blick auf den Kampfsport ist die Hooliganszene nicht mehr zu erfassen.

Flaschen und Stühle fliegen, unübersichtliche Menschengruppen bestimmen das Bild. Menschen bleiben mit blutverschmierten Gesichtern am Boden liegen, chaotische Szenen spielen sich ab. Mit solchen Bildern wird die Gewalt von Hooligans gemeinhin medial assoziiert. Es ist Randale am Rande von Fußballevents oder in Stadien, die die öffentliche Wahrnehmung von Hooliganismus über Jahrzehnte geprägt hat. Hier treffen meist große Gruppen von über hundert Menschen aufeinander, es geht chaotisch zu. Es gibt kaum Regeln, zuweilen werden Schlagwerkzeuge eingesetzt. Die Beteiligten sind froh, wenn sie halbwegs unbeschadet durchkommen, denn in der großen Gruppe wird es selbst für erfahrene Kampfsportler unübersichtlich und somit gefährlich.

Doch haben sich über die Jahrzehnte – die ersten Hooligangruppen in Deutschland gründeten sich Ende der 1970er Jahre – weitere Gewaltformate entwickelt, die sukzessive für eine „Sportisierung“ (die formelle Organisation der Gewalt als Sportformat) sorgten: Als Pendant zu den Straßenrandalen etablierten sich im Laufe der 1990er Jahre die Auseinandersetzungen an Drittorten, die sog. „Ackermatches“ – auch um der Repression im Umfeld von Fußballspielen zu entgehen. Zumeist kämpfen kleinere Gruppen von weit weniger als 50 Menschen gegeneinander. Dabei gelten meist Regeln, z.B. Verbote für Schlagwaffen, die im Vorfeld vereinbart werden und sich im Laufe der Jahre etabliert haben (Althoff, Nijboer 2008; Claus 2017). Aber die Einhaltung dieser Regeln wird nicht immer durch ein unabhängiges Schiedsgericht überprüft. Zudem finden die Kämpfe auf Wiesen und Feldwegen statt, das Verletzungsrisiko ist relativ groß.

Aus den illegalen „Ackermatches“ heraus wurden in Osteuropa zu Beginn der 2010er Jahre die Teamfights entwickelt. Sie finden in regulären Kampfringen statt und werden von Ärzten begleitet. Oft kämpfen vier oder fünf Personen gegeneinander, es gibt Gewichtsklassen und Schiedsrichter. Spätestens hier ist der Begriff des Sports angebracht, denn es geht um einen athletischen Wettkampf mit transparenten Regeln, die von Referees durchgesetzt werden. Die Teamfights bilden somit einen Mannschaftskampfsport im regulären Betrieb. In Deutschland fand bisher kein solches Event statt.

Letztlich ist es einer kleinen „Elite“ an Hooligans vorbehalten, im (semi-)professionellen Einzelkampfsport anzutreten. Dies geschieht vor allem in Disziplinen wie Boxen, Kick-Boxen und Muay Thai sowie in den übergreifenden Mixed Martial Arts. Hier findet eine professionelle Organisation in Verbänden statt, die Kampfregeln, Versorgung der Kämpfer, Ringärzte und Kämpfe etablieren.

Somit sind Hooligans fähig, ihre Gewalt verschieden zu organisieren. Wenn man die verschiedenen Kampf- und Gewaltformen nebeneinander betrachtet, steigt der Grad der der Regeln und der Regeldurchsetzung. Während bei den unübersichtlichen Gruppenrandalen kaum Regeln gelten, sind Auseinandersetzungen im Team- oder Einzelkampfsport höchst organisiert und vorbereitet. Je weniger Kämpfer an der Gewalt beteiligt sind, desto elitärer wird es. Besonders ersichtlich wird dies an Hooligans, die sich in den Ranglisten der Mixed-Martial-Arts gekämpft haben.

Beispiel Leipzig: Das Imperium Fight Team

Hunderte Menschen drängeln sich durch den schmalen Gang im Leipziger „Kohlrabizirkus“ – einem ehemaligen Markt. Die Halle ist gut gefüllt, aber nicht ausverkauft. Scheinwerfer projizieren das Logo der „Imperium Fight Championship“ (IFC) an die Decke der dunklen Kuppel. Knapp 1.500 Menschen starren gebannt auf den achteckigen Käfig in der Mitte des Publikums. Dort kündigt der Ringsprecher gerade die beiden Kämpfer an: den Halbschwergewichtler Timo Feucht aus Leipzig gegen Daniel Dörrer aus Nürnberg. Die Fans jubeln. Feucht tritt für das lokale „Imperium Fight Team“ an, das als Namensgeber des Turniers und als Kampfsportstudio im Umfeld von Lokomotive Leipzig dient. Am Ring stehen rund 200 Ultras und Hooligans der „Lokisten“.

Feucht ist ein kleiner Star in der Szene, wird seinerzeit auf Platz der Rangliste der Halbschwergewichte in Deutschland geführt, und strotzt vor Kraft. Er trägt ein Tattoo „Blue-Yellow-Army“ auf dem Bauch, das Logo von Lok Leipzig auf der Hose und läuft unter krachender Rockmusik mit einer blau-weißen Fahne auf dem Rücken ein. Auf der Fahne steht „VfB Hooligans“. VfB Leipzig hieß der Verein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie nach 1989 eine zeitlang. Dessen Fans jolen ihn zum Sieg: Zwei große Fahnen werden geschwenkt, manche haben sich mit blau-gelben Masken vermummt. „L-O-K  L-O-K  L-O-K“ schallt es durch die Halle, und „Leipzig – Erfurt – Halle – Fußballkrawalle„. Einer von ihnen koordiniert die Rufe, hat sich auf ein Gitter in Ringnähe gestellt – Fußballfankultur im Kampfsport.

Die Fanszene von Lokomotive Leipzig und das Imperium Fight Team schätzen sich gegenseitig. Vor dem Event im August hielten Fans von Lok ein Transparent im Stadion hoch, auf dem sie für das vierte Event der IFC warben: „Support your local MMA Team!“ stand darauf. Derlei Werbung hat Tradition: Schon 2012 veröffentlichte „Scenario Lok“ ein Video, in dem sich Szenen aus Kampfsportturnieren, Trainings, Ackermatches und Fußball zu knarzigem „NS Hatecore“ mischen. So macht auch der Chef der IFC, Benjamin Brinsa keinen Hehl aus seiner Herkunft. Er trägt den Kampfnamen „The Hooligan“ und ist der Bundesregierung kein Unbekannter: Sie sieht ihn in ihrer Antwort auf eine kleine Bundestagsanfrage zwischen 2006 und 2012 an rechtsextremen Aktivitäten beteiligt sowie als „Führungsfigur der im Jahr 2014 aufgelösten Hooligan-Gruppierung ‚Scenario Lok'“ (Bundesregierung 2017). Die Gruppe wurde vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet.

Abermals zeigte sich die enge Verbindung zwischen Lok-Fans, Kampfsportlern des Imperium Fight Teams und der rechten Szene in Sachsen am 11. Januar 2016: Der lokale Ableger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEgIdA) beging sein einjähriges Bestehen in der Leipziger Innenstadt – unterstützt von bundesweiter Szene-Prominenz. Die Hooligan-Band „Kategorie C“ war angereist und bot ihren Song „Hooligans gegen Salafisten“ zum Besten. Nahezu zeitgleich, leicht abseits des Aufzugs zogen bis zu 300 rechte Gewalttäter durch Leipzig-Connewitz, zerstörten knapp 20 Läden. Neben rechter Politprominenz aus Sachsen wurden Hooligans aus fast allen Fanszenen der Region festgenommen. Szenekundige Beamte ordneten sie wie folgt zu: Lok Leipzig (41), Hallescher FC (1), Dynamo Dresden (16), Rot-Weiß Erfurt (4), Carl-Zeiss Jena (2), Chemnitzer FC (1), RB Leipzig (1).

Es sollte ein Fanal werden: gegen die linke Szene in Leipzig, gegen die linksorientierte Fanszene des Lokalrivalen BSG Chemie Leipzig und gegen die Migrationspolitik der Bundesrepublik. Der Polizei gelang es letztlich, etwas mehr als 200 Randalierer festzusetzen – unter ihnen Kämpfer des Imperium Fight Teams sowie jener Timo Feucht, semi-professioneller Mixed-Martial-Arts-Kämpfer. Die trainierte Gewalt wird politisch auf die Straße getragen. Kaum überraschend postete die IFC mehrfach Wahlwerbung für die AfD in den sozialen Medien kurz vor der Bundestagswahl im September 2017.

Mixed Martial Arts in Deutschland

Mixed Martial Arts (MMA) – in Deutschland auch eine Zeit lang Freefight genannt – ist im Kommen. In Asien sowie Süd- und Nordamerika boomt der Markt seit Jahren. Dieser Kombinationssport hat in den USA mittlerweile das traditionelle Boxen in Bezug auf Preisgelder und Einschaltquoten überholt. Dabei ist die Idee, Kampfsportdisziplinen zu mischen, schon sehr alt – sie wurde bereits in der Antike praktiziert. 648 v. Chr. wurde das sog. Pankration bei den 33. Olympischen Spielen olympisch. Dahinter verbarg sich die Idee, Boxer und Ringer in einem Wettbewerb gegeneinander antreten zu lassen, um herauszufinden, welcher Kampfsport sich durchsetze. Viele MMA-Schulen beziehen sich heute auf diese Geschichte.

Dabei hat sich die Bandbreite der angewandten und miteinander vermischten Techniken enorm erweitert. Im Grunde besteht MMA als Vollkontaktsport aus drei Bereichen: Erstens brauchen Kämpfer eine Standkampfart (z.B. Boxen). Zweitens müssen Kämpfer über Wurf- und Grifftechniken verfügen, um den Gegner zu Boden zu bewegen (z.B. Judo). Und drittens sollten Kämpfer ebenso Techniken anwenden können, um den Gegner am Boden zu halten und durch Griffe zur Aufgabe zwingen zu können (z.B. Ringen oder Brazilian Jiu-Jitsu). Nicht wenige Kämpfer haben einmal als Boxer, Judoka oder Ringer begonnen und sich danach weitere Kampfsportarten oder einzelne Elemente aus ihnen angeeignet. Neben den genannten kommen u.a. auch Kick-Boxen, Thai-Boxen, Taekwondo, Karate und Sambo zur Anwendung (vgl. Marquardt, Kuhn 2014; Körner, Istas 2017). Im Unterschied zu allen anderen darf und soll im MMA auch am Boden geschlagen und getreten werden. MMA kommt damit den Hooligankämpfen auf abgelegenen Wiesen technisch am nächsten.

Auch deshalb hat der Sport über die interessierten Kreise hinaus lange mit einem schlechten Image zu kämpfen. Es galt als sittenwidrig, auf blutende Gegner einzuschlagen. Der brutale Eindruck, den MMA teilweise hinterlässt, führte u.a. dazu, dass in Deutschland zwischen 2010 und 2014 ein Sendeverbot im Free-TV herrschte. Letztlich sind die TV-Übertragungen zwar nicht entscheidend: Die Plattform www.ranfighting.de überträgt in Deutschland MMA-Turniere kostenpflichtig im Internet. Auch auf Youtube sind viele Kämpfe zu finden – vom russischen Lokal- bis zum amerikanischen Mega-Event. Doch bewegt sich der Sport zwischen Ablehnung und Wachstum, teilweise extrem rechtem Publikum und lückenhaften sowie politisch erhitzten Debatten.

Die Debatte um MMA wird in Deutschland erhitzt geführt – wenn sie denn geführt wird. Der renommierte Box-Kommentator Werner Schneyder äußerte sich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Mai 2009 beispielsweise so: „Es werden Rippen eingetreten, wo sich einer schon nicht mehr wehrt. Man nimmt Krüppelhaftigkeit und Todesfolge in Kauf. Wenn eine Gesellschaft die öffentliche Propagierung dieser Gewalt durch missverstandene Liberalität in Kauf nimmt, dann macht sie sich schuldig. Es gibt nur eine Möglichkeit: Man muss diesen Wahnsinn verbieten.“ Die Debatte dreht sich um Brutalität und Sittlichkeit – wie so oft, wenn es um Gewalt geht.

Während die Ultimate Fighting Championship aus den USA international unumstritten die Nummer 1 unter den MMA-Veranstaltern ist, gestaltet sich die Szenerie in Deutschland ungleich unübersichtlicher. Die UFC selbst mehrfach in Deutschland gastiert, zuletzt im Juli 2018 in Hamburg. Doch in ihrem Schatten existiert eine ganze Reihe an Turnierveranstaltern, die zum Teil auch eigene Wettkämpfe austragen. Die „German MMA Championship“ (GMC) klingt nach der deutschen Meisterschaft, ist es formell aber nicht. Neben ihr organisieren Veranstalter wie „Fair FC“ aus Nordrhein Westfalen, „Imperium FC“ aus Leipzig, oder „Superior FC“[1] mit eigenen Titeln und Champions.

Die deutschen MMA-Organisationen verteilen sich auf drei Verbände, von denen keiner Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund ist (DOSB 2017). Vielmehr agieren alle Veranstalter und Gyms auf dem freien Markt jenseits der klassischen Sportstrukturen. So entsteht kaum eine Debatte, auch nicht in der Politik: „Mixed Martial Arts stand bisher noch nicht auf der sportpolitischen Agenda. Die Debatte, ob und inwiefern es als Sport gelten kann, steht noch aus„, sagt Monika Lazar, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Obfrau im Sportausschuss (Claus 2017, S. 136).

Doch nicht nur dies. MMA fiel in den vergangenen Jahren wiederholt durch rechtsextreme Kämpfer und einschlägiges Publikum auf. Nicht ohne Grund: Zwar ist ein Großteil der Athleten unbescholten, doch hat sich bis zum Jahr 2016 allein der Veranstalter „We love MMA“ glaubhaft gegen Rechtsextreme und deren Teilnahme an seinen Events ausgesprochen. Die restliche MMA-Welt in Deutschland geht mit dem Thema mindestens blauäugig, manchmal völlig verharmlosend um. Zumal Rechtsextreme aktiv ihren Platz in der Szene suchen und eigene Events veranstalten. Sie sind dabei bis nach Russland vernetzt, wie die Aktivitäten des russischen Neonazilabels „White Rex“ in Deutschland und ihre Verbindungen in die Kölner Hooliganszene zeigen.

Rechts­ex­treme Eventkultur und Kampfsport

Samstag, 18. Januar 2014: Es ist ein kühler Samstag in Köln. Das Testspiel zwischen dem heimischen FC sowie dem FC Schalke 04 steht an, gleichzeitig findet an jenem Wochenende in Berlin ein Kongress von Fußballfans statt, um über die Rechte und die Vielfalt der Anhänger zu sprechen. Doch gerät all das schnell in den medialen Hintergrund: Denn in der Kölner Innenstadt kommt es zu schweren Randalen. Auf dem Rudolfplatz hatten sich über 200 Hooligans und gewaltaffine Ultras zu einem sogenannten Match verabredet. Die Polizei schreitet ein und beendet das Ganze vorzeitig. Eine Person wurde lebensgefährlich am Kopf verletzt. Auf Seiten der Kölner kämpften auch Hooligans aus Dortmund sowie eine Schlüsselfigur des europäischen Hooliganismus: Denis Nikitin, rechtsextremer Hooligan aus Moskau sowie Gründer der Neonazi- und Kampfsportmarke White Rex.

Wir haben gewonnen. Leider wird die Sache vor Gericht ausgetragen, und ich gehöre zum Kreis der Verdächtigen. Aber es war ein geiler Tag. Die Schalker wollten selbst nicht auf den Acker, sondern wie früher in der Stadt kämpfen„, plaudert Nikitin redselig im Interview mit der ukrainischen Webseite troublemakers.com zu Beginn des Jahres 2016 aus (dieses und alle weiteren Zitate: Troublemakers 2016). Er kennt die Hooligans aus der Domstadt nicht nur sporadisch. „Heute kämpfe ich für die Leute in Köln„, sagt er weiter.

Es sind gewachsene Netzwerke, denn seit Jahren pflegen die Kölner enge Kontakte in die russische Neonaziszene. Die Fahne der „Hooligans Köln“ hängt am Zaun der rechtsextremen Hooligangruppen „N-Troops“, der „Warriors“ von ZSKA Moskau sowie der neofaschistischen „Einfach-Jugend“. Vor Runen, Totenköpfen und Keltenkreuzen wimmelt es nur so, auch gibt es Wein mit Hitlers Konterfei auf dem Etikett. Schon im Herbst 2013 nahmen Hooligans aus Köln an einem extrem rechten Fußballturnier in Moskau teil. Nach dem Turnier wurde noch ein „Match“ durchgeführt. Acht Kölner traten gegen den sogenannten Kindergarten aus Moskau an und wurden übel verprügelt. Der Anführer der Kölner ging schnell k.o., ein anderer erlitt Brüche im Gesicht – Freizeitspaß für rechte Hooligans. Auf Seiten der Kölner kämpfte auch Nikitin.

Er besucht die Domstadt mehrmals jährlich, spricht fließend deutsch. In seiner Kontaktliste auf Facebook finden sich viele Personen, deren Namen und Profilbilder auf einen Ko?lner Hintergrund hinweisen. Sie posieren zum Teil in Kampfsportmontur vor Fahnen des FC sowie in T-Shirts der Ultragruppe „Boyz“. Ein anderer trägt ein Shirt, auf dem in drei Sprachen „Ultragewalt“ steht; es gehört zum Repertoire von White Rex. „Mit den Jungs aus Köln und Dortmund ist eine echte Männerfreundschaft entstanden. Uns verbinden die nationalistischen Ideen„, beschreibt Nikitin seine Verbindung nach Deutschland. Der Bezug zum Fußball schwinde jedoch Schritt für Schritt, so Nikitin weiter.

Politisch stünden sie derweil weit rechts und unterstützten die AfD, sagt er. So sind auch die gewaltvoll ausgetragenen Konflikte innerhalb der Kölner Fanszene kein Zufall. Über mehrere Jahre hinweg hatten sich Ultras des FC mit Choreographien gegen Rassismus engagiert, im April 2017 mit einem Spruchband „Heute für den FC, morgen gegen die AfD“ gegen deren Parteitag in Köln protestiert. Doch teilte dies nicht die ganze Kurve, die Gruppe „Coloniacs“ wurde massiv angefeindet und mit Gewalt bedroht, so dass sie von weiteren Spruchbändern vorerst Abstand nahm (Faszination Fankurve 2017). Der politische Rechtsruck findet auch in den Fankurven statt – in Köln unterstützt von extrem rechten russischen Kampfsportlern.

Nikitin gründete 2008 die Neonazi- und Kampfsportmarke White Rex. Europaweit hat er seither Kampfsportturniere für die rechtsextreme Szene aufgebaut, erst in Russland, später auch in Italien, Ungarn oder Griechenland. Es begann 2011 mit den MMA-Qualifikationsturnieren namens „Kriegergeist“. Die ersten Veranstaltungen fanden u.a. in Woronesch und Noworossijsk statt, fernab der russischen Großmetropolen, zum Teil noch in kleinen Räumen mit zehn Kämpfern und zwanzig Zuschauern. Dort konnten sich die Kämpfer für die finalen Turniere in Sankt Petersburg und Moskau qualifizieren. Es sind Turniere für rechtsextreme Schläger. Im Interview plaudert Denis Nikitin offen über seine rassistische Gesinnung: „Ich gebe weißen Jungs (und jungen Frauen) die Möglichkeit, ihre Kräfte zu messen. Du musst selber gesünder und stärker werden„, sagt er. Nikitin könnte man als „asketischen Gesundheitsnazi“ bezeichnen. Weitere Turnierreihen Nikitins waren die Events „Birth of a Nation“ – woran auch der Dortmunder Hooligan Timo „Fritz“ K. im Oktober 2013 teilnahm – sowie die „Jung Sturm League“, in der sich Nachwuchskämpfer beweisen konnten. Die Events werden gut besucht, bis zu 1.500 Zuschauer füllen die Hallen.

Dabei agiert White Rex äußerst professionell, bewirbt seine Veranstaltungen mit dramaturgisch gut gemachten Videos und modernen Designs. Nikitin ist gleichermaßen Neonazi und Geschäftsmann. Er will auch Menschen jenseits der eigenen Szenen erreichen und verfolgt einen Businessplan, der sich nicht auf Sportevents beschränkt. Zu White Rex gehören auch die „Vandals“, eine rechtsextreme Wandergruppe, die Outdoormaterial verkauft. „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken„, führt Nikitin aus. „White Rex ist eine alternative Lebenseinstellung, die ich zu 100% schaffen möchte. Mit Kleidung, Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.“ Nikitin will den ganz großen Wurf, eine Art nationalsozialistischer Komplettausrüster werden.

Nikitin kommt aus der Moskauer Hooliganszene und ist international bestens vernetzt. Mit 22 Jahren kam er in die Szene und wurde vier Jahre später Mitglied bei der Hooligangruppe „Jaroslawka“ im Umfeld von ZSKA Moskau. „Das war reiner Zufall. Ich mag keinen Fußball, ich liebe den Faustkampf. Am Supporten, Mitfiebern liegt mir nicht viel. Mir gefallen das Adrenalin, die Verfolgungsjagden durch die Stadt, Ackermatches, die Action, die dahintersteckt. Das ist meins!“, beschreibt Nikitin seine Motivation. Er ist in der russischen Hooliganszene tief verankert (Parkin 2018). Gemeinsam fuhren sie nach Marseille zur Fußball-EM 2016 und begannen die Krawalle am dortigen Hafen. Nikitin führte dabei eine Kleingruppe an.

Nikitin bietet auch Kurse zu Selbstverteidigung und Messerkampf an – nicht nur in Russland. Nach Informationen des Blogs „Ukrainianpolicy.com“ wurde er 2014 als Redner zu einem Treffen der „London New Right“-Bewegung eingeladen. Schon zuvor hatte Nikitin Fitnesskurse auf einem Trainingscamp britischer Neonazis in Wales geleitet. Zudem verfügt er über Kontakte in die Fanszenen von Legia Warschau sowie Sparta Prag. Auch zu seinen ukrainischen Kameraden hält Nikitin engen Kontakt, veranstaltete bereits ein Turnier in Kiew. All dies teilt der freizügig in den Sozialen Medien.

Mit seiner Mischung aus nationalsozialistischem Business, modernen Wehrsportangeboten und internationalen Netzwerken avanciert Nikitin zu einer zentralen Schlüsselfigur des rechtsextremen Hooliganismus in Europa. Dabei versucht er Hooligans an die Naziszene zu binden – mit einer Eventkultur, die Gewalt, Zusammengeho?rigkeit und politischen Hass zu einem gescha?ftlich eintra?glichen Festival macht. Er ist auch auf dem deutschen Markt aktiv. Gemeinsam mit Partnern wie dem Dresdner Label „Greifvogel“ und der französischen Marke „Pride France“ sponsert er das extrem rechte Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ (KdN). Dort trat er bei Boxkämpfen und als Redner auf (Kampf der Nibelungen 2017).

Im Zentrum der Veranstaltung stehen ein faschistisches Körperideal, Werte wie Härte und Selbstdisziplin sowie die Feindschaft zum demokratischen System. „Während bei den meisten „Fight Nights“ im bundesweiten Raum die Teilnahme des jeweiligen Sportlers allzu oft mit dem abverlangten Bekenntnis zur freien demokratischen Grundordnung steht oder fällt, will der Kampf der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem etablieren und in die Breite tragen„, heißt es auf der Homepage. „Umso mehr sehen wir den Schlüssel zum Erfolg und zur Erreichung der persönlichen Zielsetzung – egal ob im sportlichen, politischen oder persönlichen Sinne – in den Faktoren Wille, Disziplin und Fleiß“ – so werden die eigenen Werte beschrieben.

Der „Kampf der Nibelungen“ ist ein wichtiger Treffpunkt für rechte Hooligans, Neonazi-Kader und Teile der internationalen faschistischen Kampfsportprominenz. Es dient der Vernetzung, der Gewaltausübung sowie der Finanzierung der Szene. Die letzten Events fanden im Geheimen am 14. Oktober 2017 im sauerländischen Kirchhundem sowie auf einem Festival im sächsischen Ostritz am 20. und 21. April 2018 statt. Die Besucher_innenzahlen sind zuletzt auf weit über 500 angestiegen. Es ist gut möglich, dass die Kampfsportveranstaltung noch größer wird und sich weiter kommerzialisiert, zumal der KdN im Sommer 2017 beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert wurde. Man will wohl auf den freien Markt.

Fazit – Anerkennung und Prävention für den Kampfsport nötig

Rechte Hooligans bilden eine sehr lernfähige Szene, die sich über die Jahre professionalisiert und zum Teil kommerzialisiert hat. Doch wäre es falsch, die Landschaft des Kampfsportes in Deutschland pauschal als rechts zu bezeichnen. Dies ist bei weitem nicht der Fall. Vielmehr lassen sich die Veranstalter in Bezug auf das Thema Rechtsextremismus in drei Kategorien fassen (Claus 2017, S. 178):

  • Popkultur: Veranstalter wie „We love MMA“ wollen ein Event bieten, das auch Kampfsportfans jenseits einschlägiger Milieus erreicht und distanzieren sich deutlich von rechtsextremen Kämpfern;
  • Gewaltmilieu: Veranstalter wie die „German MMA Championship“ oder die „Fair Fighting Championship“ stammen selber zum Teil aus Milieus der Türsteher, Hooligans und Rocker. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie selber rechtsextrem sind, jedoch zeigen sie oftmals wenige Berührungsängste mit rechtsextremen Kämpfern. Proteste gegen Neonazis auf den Fightcards waren zuweilen erfolgreich;
  • Rechtsextremismus: Veranstalter wie die „Imperium Fighting Championship“ aus Leipzig entstammen selber zum Teil rechtsextremen Hooliganszenen. Ihre Events werden zu großen Teilen von Hooligans, Rockern und Neonazis besucht. Sie dienen der Vernetzung, Finanzierung und Rekrutierung der eigenen Strukturen. Ein besonderer Fall ist der „Kampf der Nibelungen„, welcher seit 2013 u.a. von Dortmunder Neonazis konspirativ in Rheinland-Pfalz, NRW und Hessen organisiert wird.

Darüber hinaus existiert eine Reihe von spezifischen Marken, die bei Rechtsextremen beliebt sind. Neben dem Vertrieb von Kleidung sponsern diese Labels Veranstaltungen und rechtsextreme Kämpfer, auch auf „Fight Nights“ im ländlichen Raum (Claus 2017; vgl. Bund der deutschen Landjugend 2017, S. 174 ff.)

Eine intensive Beschäftigung mit dem Thema in den sportpolitischen Gremien des Deutschen Bundestages hat bis heute nicht stattgefunden. Dabei ist eine solche Debatte dringend notwendig, denn MMA erfüllt die Kriterien von Sport: Es ist ein athletischer Wettbewerb mit transparenten Regeln, die von einer unabhängigen dritten Instanz – den Schiedsrichtern – durchgesetzt werden. Zudem wächst der Markt, immer mehr Kampfsportstudios bieten MMA an. Darüber hinaus führen Verbote kaum weiter, zumal die Untersagung von TV-Übertragungen durch das Internet schlichtweg wirkungslos wird.

Um die weitere Ausbreitung von rechtsextremen Hooligans und Neonazis im Kampfsport zu verhindern, bräuchte es eine intensive Beschäftigung mit dem Thema aus verschiedenen Perspektiven: Einerseits wäre es notwendig, eine breite gesellschaftlich-politische Debatte um Kampfsport im allgemein und MMA im speziellen zu führen. Hierbei geht es darum, dem Sport und seine einzelnen Disziplinen anerkennend zu begegnen und ernst zu nehmen, wie attraktiv er für Teile dieser Gesellschaft ist. Im zweiten Schritt wäre eine politische Diskussion über Sponsoren, Hausordnungen und Stellungnahmen bezüglich rechtsextremer Akteure zu führen. Bundesweite Netzwerke gegen Diskriminierung und Neonazis im Kampfsport sind ebenso denkbar wie eine verstärkte Einbindung Sozialer Arbeit in das Feld. Wenn sich die Arbeit gegen Rechtsextremismus diesem Feld nicht stärker zuwendet, werden Teile der Kampfsportwelt noch mehr zu einem Rückzugs- und Übungsraum für gewalttätige Neonazis werden, zumal dort eine professionalisierte Gewaltkompetenz vermittelt wird.

Zudem bräuchte es auch innerhalb der Kampfsportszene eine größere Sensibilität: Noch greifen die Nachrichtenblogs das Thema zu selten auf und berichten zu unkritisch über diskriminierendes Verhalten von Kämpfern. Dabei wäre es im Interesse vieler Anhänger, den Sport aus der „Schmuddelecke“ zu holen, in der er gegenwärtig steht. Der Fußball hat einst vorgemacht, wie es gehen könnte.

Letztlich wird an diesen Schilderungen und Analysen deutlich: Der organisierte Kampfsport hat sich zum zweiten Standbein der Szene entwickelt – neben den Fanszenen des Fußballs. So muss eine Arbeit gegen Rechtsextremismus und Gewalt im Sport das Feld ganzheitlich und systematisch denken sowie angehen. Denn rechte Hooligans haben ihre Gewalt erheblich professionalisiert: durch einen hohen Grad an Organisation, eigene Kampfsportevents und Trainingsstrukturen. Zudem tragen sie ihre rassistische Gewalt auf die Straße, üben politischen Druck auf progressive Teile der Fußballfanszene aus. Sie entscheiden am Ende darüber, welche Spruchbänder gezeigt werden dürfen und welche politischen Statements erlaubt sind. Der in den vergangenen Jahren vollzogene politische Rechtsruck der Bundesrepublik findet sich mittlerweile auch im Kampfsport und seinen Fanszenen wieder.

ROBERT CLAUS   Jahrgang 1983, Magister der Europäischen Ethnologie und Gender Studies, Mitarbeiter der „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaSgGmbH); letzte Buchveröffentlichung: Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik (Göttingen 2017).

Literatur

Althoff, Martina; Nijboer, Jan (2008): Fußball, Spiel und Kampf. Zur politischen Dimension des Hooliganismus. In: Klein, Gabriele; Meuser, Michael (Hg.): Ernste Spiele. Bielefeld, S. 135-154.

Bundesregierung (2017): Antwort auf die Kleine Anfrage „Verbindungen von Mixed-Martial-Arts-Kampfsportlern zur rechtsextremen Szene“, BT-Drs. 18/12644.

Bund der deutschen Landjugend (2017): Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Berlin.

Claus, Robert (2017): Hooligans. Göttingen.

DOSB (2017): Organisation und Mitgliedschaften. In: www.dosb.de/de/organisation/ mitgliedsorganisationen (Datum des Zugriffs: 21.08.2017).

Faszination Fankurve (2017): Coloniacs erklären Spruchband gegen die AfD. Abrufbar unter: www.faszination-fankurve.de/index.php?head=Coloniacs-erklaeren-Spruchband-gegen-die-AfD&folder=sites&site=news_detail&news_id=15612, zuletzt eingesehen am 01.05.2018.

Körner, Swen; Istas, Leo (2017): Martial Arts and Society. Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung. Hamburg.

Marquardt, Anja; Kuhn, Peter (2014): Von Kämpfern und Kämpferinnen – Kampfkunst und Kampfsport aus der Genderperspektive – Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre. Hamburg.

Parkin, Simon (2018): The rise of Russia`s neo-Nazi football hooligans. The Guardian v. 24.4.2018, abrufbar unter: www.theguardian.com/news/2018/apr/24/russia-neo-nazi -football-hooligans-world-cup

Troublemakers (2016): Das große Interview mit Denis Nikitin. Abrufbar unter: www.troublemakers.com.ua/2017/05/09/bolshoe-intervyu-s-denisom-nikitinym-white-rex-csk

Anmerkungen:

  1. FC steht jeweils für „Fighting Championship“.

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