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Und verwahre uns vor dem Bösen ...

Die Renaissance der Sicherungsverwahrung

Grundrechte-Report 2007, Seiten 69 – 74

Sinnfälligster Ausdruck einer Ablösung der Kriminalpolitik durch Sicherheitspolitik ist die Renaissance der Sicherungsverwahrung in den letzten acht Jahren (Weber 1999, Vack 2002, Pollähne 2005). Einen vorläufigen Höhepunkt fand diese Entwicklung mit der Verankerung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in § 66 b Strafgesetzbuch (StGB) durch die rot-grüne Bundestagsmehrheit im Jahre 2004. Die Sicherheitsgeister, die man rief, wird man aber nicht mehr los: Derzeit (Oktober 2006) stehen allein sechs Gesetzentwürfe zur Debatte, die allesamt auf eine Ausweitung der Sicherungsverwahrung hinauslaufen. In der vagen Hoffnung, künftige schwere Straftaten verhindern zu können, sollen immer mehr Menschen auf der Grundlage fragwürdiger Kriminalprognosen auf unabsehbare Zeit eingesperrt werden. Ihre Grund- und Menschenrechte werden einem verfassungsrechtlich nicht legitimierten Allgemeinheits-Grundrecht auf Sicherheit geopfert.

Siche­rungs­ver­wah­rung gegen Jugend­s­traf­täter

Mit dem soundsovielten Gesetz zur Änderung des Sexualstrafrechts wurde die Sicherungsverwahrung 2003 erstmals ins Jugendstrafrecht eingeführt. Auch wenn es zunächst nur solche Heranwachsende traf, gegen die ohnehin allgemeines Strafrecht Anwendung findet, war doch absehbar, dass das nicht das letzte Wort sein würde: Nach Entwürfen mehrerer Länder soll zukünftig auch gegen Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht Anwendung findet, Sicherungsverwahrung verhängt werden dürfen. Dem hat sich der Bundesrat mit großer Mehrheit angeschlossen (BT-Drs 16/1992).

Bayern geht noch einen Schritt weiter und fordert, die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch gegen ehedem Jugendliche nach Verbüßung einer Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren in Anschlag zu bringen (BR-Drs 181/06). Selbstverständlich immer nur wegen einer im Vollzug neu in Erscheinung getretenen Gefährlichkeit und nur auf der Grundlage zweier Gutachten – als würde allein das schon Rechtsstaatlichkeit verbürgen: Immerhin könnten so bereits Jugendliche auf ewig im Knast ein- und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden – sozialer Tod, bevor das Leben überhaupt richtig beginnen konnte.

Siche­rungs­ver­wah­rung gegen Ersttäter

Als die Nazis Ende 1933 die Sicherungsverwahrung in das deutsche Strafrecht einführten, verankerten sie vergleichsweise hohe formale Hürden (Sicherungsverwahrung nur gegen einschlagig und mehrfach vorbestrafte Tater, sog. Gewohnheitsverbrecher). Die bundesdeutsche Gesetzgebung fällt in den letzten Jahren mehr und mehr dahinter zurück: Nachdem die Voraussetzungen bereits 1998 erheblich abgesenkt wurden, wird nun ernsthaft die Einführung einer Sicherungsverwahrung für Ersttäter erwogen. Einem Entwurf Mecklenburg-Vorpommerns zufolge soll bereits die erstmalige Verurteilung wegen einer schweren Tat zu mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe ausreichen, um – entsprechende Gefährlichkeitsprognosen vorausgesetzt – unbefristete Sicherungsverwahrung anzuordnen (BR-Drs 876/05). Was vor nicht allzu langer Zeit noch als infamer Scherz abgetan worden wäre, erscheint damit bereits am Horizont: Warum soll ein konsequenter Sicherheitsstaat eigentlich die erste (schwere) Tat abwarten? Wer will denn dem Opfer des Ersttäters erklären, warum dieser nicht bereits hinter Schloss und Riegel saß, wenn doch zwei Gutachter seine Gefährlichkeit hätten belegen können?

Siche­rungs­ver­wah­rung gegen den Bundes­ge­richtshof

Besonders brisant ist das Ansinnen, das Instrumentarium der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66 b StGB) »nachzubessern« weil sich der Bundesgerichtshof (BGH) darum bemüht, deren Anwendungsbereich in Grenzen zu halten: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung erscheint ihm allenfalls dann vertretbar, wenn neue Tatsachen während des Vollzuges eine schwerwiegende Wiederholungsgefahr begründen, die dem letzten Tatgericht noch nicht erkennbar war – alles andere wäre eine gesetzlich nicht vorgesehene Wiederaufnahme zu Lasten des rechtskräftig Verurteilten (vgl. aber BT-Drs 16/1344). Diese BGH-Linie kommt dem rot-grünen Minimalkonsens von 2004 ziemlich nahe – die neuen realpolitischen Mehrheiten reklamieren jedoch Judikativen Ungehorsam gegenüber der Legislative: Mit einem Gesetzentwurf »zur Stärkung der Sicherungsverwahrung« (BT-Drs 16/1992) will der Bundesrat mit großer Mehrheit eine Ausweitung des 566 b StGB erreichen. Er wendet sich damit zwar auch gegen den o.g. Plan Mecklenburg-Vorpommerns zur Einführung einer Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter, aber nur, um stattdessen die nachträgliche Sicherungsverwahrung auszuweiten und auf Altfälle zu erstrecken: Es gehe auch um »Verurteilte, gegen die eine originäre Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht möglich war und ist (Ersttäter). Es besteht ein dringendes Bedürfnis, die Bevölkerung auch vor solchen Gewalttätern zu schützen« (a. a. 0. S. 6).

Siche­rungs­ver­wah­rung gegen Grund- und Menschen­rechte

Zugegeben: In einem dem Prinzip der Gewaltenteilung verpflichteten demokratischen Rechtsstaat muss der Gesetzgeber das letzte Wort darüber haben, was von Gesetzes wegen gelten soll. Aber auch in einem demokratischen Rechtsstaat darf er nicht alles, was in seiner Mehrheits-Macht steht: Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte wachen über die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte, auf dass der Sicherheitsstaat sie nicht zu Tode schütze.

Das BVerfG hat die gesetzliche Konstruktion der nachträglichen Sicherungsverwahrung (in § 66 b Absatz 2 StGB) zwar kürzlich abgesegnet, die restriktive Rechtsprechung des BGH (s.o.) aber konsequent fortgeschrieben: Eine der wenigen Anordnungen, die sogar der BGH hingenommen hatte, wurde von den Verfassungsrichtern aufgehoben (Beschluss vom 23. 8. 2006 – 2 BvR 226/06). Neu seien Tatsachen nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur, wenn sie erst im Vollzug der Freiheitsstrafe bekannt geworden sind und dem letztinstanzlich zuständigen Gericht im Ausgangsverfahren auch bei pflichtgemäßer Wahrnehmung seiner Aufklärungspflichten nicht hätten bekannt werden können. Nur so werde verfassungsrechtlich sichergestellt, dass durch die nachträgliche Sicherungsverwahrung
nicht Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ausgangsverfahren zu Lasten des Verurteilten korrigiert werden. Der vorgelegte Entwurf des Bundesrates wird dem absehbar nicht gerecht.

Das BVerfG hatte nicht darüber zu befinden, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung überhaupt mit der Europäische Menschenrechtskonvention zu vereinbaren ist, wie dies in der einschlägigen Fachliteratur mehrfach bestritten wurde (exempl. Rzepka 2003, 207ff.). In der Tat fällt es nicht leicht, dieses radikale Sicherheitsinstrumentarium in dem abschließenden Katalog menschenrechtlich akzeptierter Freiheitsentziehungen (Artikel 5 Absatz 1 EMRK) unterzubringen – einer Entscheidung des EGMR darf man gespannt entgegen sehen.

Verwahren wir uns gegen die sichere Entgrenzung des Rechts­s­taats!

Ein Staat, der zur Sicherung der Allgemeinheit beständig für sich in Anspruch nimmt, bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehen zu dürfen, täuscht darüber hinweg, dass er damit ebenso beständig an der Grenze des Unrechtsstaats agiert. Mit den vorliegenden Entwürfen würde diese Grenze einmal mehr verwischt – in der Hoffnung, im Namen der Sicherheit fänden keine Grenzkontrollen mehr statt: Die gerichtlichen Kontrollinstanzen (allen voran BGH, BVerfG und EGMR) können gewissen Entgrenzungen des Rechtsstaates begegnen – in Zeiten großer sicherheitspolitischer Koalitionen bedarf es aber mehr denn je einer starken bürgerrechtspolitischen APO.

Literatur

Helmut Pollähne, Trendwende im Strafrecht?, in: SchlHA 2005, S. 135 ff.

Helmut Pollähne, Große kriminalpolitische Koalitionen, in: RAV-Informationsbrief 96, April 2006, S. 6 ff.

Dorothea Rzepka, Sicherheits- statt Rechtsstaat, in: R&P 2003, S. 91 ff., 127 ff.

Sonja Vack, Strafe nach der Strafe?, in: Grundrechte-Report 2002, S. 189ff.

Hartmut-Michael Weber, Die Wiederauferstehung der Sicherungsverwahrung, in: Grundrechte-Report 1999, S. 181 ff.

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