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Anmerkungen zur religi­ons­po­li­ti­schen Debatte der HU

25. Januar 2016

in: HU-Mitteilungen Nr. 228 (1/2016), S. 12/13

Für die auf der 24. Delegiertenkonferenz der HU am 1. November 2015 begonnene Debatte über Religionspolitik möchte ich einige Anregungen unterbreiten:

1. Es ist ratsam, aber nicht ausreichend, an den bisherigen Positionen in religionsverfassungsrechtlicher Hinsicht festzuhalten, wie sie zuletzt in den Thesen „Trennung von Staat und Kirche“ (1995) nachzulesen sind. Ich sehe bei keiner der 10 Thesen einen substanziellen Änderungsbedarf.

2. Allerdings: Bisher wurde auch in der HU den massiven und schnell fortschreitenden Veränderungen der religiösen Orientierung der in Deutschland lebenden Menschen nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt, also dem Umstand, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen muslimischen Glaubens ist (zu den ca. vier Millionen hier lebenden Muslimen kommt vermutlich gerade die fünfte Million dazu), und dass darüber hinaus die Zahl der keiner Religionsgemeinschaft angehörenden Menschen immer größer wird: es sind wohl schon mehr als 25 Millionen.

3. Dieser Wandel hat praktische Bedeutung vor allem für die Fragen im Zusammenhang mit dem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, und zwar solange der (rechtlich obligatorische, jedoch faktisch freiwillige) Religionsunterricht verfassungsrechtlich garantiert ist (Art. 7 Abs. 3 GG):

a) hinsichtlich der muslimischen Schülerinnen und Schüler

  • Soll es aus Gründen der Religionsparität einen muslimischen Religionsunterricht (oder mehrere) für Muslime geben?
  • Wer bestimmt über die Teilnahme?
  • Wer bestimmt über den Inhalt des muslimischen Religionsunterrichts?
  • Wie kann die Ausbildung der Lehrenden in diesem Fach sichergestellt werden?

b) mit Blick auf die keiner Religionsgemeinschaft angehörenden Schülerinnen und Schüler

  • Soll es weiterhin – wie in den meisten deutschen Ländern – einen Ersatzunterricht für die Schülerinnen und Schüler geben, die keinen Religionsunterricht „genießen“ (Ethik o.ä.)?
  • Ist es angezeigt, neben dem derzeitigen konfessionell gebundenen, faktisch freiwilligen Glaubensunterricht an öffentlichen Schulen einen verpflichtenden gemeinsamen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler vorzusehen (Ethik, Religionskunde, Werte und Normen o.ä.)?
  • Wie kann die Ausbildung der Lehrenden in diesem Fach sichergestellt werden?

4. Für die Muslime und die Angehörigen andere nichtchristlicher Religionen stellen sich Fragen der Bindung an die deutsche, teilweise christlich (jedenfalls nicht islamisch) geprägte Rechtsordnung bei Ausübung der Religionsfreiheit:

  • Kopftuch bei Lehrerinnen und auch sonst im öffentlichen Dienst
  • Teilnahme von Schülern am Sport- und Schwimmunterricht, am Sexualkundeunterricht, an Ausflügen, Beten in der Schule
  • Feiertage, religiöses Verhalten in der Öffentlichkeit
  • Begräbnis
  • Schächten
  • Ehe und Scheidung
  • innerreligiöse Streitentscheidung (Stichwort: Scharia)

Zu diesen und anderen denkbaren Konfliktfeldern fehlt es bisher an einer Positionierung der HU aus bürgerrechtlicher Sicht.

5. Die HU muss sich in allen genannten Bereichen nicht nur bürgerrechtlich positionieren, sondern aus den Positionen einen Handlungsbedarf entwickeln im Sinne einer Einwirkung auf die politischen und anderen Entscheidungsträger. Dabei sollten wir natürlich aus Gründen der begrenzten Ressourcen Handlungsschwerpunkte festgelegen, wie dies etwa bisher bei der Frage der Staatsleistungen geschehen ist. In Betracht kommen nach meiner Einschätzung im Prinzip

  • Religionsunterricht und die anderen „islamischen Probleme“ in der Schule
  • der staatliche Kirchensteuereinzug;
  • das kirchliche Sonderarbeitsrecht; ob hier neben den vorhandenen Akteuren (vor allem den DGB-Gewerkschaften) Raum für Aktivitäten der HU besteht, kann allerdings fraglich sein;
  • der Körperschaftscharakter von Religionsgemeinschaften;
  • die (Staats-)Verträge zwischen den Ländern und den Religionsgemeinschaften: neue Verträge, Evaluierung und Kündigung aller Verträge;
  • damit im Zusammenhang die Frage, ob die Regelungen des Religionsrechts (soweit überhaupt erforderlich) durch Gesetz erfolgen sollten;
  • die Problematisierung der nicht verfassungsrechtlich abgesicherten Privilegien der Kirchen und ggf. anderer religiöser Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Es versteht sich, dass nicht alle Themen aufgegriffen werden können, sondern nur ein Thema oder einige.

6. So wichtig es ist, „Grundsatzpapiere“ zu erarbeiten, mit denen sich die HU ihrer Position versichert, wie z.B. die oben genannten 10 Thesen: noch wichtiger ist es, entsprechend unserer politischen Ausrichtung auch wirksam zu werden (Öffentlichkeit, Verbände, Politik, Religionsgemeinschaften). Die Mühsal, die damit verbunden ist (Gespräche führen, Briefe schreiben, Petitionen auf den Weg zu bringen, Veranstaltungen und Demonstrationen zu organisieren, Partner zu gewinnen) übersteigt eigentlich die Möglichkeiten der HU, vor allem, wenn nur wenige damit belastet sind. Daher sollte noch einmal der Versuch unternommen werden, Mitstreiter innerhalb des Verbandes zu gewinnen (Arbeitskreis). Auch innerhalb des Vorstandes sollten möglichst mindestens zwei Personen daran arbeiten.

Johann-Albrecht Haupt´
aus Hannover gehört dem Beirat der Humanistischen Union an und war bis 2013 für das Thema Staat/Kirche verantwortliches Mitglied des Bundesvorstands.

Zur Debatte:
Kirsten Wiese: Religionspolitik der HU: Überlegungen zur weiteren Ausrichtung, in: HU-Mitteilungen Nr. 227 (3/2015), S. 11-15.

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