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Kündigung wegen Kirche­n­aus­tritts - der Skandal muss ein Ende haben

26. April 2013

Als skandalös bezeichnet die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht (2 AZR 579/1 vom 25.4.2013). Das Gericht setze mit seiner Entscheidung die einseitige Rechtsprechung fort, bei der individuellen Freiheitsrechte der Arbeitnehmer/innen niedriger bewertet würden als das Selbstorganisationsrecht der Kirchen. Zudem weite das Bundesarbeitsgericht mit dieser Entscheidung den Bereich „verkündungsnaher Tätigkeiten“ in nicht nachvollziehbarer Weise aus.

Der Caritasverband in Baden-Württemberg hatte einem seit 20 Jahren bei ihm beschäftigten Sozialarbeiter gekündigt, weil dieser mit Verweis auf die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen und die Vorgänge um die Piusbruderschaft aus der katholischen Kirche austrat. Das Bundesarbeitsgericht erklärte diese Kündigung für rechtswirksam. Der Caritas könne nicht zugemutet werden, so das Gericht, einen Mitarbeiter in einem „verkündungsnahen Bereich“ weiter zu beschäftigen, der seine Loyalitätspflicht gegenüber der Kirche auf diese Weise verletzt habe. Religionsfreiheit, Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Betroffenen müssten gegenüber dem „Selbstbestimmungsrecht“ der Caritas zurücktreten.

Dazu erklärt Johann-Albrecht Haupt vom Bundesvorstand der HU: „Diese Entscheidung ist besonders verblüffend, weil es keineswegs um religiöse Unterweisungen oder verkündungsnahe Tätigkeiten ging. Wie das Gericht in seiner Pressemitteilung selbst betont, betreute der Betroffene nachmittags Kinder in einem Sozialzentrum. Bei den Kindern spielte die Religionszugehörigkeit keine Rolle, religiöse Inhalte wurden ausdrücklich nicht vermittelt. Warum der Gekündigte dennoch ‚verkündungsnah‘ tätig gewesen sein soll, weiß allein das Gericht.

Johann-Albrecht Haupt sieht das Urteil des obersten deutschen Arbeitsgerichts in auffälligem Gegensatz zur neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hatte im Herbst 2010 ein ähnliches Urteil des Bundesarbeitsgerichts verworfen. Damals hatte die katholische Kirche einem langjährig bei ihr beschäftigten Kirchenmusiker entlassen, nachdem dieser sich scheiden ließ und eine neue Partnerschaft einging. Während die deutschen Arbeitsgerichte diese Kündigung billigten, wurde sie vom Europäischen Gerichtshof verworfen. Die europäischen Richter warfen ihren deutschen Kollegen vor, die Interessen des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt und einseitig auf die kirchlichen Interessen abgestellt zu haben, obwohl es sich ersichtlich nicht um eine Tätigkeit gehandelt habe, die etwas mit Glaubensverkündigung zu tun gehabt habe.

Die deutsche Rechtsprechung zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht verstößt nach Auffassung der HU nicht nur gegen das europäische Diskriminierungsverbot, sondern auch gegen das Grundgesetz. Dieses stelle das „Selbstbestimmungsrecht“ der Kirchen keineswegs über die Glaubensfreiheit und das Lebensgestaltungsrecht der Arbeitnehmer. Vielmehr bindet die Verfassung die Kirchen ausdrücklich und wörtlich an die „Schranken des für alle geltende Gesetzes“ (Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung i.V.m. Art. 140 Grundgesetz). Dazu gehört – so die Humanistische Union – vor allem das Recht auf freie Ausübung der Religion (also auch der Kirchenaustritt) und das staatliche Kündigungsschutzrecht. „Einen automatischen Vorrang kirchlicher Interessen, wie ihn das Bundesarbeitsgericht jetzt wieder praktiziert, kennt die Rechtsordnung des weltanschaulich neutralen Staates nicht, auch nicht bei den Arbeitsverhältnissen mit kirchlichen Einrichtungen. Ausnahmen darf es nur für Geistliche, Ordensangehörige und leitende Kirchenvertreter geben“, betont Haupt.

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Pressemitteilung des BAG zur Entscheidung vom 25.4.2013
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