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Seit 99 Jahren unein­ge­löstes Versprechen

05. Juni 2018

Nach Recherchen der Humanistischen Union belaufen sich die aktuellen Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen in diesem Jahr auf die Rekordsumme von 538 Millionen Euro. Aus diesem Anlass fordert die Bürgerrechtsorganisation Bund und Länder auf, endlich in die Verhandlungen über eine gesetzliche Regelung zur Ablösung bzw. Aufhebung dieser Staatsleistungen einzutreten.

Anlässlich der Vorstellung der neuen Zahlen bekräftigt Johann-Albrecht Haupt, der für die Humanistische Union die Beträge recherchiert hat: „Es entbehrt jeglicher Logik, dass für angebliche Enteignungen, die nun fast 200 Jahre her sind, Jahr für Jahr mehr Geld aufgebracht wird – und ein Ende nicht in Sicht sein soll. Bisher hat niemand eine Rechnung aufgemacht, wie hoch die zu entschädigende Gesamtsumme eigentlich sein soll. Seit dem zweiten Weltkrieg wurden mittlerweile 17,9 Milliarden Euro ausgezahlt, und jedes Jahr wird mehr Geld überwiesen.“ Die stetige Anhebung der Staatsleistungen erklärt sich aus der in den Kirchenverträgen festgelegten Koppelung an die Entwicklung der Beamtenbezüge. Der Rückgang der Zahl der Kirchenmitglieder wird dagegen nicht berücksichtigt.

Bei den Staatsleistungen handelt es sich um zweckbindungsfreie staatliche Zahlungen an die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche. Sie werden von allen Bundesländern – mit Ausnahme von Hamburg und Bremen – Jahr für Jahr an die beiden großen Kirchen in Deutschland überwiesen. Wofür und wie die Kirchen sie verwenden, darüber sind sie keinerlei Rechenschaft schuldig. Ihre Verwendung kann daher auch nicht von den Rechnungshöfen geprüft werden. Die Zahlungen werden allgemein als Entschädigung für Enteignungen im Zuge der Reformation bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründet. Die Staatsleistungen sind nicht zu verwechseln mit den leistungsgebundenen Zahlungen an Kirchen bzw. kirchliche Träger für sozial-karitative und sonstige Aktivitäten (etwa den Betrieb von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen …), für Entwicklungshilfe oder Denkmalpflege.

Die 1919 in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung (Artikel 138) sowie das Grundgesetz (Artikel 140) schreiben als Folge der Trennung von Staat und Kirche die Ablösung der Staatsleistungen, also die Beendigung dieser Zahlungen vor. „Dieser Verfassungsauftrag wird bis heute von der Politik ignoriert, obwohl die Kirchenleitungen dazu mehrfach ihre Bereitschaft erklärt haben. Der Bund müsste dafür, wie in der Verfassung vorgesehen, ein Grundsätzegesetz erlassen, welches dann nach Verhandlungen mit den Landeskirchen und Diözesen in den Ländern umzusetzen wäre. Andererseits nehmen die Kirchen – wer wollte es ihnen verdenken – die halbe Milliarde Euro jährlich gern entgegen“, so Johann-Albrecht Haupt.

Hintergrundinformationen:

Die Humanistische Union setzt sich seit Jahren für eine Ablösung der Staatsleistungen ein. Dazu veröffentlicht seit 2011 jährlich die aktuellen Zahlen der Staatsleistungen an die beiden Kirchen. Zuvor hatten Vertreter des Bundes und der Länder lange Zeit behauptet, sie könnten nicht über die von der Verfassung gebotene Aufhebung der Staatsleistungen verhandeln, weil unklar sei, wie viel der Staat bereits gezahlt habe.

Im Anhang finden Sie zwei Tabellen mit aktuellen Angaben zu den Staatsleistungen:

1. Staatsleistungen der einzelnen Bundesländer im Jahr 2018, aufgeschlüsselt nach evangelischer/katholischer Kirche, Mitglieder- und Einwohnerzahlen

2. Entwicklung der Staatsleistungen der Länder seit 1949 bis heute

Quellenangabe für die Daten:

Johann-Albrecht Haupt: Staatsleistungen der Länder an die Kirchen (Stand: 2018), in: vorgänge Nr. 221/222 (1-2/2018), S. 213-220

  • Johann-Albrecht Haupt: Nichtablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, Geschichte eines politischen Versagens, in: vorgänge Nr. 203 (Heft 3/2013), S. 16-28
  • Sven Lüders: Ein X für ein U vorgemacht, Politiker in Bund und Ländern deuten das Verfassungsgebot zur Ablösung der Staatsleistungen. Mitteilungen der Humanistischen Union Nr. 215/216 (1/2012), S. 13f.
  • Johann-Albrecht Haupt: Nichts wissen und nichts wissen wollen. Die Bemühungen der Humanistischen Union um eine Bestandsaufnahme der Staatsleistungen an die Kirchen. Mitteilungen der Humanistischen Union Nr. 212 (1/2011), S. 1-4
  • Carsten Frerk: Staatsleistungen, in: Rosemarie Will (Hrsg.), Die Privilegien der Kirchen und das Grundgesetz. 4. Berliner Gespräche über das Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung, Berlin/Norderstedt 2011, S. 61
  • Johann-Albrecht Haupt: Ewige Rente für die Kirchen? Seit neunzig Jahren fordert die Verfassung eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. in: vorgänge Nr. 189 (Heft 1/2010), S. 86-94

Für Rückfragen steht Ihnen der Geschäftsführer der Humanistischen Union, Sven Lüders, unter Telefon 030 / 204 502 56 bzw. 01520 183 1627 gern zur Verfügung.

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