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Bürger­rechte im Fokus - Diskussion mit Kandidaten zur Landtags­wahl

28. April 2010
Datum: Mittwoch, 28. April 2010

Podiumsdiskussion im Bonner Haus der Kirche am 28. April 2010

Bürgerrechte im Fokus - Diskussion mit Kandidaten zur Landtagswahl

Auf Einladung der Köln-Bonner Regionalgruppe der Humanistischen Union, der örtlichen Gruppen des Republikanischen Anwaltsvereins und des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung hatten Landtagskandidaten bzw. Vertreter der kandidierenden Parteien die Gelegenheit, sich zu Fragen der Grund- und Freiheitsrechte zu äußern. Erschienen waren die Kandidaten Bernhard von Grünberg (SPD), Eike Block (Grüne), Christian Horchert (Piraten) und Monika Dahl (Linke); die FDP wurde durch ihren Bonner Ratsherrn Achim Kansy vertreten, der selbst nicht für den Landtag kandidiert. Die CDU entsandte keinen Vertreter auf das Podium, wie sie es bei einer ähnlichen Veranstaltung zur Europawahl 2009 ebenfalls gehandhabt hatte.

Die drei veranstaltenden Organisationen gestalteten je einen eigenen thematischen Abschnitt der Veranstaltung, mit Fragen zu spezielleren Themen. Darüber hinaus konnten sich die Zuhörer mit eigenen Fragen einbringen. Für den reibungslosen Ablauf sorgte als Moderator der Bonner Politologe Christoph Lövenich.

Auf Vorschlag der Humanistischen Union wurde zunächst das Thema Polizeirecht befasst. Bennet Krebs stellte die Forderungen der Organisation vor: Demokratisierung der Polizei durch Schaffung von unabhängigen Polizeibeauftragten als Ansprechpartner für die Bevölkerung bei Beschwerden sowie den Verzicht auf den Einsatz privater Sicherheitsdienste zur Durchführung polizeilicher Aufgaben.

Alle auf dem Podium vertretenen Personen standen der Forderung nach unabhängigen Polizeibeauftragten offen gegenüber, waren aber zumeist der Meinung, dass dieses Instrument für eine Bekämpfung von Missständen bei polizeilicher Arbeit nicht ausreiche. Von Grünberg forderte angesichts konkreter Vorfälle in der Vergangenheit auch eine Verbesserung der Ausbildung durch Problematisierung von Schwierigkeiten in Männergesellschaften wie der Polizei. Block könnte sich auch andere Institutionen vorstellen um die Transparenz der Polizei zu verbessern, etwa eine Aufwertung bestehender Kreispolizeibeiräte. Mit Horchert war er sich einig, das Polizisten im Einsatz durch individuelle Identifikationsnummern erkennbar sein sollten, besonders bei Demonstrationen und Großeinsätzen hätte es in der Vergangenheit Kritik an polizeilichem Handeln gegeben. Kansy plädierte dafür, das positive Bild der Polizei nicht zu beschädigen, wenngleich auch er einer Verbesserung von Transparenz und Beschwerdemanagement offen gegenüber stand. Außerdem habe die amtierende Landesregierung durch eine großzügigere Personalpolitik schon für Verbesserungen bei der Polizei gesorgt. Die personelle Ausstattung nahm auch Dahl in den Blick, sah hier allerdings Anlass für Kritik. Der Druck, der durch mangelndes Personal und schlechte Arbeitsbedingungen auf den Beamten lastete, könnte sich durch Überforderung und Fehlverhalten bei konkreten Einsätzen äußern, hier sei also anzusetzen, so Dahl. Auch stimmte sie deshalb der zweiten Forderung nach Verzicht auf den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten zur Erledigung polizeilicher Aufgaben zu: Hier drohe zusätzlicher Druck auf Lohnniveau und Arbeitsbedingungen bei der Polizei. Auch die übrigen auf dem Podium vertretenen Kandidaten lehnten den Einsatz derartiger Sicherheitsdienste ab: Hoheitliche Aufgaben müssten durch staatliche Institutionen erledigt werden, waren sie sich einig.

Was kann die Landespolitik zur Stärkung des Datenschutzes der Bürger unternehmen? Dies war die Fragestellung des zweiten Themenblockes, zu dem Gabriele Pohl vom AK Vorratsdatenspeicherung die Forderungen ihrer Organisation vorstellte: Wären die Politiker bereit, den Grundsatz der Datensparsamkeit zur Prämisse ihrer jeweiligen Landespolitik zu erheben? Sollte im Rahmen des Föderalismus nicht die Landespolitik für eine Verteidigung des Datenschutzes der Bürger eintreten, angesichts einer Bundesverwaltung, die mehr und mehr Merkmale über ihre Bürger sammele, etwa im Zuge des neuen Bundesmelderegisters, das ohnehin überflüssig sei, da die bisherige Verwaltung der Meldedaten als Sache der Länder ausreichend gewesen sei?

Die Politiker reagierten insgesamt positiv auf diese Forderung, wiesen aber einstimmig darauf hin, dass es auch Handlungsbedarf angesichts umfangreicher werdender privatwirtschaftlicher Datensammlungen gebe.

Kansy behauptete, mit der Frage des Datenschutzes sei eine Kernkompetenz seiner Partei angesprochen – eine Darstellung, der seine Podiumskollegen mit Hinweis auf die etwa von FDP-Innenminister Wolf versuchte Einführung der so genannten Online-Durchsuchung widersprachen. Hinsichtlich neuer Maßnahmen verwies Kansy auf die geplante Einführung eines Gesetzes zur Erschwerung des privatwirtschaftlichen Sammelns von Daten – ein Ansatz, dem Horchert zustimmte: Das private Datensammeln müsse durch die Kosten, die bei einem verbesserten Auskunftsrecht der Bürger entstünden, so verteuert werden, dass sich die ungebremste Datensammlung und ihr Missbrauch nicht mehr lohnen. Von Grünberg stimmte der Kritik am Bundesmelderegister zu. Schleichend würden entsprechende Landeskompetenzen an den Bund übertragen. Aus seiner Tätigkeit beim Mieterbund berichtete er über eine Verschärfung des Scorings und anderer Praktiken insbesondere gegen Menschen, die über geringe Einkommen verfügten. Diese Praxis von Banken, Wohneigentümern und anderen Anbietern gefährde die Freiheit ebenfalls in hohem Maße. Block versprach, er wolle sich im Landtag für eine Verbesserung der Mediendidaktik in Schulen einsetzen. Junge Menschen sollten zum vorsichtigeren Umgang mit dem Internet befähigt werden.

Kontrovers wurde es bei der Frage nach dem Ankauf von Datensätzen mit gestohlenen Informationen über sogenannte „Steuersünder“. Auch im Plenum schien hier das Meinungsbild geteilt. Block und Dahl verteidigten entsprechende Schritte in der Vergangenheit, wenn sie auch einräumten, dass der Kauf von geklauten Daten und somit der Handel mit Kriminellen seitens der Staates nicht zur Routine werden dürfe. Kansy und Horchert lehnten entsprechende Aktionen mit Blick auf ihren Dammbruchcharakter und die Gefahr der Anstiftung zu weiteren Straftaten ab. Kansy ergänzte, dass auch das Bankgeheimnis stärker als Problem des Datenschutz diskutiert werden solle. Von Grünberg versuchte ein differenziertes Plädoyer: Wichtig sei, der Justiz die Möglichkeit zur Güterabwägung zu erhalten. Über die Verwendung entsprechender Datensammlungen sollten unabhängige Gerichte im Einzelfall entscheiden.

Skandale im Strafvollzug in NRW gab es in den letzten Jahren einige. Besonders tragisch stellte sich der vor wenigen Jahren geschehene „Foltermord“ an einem Insassen der Jugendhaftanstalt in Siegburg da, der durch Zellengenossen begangen wurde. Dieses Ereignis, für das die amtierende Justizministerin bis heute die politische Verantwortung nicht übernommen hat, wurde von Anni Pues, Vertreterin des Republikanischen Anwaltsvereins, als Hintergrund für ihre Einleitung zum Thema „Jugendstrafvollzug“ gewählt. Im Rahmen der Föderalismusreform seien dem Bundesland zusätzliche Kompetenzen bei der Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs zugefallen, die in Richtung einer humaneren Ausrichtung genutzt werden sollten. Rückschrittlich sei die von der gegebenen Landtagsmehrheit vorgenommene Einführung der Möglichkeit des Schusswaffengebrauches bei Fluchtversuchen auch im Jugendstrafvollzug. Allgemein schade Inhaftierung bei der Resozialisierung von Jugendlichen oftmals mehr, als das sie nütze. Daher sollten Alternativen im Umgang mit jugendlichen Straftätern gestärkt werden.

Für mehr Prävention von Jugendkriminalität sprachen sich alle der auf dem Podium vertretenen Politiker aus. Für Block schadet hier die mangelnde Finanzausstattung der Kommunen, die viele bestehende Präventionsprogramme gefährde. Geschlossener Vollzug sei im Umgang mit jugendlichen Straftätern möglichst zu vermeiden, Zukunftsperspektiven und soziale Kompetenzen stärker zu vermitteln. Von Grünberg konstatierte eine Explosion der Probleme im Bereich Jugendkriminalität, die durch eine zunehmende Auflösung sozialer Strukturen versursacht werde. In seiner früheren Amtszeit als Landtagsabgeordneter habe er sich besonders gegen die zusätzliche Kriminalisierung von Roma-Kindern gewandt. Dahl versprach, sich gegen die angesprochene Möglichkeit des Schusswaffengebrauches im Jugendstrafvollzug einzusetzen, außerdem müssten offene Formen des Strafvollzuges und psychologische Betreuung gestärkt werden. Horchert räumte ein, das Thema sei für ihn neu und sehr komplex; Haft im Jugendstrafvollzug führe zu einer höheren Rückfälligkeit als alternative Programme, entsprechend sollten bestehende Gesetze reformiert werden. Als Vertreter der Regierungspartei FDP zeigte sich Kansy von der Möglichkeit des Schusswaffengebrauches im Jugendstrafvollzug entsetzt, er wolle sich bei den Landtagsabgeordneten der FDP für eine Änderung der entsprechenden Passage einsetzen. Leider würden Jugendhaftanstalten auch in Zukunft eine Notwendigkeit darstellen, aber auch er sprach sich für eine stärker präventive Ausrichtung in diesem Bereich aus.

Aus dem Plenum wurde daraufhin grundsätzlicher auf die Ursachen von Jugendkriminalität hingewiesen: Diese seien auch in einer verfehlten, zu repressiven Drogenpolitik zu sehen. Eine Bestandsaufnahme der von Grünberg zustimmte: Die Hälfte aller Straftäter sei aufgrund von Taten in Haft, die im Zusammenhang mit ihrem Drogenkonsum begangen wurden. Deshalb solle im Umgang mit harten Drogen auf Entkriminalisierung gesetzt werden, etwa durch die kontrollierte Abgabe von Heroin. In den Gefängnissen neigten viele der wegen Beschaffungsdelikten Verurteilten dazu, in schwerwiegendere kriminelle Aktivitäten erst verwickelt zu werden. Horchert stimmte dieser Darstellung weitgehend zu, obwohl er auf die insgesamt kontinuierlich nachlassenden Verurteilungen aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes verwies; grundsätzlich trete er für eine weitgehende Liberalisierung in der Drogenpolitik ein. Dahl und Block wollten diese Forderung immerhin hinsichtlich der sogenannten „weichen Drogen“ unterstützen, Cannabis/Marihuana stellten geringere Risiken als legale Drogen wie Alkohol/Nikotin dar.

Insgesamt ermöglichte die Veranstaltung den interessierten Zuhörern einen interessanten Einblick in die Programme der Parteien im Bereich der Innen- und Rechtspolitik dar. Somit war der Abend auch eine gelungene Entscheidungshilfe für die am 9. Mai 2010 stattfindende Landtagswahl.

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