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Darf Dussmann Bin Laden jagen? Musterklage gegen Ausbreitung der privaten Video­über­wa­chung

20. November 2002

Ein Berliner Journalist hat gegen den Dussmann-Konzern Klage erhoben. Mit der Rechtsvertretung betraut ist der Anwalt und Datenschutzfachmann Nils Leopold vom Bundesvorstand der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union.

Der Journalist wehrt sich gegen die am „Kulturkaufhaus“ Dussmann in der Berliner Friedrichstraße praktizierte Videoüberwachung: Hochmoderne Kameras erfassen dort nicht bloß Verkaufsräume und Passagen, sondern auch die umliegenden Gehwege und Straßen. Als Begründung dieser Totalüberwachung teilte der Firmenanwalt dem Gericht nun unter anderem mit, es handele sich um eine Videoüberwachung „zum Schutz vor terroristischen Angriffen“.

Hierzu stellt der HU-Bundesvorsitzende Dr. Till Müller-Heidelberg fest: „Videoüberwachung ist das Symbol einer Überwachungsgesellschaft und zugleich ein Zeichen von Ohnmacht im Umgang mit der Lösung von sozialen Konflikten. Die zunehmenden Überwachungen schaffen genau das Klima von Angst und Misstrauen, das sie nach Aussagen ihrer Befürworter verhindern sollen. Die systematische Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern beseitigt auch deren Recht auf die anonyme und ungestörte Nutzung städtischer Räume.
Der vorgebliche „Schutz vor terroristischen Angriffen“ kann keine Ermächtigung für selbsternannte Strafverfolger sein. Eine Kamera-Überwachung öffentlich zugänglicher Flächen nach Belieben ist selbst der Polizei versagt. Dieses Tabu sollte erst recht für Private gelten, deren Tun keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Das Interesse von Unternehmen, mit Hilfe von Hausrechten eine letztlich dem Konsum dienliche Sonderrechtsordnung durchzusetzen, findet seine Grenze in den Grundrechten, insbesondere dem Persönlichkeitsrecht der unterschiedslos Betroffenen.“

Die Videoüberwachung stellt nahezu immer einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar, weil für die zahlreichen, ohne Anlass Betroffenen völlig unklar bleibt, wer sie in welcher Weise in welchem Umfang überwacht und was dabei mit den aufgezeichneten Bildern geschieht. Da die geltenden Gesetze keine wirksamen Schranken für die Weitergabe an Sicherheitsbehörden kennen, entsteht überdies schleichend eine flächendeckende Überwachungsinfrastruktur. Für die Überwachten ist ein Ausweichen kaum noch möglich, weil inzwischen bereits ganze Straßenzüge betroffen sind. Die mehr oder weniger sichtbaren Kameras schaffen genau denjenigen Überwachungs- und Anpassungsdruck für die Betroffenen, den das Bundesverfassungsgericht als Gefährdung des Persönlichkeitsrechts und als schädlich für die Demokratie bezeichnet hat.

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