Themen / Datenschutz

Big Brother auf der Autobahn darf nicht Realität werden

03. August 2006

Interview der heute-Redaktion des ZDF mit Nils Leopold

In Deutschland ist nach dem Mord an einer 18-jährigen Schülerin die Forderung nach dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die Daten der Autobahn-Mautsysteme erhoben worden. Nils Leopold, Datenschutzexperte und Mitglied des Bundesvorstandes der Humanistischen Union, gab dazu der heute-Redaktion des ZDF ein Interview:

1. Anläßlich des aktuellen Mordfalls Anna in Kassel ist eine Debatte um die Nutzung der Mautdaten zu Strafverfolgungszwecken entbrannt. Warum sollen die Daten nicht genutzt werden, um die Täter zu fassen?

Die Daten unterliegen einer strengen Zweckbindung. Derzeit dürfen sie ausschließlich zu Abrechnungszwecken verwendet werden. Der Gesetzgeber hat mit gutem Grund diese engen Grenzen für die Nutzung dieser Daten gesetzt:

  • Es handelt sich um eine bundesweite private Infrastruktur, mit der gewissermaßen auf Knopfdruck eine flächendeckende Überwachung der
    Bundesbürger realisiert werden könnte.
  • Es handelt sich um sensible Daten, die umfassende Verhaltens- und Bewegungsprofile von Bürgern bieten können. Hier ist der Staat
    gefordert, rechtsstaatliche Grenzen zu setzen.
  • Warum sollten die Daten, wenn sie erst für den Zweck der Strafverfolgung genutzt werden dürfen, nicht schon bald auch für die Verfolgung von Geschwindigkeitsüberschreitungen oder zur Berechnung des KFZ-Versicherungstarifs genutzt werden dürfen?

2. Ansonsten ist bei Mordfällen doch auch der Lauschangriff vom Bundesverfassungsgericht zugelassen worden. Warum soll nicht auf ein Zugriff auf die weitaus weniger sensiblen Daten von Tollcollect möglich sein?

Die Fälle sind nicht vergleichbar. Der Lauschangriff wird nur unter engen Grenzen im Einzelfall zugelassen. Wir haben bislang nur wenige Fälle. Außerdem gibt es in diesen Einzelfällen einen konkreten Tatverdacht. Im vorliegenden Fall aber weiss man lediglich, dass es sich um einen LKW-Fahrer handeln könnte (!). Dafür sollen die Daten von möglicherweise Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden nicht beteiligten Kraftfahrern und Speditionen ausgewertet werden. Das ist unverhältnismäßig.

3. Warum soll im konkreten Mordfall Anna es nicht möglich sein, auf die Daten zuzugreifen?

Jeder Einzelfall ist schlimm. Das kann den Gesetzgeber nicht aus der Pflicht entbinden, zu entscheiden, ob generell ein Zugriff auf die Daten erfolgen darf, bei dem zukünftig potentiell alle Bürger betroffen sein können. Big Brother auf der Autobahn darf nicht Realität werden. Die strenge Zweckbindung der Mautdaten ist richtig.

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