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Neuordnung der Siche­rungs­ver­wah­rung

29. November 2010

Stellungnahme der Humanistischen Union zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 26.10.2010 (BT-Drs. 17/3403)

Der Gesetzentwurf sieht die Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung vor. Hierzu sollen die gesetzlichen Vorschriften zu allen drei Anordnungsformen (primäre, vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung) grundlegend verändert werden. Des Weiteren soll das Recht der Führungsaufsicht vornehmlich durch die Einführung einer Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung erweitert werden. Letztlich ist in dem Entwurf die Schaffung eines Therapieunterbringungsgesetzes vorgesehen, das die Unterbringung von Personen ermöglicht, die sich nach Maßgabe des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entgegen den Bestimmungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) in der Sicherungsverwahrung befinden und befanden.

A. Zusam­men­fas­sende Bewertung

* Anlasstaten der primären Sicherungsverwahrung (C.): Eine Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf schwere Sexual- und Gewaltstraftaten wird anders als von der Bundesregierung angekündigt nicht vorgenommen. Wie bisher soll die Sicherungsverwahrung auch bei reinen Vermögensdelikten angeordnet werden müssen, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere in diesen Fällen ist jedoch das eingriffsintensivste Instrument, das dem Staat zur Verfügung steht, eine unangemessene Reaktion, die weder den Belangen der Opfer oder Täter noch denen der Allgemeinheit gerecht wird.

* Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (D.): Die gesetzlichen Anforderungen an die vorbehaltene Sicherungsverwahrung sollen drastisch reduziert werden. Die Anordnung soll demnach bereits bei Ersttätern erfolgen können. Ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten muss nach dem Entwurf anders als nach bisheriger Rechtsprechung nicht mehr mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, sondern es genügt, wenn ein solcher wahrscheinlich ist. Die Etablierung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung als Standardmaßnahme wird sich negativ auf Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug auswirken. Zudem erscheint es fraglich, ob die Regelung den Vorgaben des EGMR entspricht.

* Beibehaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (E.): Die Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch widersprechen ihre Beibehaltung für sog. Altfälle und der auch in Zukunft verbleibende Anwendungsbereich nach Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus der Rechtsprechung des EGMR und damit den Vorgaben der EMRK. Die vorgesehene vollständige Beibehaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für nach Jugendstrafrecht Verurteilte und zur Tatzeit Heranwachsende, auf die das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist, ist zudem entschieden abzulehnen.

* Ausbau der Führungsaufsicht (F.): Die Führungsaufsicht kann ein wichtiges Mittel zur Verhinderung erneuter Straftatenbegehung sein. Die Einführung einer Weisung, die es ermöglicht, den Aufenthaltsort mit Hilfe einer elektronischen Vorrichtung zu überwachen, ist jedoch nicht geeignet, Resozialisierung und damit Legalbewährung zu fördern. Auch die Erzielung abschreckender Effekte ist höchst unwahrscheinlich.

* Therapieunterbringungsgesetz (G.): Das im Entwurf vorgesehene Therapieunterbringungsgesetz ist eine Umgehung der Rechtsprechung des EGMR, die dazu dient, die konventionswidrige rückwirkende Verlängerung der Dauer der Sicherungsverwahrung auf anderem Wege zu erreichen. Des Weiteren fehlt dem Bund nach der im Entwurf vorgesehenen Ausgestaltung der Regelung hierfür die Gesetzgebungskompetenz, da diese für reine Gefahrenabwehrmaßnahmen bei den Bundesländern liegt. Die Anknüpfung lediglich an eine psychische Störung und nicht etwa eine psychische Erkrankung ist zudem zu unbestimmt.

B. Grund­le­gendes

Die vom nationalsozialistischen Gesetzgeber mit Gesetz vom 24.11.1933 eingeführte Sicherungsverwahrung (RGBl. I 995) ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Ihr Zweck ist es, die Allgemeinheit vor zukünftigen Straftaten zu schützen (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, Vor § 61 Rn. 1). Dabei knüpft ihre Anordnung stets an die in der Vergangenheit liegende Begehung von Straftaten an.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung wurden in den letzten zwölf Jahren mehrfach verändert. Dabei wurde ihr Anwendungsbereich erheblich erweitert. Im Jahr 1998 wurde die bis dato bestehende maximale Unterbringungsdauer von zehn Jahren aufgehoben (BGBl. I 160). 2002 erfolgte die Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (BGBl. I 3344). 2004 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung für nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilte (BGBl. I 1838) und 2008 für nach Jugendstrafrecht verurteilte Personen (BGBl. I 1212) eingeführt.

Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Erweiterungen steht auch die drastisch ansteigende Anzahl der in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen. Nach einem Tiefpunkt der Zahl der Inhaftierten im Jahr 1996 (176 Personen zum Stichtag des 31.3., Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Fachreihe 10 Reihe 4.1 [Strafvollzug], Tabelle 1.1) stieg sie kontinuierlich an. Am 31.3.2010 befanden sich 524 Personen in Sicherungsverwahrung.

Die angestrebte Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung war bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, erfuhr aber vor allem durch das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 (NJW 2010, 2495), bestätigt am 10. Mai 2010, besondere Bedeutung. Nach dem Urteil ist es mit der EMRK nicht vereinbar, dass die Entfristung der Sicherungsverwahrung im Jahr 1998 auch für Personen Anwendung findet, deren Straftatbegehung vor der Gesetzesänderung lag. Dies betrifft neben dem Beschwerdeführer ca. weitere 70 Personen (sog. Parallelfälle), die sich zum Zeitpunkt des Urteils des EGMR noch in Sicherungsverwahrung befanden. Inzwischen wurden mehrere Betroffene entlassen, andere sind weiterhin inhaftiert. Seit dem Urteil des EGMR ist die Rechtslage in Deutschland insoweit von Uneinheitlichkeit und Unsicherheit geprägt. Die Frage, ob Parallelfälle, die unter die konventionswidrige rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung fallen, automatisch zu entlassen sind, wird von den zuständigen Oberlandesgerichten widersprüchlich beantwortet. Auch der 4. und 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) vertreten hierzu unterschiedliche Auffassungen. Während der 4. Senat die Anordnung der Sicherungsverwahrung für Taten, die vor Inkrafttreten der entsprechenden Regelung begangen worden sind, für rechtswidrig erklärt hat (Beschluss vom 12.5.2010 ([4 StR 577/09]), votierte der 5. Senat gegen eine automatische Entlassung der Betroffenen (Beschlüsse vom 9.11.2010 [5 StR 474/10; 5 StR 440/10; 5 StR 394/10]).

Aus diesem Grund ist ein zügiges Handeln des Gesetzgebers dringend erforderlich. Der vorliegende Gesetzentwurf wird jedoch rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht hinreichend gerecht.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

C. Anlasstaten der primären Siche­rungs­ver­wah­rung

Die Sicherungsverwahrung – als das eingriffsintensivste staatliche Zwangsmittel – kann, wenn man sie überhaupt für erforderlich und zulässig hält, nur unter engsten Voraussetzungen für bestimmte Ausnahmenfälle als Rechtsfolge verhängt werden. Dementsprechend wurde angekündigt, die Taten, derentwegen Sicherungsverwahrung angeordnet werden darf, auf schwere Sexual- und Gewaltverbrechen zu begrenzen (s. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Justiz vom 9.6.2010). Auch in der Begründung zum aktuellen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen heißt es: „Gleichzeitig ist die Sicherungsverwahrung auf schwerste Fälle zu beschränken, um ihrem Ausnahmecharakter Rechnung zu tragen“ (BT-Drs. 17/3403, S. 22).

Diese Ankündigung wird in dem Entwurf jedoch nicht umgesetzt. Gemäß § 66 I Nr. 1 a) des vorliegenden Entwurfs zum Strafgesetzbuch (StGB-E) können alle Straftaten, die sich gegen die Rechtsgüter Leben, persönliche Freiheit, körperliche Unversehrtheit oder sexuelle Selbstbestimmung richten oder solche, die als gemeingefährlich bezeichnet werden (28. Abschnitt des StGB, mit Ausnahme des Vollrauschs gemäß § 323a StGB, der in Nr. 1 c] StGB-E gesondert aufgeführt wird), Anlass für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung im Urteil (primäre Sicherungsverwahrung) sein. Dem Grundsatz nach erfasst sind somit etwa auch die Nötigung gemäß § 240 StGB, die Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB oder die Unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB. Gemäß § 66 I Nr. 1 b) StGB-E kommen zudem Straftaten hinzu, die im Höchstmaß mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, was beispielsweise für die reinen Vermögensdelikte des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gemäß § 263 IV StGB oder des bandenmäßigen Diebstahls gemäß § 244 I Nr. 2 StGB gilt.

Zwar werden durch die weitere Voraussetzung einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (§ 66 I Nr. 1 StGB-E) Fälle leichterer Kriminalität ausgeschlossen. Jedoch kann die gerichtliche Praxis der sog. Sanktioneneskalation (s. hierzu Eisenberg, Kriminologie 6. Aufl. 2005, § 31 Rn. 56), also die Intensivierung der verhängten Sanktion bei früherer Auffälligkeit, durchaus dazu führen, dass mittelschwere Delikte zu einer entsprechenden Verurteilung führen. In diesen Fällen ist das Gericht nach dem Entwurf verpflichtet, Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn hinreichende Vorverurteilungen (s. § 66 I Nr. 2 und 3 StGB-E) bestehen und aufgrund der Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten diagnostiziert wird, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 I Nr. 4 StGB-E).

Dass auch bei weniger schwerwiegenden Delikten die Schwelle der Verurteilung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe durchaus erreicht und überschritten werden kann, zeigt die Strafverfolgungsstatistik. Danach wurden im Jahr 2009 wegen einfacher Nötigung gemäß § 240 I StGB zehn Personen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die entsprechenden Zahlen für den Bandendiebstahl gemäß § 244 I Nr. 2 StGB lagen bei 21, und sogar wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gab es drei Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe (vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Fachreihe 10 Reihe 3 [Strafverfolgung], Tabelle 3.1).

In Fällen reiner Vermögensschädigung oder anderer weniger schwerwiegender Delikte ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Freiheitsstrafe jedoch nicht angemessen. Auch die erstrebte Sicherheit der Allgemeinheit kann einen auf unbestimmte Zeit angelegten Freiheitsentzug über das Maß der Schuld hinaus in diesen Fällen nicht rechtfertigen. Jedenfalls bei Taten gegen das Vermögen handelt es sich um solche, bei denen die aus ihnen hervorgegangenen Schäden in der Regel ersetzbar sind. Gerade aus diesem Grund sind auch Wege der Wiedergutmachung, wie Schadensersatzzahlungen oder das Ableisten von Arbeiten zu Gunsten der geschädigten Person, von besonderer Relevanz für die Konfliktbewältigung nach der Tat. Die Verbüßung einer Sicherungsverwahrung macht solche Bemühungen demgegenüber in der Regel unmöglich. Ebenso können zukünftige Vermögensdelikte durch gezielte Präventionsbemühungen, welche die sozio-ökonomische Situation des Verurteilten verbessern, verhindert werden.

D. Ausbau der vorbe­hal­tenen Siche­rungs­ver­wah­rung

Die Neufassung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gemäß § 66a StGB stellt eine massive Erweiterung ihres Anwendungsbereichs dar, die alle Bemühungen um eine Restriktion dieser Form der Freiheitsentziehung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips konterkariert.

Die Anlasstaten für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung werden wie schon bei der primären Sicherungsverwahrung nicht abschließend auf schwere Sexual- und Gewaltdelikte begrenzt. Sie entsprechen der Art nach denen des § 66 StGB-E. Allerdings wird dadurch, dass – mit Ausnahme bestimmter Sexual- und Körperverletzungsstraftaten – ein Verbrechen (im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht, vgl. § 12 I StGB) vorliegen muss (vgl. § 66a I Nr. 1 i.V.m. § 66 III Satz 1 StGB-E), die Schwere des Anlassdeliktes erhöht. Dennoch bleiben im Anwendungsbereich Straftaten wie etwa Raub gemäß § 249 StGB enthalten, die im konkreten Fall einen geringen Schweregrad aufweisen können. Obwohl die konkrete Anlasstat durch den dem Gericht eingeräumten Ermessensspielraum anders als bei der primären Sicherungsverwahrung stärker berücksichtigt werden kann, wäre auch hier zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit bereits auf der Ebene der gesetzlichen Regelung eine Begrenzung auf bestimmte schwerwiegende Sexual- und Gewaltdelikte vorzuziehen.

Des Weiteren soll die Sicherungsverwahrung gemäß § 66a I StGB-E bei entsprechenden Vorverurteilungen bzw. vorherigen Straftatbegehungen bereits dann vorbehalten werden können, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66a I Nr. 3 i.V.m. § 66 I Nr. 4 StGB-E). Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung musste demgegenüber das Bestehen eines Hanges positiv festgestellt werden (Urteil vom 8. Juli 2005, BGHSt 50, 188, 194 f.).

Auch für die Gefährlichkeitsprognose bei der primären Sicherungsverwahrung gilt bereits, dass es nicht möglich ist, zuverlässig zukünftige Straftatenbegehungen auszuschließen oder vorherzusagen. Studien haben gezeigt, dass eine Mehrzahl Entlassener, die von Gutachtern als gefährlich beurteilt wurden, keine schwerwiegenden neuen Straftaten begangen haben (s. Alex, Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel, 2010; Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, 2. Aufl. 2010). Eine eingriffsintensive Maßnahme wie die Sicherungsverwahrung auf ein derart unsicheres Mittel zu stützen, ist bereits höchst bedenklich. Durch die Reduzierung der Anforderungen an die der Prognose zugrunde liegenden Feststellungen, wie sie für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung geplant ist, werden die Anordnungsvoraussetzungen endgültig in den Bereich des Vagen verschoben, weshalb die Regelung dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht gerecht wird. Dies gilt umso mehr bei erstmalig Straffälligen: Unter den Voraussetzungen des § 66a II StGB-E soll die Sicherungsverwahrung auch bei Ersttätern vorbehalten werden können. Bei dieser Personengruppe jedoch ist die Prognose zukünftiger Legalbewährung auf der Grundlage einer einzigen qualifizierenden Anlasstat noch zusätzlich erschwert.

Dadurch, dass der Maßstab für die Feststellung von Hang und Gefährlichkeit unpräzise gefasst ist, besteht die Gefahr, dass die Sicherungsverwahrung bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen nahezu immer vorbehalten wird. Dies mag Intention des Entwurfs sein, um die Beschränkungen bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung quasi auszugleichen. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass „ein Verzicht auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung ein effektives Instrumentarium aus primärer und vorbehaltener Sicherungsverwahrung erfordert“ (BT-Drs. 17/3403, S. 43). In der Praxis wird dies aber zu einer Verschlechterung der Resozialisierungsbemühungen und damit der Sicherheit der Allgemeinheit führen. Das Damoklesschwert der unbefristeten Inhaftierung nach Verbüßung der schuldangemessenen Freiheitsstrafe, das durch die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung über vielen Verurteilten schweben wird, zieht Ungewissheit über das zukünftige Schicksal nach sich. Dies erschwert Wiedereingliederungsbestrebungen der Vollzugsanstalt und des Gefangenen selbst erheblich, da während der Verbüßung der Freiheitsstrafe nicht sicher feststeht, ob der Gefangene entlassen wird oder ob er eine sich anschließende Sicherungsverwahrung antreten muss. Zudem werden auch bereits während des Strafvollzuges Scheinanpassungen von Gefangenen befördert, die dazu dienen, die spätere Sicherungsverwahrung zu vermeiden, einer erfolgreichen Therapie jedoch entgegenstehen.

Durch die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vergrößern sich auch die Bedenken bzgl. der Vereinbarkeit der Regelung mit der Rechtsprechung des EGMR. Der EGMR sieht in der Sicherungsverwahrung eine Unterbringung nach Verurteilung (EGMR vom 17.12.2009, NJW 2010, 2495), die sich an den Grundsätzen des Art. 5 I lit. a EMRK messen lassen muss. Erforderlich ist daher ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der strafrechtlichen Verurteilung und der späteren Sicherungsverwahrung. Das heißt, die Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung muss die Konsequenz der „Verurteilung“ und ihre Folge sein, auf ihr beruhen oder durch die „Verurteilung“ geschehen sein (EGMR, NJW 2010, 2495, 2496). Wird die Sicherungsverwahrung lediglich bei der Verurteilung vorbehalten, weil sowohl Hang als auch Gefährlichkeit nicht feststehen, sondern nur wahrscheinlich sind, dann stützt sich eine spätere Entscheidung über die Anordnung regelmäßig auf Tatsachen, die zeitlich nach der Verurteilung liegen. Zum einen sind diese Tatsachen, die sich vor allem aus dem Verhalten des Betroffenen während des Strafvollzugs ergeben, nur wenig geeignet, Rückschlüsse auf ein zukünftiges Verhalten in Freiheit zu ziehen. Zum anderen ist ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen ursprünglicher Verurteilung und Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung fraglich (vgl. Kinzig, NStZ 2010, 233, 239).

E. Beibe­hal­tung der nachträg­li­chen Siche­rungs­ver­wah­rung

Entgegen den Ankündigungen und auch im Widerspruch zu Teilen der Begründung des Entwurfs („Verzicht auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung“, BT-Drs. 17/3403, S. 43) soll die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht abgeschafft werden.

Zwar ist die weitgehende Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für die Zukunft grundsätzlich zu unterstützen. Jedoch soll gemäß § 66b StGB-E ein Anwendungsbereich des Instrumentariums für Personen verbleiben, die aufgrund gerichtlicher Entscheidung zunächst in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden. Wird diese Unterbringung für erledigt erklärt, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand nicht mehr besteht, so soll die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung weiterhin möglich bleiben. Dies widerspricht den Vorgaben des EGMR. Eine ausreichende Kausalverknüpfung zwischen dem Urteil, in dem die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, und einer späteren Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung ist nicht gegeben. Während ersteres Urteil darauf beruht, dass ein Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit besteht, knüpft die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gerade an den Wegfall dieses Zustandes an. Die Regelung verstößt daher gegen Art. 5 I lit. a EMRK.

Zu kritisieren ist zudem, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung für sog. Altfälle weiterhin gelten soll (vgl. BT-Drs. 17/3403, S. 52). Personen, die einschlägige Straftaten vor dem Inkrafttreten der Neuregelung begangen haben, sollen auch in Zukunft der zurzeit bestehenden Gesetzeslage unterfallen. Dies betrifft vor allem Personen, die sich derzeit im Strafvollzug befinden und die somit weiterhin über die Dauer ihrer Freiheitsentziehung im Unklaren gelassen werden. Der Zeitraum für die Anwendung der aktuellen Gesetzeslage kann auf diese Weise noch viele Jahre betragen. Diese Gesetzeslage widerspricht aber Art. 5 I lit. a EMRK, da die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht in einem ausreichenden Kausalzusammenhang zum Strafurteil steht. Wird der Gesetzentwurf beschlossen, ist daher mit einer erneuten Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR zu rechnen.

Noch weitaus größere Bedenken bestehen gegen die vollständige Beibehaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für nach Jugendstrafrecht Verurteilte und für zur Tatzeit Heranwachsende, auf die das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist. Diese Regelung widerspricht nicht nur aus den zuvor genannten Gründen der EMRK, sie ist zudem mit den Grundsätzen des Jugendstrafrechts und einem rechtsstaatlichen Umgang mit jungen Straftätern und einer rationalen Orientierung an dem Ziel einer zukünftigen Legalbewährung junger straffällig gewordener Menschen nicht vereinbar. Die Sicherungsverwahrung, die während der Zeit des Strafvollzuges angeordnet werden kann, verstärkt die negativen Auswirkungen einer Inhaftierung erheblich und kann zu einer weiteren Steigerung der gerade bei Jugendstrafe ohnehin sehr hohen sog. Rückfallquoten führen. Zudem sind aussagekräftige Prognosen über zukünftiges Verhalten in Freiheit bei jungen Menschen, die sich in der Entwicklung befinden und die einen Großteil ihres Lebens in Haft verbracht haben, nahezu unmöglich.

F. Ausbau der Führungs­auf­sicht

Das Institut der Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB) dient dazu, nach Verbüßung einer Strafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel Lebenshilfe zur Wiedereingliederung zu geben und die verurteilte Person dabei zu kontrollieren (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, Vor § 68 Rn. 2). Auf diese Weise soll die erneute Begehung von Straftaten verhindert werden. Eine Erweiterung der Möglichkeiten der Führungsaufsicht ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Jedoch sollte die Überwachung der Einhaltung von Weisungen immer nur Kehrseite eines mit ihr bezweckten Resozialisierungseffektes sein. Diesbezüglich waren etwa die Neuregelungen zur Betreuung in der psychiatrischen Ambulanz (Gesetz vom 13.4.2007, BGBl. I 513) grundsätzlich zu begrüßen, wenngleich personelle Ausstattung, Strukturen und Aufgabenverteilung verbesserungsbedürftig bleiben.

Diese Voraussetzung ist bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, jedoch nicht gegeben. Positive Resozialisierungseffekte sind hiervon nicht zu erwarten. Ob ein abschreckender Effekt durch eine erneute Strafandrohung bei Zuwiderhandlungen oder durch ein höheres Überführungsrisiko bei erneuter Straftatbegehung besteht, ist mehr als fraglich. Die ohnehin in der Wissenschaft bestehenden Zweifel bzgl. einer negativ-spezialpräventiven Wirkung von Strafandrohungen sind bei der im Entwurf ins Auge gefassten Personengruppe noch einmal erhöht. Wird ihnen doch gerade attestiert, dass sie besonders gefährlich seien, weil eine Neigung zur Begehung von Straftaten bestehe, die einer rationalen Abwägung von Vor- und Nachteilen einer Tatbegehung entgegenstehe.

Stattdessen ist es nötig, auch im Rahmen der Führungsaufsicht Betreuungsangebote weiter auszubauen und den Verurteilten qualifizierte Ansprechpartner zur Seite zu stellen. Nur auf diese Weise lassen sich Tendenzen einer erneuten Hinwendung zu strafbaren Verhaltensweisen frühzeitig erkennen, so dass diesen entgegengewirkt werden kann.

G. Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setz

In dem Gesetzentwurf ist zudem die Schaffung eines sog. Therapieunterbringungsgesetzes vorgesehen, das sich unmittelbar auf die Personen bezieht, die aufgrund des Urteils des EGMR teilweise bereits aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden bzw. noch zu entlassen sind (BT-Drs. 17/3403, S. 31 f.). Der Entwurf sieht in § 1 ThUG die Möglichkeit der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung vor, wenn die Betroffenen, die wegen einer Anlasstat nach § 66 III Satz 1 StGB-E rechtskräftig verurteilt wurden, an einer psychischen Störung leiden, aufgrund deren sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen werden und die Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.

Soll sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für dieses Gesetzeswerk – wie in der Entwurfsbegründung dargestellt (BT-Drs. 17/3403, S. 32) – aus Art. 74 I Nr. 1 GG ergeben, dann müsste die Regelung strafrechtlicher Art sein. Dies ist mehr als fraglich, da die in der Regel Jahre bzw. Jahrzehnte zurückliegende Anlasstat nur formales Anknüpfungskriterium ist, der Schwerpunkt der Prüfung aber auf einer psychischen Störung und einer hieraus resultierenden Gefährlichkeit liegt, die völlig unabhängig von der Anlasstat festgestellt werden können sollen. Die Unterbringung ist daher nicht mehr als Reaktion auf die Tat zu sehen und zieht aus dieser auch nicht ihre sachliche Rechtfertigung. Dies ist jedoch für eine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 1 GG Voraussetzung (vgl. BVerfG vom 10.2.2004, NJW 2004, 750). Folgt man dennoch der Argumentation des Gesetzentwurfs, so ist das angestrebte Therapieunterbringungsgesetz mit den Vorgaben des EGMR nicht vereinbar. Es stellt vielmehr eine unmittelbare Umgehung seiner Rechtsprechung dar, da die Möglichkeit einer rückwirkenden Anknüpfung der Inhaftierung an eine Straftat danach ausgeschlossen ist.

Näher liegt es, das Therapieunterbringungsgesetz als Gefahrenabwehrrecht zu qualifizieren, welches der Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer unterfällt. Dementsprechend befinden sich Regelungen zur Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern in den Gesetzen der Länder. Diese Regelungen sehen zudem eine psychische Krankheit oder eine auf bestimmte schwerwiegende Ursachen beruhende psychische Störung als Anordnungsvoraussetzung vor (vgl. Art. 1 I Satz 1 UnterbrG-Bay, „Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist …“). Demgegenüber will der Gesetzentwurf bereits eine nicht näher spezifizierte psychische Störung als Ursache für die Gefährlichkeit ausreichen lassen. Dieses sehr unbestimmte Merkmal ist nicht geeignet, eine zwangsweise Freiheitsentziehung zu rechtfertigen. Es entspricht zudem nicht der Regelung des Art. 5 I lit. e EMRK. Eine Freiheitsentziehung ist nach dieser Regelung nur gerechtfertigt, wenn eine psychische Erkrankung vorliegt.

H. Fazit

Die Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung, wie sie in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist mit dem Grundgesetz und der EMRK in großen Teilen nicht vereinbar. Zudem sind positive Auswirkungen auf die Sicherheit der Allgemeinheit kaum zu erwarten. Es ist den Gesetzgebern des Bundes und der Länder anzuraten, sich stärker auf Resozialisierungsbemühungen zu konzentrieren, als neue Wege der Langzeitinhaftierung zu beschreiten. Diese Bemühungen sollten sich insbesondere auf die sich teilweise überschneidenden Bereiche der Betreuung von psychisch Erkrankten und von Personen mit psychischen oder sozialen Problemen beziehen. So ist insbesondere der Strafvollzug so auszugestalten, dass er auf notwendige Therapie, auf Verbesserung der Lebenssituation der Inhaftierten und auf Resozialisierung für alle Gefangenen ausgerichtet ist.

Links

Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung, BT-Drucksache 17/3403

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