Themen / Demokratisierung

Bürger­rechtler bringen Abgeord­ne­ten­ge­setze auf den Prüfstand des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

14. April 2000

Am 2. Mai um 10.00 Uhr verhandelt der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts unter dem Vorsitz seiner Präsidentin, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach, in öffentlicher Sitzung über die Verfassungsmäßigkeit der Abgeordnetengesetze.

Matthias Büchner und Siegfried Geißler, seinerzeit Abgeordnete des Neuen Forum im Thüringer Landtag, haben bereits 1991 Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das Thüringer Abgeordnetengesetz eingereicht. Ihre Prozeßvertretung hat übernommen der Rechtsanwalt Dr. Till Müller-Heidelberg, Bingen, in seiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender der ältesten deutschen Bürgerrechtsorganisation, der HUMANISTISCHEN UNION.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 5. November 1975 (BVerfGE 40, 296) entschieden, daß für Abgeordnete das Prinzip der formalisierten Gleichheit gilt, daß die Demokratie des Grundgesetzes privilegienfeindlich ist und folglich die Entschädigung der Abgeordneten nach Art. 48 Grundgesetz verfassungsrechtlich gleich sein muß und grundsätzlich keine Unterschiede gemacht werden dürfen. Der Abgeordnete ist nicht Arbeitnehmer. Er wird nicht dafür bezahlt, ob er viel oder wenig, gut oder schlecht arbeitet, ob er sich engagiert oder in den Sitzungen schläft. Wenn dies so ist – so das Bundesverfassungsgericht -, daß der faule oder schlechte Abgeordnete deshalb keine geringere Entschädigung erhält, dann darf auch ein Abgeordneter, der besonders gut oder viel arbeitet, keine höhere Entschädigung erhalten. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich eine höhere Entschädigung für Fraktionsvorsitzende oder -geschäftsführer für verfassungswidrig erklärt. Lediglich der Parlamentspräsident und seine Stellvertreter dürfen, da sie ein oberstes Verfassungsorgan repräsentieren, eine höhere Entschädigung erhalten.

Nichtsdestoweniger werden in der Regel in den Abgeordnetengesetzen des Bundes und der Länder den Fraktionsvorsitzenden, ihren Stellvertretern, den Parlamentarischen Geschäftsführern und den Ausschußvorsitzenden zusätzliche erhöhte Entschädigungen zugesprochen, so auch im Thüringer Abgeordnetengesetz. Dagegen wenden sich die Kläger. Gleichzeitig wird ein Parallelverfahren verhandelt der seinerzeitigen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag Rheinland-Pfalz, Frau Friedel Grützmacher, gegen das rheinland-pfälzische Abgeordnetengesetz.

Der Bundestag, die Landtage, der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe sind vom Bundesverfassungsgericht zu der Frage gehört worden. Die Kernargumentation der Parlamente, vertreten durch hochrangige Professoren, lautet: Die gestaffelten Abgeordnetenentschädigungen sind verfassungsmäßig, denn die Realität ist nun einmal so. Dazu der Prozeßbevollmächtigte der Kläger und Bundesvorsitzende der HUMANISTISCHEN UNION, Dr. Till Müller-Heidelberg: „Eine solche Argumentation ist juristisch abenteuerlich. Die Realität hat sich nach der Verfassung zu richten und nicht die Verfassung nach der Realität. Dann wäre die Verfassung nämlich überflüssig, die Praxis würde sich jeweils selbst ihre eigene Verfassung als Legitimationsbasis schaffen.“

Und ein zweites Argument der Parlamentsvertreter: Fraktionsvorsitzende und ihre Stellvertreter sowie Fraktionsgeschäftsführer seien für die Parlamentsarbeit heute unentbehrlich. Um qualifizierte Bewerber zu finden, müßten diese besser bezahlt werden. „Wenn dies richtig wäre – so Müller-Heidelberg – wäre dies ein entsetzliches Armutszeugnis für unsere Politik. Dann würden herausgehobene Ämter in der Politik nur angestrebt, um besser zu verdienen, nicht aber um größere politische Gestaltungsmöglichkeit zu haben.“

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