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Die Härte­fall­re­ge­lung oder Kafka live - ein Erfah­rungs­be­richt

Ursula Neumann

Grundrechte-Report 1998, S. 181-185

Nein, Kafkas Schloß habe ich nicht zu Ende gelesen, der Rest ließ sich denken. Ich erlebe Kafka live. Deshalb möchte ich ein Kapitel aus der Asylpolitik unseres Buchhalterstaates schildern, in dem die Absurdität in ordentliche Verwaltungsvorschriften geronnen ist. Es geht um „Härtefälle“. Das sind Kinder, Frauen, Männer. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, und sie sind trotzdem hier. Legal. Mindestens seit 1990. Seit 1987, falls sie alleinstehend sind. Die Gründe: lange Verfahrensdauer, das Herkunftsland verweigert die Wiederaufnahme und vieles andere.

Von Rheinland-Pfalz und Hessen ging die Initiative aus, für diese Menschen ein dauerndes Bleiberecht zu schaffen: Irgendwann muß ein Ende sein mit der Ungewißheit und der Angst. Irgendwann müssen diese Menschen ihr Leben planen können. Irgendwann muß ihren Kindern – oft sind sie hier geboren – eine verläßliche Zukunft gegeben werden. Nach dem üblichen Hickhack wurde am 29. März 96 von der Ständigen Konferenz der Innenminister die „Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt“ verabschiedet. Leute wie ich, die lediglich ein bißchen ehrenamtlich Asylarbeit ausüben, atmeten auf: Immerhin etwas! Endlich, so dachte ich gutgläubig, ist die von mir betreute Kosova-Familie über den Berg.

Als ich erfuhr, ihr Antrag sei abgelehnt, glaubte ich an einen Irrtum. Das war ein Irrtum: Mit einer harmlos klingenden Anmerkung wurden die Menschen aus Kosova – die größte Gruppe potentieller Begünstigter – ausgeschlossen: „Die Innenminister sind sich darüber einig, daß die Regelung … nicht für ausreisepflichtige Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien gilt, die nicht abgeschoben werden konnten, weil sich der Heimatstaat völkerrechtswidrig weigert, seine Staatsangehörigen aufzunehmen.“ Wo käme man denn da hin, wollte man völkerrechtswidriges Verhalten unterstützen! Bei Waffenexporten und Wirtschaftsinteressen kann man ja noch ein Auge zudrücken, aber aus humanitären Gründen?

Menschen aus Kosova müssen nach wie vor alle Monate um eine neue Duldung anstehen, erhalten keine Arbeitserlaubnis, dafür „aber Freßpakete“ oder Lebensmittelgutscheine, getreu dem Spruch: Wenn es darum geht, Ausländer zu schikanieren, darf es ruhig etwas teurer sein. Ab und zu gehen Familien „freiwillig“ zurück. Meist wird ihnen die Einreise verweigert, oft werden sie verprügelt und dann wieder zurückgeschickt. Was mit „Abschüblingen“ geschieht, die „völkerrechtsgemäß“ von Jugoslawien aufgenommen werden, belegt die ständig aktualisierte Dokumentation „Übergriffe an aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich nach Kosova zurückgeschafften Asylsuchenden“.

Die Härtefallregelung schreibt vor, daß die Betroffenen ihren Lebensunterhalt legal verdienen müssen. Dazu braucht es eine Arbeitserlaubnis. Dazu braucht es eine Aufenthaltsbefugnis. Dazu braucht es eine Arbeitserlaubnis. Dazu braucht es … Die Ausländerbehörden halten sich an ihre Vorschriften, die Arbeitsämter ebenso – besonders in Bayern und Baden-Württemberg. Aber auch aus Niedersachsen hört man: Einer kurdischen Familie, die seit elf Jahren hier lebt, droht die Abschiebung. Sie verdient nicht genug, sondern hätte Anspruch auf monatlich 150 Mark Sozialhilfe. Auf die verzichtet sie zwar, will es auch künftig tun, aber da wollen wir lieber mal vorsichtig sein: Härtefallregelung abgelehnt.

Anscheinend reicht das immer noch nicht, um die Zahl der berechtigten Personen auf Null zu drücken. Deshalb gibt es weitere Bedingungen: Man muß engagiert daran mitgewirkt haben, die Voraussetzungen für die eigene Abschiebung herbeizuführen, sonst hat man seine „Aufenthaltsbeendigung … vorsätzlich“ hinausgezögert. Aussage eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde: „Falls Sie einen Arbeitsplatz finden sollten, werden wir geltend machen, daß Sie bei der Beschaffung der Ausreisedokumente nicht kooperativ waren. Abschieben werden wir Sie auf alle Fälle.“ In Bayern teilt Innenminister Beckstein dem „sehr geehrten Herrn Pfarrer“ mit, daß für eine Familie aufgrund von Kirchenasyl kein Bleiberecht in Frage komme. Wegen illegalen Untertauchens.

Wer annimmt, daß wenigstens diejenigen Sicherheit haben, die wundersamerweise doch als Härtefälle anerkannt worden sind, weiß nicht, wozu eine gut funktionierende Bürokratie imstande ist: „Der weitere Aufenthalt wird durch Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre gewährt“, legten die Innenminister fest. Also: Überprüfung 1998, 2000, 2002, 2004 …

Während mir so allmählich dämmerte, daß die Härtefallregelung wie das gesamte heutige Asylrecht eine „Im-Prinzip-Ja“-Lüge ist, erhielt ich einen Brief vom Petitionsausschuß des Bundestages. Das überraschte mich: Die Petition, um die es ging, war 1991 an den Petitionsausschuß von Baden-Württemberg gerichtet worden, dort stellte man nach einem Jahr die Nichtzuständigkeit fest und leitete sie an den Petitionsausschuß des Bundestages weiter. Tenor der Antwort vom 27. Januar 97: Durch die Härtefallregelung sei der Petition für eine abgelehnte Asylbewerberfamilie faktisch abgeholfen worden, man betrachte die Sache als erledigt. Ich rief an: Die Sache sei mitnichten erledigt, bei der Familie handele es sich um Kosova-Albaner, die bekanntlich von der Regelung ausgenommen seien. – Ach? Die sind ausgenommen? Tatsächlich? Ja dann … Dann schreiben Sie uns doch bitte noch mal. – Aber gewiß doch! Am 19. Februar 97 schriftlicher Bescheid: Wegen der Nichtanwendung der Härtefallregelung auf Menschen aus Kosova sei eine Stellungnahme des Bundesinnenministeriums angefordert. „Ich empfehle Ihnen aber dringend – falls noch nicht geschehen – dieses Problem … auch beim Petitionsausschuß des Landtages von Baden-Württemberg vorzutragen.“ Im übrigen sei der „Ausschuß nicht in der Lage, Bleiberechte aus humanitären Gründen zu erwirken. Auch der Petitionsausschuß ist an die geltende Rechtslage gebunden und kann nicht im Wege von Härtefall- oder Gnadenregelungen Ausnahmen erwirken.“

Wozu „Gnadenrichter“, wenn sie sich selbst auf die Fälle beschränken, in denen die Verwaltung nicht „ordnungsgemäß“ entschieden hat. Ich dachte, dafür hätten wir Verwaltungsgerichte! Wie viele Petitionen, die Ausländer betreffen, sind in den letzten Jahren bundesweit positiv beschieden worden? Ich kenne noch nicht mal jemanden, der jemanden kennt, dem solches widerfahren ist. Das kann doch nicht wahr sein, daß unter den Tausenden von Ausländer-Petitionen keine sind, bei denen es um eine unbillige Härte, eine Verletzung des Gebots der Menschlichkeit geht! Petitionsausschüsse sind offenbar nichts anderes als überdimensionierte Papierkörbe, weil fast nur desinteressierte Leute entsprechend dem Parteienproporz drin sitzen. Oberstes Ziel der Mehrheit ist: „Kein Beschluß gegen die Regierungslinie!“

Wie es besser geht, macht Nordrhein-Westfalen mit der Härtefallkommission vor. Für solche Kommissionen sollten sich die Asylgruppen stark machen und sich mit engagierten Politikerinnen und Politikern (die es auch in den C-Parteien gibt!) zusammentun.

Natürlich sind „Härtefälle“ weniger als die Spitze des Eisbergs. Aber anders als jene Namenlosen im Frankfurter Flughafen kennt man sie: Die Kinder der kurdischen Familie gehen in die Schule, die christlichen Syrer trifft man im Gottesdienst, beim Straßenfest haben die Iraner was gekocht. Hier wird Herr MdB Lintner ausgelacht, wenn er auf die Grass’sche Rede in der Paulskirche sagt: „Da werden wir erstickt von lauter Flüchtlingen und Asylbewerbern, und das kann man … der deutschen Bevölkerung nicht zumuten.“ So populistisch wie die Populisten sind die Deutschen gottlob nicht. Wenn aus anonymen Fällen Menschen werden, dann engagieren sie sich. Oft nützt es: Öffentlichkeit ist der beste Schutzschild.

Wenn aber die Staats“gewalt“ mit einer Besessenheit, die immer das Merkmal fehlender Souveränität ist, „das Gesetz“ durchsetzt, geschieht Schlimmes, weit über das Einzelschicksal hinaus: Die Menschen verlieren das Vertrauen in diesen Staat. Zu offensichtlich fallen Recht und Gesetz auseinander. Es ist verhängnisvoll für die Demokratie, wenn immer mehr Menschen immer häufiger die Erfahrung machen: Ihr humanitäres Engagement ist dem Staat unerwünscht, er ignoriert es oder reagiert feindselig. Es zeitigt Wirkung, wenn gerade diejenigen, die sich uneigennützig politisch einsetzen, ein ums andere Mal erleben, daß ihre Arbeit nur als Arbeit gegen die staatliche Autorität möglich ist. Politik und Verwaltung gerieren sich, als wäre ihre Hauptaufgabe, ganz normale Mitmenschlichkeit zu verhindern. Mit denen, die dazu „Bravo“ sagen, ist gewiß kein Staat zu machen.

Literatur:

„Übergriffe an aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich nach Kosova zurückgeschafften Asylsuchenden“, herausgegeben von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Monbijoustraße 120, Postfach 8154, CH-3001 Bern).

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