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Wie der Verfas­sungs­schutz an "Roten Socken" strickt. Hoheitliche Verrufs­er­klä­rungen II

Renate Künast

Grundrechte-Report 1998, S. 291-295

Zur Zeit der Wende hatte das Ansehen des sogenannten Verfassungsschutzes seinen wohl niedrigsten Punkt in der alten Bundesrepublik erreicht. Nach jahrelangen Fehlentwicklungen und politischem Mißbrauch durch die Politik war die Legitimation dahin.

Das Bundesamt startete nach der Wende eine Öffentlichkeitskampagne, die die Ämter zu Institutionen der Politikberatung machen sollte. Gegen Rechts und Gewalt begann die Aktion „Fairständnis“, und sie zogen mit einer Wanderausstellung durch die Lande: „Verfassungsschutz im demokratischen Rechtsstaat“.

Dort heißt es auf einer Ausstellungstafel: „Wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Und wir halten uns daran.“

Beobachtung der PDS

Inzwischen werden quer durch die Republik (große) Teile der PDS durch das Bundesamt, und verschiedene Landesämter beobachtet. Das Bundesamt Bayern, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern nutzen dazu nachrichtendienstliche Mittel, andere Länder sind zurückhaltender. Brandenburg entschied Anfang 1996, daß keinerlei Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung vorliege, und entschied negativ.

In der alten und neuen Hauptstadt hatte der Senator für Inneres schon frühzeitig den Arbeitsauftrag an das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, einen Bericht (November 1994) über die Verfassungsfeindlichkeit der PDS zu verfassen. Das politisch gewünschte Ergebnis war relativ klar und wurde auch geliefert:

„Der Bericht macht deutlich, daß diese Partei Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen bietet … Nach § 7 Absatz 1 LfVG darf das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin deshalb Informationen über die PDS einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen und dazu Methoden und Gegenstände zur heimlichen Informationsbeschaffung (u. a. Einsatz menschlicher Quellen) anwenden …“

Diesem Fazit ging die amtliche Behauptung voraus:

„Die PDS befindet sich zur Zeit noch in einem gewaltfreien Stadium, in der gewaltlos die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft angestrebt wird. Der Zeitpunkt des Gewalteinsatzes ist jedoch dann erreicht, wenn sich alle eingesetzten Mittel als erfolglos erwiesen haben. Es ist somit die Bereitschaft vorhanden, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen mit ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen erheblich zu beeinträchtigen. Wann mit gewaltsamen Aktionen zu rechnen ist, läßt sich ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht vorhersagen …“

Der Bericht des Landesamtes hat sich nicht bemüht, diese schwerwiegenden Vorwürfe und Vermutungen zu belegen. Vorgelegt wurden folgende Erkenntnisse:

Der Verfassungsentwurf aus dem Jahr 1994 enthalte das populistische Ansinnen, das Wahlalter zu senken. Damit solle der Jungwählerstamm der PDS erhöht werden. „Die Gefahr, nicht gefestigte Jugendliche mit coolen Sprüchen zu treffen, die aus Trotz PDS wählen, um ihre bürgerlichen Eltern zu kränken, ist groß.“

Mit dem Vorschlag, ein Rätesystem einzurichten, wolle die PDS unter Hinzuziehung basisdemokratischer Elemente den Bundestag und die Bundesregierung in die Zange nehmen. „Eine Volksinitiative mit einem niedrigen Quorum von 100000 Stimmen zu ermöglichen, zeigt angesichts der Mitgliederzahl der PDS von ca. 130000, welche Obstruktion hinter einem solchen Ansinnen steht.“

Selbst die Forderung nach Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe und Todesstrafe durch die PDS wurde durch das Amt nicht lobend als verfassungskonforme Position erwähnt. Nein, der PDS wird vorgeworfen, daß dieses mit dem vehementen Einsatz für die vorzeitige Entlassung von RAF-Terroristen korreliere.

Nicht zuletzt wird der PDS ein Treffen mit Yassir Arafat vorgeworfen, mit dem sich bekanntermaßen inzwischen jedermann von Erwin Teufel (CDU) bis Günther Rexrodt (FDP) aus wirtschaftlichen Erwägungen trifft – und treffen darf! Nicht unerwähnt darf der Vorwurf bleiben, die PDS treffe sich auch anderenorts mit Kommunisten, z. B. in China. Ob die Ämter nun auch den Bundeskanzler beobachten, kann man sich da fragen.

Übertroffen wurde diese Analyse noch durch die Problematisierung der Tatsache, daß im Verfassungsentwurf der PDS die Grundrechte an die zweite Stelle verwiesen wurden. Ob dieses wohl ein Indiz dafür sei, daß nun wieder die Interessen des einzelnen den gesellschaftlichen Interessen unterzuordnen sind, wird ernsthaft im Bericht gefragt.

Fazit des Berichtes: Die PDS steckt voller verfassungsfeindlicher Bestrebungen.

Der Bericht des Amtes wurde öffentlich „zerrissen“. Im Ergebnis blieb 1995 die Entscheidung der politisch Verantwortlichen, (nur) Teile der PDS zu beobachten. Dazu gehören: „Kommunistische Plattform“ (KPF), „AG Junge GenossInnen in und bei der PDS“, „Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS“, „Kommunistische Arbeitsgemeinschaft in und bei der PDS“. Im Jahr 1997 wurde der Auftrag erweitert auf: „Forum West“, „Marxistisches Forum“ und die Bezirksorganisation Kreuzberg der PDS.

Trotz alledem wurde an verschiedenen Orten immer noch über potentielle Regierungsbeteiligungen der PDS nachgedacht.

„Kein Spielraum für politischen Opportunismus“

So gab der (neue) Innensenator nochmals einen Berichtsauftrag an das Amt, mit dem Ziel, die Frage der Einstufung des gesamten Landesverbandes der PDS als Beobachtungsobjekt zu beantworten. „Keinerlei Zweifel“ ließ er daran, daß er bei entsprechender Beurteilung durch das Amt die gesamte Partei beobachten ließe. „Spielraum für politischen Opportunismus“ gäbe es dann aufgrund der gesetzlich zwingend festgelegten Kriterien nicht, erklärte er und unterstellte sogleich anderen entsprechende unlautere Motive.

Nach Erstattung des Berichtes 1997 hatte der Senator „keinerlei Zweifel“ daran, daß der Berliner Landesverband der PDS eine „verfassungsfeindliche Ausrichtung“ habe. Nun folgten zum Großteil die gleichen fragwürdigen Begründungen wie Ende 1994. Der Senator erklärte jedoch, daß er den bekannten juristischen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für ein Verbot der PDS anwenden müsse, für das er bisher juristisch keinerlei Raum gesehen hat. Vom Parteienprivileg in Art. 21 GG bis hin zur Märtyrerrolle, die man verhindern müsse, war die Rede.

So lautete die Entscheidung, es bleibt bei der Beobachtung von (nur) Teilen der PDS.

Hoheitliche Verrufserklärungen

Der bundesweit parallellaufende Vorgang belegt erneut: Verfassungsschutzbehörden und Demokratie sind unvereinbar.

Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz haben sich zu Erfüllungsgehilfen politischer Interessen gemacht, indem sie ihre Definitionsmacht über verfassungsfeindliche Bestrebungen mißbrauchen. Die Verfassungsfeindlichkeit und bevorstehende Gewaltanwendung der PDS werden behauptet, aber die schwerwiegenden Vorwürfe und Vermutungen werden durch nichts begründet. Ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht zum Verbot der Partei wird nicht gestellt, denn alle wissen, daß er keinerlei Aussicht auf „Erfolg“ hätte.

Der Zweck der Aktion ist aber erfüllt. „Irgendwas bleibt immer hängen“, sagt der Volksmund.

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