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Demon­s­triere nie mit dem Minis­ter­prä­si­den­ten. Risiken und Neben­wir­kungen einer Beschwerde an das Landes­ober­haupt

Wilhelm Achelpöhler

Grundrechte-Report 2002, S. 68-70

Jana N. ist 17 Jahre alt und Schülersprecherin an einer am Rande des Ruhrgebiets gelegenen Gesamtschule. Sie organisiert gemeinsam mit anderen Schülern und Schülerinnen Aktivitäten gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Als sie davon hört, dass am 21. Oktober 2000 eine Demonstration des Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch in Dortmund stattfinden soll und sogar von dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement zu einem «Aufstand der Anständigen » aufgerufen wird, fährt sie nach Dortmund, um an einer Gegendemonstration teilzunehmen. Hauptredner der Auftaktkundgebung ist der Ministerpräsident selbst.

Im Anschluss an die Kundgebung nimmt sie an einem Demonstrationszug meist jugendlicher Demonstrantinnen und Demonstranten teil, die direkt zum Kundgebungsort der Rechtsradikalen ziehen wollen. Sie muss dann erleben, dass dieser Demonstrationszug von der Polizei eingekesselt wird und mehrere hundert Polizisten auf die Demonstranten mit Knüppeln und Tränengas losgehen. Jana bekommt es mit der Angst zu tun, will weglaufen. Plötzlich lässt sie der Schlag eines Polizisten niedergehen, sie taumelt gegen eine Laterne, ihr wird für einige Momente schwarz vor Augen.

Zurück in ihrem Heimatort setzt sie sich an den PC und schreibt an den Ministerpräsidenten ihres Landes, was sie während der Demonstration erlebt hat. Sie ist empört über das Ver69 halten der Polizei und äußert die Frage: «Auf welcher Seite steht unsere Polizei?» Enttäuscht und sehr nachdenklich versichert sie: «Ich werde nicht resignieren und für mehr Solidarität und gegen den wieder aufkommenden Nationalsozialismus friedlich weiter kämpfen.» Beigefügt hatte sie dann gleich einen Artikel, den sie nach dem Besuch des KZs Auschwitz für das Jahrbuch ihrer Schule geschrieben hatte.

Dieses Schreiben wird zu einer Nachhilfestunde in Sachen Sozialkunde für Jana. Zunächst erhält sie eine Mitteilung der Staatskanzlei, dass ihr Schreiben an das fachlich zuständige Innenministerium mit der Bitte um Stellungnahme weitergegeben worden sei. Das Innenministerium reicht das Schreiben an das Polizeipräsidium Dortmund weiter, das den Eltern etwa zwei Monate später schreibt: «Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass gegen Ihre Tochter Jana bei meiner Unterabteilung Staatsschutz unter der Tagebuch-Nr. . . . ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs pp. eingeleitet wurde. Von Rückfragen bei meiner Unterabteilung Staatsschutz bitte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch abzusehen.» Einige Tage danach wurde dies dann auch noch mit einem Schreiben von NRW-Innenminister Behrens bestätigt. Das Polizeipräsidium Dortmund habe ihr Schreiben gleich weitergeleitet an die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der Bitte um Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Wieder einige Wochen danach erhalten die Eltern einen Anruf der Abteilung des polizeilichen Staatsschutzes: «Ihre Tochter Jana soll erkennungsdienstlich behandelt werden.»

Anlass für diese Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft ist die von Jana in ihrem Schreiben an den Ministerpräsidenten geschilderte Teilnahme an der Demonstration, obwohl in diesem Schreiben nur in einer Hinsicht ein unfriedliches Verhalten geschildert wird, nämlich das Verhalten der Polizei gegenüber den Gegendemonstranten. Die Vorgehensweise des Polizeipräsidiums Dortmund, die stundenlang mehrere hundert insbesondere jugendliche Demonstranten eingekesselt hat, führte sogar dazu, dass das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 2. März 2001 für nötig befand, der Polizei in Dortmund ein Einkesseln von Versammlungsteilnehmern ohne vorherige Auflösung der Demonstration im Eilverfahren zu untersagen.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund leitete daraufhin gegen die eingekesselten Demonstrationsteilnehmer Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs ein und stellte diese Verfahren später nach § 45 Abs. 1 JGG i. V. m. § 153 StPO ein. Folge: Ein Eintrag im Erziehungsregister. Diese Vorgehensweise wurde aus Dortmund auch der für Jana zuständigen Staatsanwaltschaft nahe gelegt. Diese allerdings stellte das Ermittlungsverfahren dann mangels hinreichenden Tatverdachts endgültig ein.

Dem politischen Engagement von Jana tat all dies keinen Abbruch: Gemeinsam mit den anderen Schülersprecherinnen und -sprechern organisierte sie eine Demonstration von 5000 Schülerinnen und Schülern auf dem Marktplatz ihrer Heimatstadt. Der sozialkundliche Nachhilfeunterricht durch Landesregierung und Staatsanwaltschaft vermittelte ihr allerdings einen deutlichen Eindruck davon, welche Folgen es für eine Schülerin haben kann, wenn sie sich an einer Demonstration beteiligt, an der auch ihr Ministerpräsident teilnimmt, und was geschehen kann, wenn sie sich nach dieser Demonstration empört über das Verhalten der Polizeibeamten an ihren Ministerpräsidenten wendet. Über Ergebnisse der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte ist Jana bis zum heutigen Tage nichts bekannt.

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