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«Irgendwas muss die Polizei ja machen». Raster­fahn­dungen nach dem 11. September 2001

Fredrik Roggan

Grundrechte-Report 2002, S. 46-50

Wie leicht man derzeit unter Terrorismusverdacht geraten kann, zeigen die durchgeführten Rasterfahndungen nach den so genannten «Schläfern», also Terroristen im Wartestand. Da heißt es etwa in einem Beschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 20. September 2001, dass bestimmte Einrichtungen (von Universitäten bis hin zu Catering- und Reinigungsfirmen) verpflichtet werden, Daten von bestimmten Personen an die Polizei herauszugeben. Man mag es kaum glauben, aber diese Personen werden definiert mit Merkmalen wie: «islamische Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung, legaler Aufenthalt, Studientätigkeit, keine Auffälligkeiten im allgemein kriminellen Bereich, finanzielle Unabhängigkeit ». Vermutlich der Hektik der damaligen Sicherheitshysterie war es geschuldet, dass der entsprechende Beschluss schon einen Tag später berichtigt werden musste. Betroffen sein sollten nun allgemein alle Menschen, die vermutlich islamischer Religionszugehörigkeit sind und vermutlich einen legalen Auf enthaltsstatus in Deutschland besitzen. Die Korrektur war unvermeidbar, denn man hatte übersehen, dass die zunächst verlangten Informationen weder bei Arbeitgebern noch Hochschulverwaltungen vorhanden sind. Nochmals «präzisiert » wurde die in Berlin betroffene Personengruppe mit einem Beschluss vom 24. Oktober 2001. Darin wurde bestimmt, dass von einer zu vermutenden islamischen Religionszugehörigkeit auszugehen sei, wenn der Geburtsort einer Person in einem Land einer beigefügten Länderliste liege. Zu den aufgeführten Ländern gehörte
auch Frankreich.

Die Befugnis der Polizei zur Rasterfahndung ist sowohl in der Strafprozessordnung (StPO) als auch in den Polizeigesetzen der Länder (Ausnahme: Schleswig-Holstein) enthalten. Entsprechend den Gesetzgebungskompetenzen ist in den § § 98a und 98b StPO die Rasterfahndung im Falle eines besonderen Straftatverdachts geregelt, während die Polizeigesetze sie zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (Leib, Leben oder Freiheit einer Person, Bestand des Bundes oder eines Landes) vorsehen. Die Rasterfahndungen nach dem 11. September 2001 hatten ihre Grundlage in den Polizeigesetzen. Insofern befanden sich einige Bundesländer, darunter Bremen und Niedersachsen, in der Bredouille, weil ihre Polizeigesetze solche Maßnahmen nicht vorsahen und sich die Universitäten deshalb – zu Recht – weigerten, die Daten ihrer Studierenden herauszugeben. In kürzester Zeit wurden deshalb passende Ermächtigungsgrundlagen durch die Parlamente geschleust – ohne nennenswerten Widerspruch. Dabei ergab sich in Bremen die Besonderheit, dass eben jene Rasterfahndungen durch das gerade verabschiedete neue Polizeigesetz vom 4. September 2001 (sic!) abgeschafft worden waren und nun (schnellstmöglich) wieder eingeführt werden mussten. Dazu brauchte die Bremische Bürgerschaft – erklärbar nur unter Be rücksichtigung des innenpolitischen Klimas – gerade einmal bis zum 26. Oktober 2001.

Nicht einmal das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr schien eine ernsthafte Hürde für die Rasterfahndungen des Jahres 2001 gewesen zu sein. Der bereits genannte Berliner Beschluss vom 20. September 2001 zum Beispiel ging über diese Voraussetzung erstaunlich souverän hinweg. Anstelle einer Begründung wurde unter Hinweis auf eine «besondere Konstellation » festgestellt, dass an «die Zeitkomponente der Gegenwärtigkeit der Gefahr keine überzogenen Anforderungen gestellt werden» dürften. Das wäre grundsätzlich nicht zu beanstanden gewesen, wenn die Einwirkung auf das betroffene Rechtsgut unmittelbar oder zumindest in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorgestanden hätte. Nun hatte aber Innenminister Schily persönlich und wiederholt festgestellt, dass es zum damaligen Zeitpunkt (überhaupt) keine konkreten Anzeichen für Anschläge in der BRD gebe. Die bloße Möglichkeit, dass in Deutschland irgendwann irgendwo von irgendwem einmal irgendein Anschlag verübt werden könnte, reichte also den für die Anordnung der Rasterfahndung zuständigen (Amts-)Gerichten aus. Zu Unrecht, wie im Januar 2002 das Berliner Landgericht auf die Beschwerden von einigen «gerasterten » Berliner Studenten der Humboldt-Universität entschied: Die erforderliche konkrete Gefahr sei nicht ersichtlich. Die Einleitung einer Rasterfahndung sei nicht schon deswegen gerechtfertigt, weil sich nicht definitiv ausschließen lasse, dass sich in Deutschland so genannte Schläfer befänden. Konsequenz dieser Entscheidung müsste eigentlich die Löschung sämtlicher im Rahmen der Fahndung erhobenen Daten sein – einschließlich derer, die inzwischen an Bundeskriminalamt und andere Behörden weitergegeben wurden. Der Berliner Innensenator Körting gab sich indessen unbeeindruckt und kündigte an, den Beschluss anfechten zu wollen. Sollte er auch in nächster Instanz vor dem Kammergericht scheitern, so der Innensenator weiter, würden
eben die Gesetze geändert.

Selbst wenn die juristischen Unzulänglichkeiten der Rasterfahndungen nach dem 11. September 2001 außer Betracht bleiben, so wurde die Behauptung, es handele sich um eine «schonende Fahndungsmethode», widerlegt: Die Kriterien für die Auswahl der Personen waren nämlich denkbar unbestimmt. Dies verwundert nicht, denn über Attentäter á  la Mohammed Atta wusste man damals kaum etwas. Dieser Umstand brachte es mit sich, dass nach der Rasterfahndung eben nicht, wie es nach dem Idealfall einer solchen Maßnahme sein sollte, nur einzelne Menschen übrig blieben, die sich dann mit konventionellen Ermittlungen (Befragungen, Durchsuchungen o. Ä.) durch die Polizei konfrontiert sahen. Die Stadt Bernau etwa lieferte den Ermittlern die Daten von fast jedem zehnten Einwohner. Von einem verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann da nicht mehr die Rede sein. Die Folgen dieser polizeilichen «Zielgenauigkeit » waren eklatant: Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland beispielsweise klagte, dass mehrere Unschuldige zum Teil auf Grund von Namensgleichheiten mitten in der Nacht zum Verhör abgeholt und bis zu drei Tage bei der Polizei festgehalten wurden. Die öffentlichen Stigmatisierungen führten auch dazu, dass die Eigenschaft, Araber und/ oder Muslim zu sein, in der Wahrnehmung nicht weniger deutscher Mitbürger zum Anknüpfungspunkt von Verdächtigung und Denunziation
wurden.

Ohnehin ist die Rasterfahndung eine denkbar erfolglose Fahndungsmethode. Sie war seit ihrer Erfindung durch den ehemaligen BKA-Präsidenten Herold in den 70er Jahren überhaupt erst ein einziges Mal erfolgreich. Im Rahmen der Fahndung nach RAF-Angehörigen trug sie zur Festnahme von Rolf Heißler bei. Als polizeiliches Instrument könnte sie nur dann Erfolg versprechen, wenn das ihr zugrunde gelegte Täterprofil demjenigen der gesuchten Personen genau entspricht. Diesem Erfordernis entsprechen die gerichtlich abgesegneten Rastermerkmale der Fahndungen nach dem 11. September 2001 nicht annähernd: Verdächtig war, wer unverdächtig und rechtstreu lebte. Auf diese Weise wurden Zehntausende nichtdeutsche Menschen unter einen Massenverdacht gestellt, durch den ihr Alltag in Deutschland massiv erschwert wurde. Eine Polizei, die eine solche – vorhersehbare – Entwicklung hätte verhindern wollen, hätte auf eine Rasterfahndung der beschriebenen Art verzichten müssen. Aber vielleicht war ja diejenige Maxime Richtschnur, die ein Polizist dem Verfasser auf einer Podiumsdiskussion entgegenhielt: «Irgendwas muss die Polizei ja machen .. .»

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