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Terror und Antiterror. Zur Beratung des Terro­ris­mus­be­kämp­fungs­ge­setzes im Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001

Burkhard Hirsch

Grundrechte-Report 2002, S. 15-26

Der 11. September 2001 hat die Welt nicht verändert. Nichts ist möglich geworden, was nicht schon vorher möglich war. Aber er zwingt dazu, die Positionen zu überprüfen. Neu ist das Bewusstsein für die Bedrohung und Verwundbarkeit einer modernen, auf berechenbare Zusammenarbeit angelegten Zivilisation. Neu ist das Ausmaß des Hasses in Teilen unserer Welt gegen eine politische, militärische und ökonomische Supermacht in ihrer Überlegenheit als Weltpolizist und Weltenrichter zugleich. Was auch immer sein Anlass sein mag, der Terrorismus verdeutlicht die Zerbrechlichkeit einer auf Frieden und Toleranz angewiesenen Völkergemeinschaft. Die Anschläge waren brutale Verbrechen. Keine religiösen oder ideologischen Begründungen können sie rechtfertigen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Mitgliedsstaaten aufgerufen, den Terrorismus zu bekämpfen und die Täter, ihre Organisationen und ihre Förderer zur Verantwortung zu ziehen. Es ist legitim, mit geeigneten Mitteln die Organisation zu bekämpfen, die für die mörderischen Anschläge verantwortlich ist. Das eigentliche politische Problem kann jedoch weder mit militärischen noch mit strafrechtlichen Mitteln gelöst werden.

Am 14. Dezember 2001 hätte der Bundestag einmütig erklären können, dass das Grundgesetz keine Schönwetter-Veranstaltung ist, dass wir uns auch von Terroristen nicht dazu verleiten lassen werden, unsere Verfassung auszuhöhlen, und dass man die Freiheit nicht verteidigen kann, indem man sie immer weiter einschränkt. Er hätte erklären können, dass ein starker Staat nicht auf immer mehr Kontrollen, Überwachungen und Sanktionen beruht, sondern darauf, dass seine Bürger ihn als gerecht und vernünftig anerkennen und darum bereit sind, sich für ihn zu engagieren.

Stattdessen änderte der Bundestag 17 Gesetze in einem unerhörten Verfahren. Der Referentenentwurf des Innenministeriums bestand überwiegend aus Vorschlägen, die schon vor Jahren abgelehnt worden waren. Seine Begründung war formelhaft und nichts sagend. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen brachten den komplizierten Gesetzentwurf gleichzeitig in Bundesrat und Bundestag ein. Die Sachverständigen einer Anhörung konnten sich nur wenige Tage vorbereiten. Sie forderten umfangreiche Änderungen und Beratungen. Am Vorabend der unverzüglich folgenden einzigen Sitzung des federführenden Innenausschusses legten die Koalitionsfraktionen 36 zum Teil außerordentlich umfangreiche Änderungsanträge vor und nahmen dann ihre eigenen Vorschläge an. Das Plenum entschied noch in derselben Woche in zweiter und dritter Lesung.

Nur die Liberalen und die PDS protestierten. Man könne es als eine «große Verfassungsreform», nämlich als «Abschied von der liberalen Verfassungsidee» bezeichnen, zitierte die Abgeordnete der PDS einen Artikel der Berliner Zeitung. «Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Sicherheit vor dem Staat – also Freiheit – bezahlt.» Der Bundesminister des Inneren fuhr die Abgeordnete an, für sie seien offenbar die Sicherheitsinstitutionen des Staates die Gefahr und nicht der Terrorismus. «Ich möchte wissen, in welcher Welt Sie leben. Wahrscheinlich haben Sie noch ein bisschen Erinnerung an die DDR.» Wir leben, hätte sie antworten können, offenbar in einem Staat, dessen Regierung sich Machtmissbrauch nur noch als unerledigte Vergangenheitsbewältigung vorstellen kann. Der Innenminister hätte es begrüßen sollen, dass Abgeordnete ihre Entscheidungen an ihren Erfahrungen messen wollen. Hatte er selbst keine Erfahrungen mit staatlicher Macht? Nicht jeder vergisst so schnell den Unterschied, den es macht, ob man sie ausübt oder ihr unterworfen ist. Es ist kein Beleg für Handlungsfähigkeit, wenn die Mehrheit den Bundestag zu einer Abstimmungsmaschine macht, in der selbst die meisten Abgeordneten des zuständigen Ausschusses nur noch funktionieren, aber keine Chance mehr haben, den Inhalt ihrer Entscheidungen zu erfassen. Die Wähler erwarten wirksame, durchdachte und rechtsstaatlich hinnehmbare Regelungen als Ergebnis einer ernsthaften Beratung. Das Grundgesetz ist kein Versuchsobjekt und kein Steinbruch zur gefälligen Bedienung.

Ohne Sicherheit gebe es keine Freiheit, wird Wilhelm von Humboldt zitiert. Aber er wäre nicht auf die Idee gekommen, dass die Freiheit des Einzelnen umso größer und sicherer werde, je mehr der Staat den Bürger überwacht und kontrolliert. Die Überwacher von heute kommen nicht mehr in den Stiefeln der Macht, sondern auf den leisen Sohlen des Beschützers, der den Bruder umsorgt, seine Rechte wahrt, ihn wohlmeinend entmündigt. Sie sind voll guten Willens. Es gehe doch um das Recht auf Sicherheit des Bürgers, und in einer Demokratie sei er selbst der Staat. Auch Konservative bestreiten nicht, dass der Staat sich letzten Endes Grenzen setzen müsse, wenn er ein Rechtsstaat bleiben will. Aber sie schweigen betreten, wenn sie diese Grenzen definieren sollen, jenseits derer der Schutz in Überwachung und Gewalt umschlägt. Diese Grenze hängt nicht davon ab, ob der Bürger an der Legitimation der staatlichen Gewalt beteiligt war oder nicht. Auch in einer Demokratie wird Macht ausgeübt, der der Bürger unterworfen ist. Eine Wanze bleibt eine Wanze, eine Abschiebung bleibt eine Abschiebung. Entscheidend ist nur, was der Staat wann machen darf, wie er dabei kontrolliert wird, und ob die Verfassungswirklichkeit dem Geist der Verfassung entspricht.

Auf demokratischen Konsens und Standhaftigkeit allein sollte man dabei nicht allzu sehr vertrauen. Der ehemalige Ministerpräsident Albrecht hatte einst unter bestimmten Umständen die Anwendung der Folter für gerechtfertigt gehalten. Während der Schleyer-Entführung 1977 wurden von konservativen Persönlichkeiten Vorschläge gemacht, die eine Mischung von Brutalität und Würdelosigkeit waren. In den Vereinigten Staaten wurde jetzt erwogen, Verdächtige der Folter auszuliefern, nicht öffentlich tagende Militärgerichte einzusetzen und ohne Rechtsmittel selbst die Todesstrafe verhängen zu dürfen. Über tausend Personen sollen ohne konkrete Beschuldigung inhaftiert worden sein. In England wird die Inhaftierung verdächtiger Ausländer ohne richterliche Entscheidung erwogen. In Deutschland schlägt ein konservativer Abgeordneter, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, ebenfalls vor, verdächtige Ausländer ohne richterliche Entscheidung in Gefängnisse oder leere Kasernen einzusperren, «so lange wie nötig». Niemand aus seiner christlich-demokratischen Partei fordert ihn auf, auf den Boden der Verfassung und der Vernunft zurückzukehren.

Der Überwachungsstaat ist nicht fern, schrieb Hassemer 1995, wo die Freiheit als Gefährdung und die Sicherheit als ein Rechtsgut erscheint. Das Recht auf Sicherheit in Art. 5 EMRK ist ein Recht auf Sicherheit gegen staatliche Willkür. Heute erscheint es plötzlich als verfassungsrechtliche Generalklausel, ja geradezu als Pflicht, Grundrechte einzuschränken, wenn es dem Staat dadurch erleichtert wird, die Rechte des Bürgers zu schützen. Aber zur Rechtsordnung gehören nicht nur Leben, Eigentum, Besitz und körperliche Unversehrtheit, sondern in gleicher Weise Menschenwürde, Privatheit, berufliche Schweigerechte, die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Post- und Fernmeldegeheimnis, die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, die Ausreisefreiheit, das Recht, nicht ohne konkreten Anlass kontrolliert und in seiner eigenen Wohnung nicht vom Staat belauscht zu werden, wenn man mit seinem Ehepartner unter vier Augen sprechen will. Die Behauptung eines «Grundrechts auf Sicherheit» soll einen «schlagkräftigen, wehrhaften» Staat vom lästigen Rankenwerk rechtsstaatlicher Beschränkungen in der Vorstellung befreien, dass diese Beschränkungen eben nur privates Interesse und dem öffentlichen Interesse an einem «wehrhaften » Staat nachgeordnet seien. Es ist das Urbild der gerechten, wohlmeinenden, aber letzten Endes bedingungslosen Obrigkeit. Mit der Rechtsordnung des Grundgesetzes ist das nicht vereinbar.

Gesetzgeber und Verwaltung haben in den letzten zwanzig Jahren, ausgelöst vom Terrorismus der RAF, von angeblich ständig zunehmenden «Gewaltdemonstrationen», dann unter ständiger Beschwörung der so genannten «organisierten Kriminalität» eine innenpolitische Aufrüstung ohnegleichen vollzogen, die Vorfeld-Ermittlungen aus- und die Unschuldsvermutung abgebaut: Vermummungsverbot und «passive Bewaffnung», Rasterfahndung, Kontaktsperre und Beobachtende Fahndung, Inpol, NADIS und Eurodac, die Dateien so genannter reisender Gewalttäter, der maschinenlesbare und fälschungssichere Personalausweis, verdeckte Ermittler, die auch im Strafverfahren verdeckt bleiben, die Einziehung des gesamten Vermögens eines Täters als Vermögensstrafe, das beschleunigte Verfahren einschließlich der so genannten «Hauptverhandlungssicherungshaft », erleichterte U-Haft ohne Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr, polizeiliche Vorbeugehaft, Kronzeugen, Geldwäsche mit Anzeigepflicht für Banken, Deklarationspflicht von Bargeld an der Grenze bei Androhung seiner Einziehung, elektronisches Belauschen innerhalb und außerhalb von Wohnungen schon bei einfachem Tatverdacht, Telefonkontrolle einzelner Personen und gegebenenfalls ganzer Unternehmen, Überwachung der Auslandsgespräche nach Stichworten durch den BND im Inland, Verdachtsdateien und Speicherung von Personen, die «nach ihrer Persönlichkeit» in Zukunft eine Straftat begehen könnten, Verdatung auch von Zeugen, Hinweisgebern und «Begleitpersonen », vorsorgliche Speicherung von Straftätern in einer DNA-Datei, das Recht der Polizei, als so genannte Schleierfahndung die Identität einer Person ohne äußeren Anlass festzustellen, die drastische Erleichterung der Passversagung und des Ausreiseverbotes – übrigens ohne dass dem Betroffenen die Aufnahme in die entsprechende Datei mitgeteilt werden muss, die Ausweisung auf Verdachtsbasis, die Einrichtung von Europol ohne staatsanwaltschaftliche Kontrolle und – besonders empörend – mit praktischer Immunität auch bei Straftaten, die bei Gelegenheit einer dienstlichen Tätigkeit begangen wurden.

Die jüngste Änderung der Strafprozessordnung ermöglicht es, von privaten Netzbetreibern die gespeicherten und zukünftigen Teledaten Beschuldigter anzufordern, zunächst unabhängig davon, ob dadurch ein Zeugnisverweigerungsrecht beeinträchtigt wird oder nicht. Die Bundesregierung plant die Umsetzung einer EU-Richtlinie, durch die auch beratende Anwälte gezwungen werden, ihre Mandanten bei Geldwäscheverdacht heimlich anzuzeigen. Manches davon ist für sich genommen durchaus diskutabel. In seiner Gesamtheit verändert es das Verhältnis des Bürgers zum Staat. Vor allem: Irgendeine öffentliche Erfolgskontrolle aller dieser Maßnahmen fand nicht statt oder wurde von den zuständigen Bundesländern als zu arbeitsintensiv abgelehnt. Die Telefonkontrollen nehmen von Jahr zu Jahr dramatisch zu. Unter demokratischen Staaten sind wir in dieser Beziehung Weltmeister. Die bisher gelegten Wanzen bezogen sich mehrheitlich auf Nichtbetroffene, zwei Drittel von ihnen wurden nicht benachrichtigt.

Das alles reicht offenbar nicht. Die Maßnahmen, die nun als Anti-Terror-Gesetz erlassen wurden, beziehen sich nur zu einem Teil auf die Vorgänge des 11. September. Teilweise haben sie mit ihnen nichts zu tun, sondern richten sich auf eine schärfere Überwachung der Ausländer und des Ausländerrechts. Keine dieser Maßnahmen hätte dazu geführt, die späteren Täter aufzuspüren, die sich unauffällig und gesetzeskonform verhielten. Das Auffälligste an ihnen war, dass es sich um Studenten moslemischen Glaubens handelte, mal mit Bart, mal ohne. Anscheinend erfuhren sie selbst erst im letzten Augenblick, was sie tun sollten.

Die unmittelbaren Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes werden drastisch und nicht mehr konkret abgrenzbar erweitert. Es soll eigenständige Ermittlungen ohne Anfangsverdacht unabhängig von den Länderpolizeien beginnen können – ein weiterer Schritt zur Schaffung einer von der Verfassung bisher abgelehnten zentralen Kriminalpolizei. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes wird auf Bestrebungen ausgedehnt, die sich nicht gegen die Bundesrepublik richten, sondern gegen das friedliche Zusammenleben und die Störung des Friedens irgendwo sonst auf der Welt. Wer will da und bei dem geplanten § 129b StGB für alle überzeugend entscheiden, was ein legitimer Freiheitskampf und was Terror ist? Was ist Islamismus angesichts der 59 Staaten mit dem Islam als Staatsreligion, die gleichwohl Mitglieder der Vereinten Nationen sind? Der Verfassungsschutz des Bundes und der Länder darf zukünftig bei entsprechender Gefahrenannahme Kontenbewegungen und Finanzdienstleistungen aller Art überwachen, von den Fluglinien Passagierlisten und sonstige Transportaufträge anfordern, Auskünfte über Postdienstleistungen aller Art einholen, von Netzbetreibern Auskünfte über gespeicherte und zukünftige Televerbindungen und Teledienste einholen, die Standorte eingeschalteter Handys überwachen und den so genannten IMSI-Catcher einsetzen, um die benutzten Geräte- und Kartennummern zu erfahren. Der jeweils Betroffene darf von diesen Maßnahmen und den erteilten Auskünften nichts erfahren. Auch die Bank, von der er einen Kredit haben will, darf ihn nicht fragen, was mit ihm eigentlich los ist. Es würde sie sicherlich interessieren. Die Überwachung erfolgt nach den Regeln des G-10-Gesetzes im Wesentlichen durch die G-10-Kommission. Sie berichtet in Abständen dem parlamentarischen Kontrollgremium, das seinerseits dem Bundestag jährlich einen Bericht erstattet, durch den die Geheimhaltungspflichten aber nicht verletzt werden dürfen. Die vom Verfassungsschutz gewonnenen Informationen dürfen bei einschlägigen Delikten an andere Stellen weitergegeben werden. Die Speicherdauer wird «zur Arbeitserleichterung » bis zur ersten Überprüfung auf zehn Jahre verdoppelt. Flüchtlings- und Ausländerämter werden verpflichtet, ihnen sachdienlich erscheinende Informationen dem Verfassungsschutz von sich aus zuzuleiten. Die Weiterleitung der Daten kann auch an ausländische Dienste erfolgen, wenn «die Übermittlung völkerrechtlich geboten» ist – was immer das hei ßen soll. Kein Flüchtling kann mehr darauf vertrauen, dass seine Informationen nicht dem Land übermittelt werden, aus dem er geflohen ist. Ähnliche Rechte werden dem MAD und sogar dem BND im Inland eingeräumt.

Besonders gravierend ist die Veränderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes. Bisher galt sein Prüfmechanismus dem Zugang zu klassifizierten Dokumenten oder Vorgängen. Zukünftig soll er sich auf sicherheitsempfindliche Tätigkeiten in verteidigungs- oder lebenswichtigen Einrichtungen beziehen, in Versorgungs- und Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, chemischen und pharmazeutischen Fabriken, Banken, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Bundesregierung entscheidet allein, wer darunter fällt. Nach einer umfangreichen Sicherheitserklärung des Betroffenen folgt die Abfrage aller einschlägigen Register und Dateien, auch hinsichtlich des Ehe- oder Lebenspartners. Zu negativen Ergebnissen wird der Betroffene gehört. Ein privater Arbeitgeber erfährt nur, ob sein Mitarbeiter nach Meinung der Behörden zur sicherheitsempfindlichen Tätigkeit geeignet ist oder nicht. Offen bleibt, was er dann machen soll.

Merkwürdig ist die Regelung zu Pässen und Personalausweisen. Die Aufnahme maschinenlesbarer so genannter biometrischer Angaben von Fingern, Händen oder Gesicht, von Lichtbild und Unterschrift in verschlüsselter Form soll von einem späteren Bundesgesetz abhängen. Die Bundesregierung will sich offenbar angesichts der erheblichen Kosten und der langen Einführungsdauer zunächst freie Hand für europäische Verhandlungen über diese Maßnahmen schaffen, deren Verwirklichung allein für deutsche Pässe und Ausweise nur eine sehr beschränkte Wirkung hätte. Es geht nicht um die Fälschungssicherheit der Ausweise. Es geht um die Totalerfassung der biometrischen Daten aller Deutschen und aller Ausländer, die sich in der Bundesrepublik aufhalten. Das ist schon seit über hundert Jahren immer wieder abgelehnt worden. Man könne nicht einfach jeden Bürger vorbeugend wie einen Straftäter behandeln. Für Deutsche wird – noch – keine Zentraldatei eingeführt. Für Ausländer können allerdings praktisch alle Ausweisdaten verschlüsselt und von allen Behörden gespeichert, verarbeitet und übermittelt werden.

Ein zentraler Datenvergleich ist in der Tat unvermeidbar, wenn man verhindern will, dass ein und dieselbe Person in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Namen auftaucht und jeweils ein Ausweispapier bekommt. Angesichts des hohen Kostenaufwandes wird eine Zentraldatei nicht lange auf sich warten lassen. Und das System ist dann sehr ausbaufähig.

Das Ausländerrecht nähert sich endgültig polizeirechtlichen Kategorien. Eine politische Tätigkeit im Inland außerhalb deutscher Parteien wird aufenthaltsrechtlich zum Risiko, das Verbot von Ausländervereinen wird wesentlich erleichtert. Dabei werden unter Berufung auf die fortgeschrittene Integration Europas EU-Ausländer nur für das Vereinsrecht den Deutschen gleichgestellt, sonst komischerweise nicht. Schon die Beantragung eines Visums löst erkennungsdienstliche Maßnahmen aus und kann zu umfangreichen nachrichtendienstlichen Recherchen auch hinsichtlich des Einladers führen. Bei welchen Staaten das geschieht, entscheiden allein Innen- und Außenministerium. Die biometrischen Merkmale, die bei der Identitätsfeststellung oder generell im Asylverfahren anfallen, werden beim Bundeskriminalamt gespeichert, verschlüsselte Ausweisdaten sind für alle beteiligten Behörden verfügbar. Die Übermittlung persönlicher Angaben von Asylbewerbern auch an befreundete Dienste ist möglich, wenn das völkerrechtlich geboten ist. Die Auswei sungsgründe werden erweitert, Abschiebungen erleichtert. Auch bei früheren Straftaten im Ausland kann das Asylrecht verweigert werden. Die Ausländerzentraldatei, jetzt schon eine umfangreiche Vorrats-Datensammlung, wird drastisch ausgebaut und nicht nur der Polizei, sondern auch den Nachrichtendiensten im Online-Verkehr zugänglich gemacht, auch für «Gruppenauskünfte », eine Art Rasterfahndung. Auch nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bleibt der neue Staatsbürger für fünf Jahre im AZR. Man kann die Aufzählung der Neuerungen fortsetzen.

Ganz wohl ist dem Gesetzgeber bei seinen Entscheidungen nicht gewesen. Einzelne besonders drastische Forderungen wurden im letzten Augenblick durch Entscheidung innerhalb der Koalition gemildert. Die neuen Kontrollbefugnisse der Sicherheitsdienste und die Ausdehnung der Sicherheitsüberprüfung wurden zunächst auf fünf Jahre begrenzt.

Der konservativen Opposition ist es schwer gefallen, weitere Forderungen aufzustellen. Natürlich fordert sie neue Kronzeugenregelungen, den Einsatz der Bundeswehr im Inland und rühmt, dass einzelne Bundesländer schon längst ihren Verfassungsschutz zur Kriminalitätsbekämpfung einsetzen, sozusagen als von den lästigen Beschränkungen des Polizeirechts befreite Vorfeld-Polizei.

Ist der Staat nun stärker geworden? Fühlen wir uns sicherer? Regierung und Koalition freuen sich, in einem Wahljahr «Handlungsfähigkeit » gezeigt zu haben. Manche Bürger werden den versprochenen Zuwachs an Sicherheit in der festen Überzeugung begrüßen, dass sie selbst von den Neuregelungen nicht berührt werden. Sie werden erst dann darüber nachdenken, wenn sie selbst, natürlich unberechtigt, in einen Verdacht geraten sind. Vielleicht steigt auch die Zahl der Bürger, die sich überwacht, kontrolliert und darin bestärkt fühlen, sich lieber auf ihre Privatheit zurückzuziehen, als sich in öffentlichen Dingen zu engagieren. Natürlich muss ein Staat in der Lage sein, die Aufgaben zu erfüllen, die der Bürger von ihm verlangt. Das erreicht man nicht, indem man immer neue Gesetze macht, immer neue Kontrollen und Zuständigkeiten übereinander häuft, anstatt zu prüfen, ob die schon beschlossenen Gesetze denn auch angewendet werden, wie sie wirken, wie es mit den personellen Ressourcen aussieht und mit der institutionellen Zusammenarbeit, und indem man bekennt, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann, nicht in einer Demokratie und erst recht nicht in einer Diktatur. Die Freiheit des Einzelnen ist nicht denkbar ohne die Freiheit der Gesellschaft. «Man bekämpft Feinde des Rechtsstaats nicht mit dessen Abbau und man verteidigt die Freiheit nicht durch deren Einschränkung.» So heißt es im Manifest der Humanistischen Union von 1978. Erstunterzeichner war Rechtsanwalt Otto Schily.

Die Ursachen des Terrorismus und die Motive der Täter werden mit dem Abbau der verfassungsmäßigen Grenzen, durch Kontrollen und Ermächtigungen nicht verändert. Mit ihnen
wird keine der eigentlich wichtigen Fragen beantwortet, nämlich
durch welche politischen Entscheidungen und Leistungen
die überall zunehmenden ethnischen, ökonomischen und kulturellen
Konflikte abgebaut oder gemildert werden können. Das
stand am 14. Dezember 2001 jedoch nicht auf der Tagesordnung.
Leider.

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