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Das Folter­verbot und der Umgang mit vergifteten Infor­ma­ti­onen

Grundrechte-Report 2009, Seite 27

Schon wieder muss hier die Rede von dem in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) und Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Folterverbot sein und es muss erneut über Deutschland gesprochen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hatte sich in seinem Urteil vom 30. Juni 2008 mit den Foltervorwürfen gegen Deutschland in dem Frankfurter Fall des Kindesentführers Gäfgen (siehe dazu Heiner Busch, Grundrechte-Report 2004, S. 21 ff.) zu befassen. In seiner Entscheidung bekräftigte der Gerichtshof das Folterverbot generell und sprach sich dafür aus, dass mittelbar durch Verstöße gegen das Folterverbot erlangte Beweise aus Gründen der Rechtstaatlichkeit im Prinzip nicht verwertet werden dürfen. In der Sache kam Deutschland zunächst mit einem blauen Auge davon, weil in Deutschland zuvor das Verhalten des Polizeiführers Daschner strafrechtlich geahndet und das erste Geständnis des Kindesentführers für nicht verwertbar erklärt worden war. Allerdings hat die Große Kammer des Gerichtshofes im Dezember 2008 auch die Beschwerde Gäfgens gegen seine gerade ergangene Verurteilung für zulässig erklärt.

Der BND-Un­ter­su­chungs­aus­schuss

Mögen einige den Fall Gäfgen/Daschner noch als bedauerlichen Einzelfall abtun, rückte in jüngster Zeit ein weiterer Aspekt des Folterverbotes in die öffentliche Diskussion, nämlich die Zusammenarbeit Deutschlands mit Folterstaaten und Verwertung von Informationen, die im Ausland unter Folter gewonnen wurden. Die sichtbare Spitze des Eisberges bilden die Vorfälle, um die es in der Beweisaufnahme im BND-Untersuchungsausschuss und im Verteidigungsausschuss des Bundestages ging: die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Behörden im Antiterrorkampf und insbesondere im Rahmen des CIA-Entführungsprogramms. Dabei wurde deutlich, dass es keine klaren Regeln für die Zusammenarbeit mit Staaten gibt, von denen Folter angewandt wird oder bei denen sich zumindest ein solcher Verdacht aufdrängt. Weder die Bundeswehrsoldaten, die Murat Kurnaz im afghanischen Kandahar begegneten, noch die deutschen Nachrichtendienstler, die ihn später im Folterlager Guantánamo vernahmen, noch die deutschen Beamten, die Mohammed Haydar Zammar in syrischer Haft befragten, bekamen klare Verhaltensmaßstäbe an die Hand. In allen diesen Fällen stellt sich nach Abschluss der Arbeit der Untersuchungsausschüsse die Frage einer möglichen Strafbarkeit deutscher Beamte wegen (psychischer) Beihilfe zu den Straftaten der Folterer. Der Vorwurf richtet sich damit auch gegen die Behördenspitze und die Bundesregierung. Besonders deutlich wurde dies im Falle Zammars: Nicht nur vernahmen die Deutschen Zammar im berüchtigten Foltergefängnis Far’ Falastin in Damaskus, sie ignorierten auch die Erklärung ihres syrischen Kollegen, der sich rühmte Zammar drei Tage lang auf die Vernehmung „im Interesse einer konstruktiven Haltung vorbereitet“ zu haben. Stattdessen führten sie ihre mehrtägige Befragung Zammars im ständigen Beisein der Syrer durch, ohne Zammar einmal alleine und unüberwacht zu seinen Haftbedingungen zu befragen. Dass es auch anders geht, bewiesen die Beamten des Bundeskriminalamtes, die den Ende 2001 auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Tuzla (Bosnien und Herzegowina) inhaftierten Abdel-Halim Khafagy vernehmen wollten, aber aufgrund der Gesamtumstände, die für die Anwendung von Foltermethoden sprachen, davon Abstand nahmen und ihr Vorgehen in einem ausführlichen Bericht darlegten.

Bundes­ge­richtshof und Bundes­an­walt­schaft

Immer häufiger stellen sich diese grundsätzlichen Fragen in deutschen Strafverfahren, wie bespielsweise in einem laufenden Verfahren gegen türkische Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Dort widersprachen die Verteidiger einer Befragung von hochrangigen Kriminalbeamten der Terrorismusabteilung des Polizeipräsidiums Istanbul, da aufgrund der Erkenntnisse über die Menschenrechtslage in der Türkei und die Anwendung von Folter in Strafverfahren gegen Terrorismusverdächtige davon auszugehen sei, dass die Informationen, die türkische Beamte im Stuttgarter Gerichtssaal als Zeugen berichten sollten, in der Türkei mittels verbotener Vernehmungsmethoden gewonnen wurden. Die Bundesanwaltschaft widersprach dem und vertrat vor den Stuttgarter Richtern dieselbe Rechtsauffassung, die Vize-Generalbundesanwalt Griesbaum in seinem Referat auf dem 67. Deutschen Juristentag 2008 in Erfurt vertreten hatte. Griesbaum hält wegen des globalen Charakters der Terrorismusbekämpfung den Rückgriff auf ausländische Erkenntnisse für erforderlich. Diese dürften bei Folterverdacht nicht pauschal verworfen werden. Er plädierte gegen ein generelles Verwertungsverbot solcher Erkenntnisse und für eine im Einzelfall vorzunehmende Abwägung. Wie eine solche aussehen sollte, machten dann die Bundesanwälte in Stuttgart deutlich, die das „Bestehen abstrakt-genereller Missstände“ in der Türkei nicht ausreichen lassen wollen, um im Einzelfall die Anwendung unzulässiger Vernehmungsmethoden nachzuweisen, sondern lediglich als Indiz und als Anlass zur Überprüfung der Umstände.

Folter­verbot in Nöten

Leider stellt diese Auffassung derzeit die Mehrheitsmeinung unter den Fachleuten dar und wird ansatzweise auch vom EGMR geteilt, wenn dieser in dem eingangs angesprochenem Urteil die Lösung im Einzelfall „im Lichte aller Umstände der Rechtssache“ finden will. Noch problematischer ist die Rechtsauffassung, die seit den Urteilen des Hamburger Oberlandesgericht (OLG) im Fall des Angeklagten El Motassadeq, eines Tatverdächtigen der Anschläge des 11. September 2001, Anwendung findet: Es solle bei der Feststellung, ob verbotene Vernehmungsmethoden vorliegen, nicht der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ gelten. Vielmehr müsse der volle Nachweis von Folter erbracht werden. Wie ein solcher Nachweis erbracht werden soll, wenn die fraglichen Vernehmungen in den dunklen Kerkern und Geheimlagern von Polizei- und Geheimdienstapparaten stattfanden, ist kaum nachvollziehbar. Wie sehr das Hamburger OLG im Fall El Motassadeq daneben gelegen hat, sollte wenige Jahre nach dem Urteilsspruch noch einmal klar werden: In den Verfahren ging es vor allem um eventuell unter Folter gewonnene Aussagen des Zeugen und ebenfalls der Tatbeteiligung Verdächtigen Ramzi Bin al-Shibh. Das Hamburger OLG ließ Presseartikel und Berichte von Menschenrechtsorganisationen zum Nachweis der Folter an Bin al-Shibh und Khaled Sheikh Mohammed nicht ausreichen. Mittlerweile sind diese Berichte vielfach und selbst von US-Offiziellen bestätigt worden. Danach ist Bin al-Shibh seit seiner Festnahme 2002 in Geheimgefängnissen in Thailand, Polen und seit September 2006 auf Guantánamo sogar so schwer gefoltert worden, dass er nach Berichten aus Guantánamo „mentally ill“, möglicherweise sogar verhandlungsunfähig, ist. Die Hamburger Richter waren noch der Auffassung gewesen, ein Beweisverwertungsverbot komme nur in Fällen „besonders gewichtiger Menschenrechtsverletzungen in Betracht“. Als solche sah das Gericht damals „die bloße Nichtgewährung von Freiheit und Außenkontakten sowie die Versagung eines geordneten Gerichtsverfahrens“ für den an einem unbekannten Ort Festgehaltenen nicht an. Dass diese „bloßen Nichtgewährung“ entscheidender Verfahrensrechte notwendige Voraussetzungen der von lateinamerikanischen Militärdiktaturen und aus der Türkei bekannt gewordenen Praxis des Verschwindenlassens ist, immerhin ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im deutschen Völkerstrafgesetzbuch, hatte sich offenbar noch nicht bis zum Hamburger Gericht herumgesprochen. Doch das Gedächtnis der juristischen Öffentlichkeit ist schwach: Nach wie vor sollen gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit einer Beweisgewinnung auch bei feststellbaren verdächtigen Umständen für ein Beweisverwertungsverbot nicht ausreichen.

Es bleibt zwar die Hoffnung, dass diese wirklichkeitsfremden Auffassungen führender deutscher Juristen durch das Bundesverfassungsgericht oder den EGMR beizeiten korrigiert werden. Das Folterverbot muss jedoch sowohl in als auch außerhalb der Gerichtssäle verteidigt werden. Juristen, Innenpolitiker und eine oft ignorante Öffentlichkeit, denen offenkundig jegliches konkrete Vorstellungsvermögen über die alltägliche Realität von Folter weltweit abgeht, müssen sich die Fakten entgegenhalten lassen, aus denen sich Verstöße gegen das Folterverbot und die Systematik und Funktionsweise von Folter ergeben. Das Folterverbot in Deutschland ist kein Schönwettergrundrecht, sondern unverrückbarer grundrechtlicher Maßstab jedes Strafverfahrens und jedes Antiterrorkampfs.

Literatur

Schenk, Dieter, BKA-Polizeihilfe für Folterregime, Bonn 2008

European Center Constitutional and Human Rights (Hrsg.), CIA-“Extraordinary Rendition” Flights, Torture and Accountability – A European Approach. 2. Auflage, Berlin 2009

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