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"Menschen­rechte für Nicht­deut­sche? Wenn möglich" - Atomkri­tiker wird Einreise nach Deutschland verwehrt

Grundrechte-Report 2010, Seite 194

Aghali Mahiya ist seit Juni letzten Jahres in Frankreich als politischer Flüchtling anerkannt. Er lebte vorher im Niger, arbeitete dort zuletzt in einer Urangrube der französischen Firma Areva, und war Mitglied der Nigrischen Patriotischen Front, eine von drei Tuareg-Rebellenbewegungen, die gegen das Regime in der Hauptstadt Niamey kämpfen. 2007 spitzte sich die Repression zu, und Mahiya konnte gerade noch rechtzeitig außer Landes fliehen, um einer Gefangennahme zu entgehen. Seit er in Frankreich ist, berichtet er bei zahlreichen Gelegenheiten über seine Erfahrungen im Niger und über die sozialen und ökologischen Folgen des Urananbaus durch Areva – das gewonnene Uran versorgt eine Vielzahl der europäischen Atomkraftwerke. In Deutschland wurde ihm das Reden indes verwehrt, vielmehr durfte vorerst gar nicht mehr einreisen.

Am 18. Juni des vergangenen Jahres befand sich Mahiya gemeinsam mit fünf weiteren Mitgliedern des Anti-Atom-Netzwerkes „Sortie du Nucléaire“ (RSN, zu dt.: Atomausstieg) auf dem Rückweg von einer Konferenz des Anti-Nuclear-Forum (ANEF) im oberösterreichischen Linz. Mahiya war dort als einer der Redner aufgetreten. Als der Zug gerade deutsches Gebiet durchquerte, wollten zwei in Zivil gekleidete Beamt_innen der Bundespolizei die Papiere von Mahiya kontrollieren. Damit nicht genug, wurde Mahiya etwa 40 Minuten später in Rosenheim gezwungen, den Zug zu verlassen. Dort wurde er in polizeilichen Gewahrsam genommen. Die Beamt/innen begründeten all dies mit fehlenden Papieren für einen Aufenthalt in oder eine Durchreise durch Deutschland. Weder gaben sie sich mit der von der französischen Asylbehörde OFPRA anerkannte Aufenthaltsgenehmigung als politischer Flüchtling zufrieden, sondern störten sich daran, dass diese nur vorläufig erteilt sei – die endgültige Aufenthaltsgenehmigung wurde Mahiya am 3. September letzten Jahres erteilt. Noch reichte den Beamt/innen die Zugfahrkarte Mahiyas nach Frankreich aus. Die übrigen Reisenden sowie die anwesenden Angestellten der Deutschen Bahn zeigten sich unberührt von der Prozedur.

Bereits die polizeiliche Kontrolle zeugt indes von den rassistischen Selektionskriterien, die das Handeln der deutschen Polizei in solchen Fällen bestimmen. Abgesehen von seiner Sitznachbarin war Mahiya die einzige Person, die kontrolliert wurde, zugleich war er der einzige Schwarze im Abteil – an den übrigen Fahrgästen hatten die Beamten offensichtlich kein Interesse. Dies ist freilich kein Einzelfall, denn bekanntlich ist die deutsche Polizei besonders ehrgeizig bei nicht-weißen Menschen, wenn es um die Verfolgung angeblicher Rechtsverletzungen geht. So werden diese häufiger als andere Menschen Opfer polizeilicher Datenkontrollen und Verdächtigungen durch Streifenpolizist/innen – ob im Wege des racial profiling bei umfassenden Schleierfahndungen oder als einfache Schikane.

Rechts­wid­rige Verhaftung

Zudem handelten die Beamten schlicht rechtswidrig, als sie Mahiya fehlende Papiere für die Durchreise durch Deutschland bescheinigten und ihn in Gewahrsam nahmen. Tatsächlich reist ein Drittstaatsangehöriger nicht zwangsläufig unerlaubt nach Deutschland ein, wenn er keinen Pass vorweisen kann. Nach § 4 AufenthG i.V.m. Artikel 5 Absatz 4 des Schengener Grenzkodex wird nämlich einem/einer Drittstaatsangehörigen auch dann die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates der Schengen-Staaten zum Zwecke der Durchreise erlaubt, wenn er/sie Inhaber_in eines von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels ist, in welches der/die Drittstaatsangehörige gerade reisen will. Eben diese Vorschrift trifft auf Menschen wie Mahiya zu, hatte er doch als anerkannter politischer Flüchtling einen französischen Aufenthaltstitel, und wollte, wie der Zugfahrschein augenscheinlich bewies, auch nach Frankreich zurückreisen. Dementsprechend hatte er sich von den französischen Behörden auch im Vorfeld amtlich bestätigen lassen, dass seine Papiere das Reisen innerhalb Europas erlaubten.

Auf der Polizeistelle wurde Mahiya vollends kriminalisiert, als ihm – als „illegal Eingereisten“ – zum Abgleich mit der EURODAC-Datenbank von der Bundespolizei in Rosenheim die Abdrücke seiner zehn Finger abgenommen wurden. Eine offizielle Dolmetscher/in traf erst Stunden später ein, bis dahin saß Mahiya in der Polizeistelle fest, ohne sich gegenüber einem Menschen mitteilen zu können, denn die übrigen Aktivist_innen durften ihn nicht begleiten. Nach einer langen Nacht der Verhöre erklärte das Amtsgericht in Bad Reichenhall schließlich am nächsten Vormittag eine Inhaftierung für rechtmäßig, Mahiya wurde daraufhin in das Abschiebezentrum – d.h. in die Justizvollzugsanstalt – von Bad Reichenhall verlegt, bis dass die französischen Behörden bestätigen, dass sein Status als anerkannter politischer Flüchtling aufrecht erhalten wird und somit seine Abschiebung nach Frankreich ermöglicht wird. Schlussendlich verzichten die deutschen Behörden nach erheblichem politischem Druck zwar auf eine solche Bestätigung aus Frankreich, sodass Mahiya unter den Blicken der deutschen Polizei bei Saarbrücken nach Frankreich noch am gleichen Tag zurückgewiesen wurde – allerdings kam er somit erst mehr als acht Stunden später als geplant wieder in Frankreich an.

Damit hatte die Geschichte allerdings noch längst kein Ende gefunden. So war nämlich bereits in Rosenheim von der Bundespolizei zur Sicherung der Rückführungskosten eine Sicherheitsleistung von 500 € erhoben worden. Eine weitere Sicherheitsleistung i.H.v. 200 € musste Mahiya wegen des Verdachts der Straftat der unerlaubten Einreise bezahlen. Beide Zahlungspflichten ergeben sich aus dem Aufenthaltsgesetz und knüpfen sich an den ursprünglichen Vorwurf, ohne Papiere das deutsche Hoheitsgebiet betreten zu haben. Da der Widerspruch gegen diesen Vorwurf auch Monate nach dem Vorfall noch nicht beschieden war, musste Mahiya erst einmal auf sein Geld warten.

Meinungs­äu­ße­rung unerwünscht

Die von den zuständigen Beamt_innen einmal geschaffene Tatsachenlage führte außerdem dazu, dass Mahiya auch für die Zukunft die Einreise nach § 11 Absatz 1 AufenthG verweigert wurde. Dies änderte sich selbst dann nicht, als er, mehr als zwei Monate später, für den 5. September von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg eingeladen wurde, an der bundesweiten Anti-Atom-Demonstration unter dem Motto „Mal richtig abschalten“ in Berlin teilzunehmen, um dort als aktives Mitglied des Kollektivs „Areva ne fera pas la loi au Niger“ als Redner aufzutreten. Der Antrag auf eine ausnahmsweise Erlaubnis, um Mahiya seine öffentliche Meinungsäußerung zu gestatten, wurde von den Behörden schlicht nicht beantwortet. Wenn auch § 11 Absatz 2 AufenthG solche Ausnahmen vorsieht – der Auftritt als Redner auf einer bundesweiten Demonstration kurz vor der Bundestagswahl scheint für die deutsche Behördenpraxis kein hinreichender Grund zu sein.

Das rechtswidrige Handeln der deutschen Behörden verdankt sich auch dem Umstand, dass das Recht weder einfach noch bekannt ist. Statt der umständlichen und diskriminierenden Regelungen im Schengener Grenzkodex wäre daher zu wünschen, dass jegliche anerkannte Flüchtlinge – und nicht erst nach fünf Jahren unter den restriktiven Voraussetzungen des Daueraufenthalt-EG für langfristig Aufenthaltsberechtigte – Freizügigkeit im gesamten Schengen-Raum genießen. Für eine gemeinsame europäische Asylpolitik ist dies unabdingbar.

Auch Aghali Mahiya wäre dann vieles erspart geblieben, so aber bekam er einige der Grausamkeiten der deutschen Gesetzes- und Behördenkunst zu spüren. Mehrere Stunden musste er die Qualen eines deutschen Abschiebegefängnisses ertragen. Dann wurde ihm verwehrt, auf deutschem Boden seine Meinung zu äußern. Mahiya ist damit kein Einzelfall, sondern nur eines der bekannteren Opfer – einmal in Bewegung, hat der institutionalisierte Rassismus deutscher Prägung in diesem Fall gleich mehrere seiner Zähne gezeigt. Ganz exemplarisch, antwortete einer der anwesenden Polizisten in Rosenheim auf die Frage, ob die Bundespolizei die Menschenrechte respektiere: „Ja, den deutschen Bürgern gegenüber. [Pause]. Und den anderen, wenn möglich.“ Der Fall des Aghali Mahiya ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Literatur

Dorothea Hahn, Unerwünscht in Deutschland – Atomkritiker aus Niger darf nicht einreisen, in: taz, die Tageszeitung vom 04.09.2009.

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