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Terro­ris­mus­be­kämp­fungs­er­gän­zungs­ver­län­ge­rungs­ge­setz

Grundrechte-Report 2012, Seite 21

«Wir sprechen heute über die Verlängerung von einem Bündel an Sicherheitsgesetzen, für das fast alle Fraktionen im Bundestag Verantwortung tragen. Die SPD hat es zusammen mit den Grünen auf den Weg gebracht und mit der Union verlängert. Nun ist Schwarz-Gelb zuständig.» So steht es zutreffend in der Rede, die der SPD-Abgeordnete Frank Hofmann am 26. Oktober 2011 vor dem Bundestag hätte halten wollen.

Auf der Tagesordnung stand die «Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes». Es ging um die Verlängerung jener Geheimdienstbefugnisse, die in ihrer ersten Fassung im «Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus» enthalten waren, das die damalige rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2001 im Schweinsgalopp über die parlamentarischen Hürden getrieben hatte.

Das Paket sah unter anderem die Ausweitung der Sicherheitsüberprüfungen vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) konnte nun «spontan» Daten aus Asylverfahren ans Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) übermitteln. Letzteres durfte seitdem auch IMSI-Catcher einsetzen und Lauschangriffe zur «Eigensicherung» seiner Spitzel in fremden Wohnungen durchführen. Alle drei Geheimdienste des Bundes wurden ermächtigt, diverse Auskünfte einzuholen – bei Firmen der Post- und Telekommunikationsbranche, bei Luftfahrtunternehmen und bei Banken und Finanzdienstleistern.

Die Grünen waren damals vor dem sozialdemokratischen Innenminister Schily zu Kreuze gekrochen und hatten seinen «Otto-Katalog» akzeptiert. Das kleine Zugeständnis der großen SPD: Die neuen Geheimdienstbefugnisse wurden auf fünf Jahre befristet und sollten vor einer Verlängerung evaluiert werden.

Evaluation als Feigenblatt

Die Evaluation im Jahre 2005 machte das Bundesinnenministerium (BMI) gleich selbst, und so sah sie denn auch aus. Ein paar Zahlen sollten zeigen, dass die Dienste ihre neuen Instrumente nicht sehr häufig angewandt hatten. Probleme habe es keine gegeben, hieß es, Grundrechte seien «nicht über Gebühr» beansprucht worden – alles in bester Ordnung. Die neue schwarz-rote Koalition brachte die Verlängerung Ende 2006 fristgemäß über die Bühne. Sie glich die Befugnisse der Dienste einander an und erweiterte sie. Das Gesetz hieß nun «Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz» (TBEG). Es war erneut auf fünf Jahre befristet und sollte ein weiteres Mal vor der Verlängerung evaluiert werden.

Wer gehofft hatte, in der dritten Runde würde sich das Ganze anders abspielen, sah sich getäuscht. Den Entwurf des Evaluierungsgutachtens erstellte die Rambøll Management Consulting GmbH, die schon des Öfteren für das BMI gearbeitet hatte. Grundlage des im Juni 2010 vorgelegten und sogleich zur «Verschlusssache» gestempelten Machwerks waren Fragebögen, die man den Geheimdiensten vorab zur Beantwortung vorgelegt hatte. Der Bericht orientiert sich in erster Linie an den Fragen, ob sie die im TBEG vorgesehenen Befugnisse noch für erforderlich halten und wie sie damit zurecht gekommen sind. Grundrechtsprobleme sieht man keine. Die Dienste hätten das Instrumentarium «verantwortungsvoll und gezielt» angewandt. «Die Belastung Betroffener ist insgesamt gering», so lautet die stereotype Bewertung bei fast allen «evaluierten» Befugnisnormen.

Grund­rechte? Nicht betroffen!

Kostproben gefällig? Zum Beispiel die Auskunftsersuchen an Telekommunikationsfirmen zur Übermittlung von Verkehrsdaten. 79 Anordnungen des BfV und des MAD gab es im Jahre 2009, 339 Personen waren davon betroffen. Das seien nur «0,0041 Promille der Einwohner Deutschlands». Von einer «flächendeckenden Überwachung» könne nicht die Rede sein. Hätte es die Befugnis nicht gegeben, so seien G-10-Maßnahmen notwendig gewesen, heißt es in dem Bericht – also geheimdienstliche Telekommunikationsüberwachungen, bei denen nicht nur Verkehrsdaten, sondern auch der Inhalt erfasst wird. Genau die waren aber «in vielen Fällen» die Folge der Übermittlung von Verkehrsdaten. Geringe Belastung der Betroffenen?

Für unproblematisch hält der Bericht auch, dass das BAMF Informationen aus Asylverfahren an das BfV übermittelt. Das geschah 2009 in 648 Fällen. Nur in 111 Fällen betraf das den Verdacht des Islamismus, 413 bezogen sich dagegen auf das, was der Verfassungsschutz als «Ausländerextremismus» tituliert – mögliche Verbindungen zur kurdischen PKK, zur türkischen DHKP-C, zu den tamilischen Befreiungstigern etc. «In der Praxis werden Betroffene nicht übermäßig belastet», resümiert der Bericht. «Der Kontakt zwischen Sicherheitsbehörden, darunter auch Nachrichtendiensten, und Asyl- und Ausländerbehörden ist international üblich, so dass der Betroffene damit rechnen muss.»

Zwischen 2007 und 2009 wurden 63 486 Personen einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. In 1 103 Fällen gab es «sicherheitserhebliche Erkenntnisse», 628mal wurden Betroffene zum «Sicherheitsrisiko» gestempelt – mit dem Effekt, dass sie für die vorgesehene Arbeit nicht (mehr) zugelassen wurden. Kein Problem, denn schließlich könnte man die Überprüfung verweigern. «Personen, die eine Sicherheitsüberprüfung verweigern, dürfen allerdings eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nicht ausüben.»

Kein Wunder also, dass der Bericht nur minimale Änderungen vorschlägt. Auf Druck des Justizministeriums beauftragte das BMI Ende 2010 den Rechtswissenschaftler Heinrich Amadeus Wolff, innerhalb von knapp zwei Monaten ein ergänzendes verfassungsrechtliches Gutachten zu erstellen. Wolff übte deutliche Kritik an dem Verfahren der Evaluierung: Der Rambøll-Bericht habe die Belastung der Betroffenen nur «in abstrakter und genereller Form» untersucht, er sei «einseitig», stelle erneut die «Vollzugsinteressen der Sicherheitsbehörden» in den Vordergrund und könne «auch in Kombination mit dem vorliegenden verfassungsrechtlich ergänzenden Gutachten» den Erwartungen an eine ernsthafte Evaluation «nur beschränkt gerecht werden». Das hielt den Gutachter jedoch nicht davon ab, auch selbst die Fortschreibung des größten Teils der geheimdienstlichen Befugnisse zu empfehlen.

Noch mehr Befugnisse

Im September 2011 legte die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vor. Zwei Befugnisse aus dem TBEG, die die Dienste kein einziges Mal in Anspruch genommen hatten, sollten gestrichen werden: die Postfächer-Abfrage und die «bemannte Wanze», d.h. der Lauschangriff in einer Wohnung zum Schutze eines Spitzels. Alle anderen Bestimmungen wurden verlängert und zum Teil sogar erweitert: Die Geheimdienste können nun nicht mehr nur einzelne Konten bei Banken nachfragen, sondern sich auch an den Kontenstammdaten beim Bundeszentralamt für Steuern bedienen. In ähnlicher Manier wurde die Abfrage von Buchungsdaten von den einzelnen Fluggesellschaften auf Reisereservierungssysteme ausgedehnt. Das macht es den Diensten erheblich einfacher: Sie müssen nicht mehr lange suchen, wo der Betroffene sein Konto hat oder seinen Flug buchte. Ferner wurde die Befugnis der Dienste, Auskunftsersuchen zu stellen, zu einer Pflicht der angefragten Unternehmen umgewandelt, die Anordnungen einfach zu befolgen.

Am 26. Oktober 2011 segnete der Bundestag das Gesetz einfach ab – gegen die Stimmen der Linken und der Grünen. Es gilt nun vier weitere Jahre und wird natürlich noch einmal evaluiert. Diskutieren wollte das Parlamentsplenum nicht mehr – wozu auch. Man gab die Reden einfach zu Protokoll.

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