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Der «Terro­ris­mus­vor­be­halt» im Asylrecht

Renate Schultz, Hans-Eberhard Schultz

Grundrechte-Report 2003, S. 124-128

Das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Terrorismusbekämpfungsgesetz hat die Möglichkeit ausgedehnt, den Flüchtlingsschutz nach § 51 Ausländergesetz (AuslG) unter bestimmten Voraussetzungen zu verweigern. Auf dieser Grundlage hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im vergangenen Jahr vermehrt Asylanträge abgelehnt. Auch die Verwaltungsgerichte mussten sich wiederholt mit der neuen Rechtslage befassen.

In Absatz 3 des § 51 AuslG wurde der so genannte Terrorismusvorbehalt des Artikel 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nachgebildet. Nach § 51 Absatz 3 Satz 2 findet der Abschiebungsschutz des § 51 Absatz 1 keine Anwendung mehr, «wenn aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (. . .) begangen hat oder dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland begangen hat oder sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.»

Unter anderem der UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) hat kritisiert, dass hier dem deutschen Gesetzgeber gravierende Fehler bei dem Versuch unterlaufen sind, die GFK ins deutsche Recht umzusetzen. Denn die Ausschlussgründe des Artikels 1 F GFK seien übernommen worden, ohne gleichzeitig die Flüchtlingsdefinition nach Artikel 1 A-F der GFK zu übernehmen. Ausschlussgründe dürften aber nur im Gesamtzusammenhang der Flüchtlingsdefinition geprüft und mit den Gründen, die für eine Flüchtlingsanerkennung sprechen, abgewogen werden. Stattdessen hat der deutsche Gesetzgeber hier die Möglichkeit geschaffen, Flüchtlinge vom Abschiebungsschutz auszunehmen. Dies ist eine unzulässige Ausweitung der Anwendung des Artikels 1 F GFK und birgt wiederum die Gefahr in sich, das Refoulement-Verbot der GFK zu verletzen: Flüchtlinge, die unter die Flüchtlingsdefinition der GFK fallen, dürfen nicht abgeschoben
werden.

In der Praxis wirft die neue Rechtslage die brisante Frage auf: Welche Chancen haben frühere Teilnehmer an bewaffneten Auseinandersetzungen in Ländern Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas noch, in der Bundesrepublik Asyl oder wenigstens Abschiebungsschutz zu erhalten? In der Vergangenheit war in der Rechtsprechung anerkannt, dass derjenige, der den bewaffneten Kampf in der Heimat aufgegeben hat und vor der Verfolgung zum Beispiel durch das türkische Militär Schutz sucht, einen Asylanspruch hat – es sei denn es würden in der Bundesrepublik weitere (terroristische) Straftaten begangen werden. Dementsprechend hatten Dutzende ehemaliger PKK-Guerillakämpfer, die nach Beendigung des bewaffneten Kampfes im Sommer 1999 Asyl beantragt hatten, relativ problemlos ihre Anerkennung als Asylberechtigter nach Artikel 16a GG und Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG erhalten, einige auch im so genannten Flughafenverfahren.

Aufgrund des neuen Terrorismusvorbehalts sind nun die Chancen auf Anerkennung in derartigen Fallkonstellationen stark gesunken. Beispielsweise wurde im November 2002 der Antrag des 24-jährigen ehemaligen PKK-Guerillas Mehmet C. im Flughafenverfahren mit Bezug auf den neuen Ausschlussgrund nach § 51 Absatz 3 AuslG ohne weiteres abgelehnt. Der gestellte Asylantrag sei als «offensichtlich unbegründet» abzulehnen, «weil nach landläufiger Meinung und auch zur Überzeugung des Bundesamtes feststeht, dass im Tatbestandsmerkmal der aktiven Teilnahme am bewaffneten Kampf für eine verbotene, illegale, terroristische Vereinigung Handlungen zu sehen sind, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.» Eine nähere Begründung für diese Gleichsetzung wurde nicht gegeben. Das daraufhin angerufene Verwaltungsgericht Düsseldorf hat einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Erst nachdem die Anwälte des betroffenen Mehmet C. massiv interveniert hatten, konnte die drohende Abschiebung in letzter Minute – zumindest vorläufig – verhindert werden.

Auch in der Gerichtsentscheidung wurde nicht einmal der Versuch unternommen, darzulegen, gegen welche «Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen» der Guerillakampf unter Führung der PKK in den kurdischen Siedlungsgebieten verstoßen haben soll. Grundsätzlich ist die Frage, ob der Guerillakampf unter Führung der PKK gegen die Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen verstoßen hat, völkerrechtlich nicht geklärt.

Bei der Beurteilung dieser Frage müssen die an den Kurden und Kurdinnen begangenen Menschenrechtsverletzungen einbezogen werden. Die Verwaltungsgerichte sahen bislang die als «regelmäßige Begleiterscheinung der Zwangsevakuierung von Dörfern» stattfindenden «schwer wiegenden Eingriffe in Leib und Leben sowie übermäßige Freiheitsbeschränkungen» (wie schwerste Formen systematischer Folter, Vergewaltigungen, Verschwindenlas127 sen) als politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts an. Diese Rechtsprechung hat zur Anerkennung Zigtausender kurdischer Flüchtlinge geführt. Gleichzeitig wurde die Türkei aufgrund von mehr als hundert Menschenrechtsbeschwerden von Kurden und Kurdinnen durch den Europäischen Gerichtshof in Straßburg verurteilt.

Angesichts dieser systematischen und weit verbreiteten schwer wiegenden Menschenrechtsverletzungen können daher bewaffnete oppositionelle Aktivitäten in einem derartigen Kontext nicht ohne weiteres als terroristische Gewalt bezeichnet werden – auch wenn der Kampf unter Führung der PKK nicht als legitimer Kampf für nationale Befreiung und gegen kolonialistische und rassistische Unterdrückung angesehen wird.

Die dürftigen Begründungen des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts wurden dieser Sachlage nicht gerecht. Die angesetzte Abschiebung war aber auch aus einem anderen Grund rechtswidrig. Denn selbst bei Bejahung des Terrorismusvorbehalts wäre eine Abschiebung des Betroffenen noch nicht ohne weiteres zulässig gewesen. Denn neben dem originären Flüchtlingsschutz besteht gemäß § 53 Absatz 4 AuslG auch ein Schutz vor Abschiebung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass der aus Artikel 3 EMRK herzuleitende Abschiebungsschutz ein absoluter ist. Derjenige, dem also «Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung» in seinem Herkunftsland droht, darf nicht abgeschoben werden. Dies gilt ausnahmslos, sodass dieser Abschiebeschutz auch nicht durch den Terrorismusvorbehalt infrage gestellt werden darf.

Zwar werden in diesem Zusammenhang die «immensen Schwierigkeiten» hervorgehoben, mit denen «sich Staaten in modernen Zeiten beim Schutz ihrer Gemeinschaften vor terroristi scher Gewalt konfrontiert sehen». Allerdings wird betont, dass selbst unter diesen Umständen die «Konvention in absoluten Begriffen Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, unabhängig vom Verhalten des Opfers» verbietet. Grundsätzlich können folglich die Flüchtlinge, denen der Flüchtlingsschutz aufgrund des neuen Terrorismusvorbehalts verweigert wird, zumindest auf diesen Schutzanspruch bauen. Dies bedeutet, dass sie in der Regel lediglich eine Duldung bekommen und keinen echten Aufenthaltstitel, der ihnen als anerkannter Flüchtling zustehen würde. Zur Folge hat dies, dass sie beim Zugang zum Arbeitsmarkt sowie in sozialrechtlicher Hinsicht schlechter gestellt sind.

Aber auch weil längst nicht alle Flüchtlinge zusätzlich unter den unbedingten Abschiebungsschutz der EMRK fallen (es gibt Verfolgungsmaßnahmen, die nicht gleichzeitig unter Art. 3 EMRK fallen), bleibt die Einführung des Terrorismusvorbehalts gravierenden Bedenken ausgesetzt. In den oben beschriebenen Fällen droht künftig der legitime Schutzanspruch nach Artikel 16a GG und der Flüchtlingsschutz nach der GFK vollständig ausgehebelt zu werden.

Literatur

Reinhard Marx: Zu den ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, in: ZAR 2002, 127ff.
UNHCR: Auslegung von Artikel 1 D, E und F der Genfer Flüchtlingskonvention, siehe www.unhcr.de

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