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Demokra­ti­scher Rechtsstaat und Militär­jus­tiz? - Einführung einer Schwer­punkt­s­taats­an­walt­schaft rechts­po­li­tisch bedenklich

Grundrechte-Report 2013, Seite 187

Am 25. Oktober 2012 beschloss der Bundestag mit dem „Gesetz für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr“ die Einführung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, bei der die Kompetenz zur Strafverfolgung von Bundeswehrangehörigen im Auslandseinsatz gebündelt wird. Auch der Bundesrat stützt dieses Gesetz. Dies kann als Schritt hin zu einer Wehrgerichtsbarkeit verstanden werden. Die Dimension einer solchen Entwicklung ist nur mit einem Blick in die Rechtsgeschichte zu begreifen. Denn die Gratwanderung zwischen Rechtsstaatlichkeit und militärischen Erfordernissen birgt Konfliktpotential, das zu einer Gefährdung von Grundrechten führen kann.

Bedenken gegen Militär­ge­richts­bar­keit historisch begründet

„Die Wehrmacht wird eine eigene Gerichtsbarkeit und eine besondere Strafverfahrensordnung verlangen.“ Ein Satz, der nicht etwa aus dem Zeitraum 1933-1945 stammt, sondern aus dem Jahre 1955 von dem Juristen Arndt. Er ist die erste Formulierung einer Forderung, die in den kommenden Jahrzehnten der Bundesrepublik immer wiederkehrte, wenn auch in sich stetig wandelnden Formulierungen, die stets bemüht sind, sich der Worte des jeweiligen Zeitgeistes zu bedienen. Das Bedürfnis, Heereskräften ihre eigene Gerichtshoheit zu geben, ist kein Wunsch, der sich allein auf die NS-Machthaber konzentrierte, denn auch ihre Gegner bedienten sich der Militärgerichte.

Wenn sich auch ein direkter Vergleich zwischen diesen Justizsystemen verbietet, so muss für Deutschland zweierlei gelten: Zum einen muss jeder Schritt in Richtung einer Wiedereinrichtung berücksichtigen, dass die Wehrmachtjustiz Tötungen in schwindelerregenden Zahlen vornahm. Zum anderen wohnt auch einer Militärjustiz, die in einem demokratischen Staat verankert ist, eine gefährliche Eigenwilligkeit inne, die mit den Forderungen an eine solche Gerichtsbarkeit verbunden sind, wie Militärs sie zu allen Zeiten gestellt haben. Stets ging es dem Militär um Einflussnahmemöglichkeiten, um selbst in Gerichtsverfahren strategisch-taktische Belange berücksichtigt zu wissen.

In Deutschland gelang es den Protagonisten dieser Justiz nach 1945, sich selbst zu entlasten. Sie verbreiteten das Bild von einer unbeeinflussten Justiz, deren Angehörige kollektiv dem NS-System ablehnend gegenübergestanden hätten. In ihrer Masse jedoch hatten sie sich dem Regime verbunden gefühlt, und in ihrer Gesamtheit hatte ihre Rechtsprechung den Krieg gestützt. Vielleicht macht es gerade diese verschleiernde, verharmlosende Einstellung, die die Täter später an den Tag legten, bis heute so schwer, sich diesem Thema zu nähern, ohne ein tiefes Misstrauen und Unbehagen zu spüren. Kein Richter musste sich je verantworten, keiner war willens, freiwillig sein Handeln und das seiner Kameraden zu hinterfragen. Ein mea culpa blieb aus. So fehlt bis in unsere Gegenwart das Erleben einer grundlegenden Aufarbeitung.

Wenngleich die Zahl der Todesurteile bei den am Zweiten Weltkrieg beteiligten Westalliierten wesentlich geringer war, materielles sowie prozessuales Recht auch keine Vergleiche zum NS-Recht zulassen, so darf doch eine Bemerkung nicht fehlen. In den US-amerikanischen Streitkräften wurden 146 Todesurteile vollstreckt (vgl. zum Folgenden Bryant/Kirschner, Politik und Militärjustiz, S. 65, 74 ff.). Nach aufkommender Kritik und einer grundlegenden Überprüfung der Spruchpraxis wurde festgestellt, dass die Armeeführung massiven Einfluss auf die Verfahren genommen hatte und es wiederholt zu Missachtungen der formellen Voraussetzungen gekommen war. Wie damals kam es auch im Weiteren zu wiederholten Missständen. So sind nach einem zwischenzeitlich erfolgten Verbot durch den obersten Gerichtshof wieder Militärtribunale im Sondergefängnis Guantánamo Bay tätig, wobei undurchsichtige Prozessregeln Anwendung finden.

Schwer­punkt­s­taats­an­walt­schaft: wofür?

Nun ist die Entwicklung noch nicht soweit gediehen, dass eine Wehrstrafgerichtsbarkeit offiziell zur Diskussion steht. Andererseits ist eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft ohne den weiteren Schritt hin zu einer Militärjustiz unnötig, aber auch verfassungsrechtlich schwer zu rechtfertigen. Im Grunde dürfte eine auf Bundeswehrangehörige spezialisierte Ermittlungsbehörde nach Maßgabe des Artikels 96 Absatz 2 GG erst entstehen, wenn auch Wehrgerichte des Bundes errichtet worden sind. Die momentane Regelung greift in die Zuständigkeiten der Länder ein, die bislang derartige Verfahren auf ihre Staatsanwaltschaften verteilt haben. Auch zweckdienliche Erwägungen, wie eine bessere Handhabe derartiger Emittlungen durch Spezialisierung, sind Augenwischerei. Bislang sind nur wenige Verfahren pro Jahr anhängig – wenn die Tendenz auch steigt. Letzteres wiederum ist ein sicheres Indiz, dass zur Stärkung der Moral in der Bundeswehr auch spezialisierte Strafgerichte folgen werden. Mehr Rechtssicherheit für Soldatinnen und Soldaten, wie sie von Befürwortern angeführt wird, ist als Argument zweifelhaft und einseitig. Geschädigte werden bei einer solchen Vorgehensweise jedenfalls das Gefühl bekommen, einen weniger geschützten Status zu erhalten. Auch könnte man genauso gut eigene Ermittlungsorgane für Angehörige ziviler Organisationen verlangen, die beispielsweise aus humanitären Gründen oder solchen der Hilfe bei Katastrophen im Ausland befindlich sind. Aber ebenso kann man Justizspezialisierungen für Polizei- oder Feuerwehrbeamte verlangen, da diese Personengruppen ebenfalls gefahrgeneigte Arbeiten verrichten und – wie jeder Bürger – an einer raschen Beendigung eines Verfahrens interessiert sind.

Verlän­gerter Arm militä­ri­scher Interessen

Selbstredend sind Parallelen mit Vorsicht zu ziehen, vergleichende Mahnungen nur sensibel anzubringen. Natürlich wären alle Schritte hin zur Wehrgerichtsbarkeit stets unter dem Vorbehalt des Grundgesetzes zu sehen. Grundsätze, wie das Recht auf den gesetzlichen Richter sowie dessen Unabhängigkeit, werden garantiert, insbesondere ist die Todesstrafe verboten. Auch haben wir es nicht mehr mit Wehrpflichtigen zu tun, sondern mit Berufssoldaten sowie Freiwilligen. Aber die Vergangenheit mahnt. Militärjustiz hat im Laufe der Geschichte jedenfalls nicht durch die präzise oder großzügige Anwendung von Verfahrensgarantien von sich Reden gemacht. Nie hat sich eine solche Gerichtsbarkeit von der Nähe militärischer Doktrin gelöst, sondern war stets verlängerter Arm militärischer Interessen. Neben rechtlichen Strafbestimmungen haben immer wieder Stimmungen in der Truppe und die taktische oder strategische Lage ihre Spuren in den Urteilen von Militärtribunalen hinterlassen. Dies darf aus historischer Sicht nicht vergessen werden.

Eine Bundeswehr, deren Leitbilder die „Innere Führung“ und der „Staatsbürger in Uniform“ sind, die sich als „Teil der Gesellschaft“ versteht (Zentrale Dienstvorschrift Innere Führung ZDv 10/1 vom 28. Januar 2008), braucht weder eigene Gerichte oder Staatsanwaltschaften noch besondere Zuständigkeiten. Soll sie Teil der Gesellschaft bleiben, müssen für sie dieselben Justizzuständigkeiten gelten, wie für alle anderen Glieder unseres demokratischen Gemeinwesens. Sie sollte nicht anders behandelt werden als alle anderen uniformierten Berufsgruppen wie Polizei, Feuerwehr, Zoll, Mitarbeiter von Ordnungsämtern oder Seeleute.

Literatur

Bryant, Michael/Kirschner, Albrecht, Politik und Militärjustiz, in: Baumann/Koch, Was damals Recht war…, Berlin 2008, S. 65 ff.

Perels, Joachim/Wette, Wolfram, Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer, Berlin 2011

Vultejus, Ulrich, Kampfanzug unter der Robe. Kriegsgerichtsbarkeit des Dritten Weltkriegs, Hamburg 1984

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