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Der Freiheit beraubt und verbrannt - Der Verbren­nungstod Oury Jallohs im Polizei­ge­wahrsam zum zweiten Mal vor Gericht

Grundrechte-Report 2013, Seite 191

Am 13. Dezember 2012 verurteilte das Landgericht Magdeburg nach insgesamt 67 Verhandlungstagen den Dienstgruppenleiter des Dessauer Polizeireviers wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 800 Euro. Dieser habe es pflichtwidrig unterlassen, den an Händen und Füßen auf eine Matratze geketteten und alkoholisierten Oury Jalloh unter ständiger Beobachtung zu halten. Zudem habe er das erste Auslösen des Rauchmelders ignoriert. Das Dessauer Landgericht hatte im ersten Verfahren noch freigesprochen. Diesen Freispruch hatte der Bundesgerichtshof in der Revision kassiert und dabei unter anderem bemängelt, dass die im Urteil zugrunde gelegte Entwicklung des Matratzenbrandes nicht nachvollziehbar sei; das Landgericht Magdeburg sollte – auch darüber – neu verhandeln.

Das ist nicht gelungen, darüber kann die Verurteilung des verantwortlichen Polizeibeamten nicht hinwegtäuschen. Auch das Landgericht Magdeburg vermochte keineswegs die Ursachen und Umstände aufzuklären, die am 7. Januar 2005 zum Tod des 36-jährigen Asylsuchenden aus Sierra Leone geführt hatten. In der mündlichen Urteilsbegründung wirkte die gerichtliche Rekonstruktion der Brandentstehung durchaus brüchig.

Oury Jalloh – ganz in der Gewalt der Polizei

An jenem frühen Januarmorgen vor acht Jahren hatte Oury Jalloh eine Gruppe von Reinigungskräften wegen eines Telefons angesprochen. Die Frauen fühlten sich von ihm belästigt und verständigten sogleich das Polizeirevier Dessau-Rosslau. Als ein Streifenwagen eintraf, stand Oury Jalloh weit abseits der Frauen. Für die beiden Streifenpolizisten war erkennbar, dass keine der Frauen zu Schaden gekommen war. Dennoch befand es einer der Streifenbeamten für rechtens, den Ausweis Oury Jallohs zu kontrollieren. Dieser weigerte sich, woraufhin er gewaltsam in den Streifenwagen gezwungen und in den „Schwitzkasten“ genommen wurde, um ihm Hand- und Fußfesseln anzulegen und ihn zu durchsuchen.

Im Polizeirevier war Oury Jalloh bereits bekannt. Zudem war über die Leibesvisitation seine aufenthaltsrechtliche „Duldung“ aufgefunden worden. Das reichte der Polizei jedoch nicht. Der Dienstgruppenleiter veranlasste eine ärztliche Untersuchung und Blutprobe gegen den Willen Oury Jallohs. Wider besseres Wissen attestierte der Polizeiarzt Hafttauglichkeit. Gewaltsam wurde Oury Jalloh in den Zellentrakt bugsiert und vorgeblich zu seiner eigenen Sicherheit an Händen und Füßen auf eine vermeintlich feuerfeste Matratze rücklings fixiert. Die diensthabenden Polizeibeamten handelten routiniert wider die vorgeschriebenen Gewahrsamsregeln: Statt den ihnen vollständig ausgelieferten, alkoholisierten und ob seiner widerrechtlichen Inhaftierung aufgebrachten Mann ständig zu beaufsichtigen, gingen sie ihrem gewohnten Dienst nach oder in die Kantine. So blieb Oury Jalloh über zwei Stunden – unterbrochen von nur etwa halbstündigen Kontrollen – in der Zelle sich selbst überlassen.

Polizei­liche Gewal­t­rou­tinen

An diesem rechtswidrigen polizeilichen Zwangs- und Gewalthandeln nahm kein Gericht merklich Anstoß, auch nicht der Bundesgerichtshof. Es blieb der Staatsanwaltschaft vorbehalten, im zweiten Verfahren anzuregen, dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis zu erteilen, es käme eine Bestrafung nicht nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge, gegebenenfalls fahrlässige Tötung, gemäß der Anklage in Betracht, sondern wegen Köperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Todesfolge in einem minder schweren Fall: Es habe überhaupt kein Grund zur Identitätsfeststellung bestanden, geschweige denn Oury Jalloh dazu (!) zwangsweise zu durchsuchen, ihn mitzunehmen und gewaltsam seiner Freiheit zu berauben. Für einen fortgesetzten Gewahrsam habe jede rechtliche Grundlage gefehlt. Spätestens aber mit der Absicht des Angeklagten, Oury Jalloh bis zum Nachmittag gefesselt einzusperren, wäre zwingend und unverzüglich eine richterliche Entscheidung notwendig gewesen (§§ 38 Absatz 1 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, 163c Absatz 1 Strafprozessordnung, StPO).

Da der zuständige Dienstgruppenleiter zeitnah zur Identitätsfeststellung bereits angelegte erkennungsdienstliche Unterlagen leicht hätte einsehen können, setzte die Staatsanwaltschaft folgerichtig zudem ein vorsätzliches Handeln voraus.

Damit wäre eine höhere Strafandrohung verbunden gewesen, was dem Gericht, das das Verfahren bereits zuvor gegen eine Geldauflage nach § 153a StPO hatte einstellen wollen, offenbar nicht schmeckte. Es erteilte den rechtlichen Hinweis nicht, obwohl die Eintragungen im Gewahrsamsbuch des Reviers zusätzlich ergeben hatten, dass – über einen Zeitraum von zehn Jahren – bei keiner Festnahme je eine richterliche Entscheidung eingeholt worden war. In der mündlichen Urteilsbegründung wurde diese schon gewohnheitsmäßige rechtswidrige Kollektivpraxis des Dessauer Polizeireviers im Hinblick auf den Vorwurf der Freiheitsberaubung gar als Entlastungsgrund zugunsten des Angeklagten pervertiert.

Aufklä­rungs­des­in­ter­esse auf Seiten der Justiz

Die Strafkammer konzentrierte sich gänzlich auf das letzte Glied einer polizeibewirkten Ereigniskette, an deren Ende Oury Jalloh verbrannte: nämlich auf die Frage, ob der damalige Dienstgruppenleiter Oury Jalloh hätte retten können, hätte er gleich auf den ersten Feueralarm reagiert. Da jedoch der Todeszeitpunkt auch in diversen Brandsimulationen nicht exakt angegeben werden konnte, ließ sich die Zeitspanne nicht genau rekonstruieren, in der der Tod möglicherweise noch hätte verhindert werden können. So blieb für das Gericht – „im Zweifel für den Angeklagten“ – nur eine fahrlässige Tötung übrig.

Auch dieses Gericht war nicht daran interessiert, die Umstände aufzuklären, die zur Entstehung des Brandes im Polizeirevier geführt hatten. Es machte sich die ursprünglich von der Staatsanwaltschaft aufgestellte Hypothese, Oury Jalloh habe die Matratze mit einem Feuerzeug selbst entzündet, um auf sich aufmerksam zu machen, als höchst wahrscheinlich zu eigen.

In der mündlichen Urteilsbegründung wurde ohne jedwede Anhaltspunkte unterstellt, Oury Jalloh habe, gefesselt und mehrfach durchsucht, während der Torturen, denen er widerrechtlich ausgesetzt war, ein Feuerzeug, das einer der beiden Polizeibeamten verloren haben soll, an sich genommen.

Unbeantwortet bleibt die zentrale Frage, wie Feuerzeugreste, die sich nicht bei der ersten Spurensicherung in der Zelle, sondern erst nachträglich bei den Asservaten angefunden hatten, die Existenz eines Feuerzeuges in der Hand Oury Jallohs belegen sollen, wenn zudem an eben diesen Resten weder DNA-Spuren des Opfers noch Faserspuren seiner Kleidung oder der Matratze festgestellt werden konnten.

Außerdem: Der geringer verbrannte Rücken des Toten war von der Spurensicherung auf spezielle Anordnung zusätzlich gefilmt worden. Ein Feuerzeug war dabei, laut Aussage des zuständigen Kriminaloberkommissars, nicht entdeckt worden. Diese Videosequenz ist allerdings gelöscht worden. So bleibt die „Wahrheit“ über das angebliche Feuerzeug im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln.

Kein Fazit

Es können hier nicht alle Ungereimtheiten und Manipulationen der ermittelnden Polizei und die Versäumnisse auf Seiten der Justiz aufgeführt werden. Das Urteil deckt den polizeigemachten Tod Oury Jallohs voreilig zu – mit dem offenkundigen Ziel, den öffentlichen Skandal, dass ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch im Polizeigewahrsam verbrennt, endlich rechtsstaatlich zu befrieden. Mit dieser gerichtlichen Entscheidung wird allerdings in erster Linie die Polizei geschützt. Das Magdeburger Landgericht hat nicht viel dazu beigetragen, den Verdacht auszuschließen, dass Polizisten das Feuer gelegt haben könnten. Der Verdacht schwelt weiter. Das Unrecht, der Feuertod Oury Jallohs in „Polizeiobhut“, bleibt gerichtlich unaufgeklärt und politisch folgenlos.

Literatur

Landgericht Magdeburg, Urteil vom 13.12.2012, Az. 21 Ks 141 Js 13260/10 (8/10) – 1. große Strafkammer

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