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Dunkles Feld - Polizei­ge­walt in Deutschland

Grundrechte-Report 2014, Seite 165

Auf Polizeigewalt in Bayern und die strukturellen Probleme bei der Aufklärung solcher Fälle wiesen wir im letzten Jahr hin (vgl. Angelika Lex, in: Grundrechte-Report 2013, S. 64 ff.). Dass falsch verstandene Solidarität und Gruppenzwang innerhalb der Polizei, aber auch das besondere Näheverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft, Gerichten und Polizei zu Schwierigkeiten bei der Aufklärung führen, gilt immer noch. Die Liste polizeilicher Übergriffe muss, nicht nur für Bayern, fortgeschrieben werden.

Tödliche Schüsse

Im Sommer des Jahres 2013 traf es einen Mann, der im Neptunbrunnen neben dem Fernsehturm in der Mitte Berlins saß und sich mit einem Messer selbst Verletzungen zufügte. Ein Polizist war zu dem Mann in den Brunnen gestiegen und erschoss ihn, als dieser daraufhin auf ihn zukam. Vorher gab es weder eine Warnung noch einen Warnschuss. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beamten wurde binnen kurzer Zeit eingestellt, er habe in Notwehr geschossen.

Das war in Berlin schon der dritte tödliche Vorfall binnen zwei Jahren. Der erste Fall betraf eine 53-jährige Frau, die in die Psychiatrie verbracht werden sollte, sich dem widersetzt und dann – nachdem Polizisten einer Einsatzhundertschaft die Tür mit einer Ramme aufgebrochen hatten – ein Messer gegen einen Polizeibeamten eingesetzt haben soll. Das Ermittlungsverfahren wurde innerhalb von weniger als einem Monat eingestellt, weil der Schütze in Nothilfe für einen bedrohten Kollegen gehandelt haben soll. Im zweiten Fall befand sich ein Mann mit einer Axt und zwei Messern bewaffnet auf einer Straße in Berlin-Wedding und soll Polizisten attackiert haben, die sich ihm näherten. Nach Pfefferspray- und Schlagstock-Einsatz schossen die Polizeibeamten acht bis zehn Mal auf ihn und trafen ihn in Bauch und Beine. Bereits am Boden, wurde er von den Beamten getreten und mit einem Schlagstock gegen den Kopf geschlagen. Er starb im Krankenhaus.

Alle drei Fälle mit tödlichem Ausgang erhielten große mediale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil es drei Menschen mit psychischen Problemen waren, die von der Polizei erschossen wurden. Von Passanten angefertigte Videos wurden im Internet veröffentlicht und führten zu großer Aufregung. In der Bevölkerung war das Entsetzen groß, dass die Polizei nicht in der Lage war, mit Personen, die offensichtlich der Hilfe bedurften, angemessen umzugehen. Die Polizeiführung äußerte in keinem Fall Kritik am Vorgehen der Beamten. Ein Vertreter der Deutschen Polizeigewerkschaft wurde mit der Äußerung zitiert: „Wer Polizisten mit einem Messer angreift, muss damit rechnen, erschossen zu werden.“

Gewalt gegen Menschen­mengen

Ein anderer Bereich, in dem es immer wieder zu exzessivem Einsatz von Gewalt durch die Polizei kommt, sind Großeinsätze bei Demonstrationen oder Fußballspielen. Im Jahr 2013 wurden ca. 900 Teilnehmer/innen der Blockupy-Demonstration und diese Demonstration begleitende Presseleute in Frankfurt/M eingekesselt und dabei so heftig mit Pfefferspray und Schlägen traktiert, dass sogar die Beauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für Pressefreiheit ihre Besorgnis über den Umgang der Polizei mit Medienvertretern während der Kundgebung äußerte. Auch in Zusammenhang mit Fußballspielen wurden im Jahr 2013 mehrfach überzogene Einsätze gegen Unbeteiligte kritisiert, so zum Beispiel gegen Fans des 1. FC Union Berlin nach dem Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern, als mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Hunden hunderte Reisende trotz regulären Zugverkehrs auf einen Bahnsteig getrieben wurden.

In diesen Fällen werden Ermittlungen regelmäßig schnell eingestellt mit der Begründung, wegen der Uniformierung der Beamten, die in diesen Einsätzen durch die Schutzmontur noch stärker vermummend wirkt, könne nicht ermittelt werden, welcher Beamte handgreiflich geworden ist.

Ermitt­lungen gegen Betroffene

Ein Phänomen, mit dem Betroffene von Polizeigewalt außerdem zu kämpfen haben, ist die ungleiche Verteilung von Macht und Mitteln der Aufklärung. Besonders krasse Beispiele dafür sind die Fälle von Angriffen auf eine Frau im Münchener Polizeigewahrsam und auf einen Besucher einer Disko in Bremen. Beide hatten aufgrund massiver Schläge schwere Verletzungen erlitten, unter anderem am Kopf. In beiden Fällen wurde anschließend das Arsenal an Ermittlungsmethoden nicht gegen die handelnden Polizeibeamten, sondern gegen Betroffene verwendet. Der Betreiber der Disko musste mehrere Durchsuchungen über sich ergehen lassen, wobei die Aufzeichnungen des Vorfalls durch die Videoüberwachungskameras wegen angeblicher Datenschutzverstöße beschlagnahmt wurden. Die Verletzte im Fall aus München erfuhr bei der Akteneinsicht, dass der Inhalt ihrer Handy-Kommunikation ausgelesen wurde. Zudem werden Personen, die Polizeigewalt ausgesetzt waren, regelmäßig mit Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und/oder falscher Verdächtigung überzogen und gegen sie ermittelt.

Großes Dunkelfeld, dunkles Hellfeld

Verfahren gegen Polizeibeamte weisen also – positiv formuliert – einige „Eigenheiten“ auf: von Entlastungsinteresse geleitete Ermittlungen, Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Polizei-Täter/innen sowie das Phänomen der Gegen-Anzeigen. All das führt zusammen genommen dazu, dass viele Betroffene davor zurückschrecken, gegen Beamte vorzugehen. Deshalb ist das Dunkelfeld sehr groß.

Aber auch die Zahlen des Hellfelds (derjenigen Fälle, in denen Anzeige erstattet wurde) zeigen, dass durchgeführte Ermittlungen wenig Licht ins Dunkle bringen. Nur ein Bruchteil aller Verfahren kommt vor Gericht. Die Zahlen sind insoweit seit Jahren unverändert. Den in der Polizeilichen Kriminalstatistik zum Beispiel im Jahr 2011 verzeichneten 1963 Verfahren wegen Körperverletzung im Amt stehen nur 73 Verfahren gegenüber, die es bis zu einem Gericht gebracht haben.

Struk­tu­relles Problem

Für die Polizei erklärt sich die hohe Zahl der Einstellungen und auch die der Gegenanzeigen einfach dadurch, dass viele Verdächtigungen gegen Polizeibeamte eben tatsächlich falsch seien. Diejenigen, die Anzeigen erstatteten, würden verkennen, dass die Polizei als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols berechtigt Gewalt ausübe. Gerade weil aber jedenfalls Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Ermittelnden bestehen und die meisten Verfahren in einem sehr frühen Stadium beendet werden, fehlt es an verlässlichen Erkenntnissen. Solange Verfahren beendet werden müssen, weil Täter/innen nicht identifiziert werden können, und Betroffene Ermittlungen gegen sich und Entlastungsinteresse gegenüber Polizei-Kollegen befürchten, ist die richtige Deutung der Zahlen offen.

Es ist also dringend geboten, nicht nur eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte einzuführen, sondern vor allem unabhängige Stellen einzurichten und mit der Aufklärung solcher Vorfälle zu betrauen. Einige Bundesländer haben erste Schritte in diese Richtung unternommen. Die Modelle unterscheiden sich noch deutlich: gesetzliche oder verwaltungsinterne Kennzeichnungspflicht mit mehr oder weniger großen Ausnahmeregelungen bzw. Polizeibeauftragte oder polizei-eigene Ermittlungseinheiten mit mehr oder weniger umfangreichen Befugnissen. Immerhin bewegt sich etwas. Es besteht damit die Hoffnung, dass irgendwann mehr Licht ins Dunkel der polizeilichen Gewalt gebracht wird.

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