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Ein klares Zwar-Aber - BVerf­G-­Ur­teil zur Anti-Ter­ror-­Datei vermeidet Bekenntnis zum Trennungs­gebot

Grundrechte-Report 2014, Seite 161

Der Gesetzgeber war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der Auffassung, dass eine wirksame und vor allem frühzeitige Erkennung von terroristischen Gefahren vor allem auch durch eine verbesserte Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten zu erreichen sei. Die auch zu diesem Zeitpunkt bestehenden Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern, namentlich durch die Übermittlung von Informationen zwecks weiterer Nutzung, wurden von der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestags als unzureichend aufgefasst. Dies mündete in die Verabschiedung eines Gesetzes, das erstmalig die Zusammenführung von Datenbeständen von deutschen Polizeibehörden und Geheimdiensten in der Antiterrordatei (ATD) vorsah. In sie sind seitdem bestimmte Daten von Terrorverdächtigen (und deren Umfeld) einzuspeichern und stehen den anderen Sicherheitsbehörden hiermit unmittelbar zur Verfügung. Ein Tabubruch?

Eine Antwort hierauf muss die Lehren berücksichtigen, die die Erfahrung mit der Geheimen Staatspolizei im Nationalsozialismus hervorgebracht hat, namentlich, dass eine Vermischung von geheimdienstlichen und polizeilichen Kompetenzen einen
unkontrollierbaren Machtapparat hervorbringen kann. Durchaus nicht freiwillig, sondern als Diktat der Alliierten im sog. „Polizeibrief“ vom 14. April 1949, sollten deshalb Geheimdienste keinerlei polizeiliche Befugnisse mehr besitzen dürfen. Damit war das Trennungsgebot geboren.

Das Gericht hatte sich in einer früheren Entscheidung – wenn auch vage – selbst an der Diskussion beteiligt, ob das Trennungsverbot Verfassungsrang besitze: Das Rechtsstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte könnten es verbieten, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 97, S. 217). Dort fand auch der sog. „Polizeibrief“ der Alliierten noch Erwähnung. Diese gewiss nicht nebensächliche Frage war dem Gericht heute nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Zwar findet sich auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Anti-Terror-Datei (ATD) das Bekenntnis, dass eine Geheimpolizei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Dann jedoch folgen entscheidende Relativierungen…

Keine grund­sätz­li­chen Probleme mit geheim­po­li­zei­li­chen Datenpools?

Eine gemeinsame Verbunddatei von Polizeibehörden und Geheimdiensten soll mit dem Grundgesetz „in ihren Grundstrukturen“ vereinbar sein, urteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 24. April 2013.

So kann der Verfassungsschutz Zugriff auf bestimmte personenbezogene (Grund-)Daten erhalten (etwa Name, Anschriften, besondere körperliche Merkmale, Sprachen, Dialekte und Lichtbilder). Zudem soll in bestimmten „Eilfällen“ auch auf weitere, sog. erweiterte Grunddaten zugegriffen werden können. Umgekehrt darf nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch die Polizei von der Existenz einer Person in der ATD erfahren, die dort seitens der Geheimdienste eingespeist ist. Damit erhält die Polizei Informationen, für deren Datenerhebung ihr selbst vom Gesetzgeber aus guten Gründen keine Befugnisse erteilt wurden.

Auch die Tatsache, dass die Daten durch die Polizei ggf. unter Anwendung von (offen angewandten) Zwangsmitteln erlangt wurden, konnte das Ergebnis des Gerichts nicht beeinflussen.
Schließlich war es dem Gericht auch keine grundlegende Beanstandung wert, dass es sich bei den eingespeisten Daten um höchstpersönliche, die Biografie der Betroffenen nachzeichnende Informationen handeln kann.

Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht einerseits an, dass die Speicherung einer Person in dieser Polizei-/Geheimdienstdatei von erhöhtem „Eingriffsgewicht“ sei. Denn sie ermögliche einen Informationsaustausch zwischen einer großen Zahl von Sicherheitsbehörden mit teilweise wesentlich unterschiedlichem Aufgaben- und Befugniszuschnitt. Dies schließt es aus, dass strengere Ermittlungsbefugnisse der einen Behörde dadurch umgangen werden, dass sie sich aus dem Informationsbestand einer anderen bedient, für die solche Restriktionen nicht gelten. Also beispielsweise: Kein „Weiterschaufeln“ von Geheimdienstinformationen aus Telefonüberwachungen an die Polizei, wenn diese dieselben Informationen nicht kraft eigener Kompetenzen auch hätte erlangen können.

Andererseits soll das Eingriffsgewicht aber dadurch „gemindert“ sein, dass die Nutzung der ATD in ihrem Kern lediglich auf eine Informationsanbahnung zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden beschränkt ist. Also: Alles nicht so schlimm, weil sich die eine ja nur darüber informieren kann, dass bei einer anderen Informationen über eine bestimmte Person vorliegen?

Immerhin würde für die weitere Zusammenarbeit der Behörden ja ein strengeres Regime von Übermittlungsregelungen gelten, das seinerseits dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen habe.

Das Bundesverfassungsgericht erkennt durchaus an, dass es ein „informationelles Trennungsprinzip“ gibt, d.h., dass grundsätzlich die Daten einer Sicherheitsbehörde nur für deren Zwecke verwendet werden dürfen.

Daraus folgt, dass jede Datenübermittlung eine ggf. schwere Grundrechtsbeeinträchtigung bedeutet. Hierbei indessen handelt es sich um keine neue (verfassungsrechtliche) Erkenntnis, sondern lediglich die Bestätigung des bekannten datenschutzrechtlichen Zweckbindungsgrundsatzes. Nach diesem ist eine Durchbrechung der Zweckbindung nur im Einzelfall und nur bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, bleiben die jeweiligen Daten abgeschottet.
 
Das Ende der strikten Abschottung von Daten

Neu ist, dass nunmehr ein Informationsaustausch schlicht durch das Eintippen eines Namens in eine Suchmaske mit dem Grundgesetz vereinbar sein soll. Zwar setze die ATD unmittelbar selbst einen Datenaustausch zwischen den beteiligten Behörden „ins Werk“, das Bundesverfassungsgericht betont aber, dass das Gesetz bestimme, dass die Behörde, die die ATD nutzt, diese Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen verwenden darf, namentlich zur Prüfung, ob die Daten der gesuchten Person zuzuordnen sind sowie für ein Ersuchen um Übermittlung von Erkenntnissen zur Wahrnehmung ihrer jeweiligen eigenen Aufgabe. Mehr „Zwar-Aber“ geht nicht.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Erste Senat auch Teile des Anti-Terror-Datei-Gesetzes für verfassungswidrig erklärte:
Die Regelungen zur Einspeicherung von Kontaktpersonen verstoßen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Diese Kontaktpersonen sind Menschen, die mit den „Hauptpersonen“ in nicht nur flüchtigem oder zufälligem Kontakt standen, praktisch also deren gesamtes gesellschaftliches Lebensumfeld. Allerdings sei eine verfassungsgemäße Regelung durchaus vorstellbar, etwa könnten Personen einbezogen werden, die Aufschluss über die als terrorismusnah geltende Hauptperson vermitteln können.

Außerdem beanstandete das Gericht die sog. „Inverssuche“. Diese ermöglicht bei Recherchen in den erweiterten Grunddaten auch den unmittelbaren Zugriff auf die einfachen Grunddaten.
Dies stellt jedoch ein Folgeproblem zu der Grundsatzfrage dar, ob ein Datenverbund zwischen Polizei und Geheimdiensten im Ansatz überhaupt verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.

Das Bundesverfassungsgericht bejaht diese Frage, womit die entscheidende Weichenstellung für die Zukunft gemacht und der Weg bereitet ist für weitere gemeinsame Dateien der verschiedenen Sicherheitsbehörden. Den Auftakt hierfür bildete die Rechtsextremismus-Datei, die der Anti-Terror-Datei im Wesentlichen nachgebildet ist.

Auch dort gilt nun: Zwar Trennung von Datenbeständen – aber mit Ausnahmen.

Literatur

Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 1 BvR 1215/07 v. 24.4.2013, in: Neue Juristische Wochenschrift 2013, S. 1499 ff.

Arzt, Clemens, Antiterrordatei verfassungsgemäß – Trennungsgebot tot?, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, S. 1328 ff.

Will, Rosemarie, Das Bundesverfassungsgericht und die Anti-Terror-Datei, in: Vorgänge 1/2 2013, S. 102.

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