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Mehr Transparenz und Kontrolle bei der Polizei - Berlin und Brandenburg führen Polizei­kenn­zeich­nung ein, andere Bundes­länder wollen folgen

Grundrechte-Report 2012, Seite 168

Einen bedeutenden Prozess hat der ehemalige Berliner Polizeipräsident Glietsch am Ende seiner Amtszeit in Gang gesetzt. Gegen den Widerstand der Personalvertreter hat er in Berlin eine Polizeikennzeichnung eingeführt und damit nicht nur einen ersten großen Schritt in Richtung mehr Transparenz und Kontrolle bei der Berliner Polizei getan, sondern entsprechende Entwicklungen auch in anderen Bundesländern eingeleitet. Seit dem 1. Januar 2011 gilt in Berlin eine Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten, die Polizisten verpflichtet, an ihrer Uniform wahlweise ein Namens- oder Nummernschild zu tragen.

Dadurch soll es Opfern rechtswidriger Polizeigewalt künftig leichter fallen, die Täter zu identifizieren. Dies ist ein erster wichtiger Baustein, damit Polizisten für rechtwidrige Maßnahmen, insbesondere rechtswidrige Gewaltanwendung, zur Rechenschaft gezogen werden können. Bisher scheiterte dies oft daran, dass der betroffene Bürger den Täter bei seiner Anzeige nicht benennen konnte und seine Identität auch später nicht mehr feststellbar war, weil sich der Polizeibeamte hinter der Anonymität seiner Uniform oder seiner Einheit verstecken konnte.

Berlin ist nicht das erste Bundesland, das auf das Problem reagiert und seinen Polizeibeamtinnen und -beamten eine Kennzeichnung verordnet hat. In Hessen gilt die Verpflichtung zum Tragen eines Namensschildes schon seit 2008. Die Einführung der Polizeikennzeichnung in Berlin zeigt aber Ausstrahlungswirkung. Andere Bundesländer sind dem Beispiel Berlins gefolgt und haben beschlossen, eine solche längst überfällige Regelung ebenfalls einzuführen. Am 9. Juni 2011 hat der Brandenburgische Landtag ein Gesetz verabschiedet, wonach ab dem Jahr 2013 eine Kennzeichnungspflicht in Brandenburg gilt. Die neuen Regierungen in Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben 2011 in ihren Koalitionsverträgen ebenfalls eine Polizeikennzeichnung vereinbart. Während in Rheinland-Pfalz alle Polizisten ein Identifikationsmerkmal erhalten sollen, planen die Regierungen in Bremen und Baden-Württemberg eine Kennzeichnung nur für Großlagen, wie Demonstrationen und Fußballspiele. Gerade bei solchen Ereignissen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Übergriffen seitens der Polizei gekommen. Zudem ist die Identifizierung einzelner Polizisten, wegen der bei diesen Einsätzen getragenen Helme und Schulterpolster, ohne Kennzeichnung nahezu unmöglich.

Macht bedingt Kontrolle – Kein Freibrief für Polizisten

Die Identifizierbarkeit des jeweils handelnden Polizisten ist für die Rechtsschutzgarantie des Artikel 19 Absatz 4 GG wesentlich, weil rechtswidriges polizeiliches Handeln nur so ernsthaft untersucht und geahndet werden kann. Bleibt der mutmaßliche polizeiliche Täter anonym, läuft die Rechtsschutzgarantie faktisch ins Leere. Dabei werden Grundrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG nur dann effektiv geschützt, wenn Grundrechtsverstöße auch geahndet werden (können). Zudem darf bei Polizisten nicht der Eindruck entstehen, dass rechtswidrige Übergriffe für sie ohne Konsequenzen bleiben. Dem Missbrauch der ihnen anvertrauten Staatsgewalt würde sonst Tür und Tor geöffnet. Nicht ohne Grund gilt für Beamte der Grundsatz der eigenverantwortlichen Amtsausübung. Für rechtswidrige Maßnahmen können sie auf Schadensersatz in Anspruch genommen oder auch dienst- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Das soll bewirken, dass Beamte stets bemüht sind, rechtmäßig zu handeln. Die Eigenverantwortlichkeit dient damit der Verwirklichung der rechtsstaatlichen Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz (Artikel 20 Absatz 3 GG). Das bezweckte besondere Verantwortungsbewusstsein kann in der Praxis aber nur dann entstehen, wenn dem jeweiligen Beamten seine Amtshandlungen konkret zugeordnet werden können. Auch deshalb ist es bei Verwaltungsbehörden heute selbstverständlich, dass der Bürger weiß, mit wem er es zu tun hat (durch namentliche Unterzeichnung von Schreiben, Tür- und Platzschilder etc.). Nur die Polizei erfährt hier aufgrund ihres jahrzehntelangen Widerstands eine nicht gerechtfertigte Privilegierung. Gewerkschaften und Personalvertreter der Polizei betrachten die Kennzeichnung der Polizisten als generelles Misstrauensvotum. Dabei gehört die Kontrolle staatlichen Handelns zu den Grundpfeilern eines demokratischen Rechtsstaats und ist wegen der weitreichenden Befugnisse, insbesondere der Zwangsbefugnisse der Polizei gerade hier geboten. Polizeiliche Maßnahmen stellen oftmals einen Eingriff in Grundrechte des Bürgers dar. Jeder Verwaltungsakt kann ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit mit Zwang durchgesetzt werden. Solche Befugnisse und die Gefahr sich bei Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) strafbar zu machen, erzeugt nicht selten ein Gefühl der Ohnmacht. Es bedarf daher einer effektiveren Kontrolle durch eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamten.

Noch viel Spielraum

Denn die bisher in den meisten Bundesländern geltenden Regelungen können eine Identifizierung von gewalttätig gewordenen Polizeibeamten nicht ausreichend gewährleisten. Dies gilt sowohl für die sogenannte Legitimationspflicht als auch für die Gruppenkennzeichnung. Die Legitimationspflicht verpflichtet den Polizisten, auf Nachfrage seine Dienstkarte auszuhändigen. Der Bürger ist damit aber auf die Mitwirkung des Polizisten angewiesen. Hat der Beamte zuvor rechtswidrig gehandelt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er sich weigern wird, dieser Pflicht nachzukommen. Zudem hat der öffentlich gewordene Übergriff eines Polizisten auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ in Berlin im Jahr 2009 gezeigt, dass die Nachfrage nach der Dienstkarte die Stimmung weiter aufheizen und kritische Situationen verschärfen kann. Der gewalttätig gewordene Polizist hatte die Frage eines Demonstranten nach der Dienstnummer seines Kollegen zum Anlass genommen, Gewalt gegen den Demo-Teilnehmer auszuüben. Die Gruppenkennzeichnung hilft lediglich, den Täterkreis einzugrenzen. Die Ermittlung des Täters hat sie in der Vergangenheit aber in den seltensten Fällen ermöglicht. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Polizisten trotz des ihnen obliegenden Strafverfolgungszwangs (§ 163 Strafprozessordnung) die eigenen Kollegen nur äußerst selten belasten. Insofern ist hier ein gewisser Korpsgeist zu beobachten, der nicht nur die Identifizierung, sondern auch die Ermittlungen gegen Polizeibeamte behindert. Umso wichtiger ist, dass die Bundesländer eine individuelle Kennzeichnung für Polizeibeamte schaffen.

Andere Probleme bei Strafverfahren gegen Polizeibeamte wie zum Beispiel Zeugenabsprachen wird auch eine Polizeikennzeichnung nicht beheben können. Zusätzlich erforderlich ist eine unabhängige Kontrollinstanz, welche die Arbeit der Polizei überwacht. Die Regierung in Rheinland-Pfalz hat auch dieses Vorhaben in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Bleibt deren Umsetzung und Ausgestaltung sowie deren tatsächliche Arbeit abzuwarten und kritisch zu beobachten.

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