Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2014

Werkver­träge im Visier - Frühka­pi­ta­lis­ti­sche Ausbeu­tungs­ver­hält­nisse (nicht nur) bei osteu­ro­pä­i­schen Arbeitern

Grundrechte-Report 2014, Seite 129

Der Tod zweier rumänischer Werftarbeiter rückt im Juli 2013 schlaglichtartig die Situation osteuropäischer Werkvertragsarbeiter in den Fokus. Ihr Fall steht exemplarisch für ein neues Lohn- und Sozialdumping, das die Leiharbeitsbedingungen substantiell unterbietet und sich in immer mehr Branchen durchsetzt.

Der Werkvertrag ist aus der Lebens- und Arbeitswelt nicht wegzudenken. Wer den Klempner beauftragt, einen Wasserrohrbruch zu beheben, oder sich einen neuen Haarschnitt verpassen lässt, schließt ihn ab. Auch Unternehmen sind vielfach darauf angewiesen. Das gilt für den Bauunternehmer, der für die Fenster und Türen einen Tischler, für die Stromversorgung einen Elektriker beauftragt, wie für die Versicherung, die eine Spezialsoftware zur Risikoberechnung bestellt. Ohne Werkverträge ist eine produktive, arbeitsteilige Wirtschaft kaum denkbar.

Skanda­li­sie­rung durch Todesfälle

Wie missbrauchsanfällig dieses Instrument für die Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Standards ist, wird aber erst in den letzten Jahren deutlich. Paradigmatisch hierfür steht der Fall der Papenburger Meyer Werft. Der 32-jährige Schweißer Florin Grigore aus Ostrumänien stirbt, wie auch ein 45-jähriger Kollege, als seine Unterkunft aus ungeklärter Ursache in Flammen aufgeht. In dem Einfamilienhaus waren 33 Personen gemeldet. Die Herberge wurde vom Emdener Leiharbeitsunternehmen SDS betrieben, welches von der Meyer Werft Werkverträge erhielt, aufgrund derer die Rumänen zum Einsatz kamen. Wie seine Kollegen war er bei einem rumänischen Dienstleistungsunternehmen angestellt, das seinerseits die Arbeiter an SDS verlieh.

Aus Perspektive des Auftraggebers ist das eine von zwei typischen Konstellationen von Werkverträgen: Werkvertragsnehmer können zwar individuell beauftragt werden, häufig sind sie aber selbst abhängig beschäftigte Arbeitnehmer eines beauftragten Unternehmens. Dieses wiederum kann, gerade im internationalen Rahmen, die Arbeitskräfte seinerseits von anderen Unternehmen überlassen bekommen, sodass vielfach undurchschaubare Verhältnisse entstehen. Aus Sicht der Stammbelegschaft handelt es sich in jedem Fall um Werkvertragsleute.

Grigore war einer von diesen rund 1.500 Werkvertragsarbeitern, neben 290 Leiharbeitnehmern und 3.100 festen Mitarbeitern. Einer von rund 700 Rumänen und Bulgaren in Papenburg. Gegenstand seiner Tätigkeit waren dabei keineswegs spezielle Arbeiten, die der Erbauer von Luxuslinern nicht selbst vornehmen konnte. Grigore wurde wie andere rumänische Facharbeiter auch für Schweiß- und Schneidarbeiten eingesetzt. Er erhielt dafür nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 23.7.2013 35 Euro täglich für zehn bis zwölf Stunden Arbeit. Nach Angaben seines Bruders mussten die SDS-Arbeiter insbesondere an Wochenenden sogar häufig Doppelschichten von bis zu 16 Stunden leisten, ohne Zuschläge zu erhalten. Wer sich beschwerte oder krank wurde, wurde demnach zurückgeschickt. Krankenhauskosten mussten aus eigener Tasche bezahlt werden.

Trend zum Sozial­dum­ping

Die Zahlen der Meyer Werft spiegeln eine Entwicklung wider, die mittlerweile in vielen Industrie- und Dienstleistungsbranchen stattfindet. Bislang von Stammbeschäftigten ausgeübte Tätigkeiten werden zunehmend an Subunternehmen vergeben. Waren es zunächst Leiharbeitnehmer, die insbesondere zur Umgehung von Tarifverträgen eingesetzt wurden, ist vor allem seit zwei Jahren eine Trendwende hin zu Werkverträgen zu beobachten. Der Grund: seit 2012 gibt es einen tariflichen Mindestlohn von 8,19 Euro (West) bzw. 7,50 Euro (Ost) für Leiharbeitnehmer. Bei Werkverträgen existiert dagegen keine Untergrenze für den Stundenlohn. Für Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien beträgt der Lohn häufig nur rund drei Euro – aber auch für Deutsche liegt er vielfach nicht viel höher.

In der Nahrungsmittelindustrie, in Hotels und Restaurants, bei Lagerarbeiten, im Reinigungsgewerbe, in Technik und Werkstatt, und mittlerweile auch zunehmend in der Metallindustrie: immer mehr Branchen lagern bestimmte Tätigkeitsbereiche aus, fangen Auftragsspitzen über Werkverträge ab, reduzieren ihre Stammbelegschaften zugunsten der billigeren Werkverträge. Das unterscheidet sich grundlegend vom traditionellen Outsourcing: Werkverträge werden nicht mehr für Einzelprojekte, sondern auf Dauer abgeschlossen, sie betreffen Leistungen aus dem Kernbereich des Unternehmens, und die Leistungserbringung erfolgt auf dem Gelände und mit den Maschinen des Auftraggebers. Auch in quantitativer Hinsicht handelt es sich nicht um ein Randphänomen. Nach gewerkschaftlichen Studien arbeiten auf Schlachthöfen bis zu 75 Prozent als Werkvertragsarbeiter, in der Fleischverarbeitung immerhin noch 35 Prozent. In der Zuckerindustrie sind es 20 Prozent, in der Stahlindustrie derzeit knapp 10 Prozent, Tendenz steigend.

Planmäßige Ausnutzung von Geset­zes­lü­cken

Aus kurzfristig gewinnorientierter unternehmerischer Perspektive hat diese Strategie viele Vorteile. Die Subunternehmen sind zumeist nicht tarifgebunden. Der Grundsatz „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ kann hier erfolgreich unterlaufen werden. Formal handelt es sich bei Werkverträgen um Sachleistungen – bei solchen Beauftragungen von Fremdunternehmen hat der Betriebsrat für gewöhnlich kein Mitspracherecht und nur eingeschränkte Informationsrechte: Stundenlöhne und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter der Subunternehmen werden vielfach zum Betriebsgeheimnis des Auftragnehmers erklärt. Die Arbeitnehmer der Werkvertragsunternehmen haben weitere Nachteile. Da ihre Arbeitgeber vom Auftraggeber abhängig sind, genießen sie regelmäßig effektiv keinen Kündigungsschutz. Eigene Betriebsräte bei den Subunternehmen sind die Ausnahme.

Besonders nachteilhaft sind dabei die Bedingungen für Arbeitnehmer aus ökonomisch schwach entwickelten Staaten. Aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren sind ihnen zumeist ihre Rechte unbekannt. Regelungen zu Arbeitsschutz, Arbeitszeit, Sozialleistungen und Beschäftigungssicherheit werden vielfach planmäßig umgangen. Häufig sind sie nicht mit der gleichen Arbeitsschutzausrüstung ausgestattet wie die Stammbelegschaft. Untergebracht werden sie oft in großen Gemeinschaftsunterkünften bei menschenunwürdigen Bedingungen.

Insgesamt führt dies dazu, dass Lücken im Arbeitsrecht sowie Schwächen der betroffenen Arbeitnehmer ausgenutzt werden, um das Tarifrecht wie auch betriebsverfassungsrechtliche Schutzbestimmungen auszuhebeln. Eine Praxis, die nicht nur die Ziele der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 GG untergräbt, sondern systematisch arbeitsrechtliche Standards umgeht. Sollte der Trend anhalten, wird das gesetzlich verankerte Normalarbeitsverhältnis mit dem Kollektivschutz durch Gewerkschaften und Betriebsräte in absehbarer Zeit eher Ausnahme als Regel sein. Neben Leiharbeit und Befristung ist der Missbrauch des Werkvertragsrechts ein zentraler Baustein der Prekarisierung von Arbeit.

Was tun?

Eine Lösung des Problems muss auf allen Ebenen gleichermaßen ansetzen. Der Gesetzgeber muss Mindeststandards durch einen gesetzlichen Mindestlohn für alle sichern. Er muss darüber hinaus Informations-, Beteiligungs- und Klagerechte für Betriebsräte und Gewerkschaften so erweitern, dass de facto einheitliche Belegschaften auch dann gleiche Rechte genießen, wenn formal mehrere Arbeitgeber beteiligt sind. Hilfreich wären insbesondere auch Verbandsklagerechte für Gewerkschaften und Betriebsräte. Schutzlosen Migranten, die sich selbst nicht trauen, zu klagen, könnte so effektiv zu ihrem Recht verholfen werden. Schließlich sind die Gewerkschaften und Betriebsräte auch selbst gefordert, jedenfalls in gewerkschaftlich gut organisierten Betrieben frühzeitig Alarm zu schlagen und Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge durchzusetzen, die solchen Rechtsmissbrauch verhindern. Im Fall der Meyer Werft ist das (zu spät) gelungen. Nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks haben Werft und IG Metall im Oktober 2013 einen bislang einmaligen Tarifvertrag zum Schutz von Werkvertragsarbeitern abgeschlossen. Die Große Koalition hat das Thema im Koalitionsvertrag aufgegriffen und die Absicht erklärt, den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit künftig zu verhindern und hierzu Gesetzesänderungen und verstärkte Kontrollaktivitäten angekündigt. Bleiben diese Versprechungen auf dem Papier oder werden sie nur zaghaft umgesetzt, nähern wir uns immer weiter frühkapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen.

Literatur

Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Wenig Rechte, wenig Lohn. Wie Unternehmen Werkverträge (aus)nutzen, Hamburg 2012.

Klein-Schneider, Hartmut; Beutler, Kai, Werkvertragsunternehmen: Outsourcing auf dem Betriebsgelände, in: WSI Mitteilungen 2/2013, S. 144 ff.

König, Otto; Detje, Richard, Lohnsklaven der Weltwirtschaft: Werkverträge – Lohndumping – Drei-Klassen-Belegschaft, in: Zeitschrift Sozialismus 9/2013, S. 38 ff.

Siebenhüter, Sandra, Werkverträge in Bayern. Das neue Lohndumping-Instrument, München, 2013

nach oben