Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2011

Erweiterung, Reform oder Abschaffung - Die Diskussion um das Ehegat­ten­split­ting geht in eine neue Runde

Grundrechte-Report 2011, Seite 74 – 78

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Juli 2010 entschieden,
dass eingetragene Lebenspartnerschaften bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer im Vergleich zur Ehe nur dann schlechter gestellt werden dürfen, wenn dies mit hinreichend gewichtigen Unterschieden gerechtfertigt werden kann. Soweit der mit einer Rechtsnorm verfolgte Zweck und der geregelte Lebenssachverhalt bei Ehen und Lebenspartnerschaften vergleichbar ist, kann eine Schlechterstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht einfach mit dem Verweis auf den in Artikel 6 Absatz 1 GG verankerten Schutz der Ehe begründet werden.

Erweiterung des Splittings auf Leben­s­part­ner­schaften!?

Damit kippt vermutlich auch die Beschränkung des Ehegattensplittings auf verheiratete Paare. Beim Ehegattensplitting wird das Einkommen beider Eheleute gemeinsam veranlagt und die Steuer berechnet, die auf die Hälfte des zusammengerechneten Einkommens entfällt. Diese Summe ergibt verdoppelt die gemeinsame Steuerschuld der Eheleute. Bei einem Einkommensgefälle zwischen den Eheleuten mindert das Splittingverfahren die mit dem Einkommen steigende Steuerbelastung. Im Vergleich zu einer individuellen Besteuerung fällt der finanzielle
Vorteil aus dem Ehegattensplitting umso höher aus, je höher das Haushaltseinkommen insgesamt und je größer das Einkommensgefälle
zwischen den Eheleuten ist. Sind beide Eheleute erwerbstätig und erzielen Einkünfte in gleicher Höhe, ist der Splittingvorteil gleich null.

Beim Splitting werden die Eheleute so besteuert, als wenn beide jeweils die Hälfte des Einkommens erzielt hätten. Das BVerfG begründet dies insbesondere mit der Fiktion der »intakten Durchschnittsehe«, in der die »Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat.« Folgt man dieser Argumentation, müsste das Ehegattensplitting auf eingetragene Lebenspartnerschaften erweitert werden. Der Ausschluss wäre als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungssatz in Artikel 3 Absatz 1 GG verfassungswidrig, weil es an hinreichend gewichtigen Unterschieden zwischen Ehe und eingetragenen Lebenspartnerschaften
fehlt. Es ist nicht ersichtlich, warum die in Ehen unterstellte gleichberechtigte Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft nicht auch in Lebenspartnerschaften bestehen sollte. Zudem sind Lebenspartnerschaften seit Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes der Ehe in Bezug auf den Güterstand und versorgungsrechtliche Pflichten gleichgestellt.

Splitting nicht als Famili­en­för­de­rung zu recht­fer­tigen

Die Bundesregierung sieht das anscheinend anders. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage heißt es, dass die Beschränkung des Ehegattensplittings auf die Ehe gerechtfertigt sein könnte, weil Kinder typischerweise in Ehen aufwachsen. 90 Prozent des Splittingvolumens entfielen auf Ehepaare mit Kindern. Diese Zahl ist jedoch irreführend, denn sie betrifft alle Haushalte, in denen jemals Kinder gelebt haben. Auf die im Steuerrecht relevanten kindergeldberechtigten Kinder bis zu
25 Jahren entfallen dagegen nur max. 65 Prozent des Splittingvolumens. Der Rest kommt Ehen ohne Kinder zugute. Kinder
wachsen zudem zunehmend in nichtehelichen, darunter auch
gleichgeschlechtlichen Familienformen auf. Warum eine Familienförderung Ehepaaren zugutekommen soll, deren Kinder bereits aus dem Haus sind, aber nichteheliche Familien ausschließt, ist nicht nachvollziehbar.

Das BVerfG hat bereits 1998 entschieden, dass das Ehegattensplitting
nicht als Familienförderung zu rechtfertigen sei, denn es knüpft an die Ehe und nicht an das Vorhandensein von Kindern an. Die Höhe der steuerlichen Entlastungswirkung hängt weder von der Zahl der Kinder noch von kindbedingten Aufwendungen ab, sondern allein von der Höhe und Differenz der ehelichen Einkünfte. Als Familienförderung lässt sich das Splitting – unter Berücksichtigung von Artikel 6 Absatz 1 GG – nur dann rechtfertigen, wenn es allen Familien zugutekommt.

Famili­en­split­ting keine Alternative

Das in den letzten Jahren häufiger vorgeschlagene Familiensplitting ist keine sachgerechte Alternative. Beim Familiensplitting nach französischem Vorbild würde das Einkommen bei der Berechnung der Steuerschuld nicht nur halbiert, sondern durch die Anzahl aller Familienmitglieder geteilt. Demnach fiele die Steuerschuld insbesondere bei vielen Kindern und in hohen Einkommensgruppen erheblich geringer aus, auch in Lebenspartnerschaften. Im Vergleich zum geltenden Recht von Kinderfreibetrag und Kindergeld würden von einer solchen Reform jedoch vor allem hohe Einkommensgruppen profitieren. Die bereits jetzt bestehende Schere zwischen Eltern, die Kindergeld beziehen, und denjenigen, die vom Kinderfreibetrag profitieren, würde weiter geöffnet.

Benach­tei­li­gung von Frauen

Die gegenwärtige Diskussion um eine Erweiterung oder Umwandlung des Splittings vernachlässigt zudem die nachteiligen Wirkungen für Frauen. Das BVerfG unterstellt mit dem Bezug auf die »intakte Durchschnittsehe« eine ökonomische Perspektive auf die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft, in der es irrelevant ist, wer das Einkommen verdient. Abweichend vom gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft – wonach den Eheleuten nur das gehört, was sie selbst verdienen – soll den Eheleuten das Haushaltseinkommen demnach faktisch gleichberechtigt zur Verfügung stehen. Die wenigen empirischen Studien zur Verteilung von Einkommen innerhalb von
Paarhaushalten belegen jedoch, dass die Entscheidungen über die Verwendung des Einkommens häufig sehr wohl davon abhängt, wer das Einkommen erzielt. Das in Artikel 3 Absatz 2 GG verankerte Verbot mittelbarer Diskriminierung verlangt zudem, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Norm auch deren Folgen für die einzelnen Ehepartner zu berücksichtigen. Da der Splittingvorteil beim Ehegattensplitting in Einverdienstehen besonders hoch ist, stellt sich insbesondere für Frauen – die in der Regel geringere Einkünfte erzielen als Männer und häufig eher für Haushalt und Kinder zuständig sind – die Frage, ob sich eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit
finanziell lohnt. Häufig arbeiten verheirate Frauen in geringfügiger
Beschäftigung, weil diese den Splittingvorteil nicht mindert. Allerdings entstehen so auch keine eigenständigen sozialen Sicherungsansprüche. Im nachehelichen Unterhalts- und Versorgungsrecht wird im Widerspruch zum Splitting die ökonomische Eigenverantwortung von Frauen betont. Das Risiko, im Falle einer Scheidung ökonomisch nicht abgesichert zu sein, geht dann zu Lasten von Frauen, die nach Jahren fehlender oder geringfügiger Erwerbstätigkeit nur schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Mit einer Individualbesteuerung ließen sich diese Nachteile vermeiden. Soweit Unterhaltspflichten, die beispielsweise durch den Wegfall das Sozialhilfeanspruchs entstehen, in Höhe des sozialrechtlichen Existenzminimums steuerlich berücksichtigt werden, ist die Individualbesteuerung auch eine verfassungsgerechte Alternative zum Ehegattensplitting. Damit würden nicht nur Ehen und Lebenspartnerschaften rechtlich gleichgestellt, sondern auch Steuermehreinnahmen in Höhe von ca. 18 Mrd. € entstehen, die für eine wirkliche Familienförderung verwendet werden könnten.

Literatur

Spangenberg, Ulrike, Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren, Arbeitspapier der Hans-
Böckler-Stiftung 106, Düsseldorf 2005

Seel, Barbara (Hg.), Ehegattensplitting und Familienpolitik, Wiesbaden
2007

nach oben