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Gestern Jobwunder - Heute arbeitslos - Die Entrechtung von Leiha­r­beit­neh­mern

Grundrechte-Report 2009, Seite 86

In Zeiten der Wirtschaftskrise sind sie die ersten, die ihre Jobs verlieren: die Leiharbeitnehmer. Aktuell arbeiten ca. 750.000 Arbeitnehmer als Entliehene in Betrieben, mit denen sie keinen Arbeitsvertrag haben. Das Arbeitsverhältnis hat ein Leiharbeitnehmer nur mit der Zeitarbeitsfirma, die ihn ausleiht. Das Unternehmen nutzt die Arbeitskraft des Arbeitnehmers, ohne dass arbeitsrechtliche Ansprüche daraus erwachsen, da vertragliche Bindungen fehlen. Bei rückläufiger Auftragslage oder Konjunkturflauten werden Arbeitsplätze zumeist als erstes unter den Leiharbeitnehmern abgebaut. Genau deshalb ist die Leiharbeit liberalisiert worden, um „hire and fire“ auch in Deutschland zu ermöglichen. Und genau das tritt jetzt auch ein.

Im September 2008 hat die Gewerkschaft IG Metall eine Dokumentation von Fällen an die Öffentlichkeit gebracht, die den Missbrauch von Leiharbeitnehmern aufzeigen. Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ werde bei der Leiharbeit massiv verletzt – so die Kritik der Gewerkschaft. Damit werde das Menschenrecht auf gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit in Deutschland tagtäglich missachtet.

Nur selten freiwillig

Es verwundert nicht, dass nur wenige freiwillig als Leiharbeitnehmer arbeiten. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Jungingenieure. Sie nutzen die Möglichkeit, in verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln und so ihr Qualifikationstableau zu erweitern. Die überwiegende Mehrheit der Leiharbeitnehmer gehört allerdings zu den weniger privilegierten Arbeitnehmern. Sie befinden sich in derartigen Beschäftigungsverhältnissen, weil sie schlicht keine andere Wahl hatten. Dementsprechend sieht die soziale Schichtung der Leiharbeiter aus. 2006 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit allein 35,9 % der Leiharbeiter als Hilfsarbeiter eingesetzt, in der Gesamtwirtschaft kommen die Hilfsarbeiter gerade mal auf 1,9 %. Auch werden Leiharbeiter nicht nur zur Abfederung von Auftragsspitzen eingesetzt. Fast die Hälfte der Unternehmen die Leiharbeit nutzen, haben mehr als fünf Prozent Leiharbeiter, bei 10,4 % dieser Unternehmen machen die Leiharbeiter mehr als zwanzig Prozent der Belegschaft aus. Und die Anzahl dieser Intensivnutzer steigt kontinuierlich (Berechungen Bellmann 2007 aufgrund des IAB-Betriebspanels). Dies ist auch nicht verwunderlich, denn der vermehrte Einsatz prekärer Beschäftigung ist teil einer Unternehmensstrategie, die nicht mehr genug Personal Normalauslastung eines Unternehmens vorsieht.

Ein großer Anteil der Leiharbeiter wird sogar als Arbeitslose von den Arbeitsagenturen gegen ihren Willen den Leiharbeitsfirmen vermittelt. Arbeitsagenturen bezeichnen die Leiharbeitsfirmen als „Premiumkunden“, die ihnen viele Vermittlungsfälle abnehmen. Da die Hartz-Reformen die Kriterien für die Zumutbarkeit einer Arbeit verschärft haben, müssen Arbeitslose nach einigen Monaten praktisch jede Tätigkeit annehmen, eben auch in der Leiharbeit. Andernfalls riskieren sie eine dreimonatige Sperre des Arbeitslosengeldes. Als Beschäftigte zweiter Klasse hangeln sich Leiharbeiter von einer Aushilfe zur nächsten. Immer den einen Wunsch vor Augen: fest übernommen zu werden.

Weniger Rechte bei gleicher Arbeit

Die Nachteile, die Leiharbeitnehmer erfahren, sind vielfältig. Sie verdienen deutlich weniger als die Stammbelegschaft, haben weniger Anspruch auf Urlaub. Auch sonst werden sie diskriminiert: Weder bekommen sie einen Kantinenzuschuss noch andere Sozialleistungen, welche die fest angestellten Kollegen selbstverständlich erhalten. Die meisten Leiharbeiter haben nahezu keinen Kündigungsschutz. Beschweren sie sich, werden sie mindestens in einen anderen Betrieb versetzt. Sie können nicht für einen Betriebsrats kandidieren oder eine Wahl anschieben, weil sie sonst Gefahr laufen, ihren Job zu verlieren. Streiken ist unter diesen Bedingungen nahezu ausgeschlossen, ein Einsatz als Streikbrecher allerdings nicht. Praktisch ohne Kündigungsschutz nutzt für diesen Fall auch ein Leistungsverweigerungsrecht nichts.

Es gibt mehrere Gründe für diese schwierige Situation. Zum Teil sind die Ursachen in den unzureichenden rechtlichen Grundlagen für die Leiharbeit zu suchen. Zwar ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz der Grundsatz enthalten, dass Leiharbeitnehmer die gleichen Arbeitsbedingungen haben sollen. Allerdings spielt dieser Grundsatz in der Praxis keine Rolle. Mit der letzten Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind seit dem 1. Januar 2004 fast alle Schutzbestimmungen für Leiharbeiter weggefallen. Bis 1985 war die Dauer einer Überlassung auf drei Monate beschränkt. Dann wurde sie in Stufen erhöht, bis im Jahre 2004 alle zeitlichen Beschränkungen fielen. Auch das Synchronisationsverbot ist vollends gefallen, das den Verleihfirmen untersagte, die Laufzeiten des Arbeitsvertrags des Leiharbeiters mit dem Überlassungsvertrag zu synchronisieren. Ferner sind die besonderen Befristungsverbote und das Wiedereinstellungsverbot durch die Leihfirma nach einer Entlassung gefallen.

Das Resultat dieser Änderungen: Leiharbeiter werden nur in Ausnahmefällen geschützt. So greift zum Beispiel das Kündigungsschutzgesetz erst nach sechs Monaten. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt aber nur 4,7 Monate, der Median sogar nur 2,1 Monate (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2006). Die Schutzregeln greifen also für die Mehrheit der Leiharbeiter überhaupt nicht.

Sperrfeuer von Pseudo­ge­werk­schaften

Neben den gesetzlichen Unzulänglichkeiten bestehen auch bei der Vertretung durch Gewerkschaften spezifische strukturelle Probleme. Denn es gilt der Grundsatz, dass Tarifverträge, die für Leiharbeitnehmer abgeschlossen werden, Vorrang haben vor der Gleichbehandlung mit der Stammbelegschaft. Auf diesem Wege kann der gesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgehebelt werden. Als negativer Trendsetter erwies sich hierbei die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP). Anfang 2003 schloss diese arbeitgebernahe Tarifgemeinschaft erste Tarifverträge ab. Die Tarife lagen weit unterhalb der üblichen in den Branchen, in die Leiharbeit vermittelt wird. Um nicht alle Dämme brechen zu lassen, hat der DGB nachgezogen und einen Tarifvertrag über dem Niveau des CGZP abgeschlossen, der aber ebenfalls weit unterhalb der üblichen Entgelte der Stammbelegschaft lag – zumindest für die meisten Branchen. Alle Versuche, dem CGZP den Gewerkschaftsstatus aberkennen zu lassen, sind bislang daran gescheitert, dass die Arbeitgeber gegebenenfalls die Forderungen der klagenden Arbeitnehmer erfüllen und es damit kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Statusverfahren gibt.

Als Reaktion auf diese Situation hat beispielsweise die IG Metall mit ihrer Kampagne „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ versucht, einen Kontrapunkt zu setzen. Ziel war es, in Betrieben Vereinbarungen zu erreichen, so dass Leiharbeiter besser als nach den Tarifverträgen für Leiharbeit bezahlt werden, bis hin zu gleicher Bezahlung wie die Stammbeschäftigten. Bis Ende September 2008 konnten in 380 Betrieben derartige Vereinbarungen abgeschlossen werden. Trotz dieser Erfolge ist die Gesamtsituation nach wie vor wenig zufrieden stellend. Dies liegt vor allem an der schlechten rechtlichen Situation.

Struk­tu­relle Nachteile beseitigen

Der Gesetzgeber ist gefordert, den Missbrauch von Leiharbeitnehmern zurückzudrängen. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise ist dies nötiger denn je. Damit Unternehmen sich nicht mehr große Reservearmeen von Leiharbeitnehmern halten können, die sie nach Belieben ausbeuten können, sollten zum Beispiel die Höchsteinsatzfristen für Leiharbeiter deutlich – auf maximal drei Monate – herabgesetzt werden. Darüber hinaus sollte es eine Pflicht geben, Leiharbeiter, die einen längeren Zeitraum in einem Unternehmen arbeiten, in die Stammbelegschaften übernehmen zu müssen. Eine Vermittlung durch die Agentur für Arbeit gegen den Willen des Arbeitslosen sollte unterbleiben. Weiterhin sollte im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt werden, dass Tarifverträge für Leiharbeiter nur noch nach oben vom Gesetz abweichen dürfen – damit der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht ausgehebelt werden kann.

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