Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2014

Keine Glaubens­frei­heit im Arbeits­recht

Grundrechte-Report 2014, Seite 57

Nach Art. 4 GG sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Und zum Schutz dieser Unverletzlichkeit erklärt Art. 3 Abs. 3 GG, dass „niemand […] wegen […] seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. In einem großen Bereich des deutschen Arbeitsrechts jedoch gilt dies nicht. Nach dem Staat sind die beiden großen Kirchen mit etwa 1,3 Mio. Arbeitnehmern der größte Arbeitgeber in Deutschland, denn dazu gehören Krankenhäuser, Kindergärten, Altenheime, Schulen, Soziale Dienste und vieles mehr. Und hier überall soll ein kirchliches Sonderarbeitsrecht gelten, welches darauf gestützt wird, dass nach Art. 140 GG auch die Art. 136 ff. Weimarer Reichsverfassung (WRV) weiter gelten und dass nach Art. 137 Abs. 3 WRV jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet – allerdings „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“

„Die Religionsfreiheit umfasst das Recht, an eine Heilslehre zu glauben oder auch nicht. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist nicht weniger geschützt als das Fernbleiben, der Kircheneintritt nicht weniger als der Kirchenaustritt.“ Dies schrieb der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling im Grundrechte-Report 2007, Seite 82. Wenn das so ist, dann verbietet Art. 3 Abs. 3 GG die Benachteiligung dafür, dass man einer Religionsgemeinschaft beitritt oder aus ihr austritt. Nicht so im kirchlichen Sonderarbeitsrecht, wo das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 25. April 2013 (Az. 2 AZR 579/12) die Benachteiligung eines Sozialpädagogen wegen seiner religiösen Anschauungen sanktioniert, gestützt auf das angebliche Recht der Kirchen, selbst über Kündigungsgründe entscheiden zu dürfen.

Der Sozialpädagoge war seit 1992 bei der Caritas in Baden-Württemberg beschäftigt, zuletzt in einem sozialen Zentrum, in dem Kinder von der ersten Grundschulklasse bis zum 12. Lebensjahr nachmittags betreut werden. Die Kinder kommen aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Das Bundesarbeitsgericht hebt ausdrücklich hervor, dass dieses soziale Zentrum von der Stadt Mannheim finanziert wird, dass die Religionszugehörigkeit der Kinder ohne Bedeutung ist, dass das soziale Zentrum keinerlei religiöse Symbole aufweist und den Kindern keine religiösen Inhalte vermittelt werden, sondern dass es um Hausaufgabenbetreuung, soziale Schülergruppenarbeit und Freizeitangebote geht.

Wegen der Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen und wegen der Vorgänge um die Pius-Bruderschaft trat der Sozialpädagoge im Frühjahr 2011 aus der Katholischen Kirche aus. Obwohl er arbeitsrechtlich ordentlich unkündbar war, wurde ihm außerordentlich mit Auslauffrist gekündigt, denn mit dem Kirchenaustritt habe er schwerwiegend gegen seine Loyalitätsverpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber verstoßen. Dies wurde von allen drei arbeitsgerichtlichen Instanzen für richtig gehalten.

Kirchliches Sonder­a­r­beits­recht auf dem Prüfstand

In den letzten Jahren konnte im Grundrechte-Report wiederholt berichtet werden, wie das kirchliche Sonderarbeitsrecht bröckelt. Zumindest in Einzelfällen haben die deutschen Arbeitsgerichte, unterstützt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Kündigungen wegen angeblich schwerwiegender Loyalitätsverstöße nach der kirchlichen Grundordnung wie Wiederheirat geschiedener Personen und Kirchenaustritt, für unwirksam erklärt, die arbeitsvertraglichen Richtlinien beider großen Kirchen werden vom Bundesarbeitsgericht nicht als Tarifverträge anerkannt und auch das bisher vertretene absolute Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen wurde aufgebrochen (Grundrechte-Report 2012, 113 und 2013, 127). Mit der Entscheidung vom 25. April 2013 will das Bundesarbeitsgericht wieder die Sonderrechte der Kirchen stärken. Es ist Zeit, endlich zum Text des Grundgesetzes und der WRV zurückzukehren und festzuhalten, dass das hochgehaltene Recht der Kirchen, ihre Angelegenheit selbst zu ordnen und zu verwalten, eben ausdrücklich nur gilt „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“

Auch nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (BVerfGE 70, 138) zählt das Kündigungsschutzgesetz durchaus zu den allgemein geltenden Gesetzen. Und sind etwa die Grundrechte – Gleichheit vor dem Gesetz, Diskriminierungsverbot, Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Meinungsäußerung, Schutz von Ehe und Familie, Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit – keine für alle geltenden Gesetze? Dies umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7.3.2002 (1 BVR 1962/01) ausgeführt hat, es könne „nicht zweifelhaft sein“, dass bei der gerichtlichen Überprüfung kirchlicher Kündigungen neben dem Selbstbestimmungsrecht der betreffenden Kirche auch „kollidierende Grundrechtspositionen des Arbeitnehmers einschl. derjenigen aus Art. 4 GG zu berücksichtigen sind.“

Das BAG führt in der Entscheidung vom 25. April 2013 aus, dass die Gerichte grundsätzlich an die kirchliche Einschätzung des Kündigungsgrundes gebunden seien, es sei denn, „sie begäben sich dadurch in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Artikel 3 GG), im Begriff der guten Sitten (§ 138 Absatz 1 BGB) und im ordre public (Artikel 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben.“ Ja gehören denn etwa unsere Grundrechte, die die Werte unserer Rechtsordnung prägen, nicht zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung und gehören sie nicht zu den „guten Sitten“ im Rahmen des Rechts? Kann es richtig sein, dass das BAG in seiner Entscheidung ausdrücklich ausführt, Grundrechte der Arbeitnehmer seien nicht Teil des ordre public? Dabei dürfte es sich doch um lediglich rhetorische Fragen handeln.

Es kommt hinzu, dass die vom BAG zitierten arbeitsvertraglichen Richtlinien der Caritas in § 4 Absatz 3 festlegen, dass die persönliche Lebensführung des nicht katholischen Mitarbeiters dem kirchlichen Charakter der Einrichtung nicht widersprechen darf – dass es also auch nicht katholische Mitarbeiter bei der Caritas gibt. Dann ist es aber widersprüchlich und willkürlich, einen Mitarbeiter zu kündigen, der durch Kirchenaustritt zum nicht katholischen Mitarbeiter wird.

Vielerorts: Kirche Arbeitgeber mit Monopol­cha­rakter

Zynisch erscheinen die Ausführungen des Gerichts dazu, dass doch der Sozialarbeiter (und dies gilt für alle 1,3 Mio. Mitarbeiter der Kirchen) mit Begründung des Arbeitsverhältnisses eingewilligt habe in die besonderen kirchlichen Verpflichtungen. Er habe „sich ihnen in diesem Sinne freiwillig unterworfen.“ Damit verlässt das BAG den ansonsten im Arbeitsrecht durchgängigen Grundsatz, dass dem Arbeitnehmer in der Regel nichts anderes übrig bleibt, als den Arbeitsvertrag so zu unterschreiben, wie er ihm vorgelegt wird und dass deshalb der Gesetzgeber und die Gerichte ihn schützen müssen. Sonst könnte ja jeder Arbeitgeber in den Arbeitsvertrag hineinschreiben, was immer er möchte. Und es wird bei dieser Urteilsbegründung vergessen, dass in weiten Bereichen Deutschlands Ärzte, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen, Pflegepersonen, Sozialarbeiter und andere Arbeitnehmer keine freie Wahl haben, einen Arbeitsvertrag bei einer kirchlichen Institution abzuschließen oder nicht, weil Kindergärten, Krankenhäuser, Altersheime, Soziale Dienste und vieles mehr nahezu ausschließlich von Kirchen betrieben werden. Zumindest wenn wie im vorliegenden Fall die öffentliche Hand die soziale Institution finanziert (wie etwa auch bei Krankenhäusern) und nicht die Kirchen, die allgemein geltenden Gesetze und Grundrechte auch für kirchliche Arbeitgeber gelten.

nach oben