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„Brutalst­mög­liche“ partei­po­li­ti­sche Einfluss­nahme - Der Rauswurf des ZDF-Che­fre­dak­teur Brender

Grundrechte-Report 2010, Seite 88

ZDF-Intendant Markus Schächter hatte am 27. November 2009 dem Verwaltungsrat des ZDF vorgeschlagen, den Vertrag des bisherigen Chefredakteurs Nikolaus Brender zu verlängern. Der Verwaltungsrat lehnte diesen Antrag des ZDF-Intendanten mit seiner CDU-Mehrheit ab und verwarf auch alle Kompromissvorschläge des Intendanten.

Mit dieser Ablehnung wurde nicht nur der Ruf und die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks  beschädigt, sondern auch die wesentliche Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, durch unabhängige und kritische Berichterstattung die Demokratie zu schützen und zu fördern, erheblich gefährdet.

Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes garantiert die Rundfunkfreiheit und die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Was sich aber beim ZDF abgespielt hat, ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar. Es kann nicht sein, dass einem Chefredakteur von Parteipolitikern im Verwaltungsrat so unverhohlen und ohne gerechtfertigten Grund das Vertrauen entzogen wird, das ihm der Fernsehrat (der für die Kontrolle des Programms verantwortlich ist) noch kurz zuvor  uneingeschränkt ausgesprochen hatte.

Als Ablehnungsgrund wurden dem ZDF-Chefredakteur schon Monate vorher von Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch in einem FAZ-Interview Zuschauerverluste bei den Nachrichtensendungen heute und heute-journal, dem Länderspiegel und dem ZDF-Auslandsjournal im Vergleich mit dem kommerziellen Sender RTL zur Last gelegt. Diese Argumentation war vorgeschoben. Zynisch ist der Verweis auf den Rückgang von Zuschauerzahlen als Begründung durch den Hessen Roland Koch. Einem Medienpolitiker sollte es um journalistische Qualität gehen, statt mit Quotenvergleichen zu argumentieren. Aber bei diesem fast ein Jahr andauernden Streit ging es längst nicht mehr um das ZDF oder die Person Nikolaus Brender, den Unionspolitiker mit aller Macht und mit allen Mitteln loswerden wollten. Es ging schlicht darum, wer das Sagen, wer die Macht hat im ZDF.

Die Öffentlichkeit muss erkennen, dass diese Auseinandersetzung inzwischen eine gesellschaftspolitische Dimension erreicht hat, die Widerstand erforderlich macht. Es geht es um die politische Grundsatzentscheidung, ob Politiker uneingeschränkten Zugriff auf unabhängige Medien erlangen und durch politische Mehrheiten auf Personalentscheidungen – und damit auch auf die von ihnen verantworteten Programminhalte – Einfluss nehmen dürfen Eine solche Machtprobe kann nicht ohne die Rückendeckung der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel erfolgt sein. Dabei wurde in Kauf genommen, dass auch der Intendant des ZDF, der die Vertragsverlängerung vorgeschlagen hatte, desavouiert und sein Ansehen beschädigt wurde, denn dieser war daran gehindert, seine Personalvorstellungen umzusetzen. Die gleichen Politiker, die gerne die Beteiligungen anderer Parteien an Medienunternehmen als politische Einflussnahme anprangern, haben hier ihren eigenen Einfluss zur Verhinderung eines renommierten Journalisten und Chefredakteurs unverhohlen eingesetzt.

Demon­s­tra­tion partei­po­li­ti­scher Macht

Der Initiator und Wortführer dieser CDU-Aktion, Roland Koch, hat in diesem Fall auf die von ihm bekannten „brutalstmöglichen“ Weise parteipolitische Macht demonstriert und öffentlich deutlich gemacht, wie sich Unions-Politiker in die journalistischen Entscheidungen eines Rundfunksenders einmischen, um ihre Position durchzusetzen.. Damit hat er den grundgesetzlich verbrieften Anspruch auf ein staatsfernes Mediensystem verhöhnt und dem Ansehen der größten öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalt Europas und ihres Intendanten schweren Schaden zugefügt. Mit seiner Entscheidung hat der ZDF-Verwaltungsrat in Sachen Staatsferne eine elementare Grenze überschritten, deren Auswirkungen insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber auch alle anderen Medien betreffen können.

Diese Verschiebung der Grenzlinie zwischen Journalismus und politischer Macht lässt verheerende Folgen für künftige journalistische Arbeit auch in anderen Medien befürchten. Wenn Journalisten, die bestimmte Themen aufgreifen, sich um ihr berufliches Fortkommen sorgen und existentielle Angst haben müssen, wird das Programmauswirkungen zur Folge haben. Die werden weniger daran zu erkennen sein, dass beispielsweise die Kanzlerin häufiger in einem freundlichen Umfeld zu sehen ist oder bestimmte Themen vorrangig aufgegriffen werden. Es wird umgekehrt sein. Es kommt nicht mehr darauf an, was zu sehen ist, sondern darauf was fehlt. Die Gefahr ist groß, dass manche gesellschaftspolitische Probleme künftig in der Berichterstattung ausbleiben und kritische Themen in den Programmen des Hörfunks und Fernsehens nicht mehr vorkommen.

Wie groß der Einfluss der Politik beim ZDF ist, wird deutlich, wenn die Berufung und die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien betrachtet werden. Von den 77 Mitgliedern des Fernsehrats werden insgesamt 72 von der Politik entsandt oder ausgesucht. Drei Mitglieder schicken der Bund und zwölf die Vorstände der im Bundestag vertretenen Parteien. Außerdem entsenden die  16 Bundesländer je ein Mitglied in den Fernsehrat. Dem Gremium gehören zwar auch nominell unabhängige Abgesandte verschiedener gesellschaftlicher Gruppen an. Deren 25 Vertreter und Vertreterinnen  kommen von Gewerkschaften, Arbeitgebern, Zeitungsverlegern, Wohlfahrtsverbänden, Sportbund und Naturschutzorganisationen. Diese Verbände und Organisationen haben aber lediglich ein Vorschlagsrecht für „ihre“ Fernsehratsmitglieder. Sie dürfen jeweils drei Namen benennen, unter denen dann die Ministerpräsidenten die ihnen genehmen Kandidaten aussuchen. Sechzehn weitere Vertreter aus den Bereichen  Erziehung und Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Filmwirtschaft, freie Berufe, Familienarbeit,  Kinderschutz, Jugendarbeit, Verbraucherschutz sowie Tierschutz werden von den Ministerpräsidenten gleich selbst bestimmt. Allein die Evangelische und katholische Kirche sowie der Zentralrat der Juden in Deutschland können ihre insgesamt fünf Vertreter eigenständig benennen und in den Fernsehrat entsenden.

Das zweite und wichtigere ZDF-Gremium, der für Finanzen und Personal zuständige Verwaltungsrat, besteht aus vierzehn Mitgliedern. Fünf Vertreter entsenden die Landesregierungen. 2009 waren dies die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), Peter Müller (CDU), Kurt Beck (SPD), Matthias Platzeck (SPD) und der ehemalige bayerische Regierungschef Edmund Stoiber. Die Bundesregierung hatte Bernd Neumann (CDU) berufen. Die übrigen acht Sitze wurden vom ZDF-Fernsehrat entsandt, fünf auf dem Ticket der Union, drei Verwaltungsräte auf Vorschlag der SPD.

Damit entscheidet die Politik im ZDF über alle wichtigen Angelegenheiten, insbesondere bei Personalfragen, wie der Berufung des Intendanten und der Direktoren, maßgeblich die sechzehn Ministerpräsidenten. Da Beschlüsse nur mit einem Quorum von drei Fünfteln gefasst werden können, ist gegen die unmittelbar von der Politik in den Fernsehrat entsandten 31 Vertreter keine Mehrheit möglich, da dazu mindestens 47 von 77 Stimmen erforderlich sind. Diese ZDF-spezifische Mehrheit gilt für die Wahl des Intendanten ebenso wie für das „Einvernehmenserfordernis“ des Verwaltungsrats bei der Bestellung des Programm- und des Verwaltungsdirektors sowie des Chefredakteurs.

Koch provoziert Protest

Man müsste dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch eigentlich nachgerade dankbar sein, dass er diese Zustände durch seine rigide Vorgehensweise ins öffentliche Bewusstsein gerückt und dadurch breiten Protest mobilisiert hat. Dem Bürgerwillen würde entsprochen, wenn die Staatsfreiheit des Rundfunks durch eine Änderung des ZDF-Staatsvertrags hergestellt wird, welche die Zusammensetzung des Fernseh- und Verwaltungsrates verfassungsrechtlichen Regeln unterwirft.

Auf die problematische Zusammensetzung der ZDF-Aufsichtsgremien weisen Rundfunkrechtler seit langem hin. Wie dramatisch der parteipolitische Würgegriff bewertet wird, belegt auch der Offene Brief, mit dem unmittelbar vor der Verwaltungsratssitzung 35 Hochschullehrer vor der Gefahr für die Rundfunkfreiheit und die Demokratie gewarnt haben. Unter den Unterzeichnern finden sich hoch renommierte Staats- und Verfassungsrechtler, Professoren, die die Bundesregierung schon vor dem Verfassungsgericht und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vertreten haben, und andere, die selbst als künftige Verfassungsrichter im Gespräch sind. Sie alle verbindet die Sorge, um das öffentlich-rechtliche Fernsehen, sollte es weiterhin dem massiven Einfluss der Politik ausgesetzt sein.

Vom Gesetzgeber ist keine Hilfe zu erwarten, denn Landtage können ohne die Ministerpräsidenten keine Staatsverträge schließen Um zu klären, ob der ZDF-Staatsvertrag in puncto Gremienbesetzung verfassungswidrig ist, bleibt deshalb nur ein Weg, der Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe.

Klagebefugt wäre die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Dass die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht anruft, dürfte unwahrscheinlich sein. Auch eine Landesregierung wird sich kaum finden lassen. Hoffnung gibt eine Ankündigung der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen. Sie wollen einen Entwurf für ein Normenkontrollverfahren erarbeiten und Abgeordnete anderer Fraktionen zur Mitzeichnung auffordern, um das notwendige Quorum zu erreichen. Die Chancen sind groß, 12 weitere Abgeordnete reichen dafür aus.

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